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Donnerstag, 15. Oktober 2020
Und sie schützen doch! Masken sind in der SARS-CoV-2-Pandemie eine wirksame Maßnahme, wie etliche Studien belegen
che2001, 18:27h
Ute Eppinger, Medscape
Der Mund-Nasen-Schutz (MNS) ist zum Symbol der Corona-Pandemie geworden, an der bis Mitte Oktober mehr als 37 Millionen Menschen erkrankt und mehr als eine Million Menschen gestorben sind. Masken können das Übertragungsrisiko von SARS-CoV-2 reduzieren. Doch welche schützen wie effektiv? Bei der Vielzahl an Möglichkeiten ist die Datenlage recht unübersichtlich.
Nicht besser wird die Situation durch Politiker wie US-Präsident Donald Trump, der Masken manchmal empfohlen hat, dann ihre Effektivität aber infrage gestellt und sich darüber lustig gemacht hat. Auch nach seiner Erkrankung, bei seiner Rückkehr ins Weiße Haus, hat er durch die demonstrative Abnahme der Maske beim Eintritt in das Gebäude gezeigt was er von ihr hält: nichts.
„Es liegt nahe, dass all das verwirrt“, stellt Prof. Dr. Baruch Fischhoff, Psychologe an der Carnegie Mellon Universität in Pittsburgh, Pennsylvania, im Gespräch mit Nature klar. Aber: „Diejenigen, die sich die Evidenz zu Masken tatsächlich anschauen, stufen ihre Wirksamkeit anders ein“, betont er.
Die Wissenschaft, so Fischhoff, befürworte die Verwendung von Masken. Neuere Studien deuteten darauf hin, dass sie auf verschiedene Weise Leben retten könnten: Sie verringern das Risiko, sich mit SARS-CoV-2 zu infizieren und es zu übertragen, und einige Arbeiten liefern auch Hinweise darauf, dass Masken womöglich die Schwere der Infektion abmildern können.
Anfangs gab es kaum Information – und kaum Masken
Zu Beginn der Pandemie wusste man noch nicht genug, um das Tragen von Masken explizit zu empfehlen. Standard für den Einsatz im Gesundheitswesen ist die Atemschutzmaske N95. Sie entspricht in Europa der FFP-2-Maske, die Träger schützen soll, indem sie 95% aller in der Luft schwebenden Partikel ab einer Größe von 0,3 µm herausfiltert. Als sich SARS-CoV-2 ausbreitete, wurden diese Schutzmasken schnell knapp.
Das warf die Frage auf: Sollten Bürger einfache chirurgische Masken oder Stoffmasken tragen? Und, falls ja, unter welchen Bedingungen? „Solche Fragestellungen untersuchen wir normalerweise in klinischen Studien", sagt Prof. Dr. Kate Grabowski, Epidemiologin an der Johns Hopkins School of Medicine in Baltimore, Maryland. „Doch dafür hatten wir einfach keine Zeit."
Deshalb verließen sich Wissenschaftler auf Beobachtungsdaten und Laborstudien. Es lagen auch indirekte Hinweise auf die Wirkung von Masken bei anderen Infektionskrankheiten vor. „Wenn Sie sich eine dieser Publikationen ansehen – da ist kein großer Treffer darunter. Aber nimmt man alles zusammen, dann bin ich überzeugt, dass Masken funktionieren“, sagt Grabowski.
"Nimmt man alles zusammen, dann bin ich überzeugt, dass Masken funktionieren. " Prof. Dr. Kate Grabowski
Das Vertrauen in die Wirksamkeit von Masken wuchs ab Juni aufgrund einer Mitteilung der Centers for Disease Control and Prevention (CDC), Atlanta. Die US-Seuchenbehörde berichtete über 2 Friseure aus Missouri, die positiv auf SARS-CoV-2 getestet worden waren. Beide hatten während ihrer Arbeit, also vor der Diagnose, 2-lagige Bauwollmasken oder chirurgische Masken getragen. Und obwohl sie die Infektion an Mitglieder ihres Haushalts weitergaben, blieben ihre Kunden offenbar verschont.
OP-Masken senken das relative Infektionsrisiko um 80%
Lange hieß es, einfache OP-Masken schützten nicht vor SARS-CoV-2. Erst eine Metaanalyse in The Lancet von Prof. Dr. Holger Schünemann, McMaster University in Hamilton/Ontario, Kanada, änderte diese Einschätzung.
Im Interview mit der Berliner Zeitung spricht Schünemann von einem überraschend großen Effekt der Masken. „Nach unserer Analyse senken Masken das relative Risiko, sich zu infizieren, um etwa 80 Prozent.” Ohne MSN betrug das absolute Infektionsrisiko in den Studien 17,4%, mit Mund-Nase-Schutz fiel es auf 3,1%.
Nach unserer Analyse senken Masken das relative Risiko, sich zu infizieren, um etwa 80 Prozent. Prof. Dr. Holger Schünemann
Auch Demonstrationen lieferten Hinweise auf die Wirksamkeit von Masken. Bei den „Black Lives Matter“-Protesten trugen die meisten Teilnehmer Masken. Ihre Versammlungen schienen keine Infektionsspitzen auszulösen, wohingegen das Virus Ende Juni in einem Sommerlager in Georgia grassierte. Teilnehmende Kinder waren nicht verpflichtet, einen MNS zu tragen.
Beim Vergleich sollte allerdings bedacht werden, dass BLM-Proteste im Freien stattfanden, während sich die Camper etwa nachts mehrere Hütten teilten. Für Prof. Dr. Theo Vos, Gesundheitsökonom an der Universität von Washington in Seattle, zeichnen solche anekdotischen Beweise dennoch „ein Bild“.
Direkte Evidenz liefert eine derzeit nur als Preprint veröffentlichte Studie. Die Ergebnisse zeigen, dass der wöchentliche Anstieg der Mortalität an Orten, an denen Masken Pflicht waren, im Vergleich zu anderen Regionen 4-mal geringer war. Die Forscher hatten 200 Länder untersucht, darunter die Mongolei, die im Januar die Maskenpflicht eingeführt und bis Mai keine Todesfälle aufgrund von COVID-19 verzeichnet hatte.
In einer weiteren Studie wurden Auswirkungen der Maskenpflicht US-weit untersucht. 15 Bundesstaaten hatten im April und Mai eine Maskenpflicht eingeführt. Die Autoren schätzen, dass es so gelungen sei, die Wachstumsrate der Neuinfektionen relativ um bis zu 2 Prozentpunkte pro Tag zu verringern. Ihrer Einschätzung nach konnten durch diese Maßnahme, kombiniert mit Social Distancing, möglicherweise bis zu 450.000 SARS-CoV-2-Infektionen abgewendet werden.
Maskenpflicht reduziert SARS-CoV-2-Infektionen um ein Drittel
Dass eine Maskenpflicht die Anzahl der Corona-Infektionen in einer Region deutlich verringert, ist das Ergebnis einer aktuellen Studie von Ökonomen der Simon Fraser University im kanadischen Burnaby. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass es in den ersten Wochen nach Einführung der Maskenpflicht im Juli und August in Ontario zu einem durchschnittlichen wöchentlichen Rückgang der neu diagnostizierten SARS-CoV-2-Infektionen um 25% bis 31% gekommen ist.
„Man muss nicht groß rechnen können, um festzustellen, dass Masken tragen offensichtlich eine gute Idee ist“, sagt Jeremy Howard, der an der Universität von San Francisco in Kalifornien forscht. Zusammen mit Kollegen überprüft er die Evidenz bei Masken und hat Resultate in einem Preprint zusammengefasst.
Man muss nicht groß rechnen können, um festzustellen, dass Masken tragen offensichtlich eine gute Idee ist. Jeremy Howard
Eine Tierstudie hatte im Mai die Schutzwirkung von Masken nachgewiesen. Forscher der Universität Hongkong hatten infizierte und gesunde Hamster in angrenzenden Käfigen untergebracht. Einige Tiere waren durch chirurgische Masken voneinander getrennt. Ohne Barriere fingen sich etwa 2/3 aller nicht infizierten Tiere SARS-CoV-2 ein, verglichen mit 25% aller durch Masken geschützten Tiere. In der Maskengruppe verlief die Erkrankung auch milder als bei den ungeschützten Nachbarn.
Ist der Mund-Nasen-Schutz womöglich sogar wichtiger als Social Distancing? Zu dieser Einschätzung gelangten US-Epidemiologen in ihrer Mitte Juni in PNAS veröffentlichten Studie. Sie konnten zeigen, dass sich die Kurven in Italien und in New York deutlich abgeflacht haben, seitdem ein MNS vorgeschrieben wurde. Durch diese Schutzmaßnahme sei die Zahl der Infektionen signifikant gesenkt worden: um über 78.000 in Italien vom 6. April bis 9. Mai und um über 66.000 in New York City vom 17. April bis 9. Mai.
Verringern Masken die aufgenommene Virusdosis?
