Montag, 28. Dezember 2015
Stoppt den Staatsterror in der Türkei!
Der staatliche Terror des AKP-Regimes ist derzeit Alltag in Kurdistan. Seit Monaten werden kurdische Städte von den türkischen “Sicherheitskräften” belagert, Menschen ermordet, Häuser beschossen, Wasser-, Strom- und Telefonleitungen gekappt. Lehrer und Beamte des Staates wurden bereits aus den umkämpften Gebieten hinaus beordert. Die Bevölkerung vor Ort hingegen wird nicht nur ihrem Schicksal überlassen, tagtäglich werden vor allem Jugendliche und Frauen ermordet. Derzeit befinden sich 200.000 Menschen aus den Städten Nordkudistans/Südosttürkei auf der Flucht.

Flucht – Flüchtlinge – da war doch was …

Es scheint schon etwas absurd, dass die EU mit dem Staat einen Deal in der Flüchtlingsfrage eingeht, der zu den größten Urhebern der Flüchtlingskrise zählt. Die Türkei hat durch ihre Unterstützung von dschihadistischen Gruppen wie dem IS, der Al-Nusra Front oder der Gruppe Ahrar al-Sham und mit der Bekämpfung der basisdemokratischen Selbstverwaltung in Rojava/Westkurdistan den Krieg in Syrien maßgeblich mit befördert und so dazu beigetragen, dass abertausende Menschen ihre Heimat verlassen mussten. Sie entvölkert nun auch systematisch ganze Stadtbezirke in Nordkurdistan. Die Menschen in den belagerten Städten leiden Durst und Hunger, ihnen fehlt notwendige medizinische Versorgung. Verlassen sie ihre Häuser, sind sie in Gefahr, von Scharfschützen der türkischen „Sicherheitskräfte“ jederzeit ermordet zu werden.

Doch auch wenn sich Erdoğan und seine AKP derzeit von der hässlichsten Seite zeigen, von Europa und Deutschland aus hat die Führungsebene der Türkei keinen Widerspruch zu befürchten. Denn man ist auf Erdoğan angewiesen, wenn man in der „Flüchtlingskrise“ Lösungen finden will. Da nimmt man wohl in Kauf, dass der türkische Partner im Kurdenkonflikt auf einen Krieg gegen die Zivilbevölkerung setzt. Wie zu erwarten, zeigt sich die deutsche Bundesregierung besonders übereifrig die Türkei zu umgarnen. Noch vor den Parlamentswahlen am 1. November stattete Bundeskanzlerin Merkel quasi als Wahlkampfhelferin dem türkischen Staatspräsidenten einen Besuch in dessen Palast ab. Im Gegenzug für die türkischen Versprechungen in der Flüchtlingsfrage scheint die Bundesregierung zudem den Repressionshebel gegen die kurdischen AktivistInnen in Deutschland angehoben zu haben. Derzeit sitzen in deutschen Gefängnissen sieben kurdische Politiker in Haft, so viele wie schon lange nicht mehr.

Krieg gegen die Kurden kommt einer Unterstützung des IS gleich

Nutznießer dieses großangelegten Kriegskonzepts der Türkei gegen die kurdische Bevölkerung und die kurdische Freiheitsbewegung ist vor allem eine Organisation, die über das gesamte Jahr 2015 im Mittleren Osten, aber auch in Europa Terror verbreitet hat – der sogenannte Islamische Staat.

Denn seit dem erfolgreichen Widerstand von Kobanê ist es der kurdischen Freiheitsbewegung immer wieder gelungen, dem IS einen Schlag nach dem anderen zu versetzen. Die größten Gebietsverluste musste der IS im Kampf gegen kurdische Kampfverbände in Syrien und im Irak hinnehmen. Insbesondere in Syrien hat die Türkei dem IS über lange Zeit für deren Kampf gegen die Kurdinnen und Kurden logistische Unterstützung geliefert und die Grenzen geöffnet. Und auch gegenwärtig beschießt das türkische Militär aus der Türkei heraus kurdische KämpferInnen, die zu Operationen gegen den IS ansetzen.

