Sonntag, 9. Juli 2017
G20 in Hamburg, da wurde ja richtig gehönkelt....
Als Autonomer der fast-ersten Stunden, als jemand, der sich heute zur Interventionistischen Linken bekennt, als jemand, für den eines der wichtigsten politischen Bücher die mich sehr geprägt haben die "Autonomie Neue Folge. Materialien gegen die Fabrikgesellschaft Nr. 14 Klassengeschichte - soziale Revolution?" darstellt (die "Autonomenbibel", das Standardwerk des Widerstands gegen die IWF-Weltbanktagung 1988) könnte ich ja vielleicht zu denen gehören, die den Riot von Hamburg gut finden.

Tue ich aber nicht. Vielmehr stellt sich mir eher die Frage, ob und inwieweit Provokateure ganz bewusst eine kontraproduktive Situation herbeigeführt haben, abgesehen davon, dass ich die sinnlose Zerstörung ausgerechnet in einem Szeneviertel nur noch zum Kotzen finde. Damit stehe ich ja auch nicht alleine, auch die autonome Szene, seit jeher bekannt für ihre Neigung zu offen ausgetragener Selbstkritik fetzt sich da auf indymedia gerade ziemlich.

https://linksunten.indymedia.org/de/node/217623


Einige Zitate sind schon recht bemerkenswert, deshalb greife ich sie ohne Anspruch auf Vollständigkeit auch heraus:

"Euch ist gar nicht mehr zu helfen! Klar war der Angriff der Schweine auf die Demo am Donnerstag grosse Scheisse, aber was insbesondere heute Nacht passiert ist, die Schanze auseinanderzunehmen wie im Wahn, einer bekannten basisengagierten Kleintierärztin das Auto zu fackeln und einer PoC den kleinen Teeladen zu entglasen, das ist total krank. Politische Nachricht Null, Zerstörung maximal. Bürgis haben die gewünschten Bürgerkriegsbilder bekommen, die Medien kotzen über alles Linke statt G20, und selbst die Rote Flora geht auf Abstand." "Verstehe aber trotzdem nicht was das Verbrennen von Autos damit zu tun hat? Inwiefern dient das dem Zweck? Mit den Autos wurden keine Barrikaden gebaut, noch wurde sonst irgendwas damit gegen den Staat unternommen. Ich verstehe es wirklich nicht. Und diese Frage ist nicht offensiv gemeint. Ich will es wirklich nachvollziehen können."

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"Ich denke das man sich im Vorfeld im klaren sein sollte welche Ziele man hat.. und was diese Ziele dann genau bedeuten. Wie dann genau die Realität ausschaut in welcher man sich dann wiederfindet.. Die Lösung der Probleme sind eben nicht einfach und eigentlich auch die schwierigste Aufgabe und Leistung.. so verstehe ich es.."

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"Sinnvolle Gewalt ist begrenzt, geplant und man hat vorher drüber nachgedacht was man damit sagen will.

Die Aussagen der letzten 30 Stunden waren:
Wir fühlen uns geil und überlegen und zeigens Euch so richtig. Wir nehmen uns jetzt endlich was (zurück).WIr haben die Macht.

Ist uns egal ob Menschen Angst vor uns haben und einen privaten Schaden in Kauf nehmen.

Ist uns egal, ob das in den Vierteln passiert in denen viele Menschen leben, die eigentlich dasselbe wollen wie wir.



Ich bin auch linksradikal und absolut dagegen, solche Botschaften auszusenden. Besetzungen ja, Guerillaaktionen ja.

Aber besoffene Mackertouren sind zum Kotzen. Was mich dazu bringt zu fragen, wer war da eigentlich am Start? Rechte oder staatliche Provokateure? Gibt es Belege dafür dass die IB mitgemischt hat so wie zu lesen war?

Krawalltouris wie schon bei den Schanzenfesten?

Oder Leute die wirklich denken, dass das Autonome Politik ist? Dann haben wir echt wenig gemeinsam."



"...etwas dabei gewesen. so wie sich solche Krawalle eben zusammen setzen. Das ist auch nichts neues und einer der Hauptgründe, warum reflektiertere und ältere Autonome, bei allem Verständnis für Wuit und Hass der der jungen zumeist männlichen krawallbeteiligten, so was eher skeptisch sehen."





"Klar wie klossbrühe ist: die bullen haben den Krawall genau so und an der Stelle gewollt."





Ich habe diesen Quark gestern fassungslos angesehen. Was bitte sollte diese Eskalation in der Schanze? Ist es nicht Ziel, den Protest in die Viertel der Reichen zu tragen? Wenn man wueten will dann bei denen, die von der Ausbeutung unmittelbar profitieren. Ein gecrashter IKEA ist da schon mal ein Anfang, aber es gibt noch zig andere Laeden - warum werden die nicht angegangen? Warum greift man nen verdammten Einzelhaendler an, der seit zig Jahren schon etabliert und in die eigenen Projekte eingebunden ist?



Warum zerstoeren wir unsere eigenen Stadtteile? Klar kann man die Bullen angreifen, auch mit Mollis und Zwillen. Das ist auch passiert, das hat funktioniert und das ist gut so. Es waere schoen wenn das noch viel staerker passier waere.



Aber warum um alles in der Welt greifen wir diejenigen an, die dort seit Jahren an der Basis mit uns zusammenarbeiten?