Unter Wissenschaftlern zeichnet sich ein Konsens ab, dass der Gebrauch von Masken sowohl den Träger als auch andere schützt. Die Tierstudie aus Hongkong weist auch noch auf einen anderen Aspekt hin: „Masken können nicht nur vor Infektionen, sondern auch vor schwerer Erkrankung schützen“, meint Prof. Dr. Monica Gandhi, Ärztin für Infektionskrankheiten an der University of California, San Francisco.
Masken können nicht nur vor Infektionen, sondern auch vor schwerer Erkrankung schützen. Prof. Dr. Monica Gandhi
Gandhi ist Mitautorin einer Ende Juli veröffentlichten Publikation, in der als These formuliert wird, dass Masken die aufgenommene Virusdosis reduzieren. In der Folge könnte es zu Infektionen kommen, die milder oder sogar asymptomatisch verlaufen. Eine höhere Virusdosis führt nach Ansicht der Studienautoren zu einer aggressiveren Entzündungsreaktion.
Gandhi und Kollegen analysieren derzeit die Raten an Klinikeinweisungen vor und nach Einführung der Maskenpflicht in 1.000 US-Bezirken, um festzustellen, ob die Krankheitsschwere abgenommen hat. Die Vorstellung, dass eine höhere Viren-Exposition zu einer schlimmeren Infektion führt, sei „absolut sinnvoll“, bestätigt Prof. Dr. Paul Digard, Virologe an der Universität Edinburgh, „Das ist ein weiteres Argument für Masken.“
Gandhi macht auf einen zusätzlichen Nutzen aufmerksam: Infizieren sich mehr Menschen nur leicht, könnte das dazu beitragen, die Immunität auf Bevölkerungsebene zu erhöhen – ohne, dass mehr Menschen schwer erkranken oder an COVID-19 sterben. „Und da wir auf einen Impfstoff warten, könnten mehr asymptomatische Infektionen der Immunität der Bevölkerung zugutekommen“, meint sie.
Welche Masken stoppen virushaltige Aerosole?
SARS-CoV-2 hat einen Durchmesser von nur etwa 0,1 µm. Weil Viren den Körper aber nicht von selbst verlassen, muss eine Maske keine so kleinen Partikel blockieren, um wirksam zu sein. Relevanter sind die Erreger-haltige Tröpfchen und Aerosole, die einen Durchmesser von etwa 0,2 bis zu Hunderten von Mikrometern haben. Zum Vergleich: Ein durchschnittliches menschliches Haar hat einen Durchmesser von etwa 80 µm. Neben der Tröpfchen-Übertragung gilt die Übertragung durch Aerosole als Hauptinfektionsweg von SARS-CoV-2. Welche Masken können Aerosole stoppen?
N95-Masken mit Ausatem-Ventil filtern etwa 90% der einströmenden Aerosole bis hin zu einer Größe von 0,3 µm heraus. Nach bislang unveröffentlichten Forschungsergebnissen blockieren N95-Masken ohne Ausatem-Ventil einen ähnlichen Anteil der austretenden Aerosole. Über chirurgische Masken und Stoffmasken sei viel weniger bekannt, erklärt Dr. Kevin Fennelly, Pneumologe am US National Heart, Lung, and Blood Institute in Bethesda, Maryland.
In ihrer noch unveröffentlichten Arbeit stellten Prof. Dr. Linsey Marr, Umweltingenieurin an der Virginia Tech in Blacksburg, und ihre Kollegen fest, dass selbst ein Baumwoll-T-Shirt die Hälfte der eingeatmeten Aerosole und fast 80% der ausgeatmeten Aerosole mit einem Durchmesser von 2 µm blockieren kann. Aerosole mit einem Durchmesser von 4-5 µm könne fast jeder Stoff zu mehr als 80% blockieren, sagt die Forscherin.
Masken aus Stoff: möglichst mehrere Lagen Gewebe
Mehrere Gewebelagen seien wirksamer, und je dichter das Gewebe, desto besser, meint Marr. Eine andere Studie ergab, dass Masken mit Lagen aus verschiedenen Materialien wie Baumwolle und Seide Aerosole effizienter stoppen als solche aus einem einzigen Material.
In einer im August erschienenen Studie setzten Prof. Dr. Eric Westman von der Duke University School of Medicine in Durham, North Carolina, zusammen mit Kollegen Laser und Smartphone-Kameras ein, um zu vergleichen, wie gut 14 verschiedene Tücher und chirurgische Masken Tröpfchen, die beim Sprechen entstehen, aufhielten. Sie stellten fest, dass einige Stoffmasken so effektiv waren wie chirurgische Standardmasken. Dünne Schals oder Bandanas hingegen boten nur sehr wenig Schutz. Westman sagt, dass das Tragen solcher Schals Personen womöglich zu falscher Sicherheit führe. „Das könnte schlimmer sein, als gar nichts zu tragen.“
„Es liegen eine ganze Menge Informationen vor, aber es ist schwierig, alle Fakten zu bündeln“, erklärt Prof. Dr. Angela Rasmussen, Virologin an der Mailman School of Public Health der Columbia University in New York City. „Letzten Endes wissen wir immer noch nicht viel.“
Auch Vos betont: „Wir wüssten gerne noch viel mehr über Masken.“ Er sagt aber auch: „Angesichts der Tatsache, dass es eine so einfache, kostengünstige Intervention mit potenziell so großer Wirkung ist – wer würde sie nicht nutzen wollen?“
Angesichts der Tatsache, dass es eine so einfache, kostengünstige Intervention mit potenziell so großer Wirkung ist – wer würde sie nicht nutzen wollen? Prof. Dr. Theo Vos
Doch nicht nur die Menge an Informationen verwirrt, auch Publikationen tragen manchmal ihren Teil dazu bei. So hatte eine Studie vom April zunächst ergeben, dass Masken unwirksam sind, im Juli wurde sie jedoch zurückgezogen. Die Ende Juni veröffentlichte Arbeit von Zhang wiederum, in der das Masken tragen befürwortet wird, wurde von Dutzenden von Wissenschaftlern kritisiert, die in einem offenen Brief für eine Rücknahme der Veröffentlichung plädierten. Zhang und Kollegen wiederum wehren sich dagegen.
Hatten große Organisationen lange Zeit davon abgesehen, das Tragen von Masken zu empfehlen, zum Teil auch, weil Masken kaum verfügbar waren, raten die CDC seit April dazu, und die WHO folgte im Juni. Masken seien sicher nicht die einzige Lösung, resümiert Gandhi, „aber ich denke, sie sind eine wirklich wichtige Säule der Pandemiebekämpfung". Oder wie es Digard formuliert: „Masken funktionieren, aber sie sind nicht unfehlbar. Und deshalb sollten Sie Abstand halten.“
Masken funktionieren, aber sie sind nicht unfehlbar. Und deshalb sollten Sie Abstand halten. Dr. Paul Digard
Der Mund-Nasen-Schutz (MNS) ist zum Symbol der Corona-Pandemie geworden, an der bis Mitte Oktober mehr als 37 Millionen Menschen erkrankt und mehr als eine Million Menschen gestorben sind. Masken können das Übertragungsrisiko von SARS-CoV-2 reduzieren. Doch welche schützen wie effektiv? Bei der Vielzahl an Möglichkeiten ist die Datenlage recht unübersichtlich.
Nicht besser wird die Situation durch Politiker wie US-Präsident Donald Trump, der Masken manchmal empfohlen hat, dann ihre Effektivität aber infrage gestellt und sich darüber lustig gemacht hat. Auch nach seiner Erkrankung, bei seiner Rückkehr ins Weiße Haus, hat er durch die demonstrative Abnahme der Maske beim Eintritt in das Gebäude gezeigt was er von ihr hält: nichts.
„Es liegt nahe, dass all das verwirrt“, stellt Prof. Dr. Baruch Fischhoff, Psychologe an der Carnegie Mellon Universität in Pittsburgh, Pennsylvania, im Gespräch mit Nature klar. Aber: „Diejenigen, die sich die Evidenz zu Masken tatsächlich anschauen, stufen ihre Wirksamkeit anders ein“, betont er.
Die Wissenschaft, so Fischhoff, befürworte die Verwendung von Masken. Neuere Studien deuteten darauf hin, dass sie auf verschiedene Weise Leben retten könnten: Sie verringern das Risiko, sich mit SARS-CoV-2 zu infizieren und es zu übertragen, und einige Arbeiten liefern auch Hinweise darauf, dass Masken womöglich die Schwere der Infektion abmildern können.
Anfangs gab es kaum Information – und kaum Masken
Zu Beginn der Pandemie wusste man noch nicht genug, um das Tragen von Masken explizit zu empfehlen. Standard für den Einsatz im Gesundheitswesen ist die Atemschutzmaske N95. Sie entspricht in Europa der FFP-2-Maske, die Träger schützen soll, indem sie 95% aller in der Luft schwebenden Partikel ab einer Größe von 0,3 µm herausfiltert. Als sich SARS-CoV-2 ausbreitete, wurden diese Schutzmasken schnell knapp.
Das warf die Frage auf: Sollten Bürger einfache chirurgische Masken oder Stoffmasken tragen? Und, falls ja, unter welchen Bedingungen? „Solche Fragestellungen untersuchen wir normalerweise in klinischen Studien", sagt Prof. Dr. Kate Grabowski, Epidemiologin an der Johns Hopkins School of Medicine in Baltimore, Maryland. „Doch dafür hatten wir einfach keine Zeit."