Die EU und Deutschland sollten sich genauestens überlegen, mit wem und zu wessen Kosten sie Deals eingehen. Es kann und darf nicht sein, dass aufgrund der Flüchtlingsströme um Europa Mauern errichtet werden und Staaten der Türkei, die sich zum Handlanger dieser Abschottungspolitik machen, ein Blankoscheck im Umgang mit den Kurdinnen und Kurden erteilt wird.


Stoppt den Staatsterror der Türkei
Niemand darf vor dem Krieg in Kurdistan, der gegen die Zivilbevölkerung geführt wird, wegschauen
Frieden statt Krieg
Die Friedensverhandlungen mit dem PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan müssen wieder aufgenommen werden – Öcalan muss in die Freiheit entlassen werden
Für das Recht auf Selbstbestimmung
Die Selbstverwaltungsstrukturen in den kurdischen Gebieten der Türkei, aber auch in Rojava sind nicht nur legitim, sie sind auch ein Hoffnungsschimmer für einen demokratischen Mittleren Osten
Weg mit dem PKK-Verbot
Auch in Deutschland hält die Kriminalisierung von Kurdinnen und Kurden an – das muss endlich ein Ende finden!

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Stellungnahme zur Massenabschiebung des Landes Niedersachsen
Zu dem Artikel in der HAZ vom 16.12.2015 "Land schiebt 125 Asylbewerber ab"

"Ein Stück Humanität abgeschoben"
von Wilfried Bartels, Obernkirchen

Nach einer Internetveröffentlichung des NDR.de hatte der Sprecher des niedersächsischen Innenministeriums noch am 23.10.2015 versichert: "Keine Massenabschiebung von Flüchtlingen!" Ich war daher sehr verwundert, als knapp zwei Monate später, am 16.12., in dieser Zeitung ein Artikel mit der Überschrift, "Land schiebt 125 Asylbewerber ab", erschien. Dies erinnerte mich spontan an die "Mauerlüge" Ulbrichts, der am 15. 6. 1961 in einer Pressekonferenz in Original Sächsisch beteuert hatte: "Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!" Ebenfalls knapp zwei Monate später wurde diese bekanntlich gebaut.

Der Ministeriumssprecher hatte ferner beteuert, das Land werde an dem "humanitären Umgang" mit abgelehnten Asylbewerbern auch nach Inkrafttreten des Gesetzes über die Verschärfungen des Asylrechts, einem im Eiltempo ausgehandelten Kompromiss zwischen Bund und Ländern, festhalten. Es würden auch nur abgelehnte Asylbewerber der letzten eineinhalb Jahre abgeschoben. Tatsächlich begann die Massenabschiebung nach dem Pressebericht vom 16.12. mit einer Nacht- und Nebelaktion. Ohne vorherige Ankündigung wurden die Familien mit Kindern und alten Menschen aus dem Bett geklingelt und konnten - wenn überhaupt - nur noch planlos und unvollkommen das Nötigste mitnehmen. Aus verschiedenen Landesteilen wurden die Menschen zum Flughafen Langenhagen transportiert, z. T. mit Handschellen. Offenbar handelte es sich um nicht anerkannte Asylbewerber aus den Balkanländern, vornehmlich aus dem Kosovo.

Anders als vom Ministeriumssprecher noch am 23. 10. beteuert, handelte es sich - zumindest teilweise - um Familien, die hier schon sehr lange wohnten, deren Kinder hier geboren waren und hier zur Schule gingen. So soll z. B. Djevdet Berisa, Vorsitzender des Vereins der Roma in Niedersachsen mit Sitz in Hannover, der die Abschiebung am Flughafen beobachtet hat, berichtet haben, dass auch sein Cousin, dessen Frau und Kinder, die hier zur Schule gingen, unter den Abzuschiebenden seien, obwohl sie seit 1988, also seit 27 Jahren, in Deutschland lebten. Das Recht des Staates auf Abschiebung war nach so langer Duldungszeit m E. längst verwirkt. Noch vom Flughafen aus habe seine Anwältin, so Djevdet Berisa, einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht auf Aussetzung der Abschiebung gestellt - unverständlicherweise ohne Erfolg.