Das vorgehen gestern Abend war maximal dumm und sinnlos. Womit wir vlt. etwas Sympatie gewinnen koennten: Zieht euch das autonome Outfit an, mit Sturmhaube und Kaputzenpulli - und helft beim Aufraeumen. Klotzt in der Schanze richtig ran und verbreitet die Bilder via Social Media. Das was dort abgelaufen ist war hoffentlich NICHT repraesentativ fuer die linke Szene, ansonsten schaeme ich mich bald dafuer, mich linksradikal zu nennen... Unglaublich



Glückwunsch liebe Genoss*innen,

das war die beste Aktion gegen das Proletariat seit langem.





Es war offensichtlich dass es von den Bullen GEWOLLT war dass es genau dort und genauso eskalierte, eine wilde Mischung aus aufgepeitschten Demoteilnehmer*innen, zu Recht wütend, und stinkbesoffenem Partyvolk. Die Bullen hätten alles von Anfang an verhindern könnne, wer hier ist weiß wieviele es sind und wie übermächtig es sie macht, aber sie wollten es nicht verhindern weil sie viel bessere Strategien haben als "wir"! Wer das jetzt ernsthaft feiert dass ihr Plan genau aufgegangen ist und auch noch denkt das wäre revolutionär gewesen ist mehr als naiv.....


wieder einmal zeigt sich das problem, dass die szene in weiten teilen eine art durchlauferhitzer für leute zwischen 16 und 24 ist, die sich irgendwann aus den debatten zurückziehen und deren erfahrungen verloren gehen. sonst würde nämlich mehr leuten auffallen, dass die ereignisse gestern und letzte nacht keineswegs so außergewöhnlich waren. dass autos - auch massenweise - in flammen aufgehen und geschäfte geplündert werden, gab es schon öfter, und zwar nicht nur in kreuzberg am 1. mai. auch die debatten über das verhältnis zu anwohner_innen, über alkohol, mackertum, partypublikum und randalegaffer wurden schon 1000mal geführt.

.......

bevor sich jetzt also alle zerstreiten und im schlechtesten fall noch anfangen, hier irgendwelche details für die bullen zum mitlesen zu posten, nehmt euch einen augenblick zeit, lest mal nach (geht auch im internet) über die debatten nach dem 1. mai '87 oder '89, nach den chaostagen '95 oder dem schanzenfest 2009, und dann meldet euch wieder."

Was seit nunmehr an die 30 Jahren mal wieder zum Tragen kommt: Auf der Ebene sehr großer Demos haben Autonome kein Krisenmanagement. Seit den Startbahnschüssen ist dieses Problem evident, eine Lösung nicht sichtbar (außer bei der Bonn-Blockade 1992, da hatten wir es hinbekommen).

Schon in Heiligendamm waren die heftigsten Steine- und Molliewerfer offensichtlich aus dem Ausland angereiste Leute. Die türkische Zeitung Cumhuriyet schreibt davon, dass diesmal einige Leute dabei waren die selber zu den unmittlebaren Opfern der jüngsten EU-Austeritätspoilitik gehören und die nun Rache geübt hätten. Wenn das stimmt wäre es interessant näheres zu erfahren: Landlose griechische Bauern, arbeitslose spanische Fischer, die jetzt in NL oder SE im Exil leben, oder wer? Genauere Hinweise bleibt die Zeitung schuldig.

Über den Riot hinaus werfen sich mir allerdings noch einige ganz andere, dringende Fragen auf.

Einmal gibt es ganz grundsätzlich zwei verschiedene Perspektiven auf die ganze Thematik G20-Gipfel. Die eine wäre etwa die hier: Da treffen sich die Hauptimperialisten und ihre gepflegt-dekadenten Trikontstatthalter, um neue Verbrechen gegen die Menschheit zu planen. Diesem Treffen, von dem nichts Gutes ausgehen kann, ist möglich effizienter Widerstand entgegenzusetzen. Das ist die Antiimp-Perspektive, das ist ein Reduktionismus, der von Verschwörungstheorien a´la Bilderberger und Gnome von Zürich gar nicht weit entfernt ist.

Und dann gibt es da die Perspektive, dass ganz pragmatisch und mit viel Flickschusterei die Mächtigen dieser Welt versuchen, die drängendsten Probleme wie Klimawandel und Armutsmigration auf kompromisshafte Weise zu lösen oder zumindest zu kanalisieren. Das ist eine pragmatische Perspektive, die mal aus einem ganz anderen Winkel beleuchtet werden sollte: Es wird verhandelt und nicht geschossen, den größten Teil der Geschichte über keine Selbstverständlichkeit. Das ist die opportunistische Perspektive, alles andere als sozialrevolutionär, aber Opportunismus heißt eben auch dass von Opportunitäten ausgegangen wird.

Möglicherweise enthalten auch beide Perspektiven ein Moment von Wahrheit, in dem Sinne dass sie beide wahr und falsch zugleich sind. Ich glaube nicht an absolute oder alternative Wahrheiten.

Durch subventionierte EU-Agrarprodukte, die afrikanische Länder überschwemmen und Menschen dort zur Flucht oder zur Piraterie oder zum Banditen- und Söldnertum ZWINGEN, durch Handelsverträge, Investitionen, Kredite, Waffenexporte, diverse Formen von Bestechung und sog. Entwicklungshilfe die nicht humanitären Zwecken sondern der Zurichtung von Märkten für die Interessen des BRD/EU/US-sonstwie Kapitals dient wird ein Großteil der zu managenden Krise von den Großmächten selbst verursacht -insofern sieht ihr Krisenmanagement, etwas anderes ist ein G20-Gipfel nicht, noch mauer aus als das der Autonomen.

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