Deshalb verließen sich Wissenschaftler auf Beobachtungsdaten und Laborstudien. Es lagen auch indirekte Hinweise auf die Wirkung von Masken bei anderen Infektionskrankheiten vor. „Wenn Sie sich eine dieser Publikationen ansehen – da ist kein großer Treffer darunter. Aber nimmt man alles zusammen, dann bin ich überzeugt, dass Masken funktionieren“, sagt Grabowski.
"Nimmt man alles zusammen, dann bin ich überzeugt, dass Masken funktionieren. " Prof. Dr. Kate Grabowski
Das Vertrauen in die Wirksamkeit von Masken wuchs ab Juni aufgrund einer Mitteilung der Centers for Disease Control and Prevention (CDC), Atlanta. Die US-Seuchenbehörde berichtete über 2 Friseure aus Missouri, die positiv auf SARS-CoV-2 getestet worden waren. Beide hatten während ihrer Arbeit, also vor der Diagnose, 2-lagige Bauwollmasken oder chirurgische Masken getragen. Und obwohl sie die Infektion an Mitglieder ihres Haushalts weitergaben, blieben ihre Kunden offenbar verschont.
OP-Masken senken das relative Infektionsrisiko um 80%
Lange hieß es, einfache OP-Masken schützten nicht vor SARS-CoV-2. Erst eine Metaanalyse in The Lancet von Prof. Dr. Holger Schünemann, McMaster University in Hamilton/Ontario, Kanada, änderte diese Einschätzung.
Im Interview mit der Berliner Zeitung spricht Schünemann von einem überraschend großen Effekt der Masken. „Nach unserer Analyse senken Masken das relative Risiko, sich zu infizieren, um etwa 80 Prozent.” Ohne MSN betrug das absolute Infektionsrisiko in den Studien 17,4%, mit Mund-Nase-Schutz fiel es auf 3,1%.
Nach unserer Analyse senken Masken das relative Risiko, sich zu infizieren, um etwa 80 Prozent. Prof. Dr. Holger Schünemann
Auch Demonstrationen lieferten Hinweise auf die Wirksamkeit von Masken. Bei den „Black Lives Matter“-Protesten trugen die meisten Teilnehmer Masken. Ihre Versammlungen schienen keine Infektionsspitzen auszulösen, wohingegen das Virus Ende Juni in einem Sommerlager in Georgia grassierte. Teilnehmende Kinder waren nicht verpflichtet, einen MNS zu tragen.
Beim Vergleich sollte allerdings bedacht werden, dass BLM-Proteste im Freien stattfanden, während sich die Camper etwa nachts mehrere Hütten teilten. Für Prof. Dr. Theo Vos, Gesundheitsökonom an der Universität von Washington in Seattle, zeichnen solche anekdotischen Beweise dennoch „ein Bild“.
Direkte Evidenz liefert eine derzeit nur als Preprint veröffentlichte Studie. Die Ergebnisse zeigen, dass der wöchentliche Anstieg der Mortalität an Orten, an denen Masken Pflicht waren, im Vergleich zu anderen Regionen 4-mal geringer war. Die Forscher hatten 200 Länder untersucht, darunter die Mongolei, die im Januar die Maskenpflicht eingeführt und bis Mai keine Todesfälle aufgrund von COVID-19 verzeichnet hatte.
In einer weiteren Studie wurden Auswirkungen der Maskenpflicht US-weit untersucht. 15 Bundesstaaten hatten im April und Mai eine Maskenpflicht eingeführt. Die Autoren schätzen, dass es so gelungen sei, die Wachstumsrate der Neuinfektionen relativ um bis zu 2 Prozentpunkte pro Tag zu verringern. Ihrer Einschätzung nach konnten durch diese Maßnahme, kombiniert mit Social Distancing, möglicherweise bis zu 450.000 SARS-CoV-2-Infektionen abgewendet werden.
Maskenpflicht reduziert SARS-CoV-2-Infektionen um ein Drittel
Dass eine Maskenpflicht die Anzahl der Corona-Infektionen in einer Region deutlich verringert, ist das Ergebnis einer aktuellen Studie von Ökonomen der Simon Fraser University im kanadischen Burnaby. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass es in den ersten Wochen nach Einführung der Maskenpflicht im Juli und August in Ontario zu einem durchschnittlichen wöchentlichen Rückgang der neu diagnostizierten SARS-CoV-2-Infektionen um 25% bis 31% gekommen ist.
„Man muss nicht groß rechnen können, um festzustellen, dass Masken tragen offensichtlich eine gute Idee ist“, sagt Jeremy Howard, der an der Universität von San Francisco in Kalifornien forscht. Zusammen mit Kollegen überprüft er die Evidenz bei Masken und hat Resultate in einem Preprint zusammengefasst.
Man muss nicht groß rechnen können, um festzustellen, dass Masken tragen offensichtlich eine gute Idee ist. Jeremy Howard
Eine Tierstudie hatte im Mai die Schutzwirkung von Masken nachgewiesen. Forscher der Universität Hongkong hatten infizierte und gesunde Hamster in angrenzenden Käfigen untergebracht. Einige Tiere waren durch chirurgische Masken voneinander getrennt. Ohne Barriere fingen sich etwa 2/3 aller nicht infizierten Tiere SARS-CoV-2 ein, verglichen mit 25% aller durch Masken geschützten Tiere. In der Maskengruppe verlief die Erkrankung auch milder als bei den ungeschützten Nachbarn.
Ist der Mund-Nasen-Schutz womöglich sogar wichtiger als Social Distancing? Zu dieser Einschätzung gelangten US-Epidemiologen in ihrer Mitte Juni in PNAS veröffentlichten Studie. Sie konnten zeigen, dass sich die Kurven in Italien und in New York deutlich abgeflacht haben, seitdem ein MNS vorgeschrieben wurde. Durch diese Schutzmaßnahme sei die Zahl der Infektionen signifikant gesenkt worden: um über 78.000 in Italien vom 6. April bis 9. Mai und um über 66.000 in New York City vom 17. April bis 9. Mai.
Verringern Masken die aufgenommene Virusdosis?
Unter Wissenschaftlern zeichnet sich ein Konsens ab, dass der Gebrauch von Masken sowohl den Träger als auch andere schützt. Die Tierstudie aus Hongkong weist auch noch auf einen anderen Aspekt hin: „Masken können nicht nur vor Infektionen, sondern auch vor schwerer Erkrankung schützen“, meint Prof. Dr. Monica Gandhi, Ärztin für Infektionskrankheiten an der University of California, San Francisco.
Masken können nicht nur vor Infektionen, sondern auch vor schwerer Erkrankung schützen. Prof. Dr. Monica Gandhi
Gandhi ist Mitautorin einer Ende Juli veröffentlichten Publikation, in der als These formuliert wird, dass Masken die aufgenommene Virusdosis reduzieren. In der Folge könnte es zu Infektionen kommen, die milder oder sogar asymptomatisch verlaufen. Eine höhere Virusdosis führt nach Ansicht der Studienautoren zu einer aggressiveren Entzündungsreaktion.
Gandhi und Kollegen analysieren derzeit die Raten an Klinikeinweisungen vor und nach Einführung der Maskenpflicht in 1.000 US-Bezirken, um festzustellen, ob die Krankheitsschwere abgenommen hat. Die Vorstellung, dass eine höhere Viren-Exposition zu einer schlimmeren Infektion führt, sei „absolut sinnvoll“, bestätigt Prof. Dr. Paul Digard, Virologe an der Universität Edinburgh, „Das ist ein weiteres Argument für Masken.“
Gandhi macht auf einen zusätzlichen Nutzen aufmerksam: Infizieren sich mehr Menschen nur leicht, könnte das dazu beitragen, die Immunität auf Bevölkerungsebene zu erhöhen – ohne, dass mehr Menschen schwer erkranken oder an COVID-19 sterben. „Und da wir auf einen Impfstoff warten, könnten mehr asymptomatische Infektionen der Immunität der Bevölkerung zugutekommen“, meint sie.
Welche Masken stoppen virushaltige Aerosole?
SARS-CoV-2 hat einen Durchmesser von nur etwa 0,1 µm. Weil Viren den Körper aber nicht von selbst verlassen, muss eine Maske keine so kleinen Partikel blockieren, um wirksam zu sein. Relevanter sind die Erreger-haltige Tröpfchen und Aerosole, die einen Durchmesser von etwa 0,2 bis zu Hunderten von Mikrometern haben. Zum Vergleich: Ein durchschnittliches menschliches Haar hat einen Durchmesser von etwa 80 µm. Neben der Tröpfchen-Übertragung gilt die Übertragung durch Aerosole als Hauptinfektionsweg von SARS-CoV-2. Welche Masken können Aerosole stoppen?
N95-Masken mit Ausatem-Ventil filtern etwa 90% der einströmenden Aerosole bis hin zu einer Größe von 0,3 µm heraus. Nach bislang unveröffentlichten Forschungsergebnissen blockieren N95-Masken ohne Ausatem-Ventil einen ähnlichen Anteil der austretenden Aerosole. Über chirurgische Masken und Stoffmasken sei viel weniger bekannt, erklärt Dr. Kevin Fennelly, Pneumologe am US National Heart, Lung, and Blood Institute in Bethesda, Maryland.