Menschen nach so langer Zeit der Duldung in einer Nacht und Nebelaktion abzuschieben, ist - sofern keine ganz außergewöhnlichen Abschiebungsgründe vorliegen - aus meiner Sicht ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Dass es sich dabei um eine Roma-Familie handelte, macht die Abschiebung angesichts der Tatsache, dass Nazi-Deutschland an dieser Volksgruppe - wie an Juden - einen Völkermord verübt hatte, dem 220.000 bis 500.000 europäische Sinti und Roma zum Opfer fielen, wie der BR in einer Internetveröffentlichung am 5. 4. 2012 berichtete, noch unverzeihlicher. Was hat dies noch mit "humanitären Umgang", wie der Ministeriumsprecher beteuert hatte, zu tun? Die überfallartige Abschiebung nach so langer Duldung war - ungeachtet der ausländerrechtlichen Regelungen - pures Unrecht. Dies hätte durch den "humanitäre Imperativ", den die Bundeskanzlerin am Wochenende zuvor auf dem Bundesparteitag der CDU propagiert hat, verhindert werden können.

Mir ist unbegreiflich, dass diese Massenabschiebung unter einer rot-grünen Landesregierung mit einem sozialdemokratischen Innenminister möglich war. Ich erwarte, von dieser Landesregierung, dass sie zumindest die Romafamilien zurückholt, hilfsweise, sich aber vor Ort um deren Wiedereingliederung kümmert. Dies sind wir unserer Geschichte schuldig. Dass die rigorosen Abschiebungen auf Absprachen zwischen Bund und Ländern basiert und auch von anderen Ländern praktiziert wird, allen voran Bayern, ändert nichts an der grundsätzlichen Zuständigkeit jedes einzelnen Landes an der rechtmäßigen Ausführung des Ausländerrechts. Kein Land kann sich bei Menschenrechtsverletzungen auf Absprachen berufen. Niedersachsen sollte sich jedenfalls nicht länger an dem Wettbewerb der Schäbigkeiten, der in vollem Gange zu sein scheint, beteiligen. Bei diesem Wettbewerb wird leider billigend in Kauf genommen, dass das zarte Pflänzchen einer Willkommenskultur in Deutschland durch die Massenabschiebungen der derzeit angeblich ca. 190.000 Ausreisepflichtigen sehr schnell zertrampelt wird. Bei einer so hohen Zahl Ausreisepflichtiger erscheint übrigens eine schnelle und großzügige Altfallregelung geboten, um zu vermeiden, dass allein für die Altfällen über 10 Jahre Massenabschiebungen von jährlich 20.000 Menschen durchgeführt werden. Dies kann kein anständiger Mensch ernstlich wollen.

Ich hatte jedenfalls gehofft, dass das heutige Deutschland sensibel genug ist und Massenabschiebungen mit Nacht- und Nebelaktionen tabu sind, nachdem Nazi-Deutschland im Oktober 1938 insgesamt ca. 18.000 polnischen Juden, die bis dahin größte Ausweisungsaktion in der deutsche Geschichte, unter ähnlich dramatischen Umständen nach Polen abgeschoben hatte. Eine vergleichsweise kleine Zahl, gemessen an den derzeit ca. 190.000 abzuschiebenden Altfällen. Polen wollte damals seine jüdischen Landleute ebenso wenig aufnehmen, wie heute die Balkanländer ihre Roma. Wie damals die jüdischen Polen, so stehen heute auch die aus
Deutschland vertriebenen Roma in ihren Herkunftsländern vor dem Nichts. Sie sind - wie damals die jüdischen Polen - in ihren Herkunftsländern Diskriminierungen, Schikanen und Anfeindungen ausgesetzt. Für Sinti und Roma gibt es offenbar keine "sicheren Herkunftsländer". Trotzdem werden sie dahin abgeschoben.

Mit deutlichen Worten und überzeugender Begründung hat Prof. Dr. Ernst Gottfried Mahrenholz, der frühere niedersächsische Kultusminister und spätere Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, in der HAZ vom 19. 12. die Massenabschiebung als verfassungswidrig kritisiert. Er hat hinzugefügt, dass mit der Massenabschiebung "auch ein Stück Humanität abgeschoben worden" sei. Diesen Ausführungen schließe ich mich uneingeschränkt an.

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