In ihrer noch unveröffentlichten Arbeit stellten Prof. Dr. Linsey Marr, Umweltingenieurin an der Virginia Tech in Blacksburg, und ihre Kollegen fest, dass selbst ein Baumwoll-T-Shirt die Hälfte der eingeatmeten Aerosole und fast 80% der ausgeatmeten Aerosole mit einem Durchmesser von 2 µm blockieren kann. Aerosole mit einem Durchmesser von 4-5 µm könne fast jeder Stoff zu mehr als 80% blockieren, sagt die Forscherin.
Masken aus Stoff: möglichst mehrere Lagen Gewebe
Mehrere Gewebelagen seien wirksamer, und je dichter das Gewebe, desto besser, meint Marr. Eine andere Studie ergab, dass Masken mit Lagen aus verschiedenen Materialien wie Baumwolle und Seide Aerosole effizienter stoppen als solche aus einem einzigen Material.
In einer im August erschienenen Studie setzten Prof. Dr. Eric Westman von der Duke University School of Medicine in Durham, North Carolina, zusammen mit Kollegen Laser und Smartphone-Kameras ein, um zu vergleichen, wie gut 14 verschiedene Tücher und chirurgische Masken Tröpfchen, die beim Sprechen entstehen, aufhielten. Sie stellten fest, dass einige Stoffmasken so effektiv waren wie chirurgische Standardmasken. Dünne Schals oder Bandanas hingegen boten nur sehr wenig Schutz. Westman sagt, dass das Tragen solcher Schals Personen womöglich zu falscher Sicherheit führe. „Das könnte schlimmer sein, als gar nichts zu tragen.“
„Es liegen eine ganze Menge Informationen vor, aber es ist schwierig, alle Fakten zu bündeln“, erklärt Prof. Dr. Angela Rasmussen, Virologin an der Mailman School of Public Health der Columbia University in New York City. „Letzten Endes wissen wir immer noch nicht viel.“
Auch Vos betont: „Wir wüssten gerne noch viel mehr über Masken.“ Er sagt aber auch: „Angesichts der Tatsache, dass es eine so einfache, kostengünstige Intervention mit potenziell so großer Wirkung ist – wer würde sie nicht nutzen wollen?“
Angesichts der Tatsache, dass es eine so einfache, kostengünstige Intervention mit potenziell so großer Wirkung ist – wer würde sie nicht nutzen wollen? Prof. Dr. Theo Vos
Doch nicht nur die Menge an Informationen verwirrt, auch Publikationen tragen manchmal ihren Teil dazu bei. So hatte eine Studie vom April zunächst ergeben, dass Masken unwirksam sind, im Juli wurde sie jedoch zurückgezogen. Die Ende Juni veröffentlichte Arbeit von Zhang wiederum, in der das Masken tragen befürwortet wird, wurde von Dutzenden von Wissenschaftlern kritisiert, die in einem offenen Brief für eine Rücknahme der Veröffentlichung plädierten. Zhang und Kollegen wiederum wehren sich dagegen.
Hatten große Organisationen lange Zeit davon abgesehen, das Tragen von Masken zu empfehlen, zum Teil auch, weil Masken kaum verfügbar waren, raten die CDC seit April dazu, und die WHO folgte im Juni. Masken seien sicher nicht die einzige Lösung, resümiert Gandhi, „aber ich denke, sie sind eine wirklich wichtige Säule der Pandemiebekämpfung". Oder wie es Digard formuliert: „Masken funktionieren, aber sie sind nicht unfehlbar. Und deshalb sollten Sie Abstand halten.“
Masken funktionieren, aber sie sind nicht unfehlbar. Und deshalb sollten Sie Abstand halten. Dr. Paul Digard
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Doppelinfektionen mit SARS-CoV-2 und Influenzaviren – höheres Risiko für schwere Verläufe?
che2001, 18:20h
Dr. Nicola Siegmund-Schultze
Eine systematische Analyse der Surveillance- und Krankenversorgungsregister in England ergibt, dass sich das Risiko für eine Infektion mit SARS-CoV-2 erniedrigt, wenn bereits eine Influenza-Infektion besteht. Kommt es aber zur Doppelinfektion, sind schwere und auch tödliche Krankheitsverläufe häufiger. Die Autoren einer Preprint-Publikation empfehlen daher besonders für die Wintersaison, in der beide Viren kozirkulieren, für Risikogruppen die Grippeimpfung.
In den Wintermonaten werden sowohl Influenzaviren als auch SARS-CoV-2 zirkulieren. Eine klinisch relevante Frage ist, ob es Wechselwirkungen zwischen den Viren in Bezug auf das Ansteckungsrisiko gibt und auf Krankheitsverläufe, wenn es zu Doppelinfektionen kommt.
Registerstudie aus England
Die Autoren um Dr. Jay Stone, National Infection Service, Public Health England, London, werteten die nationalen Surveillance- und Gesundheitsversorgungs-Datenbanken aus England mit allen Influenza- und SARS-CoV-2-positiven Fällen aus dem Zeitraum vom 1. Januar 2020 bis zum 25. April aus. Sie veröffentlichten die Ergebnisse in medRxiv[1]. Der gewählte Zeitraum umfasste die Spanne zwischen der ersten registrierten SARS-CoV-2-Infektion in England und dem letzten Fall von Influenza der vergangenen Saison.
Eine Koinfektion war definiert als positives Labortestergebnis für beide Viren in Proben, die im Abstand von maximal 7 Tagen bei einem Patienten genommen wurden.
58 Patienten hatten Koinfektion
19.256 Personen sind im Untersuchungszeitraum auf Influenza und SARS-CoV-2 getestet worden:
992 von ihnen waren positiv für Influenza und negativ für SARS-CoV-2,
4.443 Untersuchungen ergaben ein positives Ergebnis für SARS-CoV-2 und ein negatives für Influenza;
58 Personen hatten eine Koinfektion mit beiden Viren;
die übrigen 13.763 Personen waren negativ für beide Viren.
Die Wahrscheinlichkeit für ein positives Testergebnis auf SARS-CoV-2 war bei Influenza-positiven Fällen um 68% geringer als bei Influenza-negativen Personen (Odds Ratio: 0,42). Dieses Ergebnis weist auf eine mögliche Konkurrenz der beiden Viren um den Wirt, den Menschen, hin. Von den 58 Personen mit einer Koinfektion war mehr als die Hälfte (55,2%) 70 Jahre oder älter.
Nach einer Multivariatenanalyse (Alter, Geschlecht, Ethnie, Region, Komorbidität, Koinfektion) ergab sich für Patienten mit Koinfektion ein um den Faktor 2,27 höheres Sterberisiko als bei einer SARS-CoV-2-Infektion alleine, und ein um den Faktor 5,92 erhöhtes Sterberisiko im Vergleich zu Personen ohne Infektionen mit einem der beiden Viren.
Der zusätzliche Effekt einer Interaktion von SARS-CoV-2- und Influenza-Infektionen auf die Sterblichkeit wird mit 3,6 angegeben (p<0,001).
Erfolgte die Auswertung auf die Parameter „invasive Beatmung“ und „intensivmedizinische Versorgung“ hin, war das Sterblichkeitsrisiko um die Faktoren 6,43 und 6,33 erhöht (im Vergleich zu Personen ohne Virusinfektion).
Negative synergistische Effekte bei Koinfektion
Die Daten weisen nach Meinung der Autoren darauf hin, dass Influenzaviren und SARS-CoV-2 möglicherweise miteinander um den Wirt konkurrieren und sich das Risiko für eine SARS-CoV-2-Infektion erniedrigt, wenn der Mensch bereits eine Influenzainfektion hat. Sollte es aber zu einer Koinfektion kommen, sind negative synergistische Effekte zu erwarten, die klinisch relevant sind.
Die Kozirkulation beider Viren während der Wintersaison könnte die Morbidität und die Mortalität von Patienten mit viral verursachten respiratorischen Erkrankungen erhöhen, vor allem der älteren.
Ärzte sollten in der kommenden Wintersaison auch die Möglichkeit von Koinfektionen bedenken und in die Teststrategien nicht nur SARS-CoV-2, sondern auch Influenza einbeziehen. Vor allem aber sei es wichtig, dass Risikogruppen möglichst konsequent gegen Influenza geimpft würden.
Dieser Artikel ist im Original erschienen auf Univadis.
Eine systematische Analyse der Surveillance- und Krankenversorgungsregister in England ergibt, dass sich das Risiko für eine Infektion mit SARS-CoV-2 erniedrigt, wenn bereits eine Influenza-Infektion besteht. Kommt es aber zur Doppelinfektion, sind schwere und auch tödliche Krankheitsverläufe häufiger. Die Autoren einer Preprint-Publikation empfehlen daher besonders für die Wintersaison, in der beide Viren kozirkulieren, für Risikogruppen die Grippeimpfung.
In den Wintermonaten werden sowohl Influenzaviren als auch SARS-CoV-2 zirkulieren. Eine klinisch relevante Frage ist, ob es Wechselwirkungen zwischen den Viren in Bezug auf das Ansteckungsrisiko gibt und auf Krankheitsverläufe, wenn es zu Doppelinfektionen kommt.
Registerstudie aus England
Die Autoren um Dr. Jay Stone, National Infection Service, Public Health England, London, werteten die nationalen Surveillance- und Gesundheitsversorgungs-Datenbanken aus England mit allen Influenza- und SARS-CoV-2-positiven Fällen aus dem Zeitraum vom 1. Januar 2020 bis zum 25. April aus. Sie veröffentlichten die Ergebnisse in medRxiv[1]. Der gewählte Zeitraum umfasste die Spanne zwischen der ersten registrierten SARS-CoV-2-Infektion in England und dem letzten Fall von Influenza der vergangenen Saison.
Eine Koinfektion war definiert als positives Labortestergebnis für beide Viren in Proben, die im Abstand von maximal 7 Tagen bei einem Patienten genommen wurden.
58 Patienten hatten Koinfektion
19.256 Personen sind im Untersuchungszeitraum auf Influenza und SARS-CoV-2 getestet worden:
992 von ihnen waren positiv für Influenza und negativ für SARS-CoV-2,
4.443 Untersuchungen ergaben ein positives Ergebnis für SARS-CoV-2 und ein negatives für Influenza;
58 Personen hatten eine Koinfektion mit beiden Viren;
die übrigen 13.763 Personen waren negativ für beide Viren.
Die Wahrscheinlichkeit für ein positives Testergebnis auf SARS-CoV-2 war bei Influenza-positiven Fällen um 68% geringer als bei Influenza-negativen Personen (Odds Ratio: 0,42). Dieses Ergebnis weist auf eine mögliche Konkurrenz der beiden Viren um den Wirt, den Menschen, hin. Von den 58 Personen mit einer Koinfektion war mehr als die Hälfte (55,2%) 70 Jahre oder älter.
Nach einer Multivariatenanalyse (Alter, Geschlecht, Ethnie, Region, Komorbidität, Koinfektion) ergab sich für Patienten mit Koinfektion ein um den Faktor 2,27 höheres Sterberisiko als bei einer SARS-CoV-2-Infektion alleine, und ein um den Faktor 5,92 erhöhtes Sterberisiko im Vergleich zu Personen ohne Infektionen mit einem der beiden Viren.
Der zusätzliche Effekt einer Interaktion von SARS-CoV-2- und Influenza-Infektionen auf die Sterblichkeit wird mit 3,6 angegeben (p<0,001).
Erfolgte die Auswertung auf die Parameter „invasive Beatmung“ und „intensivmedizinische Versorgung“ hin, war das Sterblichkeitsrisiko um die Faktoren 6,43 und 6,33 erhöht (im Vergleich zu Personen ohne Virusinfektion).
Negative synergistische Effekte bei Koinfektion
Die Daten weisen nach Meinung der Autoren darauf hin, dass Influenzaviren und SARS-CoV-2 möglicherweise miteinander um den Wirt konkurrieren und sich das Risiko für eine SARS-CoV-2-Infektion erniedrigt, wenn der Mensch bereits eine Influenzainfektion hat. Sollte es aber zu einer Koinfektion kommen, sind negative synergistische Effekte zu erwarten, die klinisch relevant sind.
Die Kozirkulation beider Viren während der Wintersaison könnte die Morbidität und die Mortalität von Patienten mit viral verursachten respiratorischen Erkrankungen erhöhen, vor allem der älteren.
Ärzte sollten in der kommenden Wintersaison auch die Möglichkeit von Koinfektionen bedenken und in die Teststrategien nicht nur SARS-CoV-2, sondern auch Influenza einbeziehen. Vor allem aber sei es wichtig, dass Risikogruppen möglichst konsequent gegen Influenza geimpft würden.
Dieser Artikel ist im Original erschienen auf Univadis.
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Erste bestätigte Corona-Reinfektion in den USA – was bedeutet dies für Impfstoffe und Impfstrategien?
che2001, 18:19h
Michael van den Heuvel, Medscape
In den USA konnten Ärzte erstmals eine Reinfektion mit SARS-CoV-2 nachweisen – weltweit handelt es sich um den 5. dokumentierten Fall. Der Patient wurde innerhalb von 48 Tagen 2-mal per Realtime PCR positiv auf das Virus getestet. Dies bestätige, dass „eine 2. Infektion innerhalb kurzer Zeit auftreten und schwerer verlaufen kann“, schreiben Dr. Richard L. Tillett von der University of Nevada, Las Vegas, und Kollegen in The Lancet Infectious Diseases [1].
„Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Exposition gegenüber COVID-19 möglicherweise nicht immer zur vollständigen Immunität führt, aber weitere Untersuchungen von Reinfektionen sind erforderlich.“
Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Exposition gegenüber COVID-19 möglicherweise nicht immer zur vollständigen Immunität führt. Dr. Richard L. Tillett
„Es gibt noch viel Unbekanntes bei SARS-CoV-2-Infektionen, etwa die Reaktion des Immunsystems, aber unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine frühere SARS-CoV-2-Infektion nicht unbedingt vor einer zukünftigen Infektion schützt", sagt Dr. Mark Pandori von der University of Nevada in einer Pressemeldung des Journals. Es sei dennoch wichtig, zu beachten, dass es sich um einen einzelnen Fall handele und dass man Ergebnisse nicht verallgemeinern dürfe.
Pandoris Erkenntnis aus der dem Fallbericht: „Es wird dringend empfohlen, dass Personen, die positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurden, weiterhin Vorsichtsmaßnahmen in Bezug auf Infektionen treffen, einschließlich sozialer Distanzierung, Tragen von Gesichtsmasken und Händewaschen.“
Es wird dringend empfohlen, dass Personen, die positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurden, weiterhin Vorsichtsmaßnahmen in Bezug auf Infektionen treffen. Dr. Mark Pandori
Sequenzierung des viralen Genoms bestätigt Reinfektion
Zu den Details: Ein 25-jähriger Mann aus dem Washoe County, US-Bundesstaat Nevada, stellte sich im April 2020 aufgrund von Beschwerden bei einem SARS-CoV-2-Testzentrum vor. Bei ihm wurden Nasen-Rachen-Abstriche entnommen. Anhand von Nukleinsäure-Amplifikationstests bestätigten die Ärzte eine SARS-CoV-2-Infektion. Weitere Therapien waren zu dem Zeitpunkt nicht erforderlich. Der Patient erholte sich in Quarantäne rasch. Bei 2 weiteren Untersuchungen in den folgenden Wochen konnte kein Virus mehr nachgewiesen werden.
Im Juni 2020 wurde der Patient aufgrund schwerer COVID-19-Symptome, darunter Fieber, Kopfschmerzen, Schwindel, Husten, Übelkeit und Durchfall, ins Krankenhaus eingeliefert. Erneut fiel das Testergebnis der RT-PCR positiv aus. Im Rahmen der stationären Behandlung waren Sauerstoffgaben erforderlich. Sein Krankheitsverlauf war weitaus schwerer als bei der 1. Infektion.
Die Genome der Virusproben wurden im April und Juni sequenziert. Molekularbiologen fanden signifikante genetische Unterschiede, was darauf hindeutet, dass es sich tatsächlich um 2 verschiedene SARS-CoV-2-Infektionen und nicht um ein erneutes Aufflammen der 1. Infektion gehandelt hat.
Vorerkrankungen, allen voran Immundefekte oder Suppressionen des Immunsystems, habe es beim Patienten nicht gegeben, betonen die Autoren. Ihnen lagen jedoch keine Laborwerte wie Antikörper-Titer vor.
Weltweit mehrere Einzelfälle beschrieben
Der Bericht aus den USA ist kein Einzelfall: Es gibt Fallberichte von mindestens 4 weiteren Patienten, die sich in der SARS-CoV-2-Pandemie ein 2. Mal infiziert haben. Sie kamen aus Belgien, aus den Niederlanden, aus Hongkong und Ecuador. Keine der Personen litt an Erkrankungen des Immunsystems oder erhielt Medikamente zur Immunsuppression.
Allerdings zeigte nur bislang nur einer der Patient, der aus Ecuador, bei der 2. Infektion schwerere Symptome, verglichen mit der 1. Infektion. Ansonsten gab es beim Verlauf keine Unterschiede. Die Krankheit verlief mild.
Trotz der bislang geringen Zahl an Fallberichten stellen sich einige Fragen: „Wir brauchen mehr Forschung, um zu verstehen, wie lange die Immunität von Menschen, die SARS-CoV-2 ausgesetzt sind, andauert, und warum Zweitinfektionen zwar selten sind, aber dennoch vorkommen“, so Pandori. „Bisher haben wir nur eine Handvoll Reinfektionsfälle gesehen, aber das bedeutet nicht, dass es nicht noch mehr gibt, zumal viele Fälle von COVID-19 asymptomatisch verlaufen.“ Über die Ursachen könne man im Moment nur spekulieren.
Bisher haben wir nur eine Handvoll Reinfektionsfälle gesehen, aber das bedeutet nicht, dass es nicht noch mehr gibt. Dr. Mark Pandori
Warum hatte der Patient bei seiner Reinfektion stärkere Beschwerden?
Die Autoren stellen im Artikel mehrere Hypothesen auf, um zu erklären, warum die Reinfektion beim beschriebenen Patienten deutlich schwerer verlief. Vielleicht kam er mit einer höheren Dosis des Virus in Kontakt, vielleicht handelte es sich auch um eine virulentere Variante von SARS-CoV-2, so ihre Vermutungen.
Sie halten es auch für möglich, dass ein Mechanismus der Antikörper-abhängigen Verstärkung (Antibody Dependent Enhancement) die Ursache sein könnte. Ein solcher Effekt war bereits bei dem Beta-Coronavirus SARS-CoV sowie bei anderen Krankheiten wie dem Dengue-Fieber beobachtet worden.
Als eher unwahrscheinlich gilt eine kontinuierliche Infektion mit Inaktivierung und späterer Reaktivierung des Virus. Damit eine solche Hypothese zuträfe, wäre eine viel höhere Mutationsrate von SARS-CoV-2 erforderlich, wie sie bisher nicht beobachtet wurde.
Schließlich wäre eine weitere alternative Erklärung eine gleichzeitige Koinfektion mit beiden Virusstämmen. Dies würde jedoch bedeuten, dass der 2. Stamm im April 2020 unentdeckt geblieben wäre, und umgekehrt müsste der 1. Stamm vor der Diagnostik im Juni 2020 verschwunden sein: alles in allem ein eher wenig plausibles Szenario.
Um Hypothesen zu belegen oder zu widerlegen, sind jedoch mehr Daten erforderlich. Ein Problem dabei: „Insgesamt mangelt es, sowohl in den USA als auch weltweit, an einer umfassenden genomischen Sequenzierung positiver COVID-19-Fälle sowie an Screening- und Testmöglichkeiten (…), was die Möglichkeiten einschränkt, das Virus zu diagnostizieren, zu überwachen und genetische Rückverfolgung durchzuführen“, sagte Pandori.
Fallberichte stellen Impfstrategien nicht infrage
Prof. Dr. Akiko Iwasaki von der Yale University, New Haven, hat sich eingehend mit der Studie befasst [2]. Sie war an den Arbeiten nicht beteiligt.
Sie schriebt ebenfalls in The Lancet Infectious Diseases: „Je mehr Reinfektionsfälle bekannt werden, desto mehr wird die wissenschaftliche Community die Möglichkeit haben, Korrelationen des Schutzes besser zu verstehen und herauszufinden, wie häufig natürliche Infektionen mit SARS-CoV-2 diesen Grad an Immunität induzieren“, schreibt Iwasaki.
Mögliche Bedenken zu Vakzinen räumt sie aus: „Unterschiede in der viralen Genomsequenz der verschiedenen Isolate sind eine gute Möglichkeit, um festzustellen, ob ein Individuum erneut infiziert ist (…), sie weisen jedoch nicht darauf hin, dass die zweite Infektion auf eine Immunevasion zurückzuführen ist.“
Bei einer Immunevasion gelingt es Pathogenen, sich aufgrund von Mutationen oder anderen Mechanismen dem Zugriff des Immunsystems zu entziehen. „Derzeit reicht ein Impfstoff aus, um Schutz gegen alle zirkulierenden Varianten zu bieten“, schlussfolgert sie.
Derzeit reicht ein Impfstoff aus, um Schutz gegen alle zirkulierenden Varianten zu bieten. Prof. Dr. Akiko Iwasaki
In den USA konnten Ärzte erstmals eine Reinfektion mit SARS-CoV-2 nachweisen – weltweit handelt es sich um den 5. dokumentierten Fall. Der Patient wurde innerhalb von 48 Tagen 2-mal per Realtime PCR positiv auf das Virus getestet. Dies bestätige, dass „eine 2. Infektion innerhalb kurzer Zeit auftreten und schwerer verlaufen kann“, schreiben Dr. Richard L. Tillett von der University of Nevada, Las Vegas, und Kollegen in The Lancet Infectious Diseases [1].
„Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Exposition gegenüber COVID-19 möglicherweise nicht immer zur vollständigen Immunität führt, aber weitere Untersuchungen von Reinfektionen sind erforderlich.“
Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Exposition gegenüber COVID-19 möglicherweise nicht immer zur vollständigen Immunität führt. Dr. Richard L. Tillett
„Es gibt noch viel Unbekanntes bei SARS-CoV-2-Infektionen, etwa die Reaktion des Immunsystems, aber unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine frühere SARS-CoV-2-Infektion nicht unbedingt vor einer zukünftigen Infektion schützt", sagt Dr. Mark Pandori von der University of Nevada in einer Pressemeldung des Journals. Es sei dennoch wichtig, zu beachten, dass es sich um einen einzelnen Fall handele und dass man Ergebnisse nicht verallgemeinern dürfe.
Pandoris Erkenntnis aus der dem Fallbericht: „Es wird dringend empfohlen, dass Personen, die positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurden, weiterhin Vorsichtsmaßnahmen in Bezug auf Infektionen treffen, einschließlich sozialer Distanzierung, Tragen von Gesichtsmasken und Händewaschen.“
Es wird dringend empfohlen, dass Personen, die positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurden, weiterhin Vorsichtsmaßnahmen in Bezug auf Infektionen treffen. Dr. Mark Pandori
Sequenzierung des viralen Genoms bestätigt Reinfektion
Zu den Details: Ein 25-jähriger Mann aus dem Washoe County, US-Bundesstaat Nevada, stellte sich im April 2020 aufgrund von Beschwerden bei einem SARS-CoV-2-Testzentrum vor. Bei ihm wurden Nasen-Rachen-Abstriche entnommen. Anhand von Nukleinsäure-Amplifikationstests bestätigten die Ärzte eine SARS-CoV-2-Infektion. Weitere Therapien waren zu dem Zeitpunkt nicht erforderlich. Der Patient erholte sich in Quarantäne rasch. Bei 2 weiteren Untersuchungen in den folgenden Wochen konnte kein Virus mehr nachgewiesen werden.
Im Juni 2020 wurde der Patient aufgrund schwerer COVID-19-Symptome, darunter Fieber, Kopfschmerzen, Schwindel, Husten, Übelkeit und Durchfall, ins Krankenhaus eingeliefert. Erneut fiel das Testergebnis der RT-PCR positiv aus. Im Rahmen der stationären Behandlung waren Sauerstoffgaben erforderlich. Sein Krankheitsverlauf war weitaus schwerer als bei der 1. Infektion.
Die Genome der Virusproben wurden im April und Juni sequenziert. Molekularbiologen fanden signifikante genetische Unterschiede, was darauf hindeutet, dass es sich tatsächlich um 2 verschiedene SARS-CoV-2-Infektionen und nicht um ein erneutes Aufflammen der 1. Infektion gehandelt hat.
Vorerkrankungen, allen voran Immundefekte oder Suppressionen des Immunsystems, habe es beim Patienten nicht gegeben, betonen die Autoren. Ihnen lagen jedoch keine Laborwerte wie Antikörper-Titer vor.
Weltweit mehrere Einzelfälle beschrieben
Der Bericht aus den USA ist kein Einzelfall: Es gibt Fallberichte von mindestens 4 weiteren Patienten, die sich in der SARS-CoV-2-Pandemie ein 2. Mal infiziert haben. Sie kamen aus Belgien, aus den Niederlanden, aus Hongkong und Ecuador. Keine der Personen litt an Erkrankungen des Immunsystems oder erhielt Medikamente zur Immunsuppression.
Allerdings zeigte nur bislang nur einer der Patient, der aus Ecuador, bei der 2. Infektion schwerere Symptome, verglichen mit der 1. Infektion. Ansonsten gab es beim Verlauf keine Unterschiede. Die Krankheit verlief mild.
Trotz der bislang geringen Zahl an Fallberichten stellen sich einige Fragen: „Wir brauchen mehr Forschung, um zu verstehen, wie lange die Immunität von Menschen, die SARS-CoV-2 ausgesetzt sind, andauert, und warum Zweitinfektionen zwar selten sind, aber dennoch vorkommen“, so Pandori. „Bisher haben wir nur eine Handvoll Reinfektionsfälle gesehen, aber das bedeutet nicht, dass es nicht noch mehr gibt, zumal viele Fälle von COVID-19 asymptomatisch verlaufen.“ Über die Ursachen könne man im Moment nur spekulieren.
Bisher haben wir nur eine Handvoll Reinfektionsfälle gesehen, aber das bedeutet nicht, dass es nicht noch mehr gibt. Dr. Mark Pandori
Warum hatte der Patient bei seiner Reinfektion stärkere Beschwerden?
Die Autoren stellen im Artikel mehrere Hypothesen auf, um zu erklären, warum die Reinfektion beim beschriebenen Patienten deutlich schwerer verlief. Vielleicht kam er mit einer höheren Dosis des Virus in Kontakt, vielleicht handelte es sich auch um eine virulentere Variante von SARS-CoV-2, so ihre Vermutungen.
Sie halten es auch für möglich, dass ein Mechanismus der Antikörper-abhängigen Verstärkung (Antibody Dependent Enhancement) die Ursache sein könnte. Ein solcher Effekt war bereits bei dem Beta-Coronavirus SARS-CoV sowie bei anderen Krankheiten wie dem Dengue-Fieber beobachtet worden.
Als eher unwahrscheinlich gilt eine kontinuierliche Infektion mit Inaktivierung und späterer Reaktivierung des Virus. Damit eine solche Hypothese zuträfe, wäre eine viel höhere Mutationsrate von SARS-CoV-2 erforderlich, wie sie bisher nicht beobachtet wurde.
Schließlich wäre eine weitere alternative Erklärung eine gleichzeitige Koinfektion mit beiden Virusstämmen. Dies würde jedoch bedeuten, dass der 2. Stamm im April 2020 unentdeckt geblieben wäre, und umgekehrt müsste der 1. Stamm vor der Diagnostik im Juni 2020 verschwunden sein: alles in allem ein eher wenig plausibles Szenario.
Um Hypothesen zu belegen oder zu widerlegen, sind jedoch mehr Daten erforderlich. Ein Problem dabei: „Insgesamt mangelt es, sowohl in den USA als auch weltweit, an einer umfassenden genomischen Sequenzierung positiver COVID-19-Fälle sowie an Screening- und Testmöglichkeiten (…), was die Möglichkeiten einschränkt, das Virus zu diagnostizieren, zu überwachen und genetische Rückverfolgung durchzuführen“, sagte Pandori.
Fallberichte stellen Impfstrategien nicht infrage
Prof. Dr. Akiko Iwasaki von der Yale University, New Haven, hat sich eingehend mit der Studie befasst [2]. Sie war an den Arbeiten nicht beteiligt.
Sie schriebt ebenfalls in The Lancet Infectious Diseases: „Je mehr Reinfektionsfälle bekannt werden, desto mehr wird die wissenschaftliche Community die Möglichkeit haben, Korrelationen des Schutzes besser zu verstehen und herauszufinden, wie häufig natürliche Infektionen mit SARS-CoV-2 diesen Grad an Immunität induzieren“, schreibt Iwasaki.
Mögliche Bedenken zu Vakzinen räumt sie aus: „Unterschiede in der viralen Genomsequenz der verschiedenen Isolate sind eine gute Möglichkeit, um festzustellen, ob ein Individuum erneut infiziert ist (…), sie weisen jedoch nicht darauf hin, dass die zweite Infektion auf eine Immunevasion zurückzuführen ist.“
Bei einer Immunevasion gelingt es Pathogenen, sich aufgrund von Mutationen oder anderen Mechanismen dem Zugriff des Immunsystems zu entziehen. „Derzeit reicht ein Impfstoff aus, um Schutz gegen alle zirkulierenden Varianten zu bieten“, schlussfolgert sie.
Derzeit reicht ein Impfstoff aus, um Schutz gegen alle zirkulierenden Varianten zu bieten. Prof. Dr. Akiko Iwasaki
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Gesundheitsreserve für die Postmenopause: Frauen sollten mit Sport vor den Wechseljahren starten – Studie erklärt, warum
che2001, 18:17h
Dr. Angela Speth
Keine Frage, Sport ist für jeden wichtig und günstig, doch besonders offenbar für Frauen vor der Menopause. Eine Studie stützt die Idee, dass sie sich damit gesundheitliche Reserven für die Jahre mit niedrigem Östrogenspiegel sichern können. Denn im Alter führt ein Training nicht mehr zum Kapillarwachstum, wie es für den Kraftaufbau in den Muskeln notwendig wäre.
Bis zu den Wechseljahren sind bei Frauen Herz-Kreislauf-Erkrankungen seltener als bei gleichaltrigen Männern, danach allerdings steigt die Prävalenz auf ein ähnliches Niveau. Diese Verschlechterung geht einher mit einer zunehmenden Dysfunktion der Endothelzellen und einer Ausdünnung von Kapillaren in Skelettmuskeln, wodurch unter anderem die Insulinsensitivität sinkt und Diabetes begünstigt wird.
Eine effektive Vorbeugung kardiovaskulärer Erkrankungen besteht in der Anregung der Angiogenese, etwa durch körperliche Aktivität. Bei Männern, sogar noch bei älteren, bewirkt ein Training das Aussprossen neuer Kapillaren aus bereits bestehenden. Frauen brauchen dazu Östrogen, das sowohl die Expression von VEGF (Vascular Endothelial Growth Factor), als auch die Mitochondrien stimuliert. Das wiederum löst die Proliferation und Migration von Endothelzellen aus.
Weil aber der Östrogenspiegel nach der Menopause stark abfällt, könnte auch die Angiogenese in dieser Lebensphase eingeschränkt sein. Ausgehend von dieser Hypothese haben Forscher um Line Nørregaard Olsen und Prof. Dr. Brigitte Hoier von der Universität Kopenhagen eine Studie gestartet, in der sie Zellen aus Muskelproben isolierten. Sie veröffentlichten ihre Ergebnisse in The Journal of Physiology[1].
Die Frauen waren anfangs völlig untrainiert
Die Probandinnen waren 12 Frauen zwischen 59 und 70 Jahren (Durchschnitt 64 Jahre) und als Referenzgruppe 5 Frauen zwischen 21 und 28 (Durchschnitt 24 Jahre). Alle waren gesund, hatten einen Body-Mass-Index (BMI) unter 30, dabei eine vorwiegend sitzende Lebensweise mit wöchentlich weniger als 2 Stunden mäßigen Sport. Zu Beginn wurde allen eine Biopsie aus dem Oberschenkelmuskel M. vastus lateralis entnommen.
Im 1. Teil der Studie untersuchten die Forscher die mikrovaskulären Endothelzellen und Myozyten aus den Biopsien in Kulturmedium auf das angiogene Potenzial.
Im 2. Teil bestimmten sie bei den älteren Frauen den Effekt eines 8-wöchigen aeroben Trainings per Fahrradergometer. Die jeweils 3 Einheiten pro Woche bestanden aus 1 Stunde Intervalltraining mit mäßiger, mittlerer und hoher Intensität, jeweils gemessen an der maximalen Herzfrequenz HRmax. Zudem wurde die Spitzen-Sauerstoffaufnahme VO2max als Kriterium für die Ausdauerleistung bestimmt sowie mit Sonden eine Muskelmikrodialyse und am Studienende einer weitere Muskelbiopsie vorgenommen.
Die mitochondriale Atmung ist ein Schlüsselelement
Ergebnisse von Teil 1: Die Proliferation von Endothelzellen älterer Frauen war im Vergleich zu jungen um 75% niedriger. Auch enthielten die Myozyten selbst und das Kulturmedium tendenziell weniger VEGF, bei akuter Belastung stieg es im Interstitium der Muskeln nur mäßig (1,3-fach).
Wie die Physiologen herausfanden, geht die beeinträchtige Angiogenese mit einer Verminderung der mitochondrialen Atmung einher: Deren Rate war in den Endothelzellen um 14% niedriger als bei jungen Frauen, die Bildung reaktiver Sauerstoffradikale dagegen um 13% höher. „Diese Beobachtungen zeigen eine Verschlechterung der Mitochondrien-Funktion bei älteren Frauen, die möglicherweise für die Funktion der Endothelzellen und die Angiogenese von großer Bedeutung ist“, konstatiert das Team um Olsen und Hoier.
Die von den Mitochondrien erzeugten Sauerstoffradikale könnten ebenfalls einen Beitrag leisten. „Das stimmt überein mit einer Studie, derzufolge die Zugabe des Mitochondrien-spezifischen Antioxidans Mito Q die endotheliale Funktion bei älteren Menschen verbessert“, fügen die Wissenschaftler hinzu.
Wachsen neue Kapillaren erst nach längerer Trainingsphase?
Ergebnisse von Teil 2: Trotz 2 Monaten Training hatte sich bei den älteren Frauen das Kapillar-zu-Faser-Verhältnis nicht verändert. Immerhin war die Menge an Muskel-VEGF leicht erhöht, das angiostatische Thrombospondin-1 leicht erniedrigt. In diesen Befunden sehen die Autoren Anzeichen dafür, dass sich doch eine Bildung der kleinen Blutgefäße anbahnt. Daher halten sie es nicht für ausgeschlossen, dass ältere Frauen einfach längere Trainingsperioden brauchen, um eine Kapillarisierung zu erreichen. Erfreulich außerdem: VO2max war nach der Trainingsphase um 15% höher als vorher, was eine Zunahme an Fitness belegt.
Die Ergebnisse liefern Hinweise dafür, dass bei älteren Frauen das angiogene Potenzial eingeschränkt ist. Line Nørregaard Olsen und Prof. Dr. Brigitte Hoier
„Alles in allem liefern die Ergebnisse Hinweise dafür, dass bei älteren Frauen das angiogene Potenzial eingeschränkt ist, bedingt durch die verschlechterte Proliferation der Endothelzellen und eine verminderte Verfügbarkeit und Freisetzung von VEGF“, lautet das Fazit der Autoren. Und sie betonen: Das Fehlen eines Effekts liege aber keinesfalls daran, dass die Probandinnen das Training vernachlässigt hätten. Im Gegenteil, sie seien begeistert gewesen und problemlos mit den doch recht hohen Anforderungen zurechtgekommen.
Keine Frage, Sport ist für jeden wichtig und günstig, doch besonders offenbar für Frauen vor der Menopause. Eine Studie stützt die Idee, dass sie sich damit gesundheitliche Reserven für die Jahre mit niedrigem Östrogenspiegel sichern können. Denn im Alter führt ein Training nicht mehr zum Kapillarwachstum, wie es für den Kraftaufbau in den Muskeln notwendig wäre.
Bis zu den Wechseljahren sind bei Frauen Herz-Kreislauf-Erkrankungen seltener als bei gleichaltrigen Männern, danach allerdings steigt die Prävalenz auf ein ähnliches Niveau. Diese Verschlechterung geht einher mit einer zunehmenden Dysfunktion der Endothelzellen und einer Ausdünnung von Kapillaren in Skelettmuskeln, wodurch unter anderem die Insulinsensitivität sinkt und Diabetes begünstigt wird.
Eine effektive Vorbeugung kardiovaskulärer Erkrankungen besteht in der Anregung der Angiogenese, etwa durch körperliche Aktivität. Bei Männern, sogar noch bei älteren, bewirkt ein Training das Aussprossen neuer Kapillaren aus bereits bestehenden. Frauen brauchen dazu Östrogen, das sowohl die Expression von VEGF (Vascular Endothelial Growth Factor), als auch die Mitochondrien stimuliert. Das wiederum löst die Proliferation und Migration von Endothelzellen aus.
Weil aber der Östrogenspiegel nach der Menopause stark abfällt, könnte auch die Angiogenese in dieser Lebensphase eingeschränkt sein. Ausgehend von dieser Hypothese haben Forscher um Line Nørregaard Olsen und Prof. Dr. Brigitte Hoier von der Universität Kopenhagen eine Studie gestartet, in der sie Zellen aus Muskelproben isolierten. Sie veröffentlichten ihre Ergebnisse in The Journal of Physiology[1].
Die Frauen waren anfangs völlig untrainiert
Die Probandinnen waren 12 Frauen zwischen 59 und 70 Jahren (Durchschnitt 64 Jahre) und als Referenzgruppe 5 Frauen zwischen 21 und 28 (Durchschnitt 24 Jahre). Alle waren gesund, hatten einen Body-Mass-Index (BMI) unter 30, dabei eine vorwiegend sitzende Lebensweise mit wöchentlich weniger als 2 Stunden mäßigen Sport. Zu Beginn wurde allen eine Biopsie aus dem Oberschenkelmuskel M. vastus lateralis entnommen.
Im 1. Teil der Studie untersuchten die Forscher die mikrovaskulären Endothelzellen und Myozyten aus den Biopsien in Kulturmedium auf das angiogene Potenzial.
Im 2. Teil bestimmten sie bei den älteren Frauen den Effekt eines 8-wöchigen aeroben Trainings per Fahrradergometer. Die jeweils 3 Einheiten pro Woche bestanden aus 1 Stunde Intervalltraining mit mäßiger, mittlerer und hoher Intensität, jeweils gemessen an der maximalen Herzfrequenz HRmax. Zudem wurde die Spitzen-Sauerstoffaufnahme VO2max als Kriterium für die Ausdauerleistung bestimmt sowie mit Sonden eine Muskelmikrodialyse und am Studienende einer weitere Muskelbiopsie vorgenommen.
Die mitochondriale Atmung ist ein Schlüsselelement
Ergebnisse von Teil 1: Die Proliferation von Endothelzellen älterer Frauen war im Vergleich zu jungen um 75% niedriger. Auch enthielten die Myozyten selbst und das Kulturmedium tendenziell weniger VEGF, bei akuter Belastung stieg es im Interstitium der Muskeln nur mäßig (1,3-fach).
Wie die Physiologen herausfanden, geht die beeinträchtige Angiogenese mit einer Verminderung der mitochondrialen Atmung einher: Deren Rate war in den Endothelzellen um 14% niedriger als bei jungen Frauen, die Bildung reaktiver Sauerstoffradikale dagegen um 13% höher. „Diese Beobachtungen zeigen eine Verschlechterung der Mitochondrien-Funktion bei älteren Frauen, die möglicherweise für die Funktion der Endothelzellen und die Angiogenese von großer Bedeutung ist“, konstatiert das Team um Olsen und Hoier.
Die von den Mitochondrien erzeugten Sauerstoffradikale könnten ebenfalls einen Beitrag leisten. „Das stimmt überein mit einer Studie, derzufolge die Zugabe des Mitochondrien-spezifischen Antioxidans Mito Q die endotheliale Funktion bei älteren Menschen verbessert“, fügen die Wissenschaftler hinzu.
Wachsen neue Kapillaren erst nach längerer Trainingsphase?
Ergebnisse von Teil 2: Trotz 2 Monaten Training hatte sich bei den älteren Frauen das Kapillar-zu-Faser-Verhältnis nicht verändert. Immerhin war die Menge an Muskel-VEGF leicht erhöht, das angiostatische Thrombospondin-1 leicht erniedrigt. In diesen Befunden sehen die Autoren Anzeichen dafür, dass sich doch eine Bildung der kleinen Blutgefäße anbahnt. Daher halten sie es nicht für ausgeschlossen, dass ältere Frauen einfach längere Trainingsperioden brauchen, um eine Kapillarisierung zu erreichen. Erfreulich außerdem: VO2max war nach der Trainingsphase um 15% höher als vorher, was eine Zunahme an Fitness belegt.
Die Ergebnisse liefern Hinweise dafür, dass bei älteren Frauen das angiogene Potenzial eingeschränkt ist. Line Nørregaard Olsen und Prof. Dr. Brigitte Hoier
„Alles in allem liefern die Ergebnisse Hinweise dafür, dass bei älteren Frauen das angiogene Potenzial eingeschränkt ist, bedingt durch die verschlechterte Proliferation der Endothelzellen und eine verminderte Verfügbarkeit und Freisetzung von VEGF“, lautet das Fazit der Autoren. Und sie betonen: Das Fehlen eines Effekts liege aber keinesfalls daran, dass die Probandinnen das Training vernachlässigt hätten. Im Gegenteil, sie seien begeistert gewesen und problemlos mit den doch recht hohen Anforderungen zurechtgekommen.
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COVID-19: Forscher klären, welche Genvarianten mit schwerem Verlauf assoziiert sind – Blutgruppen liefern Anhaltspunkte
che2001, 18:13h
Michael van den Heuvel, Medscape
Es ist eines der größten Mysterien bei SARS-CoV-2-Infektionen: Warum ist der klinische Verlauf bei verschiedenen Personen so unterschiedlich? Während der eine kaum Symptome entwickelt, haben andere einen schweren Verlauf, müssen beatmet werden, drohen vielleicht sogar daran zu sterben. Wissenschaftler der Universität Kiel und Kollegen sind mittels einer genomweiten Assoziationsstudie (GWAS) der Klärung dieses Geheimnisses einen wichtigen Schritt nähergekommen.
Sie haben im Genom von Patienten aus Italien und Spanien mit schwerem COVID-19-Verlauf nach genetischen Komponenten gesucht, die den Verlauf beeinflussen, und die Ergebnisse nun im NEJM veröffentlicht [1]. Wie Prof. Dr. David Ellinghaus von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und Kollegen berichten, bringen sie den 3p21.31-Gencluster mit COVID-19 und Atemversagen in Verbindung.
Eine Assoziation fanden sie auch mit den Genlocus 9q34.2, der mit dem AB0-Blutgruppensystem in Zusammenhang steht. Eine Blutgruppen-spezifische Analyse, die bereits vorab im Sommer öffentlich geworden war und für einige Diskussionen gesorgt hatte (Medscape berichtete), bestätigt, dass die Blutgruppe A mit einem höheren Risiko für einen schweren Verlauf assoziiert ist (Odds Ratio 1,45; 95%-KI 1,2-1,75; P=1.48×10−4), während Blutgruppe 0 eher protektiv zu sein scheint (Odds Ratio 0,65; 95%-KI 0,53-0,79; P=1.06×10−5). Die HLA-Region zeigte kein Assoziationssignal.
In einem begleitenden Editorial schreibt Prof. Dr. Arthur Kaser von der University of Cambridge [1]: „Diese genomweite Assoziationsstudie wird richtungsweisend für die Forschung sein.“ Und weiter: „Der Artikel (…) über eine genomweite Assoziationsstudie zur schweren Coronavirus-Krankheit COVID-19 ist ein großer Schritt hin zu einem besseren Verständnis der molekularen Mechanismen der Erkrankung.“
Genomweite Assoziationsstudie mit 1.980 Patienten
Für ihre GWAS rekrutierten Ellinghaus und Kollegen in 7 Kliniken der italienischen und spanischen Corona-Epizentren insgesamt 1.980 Patienten mit schwerem COVID-19-Verlauf, definiert als Atemversagen. Dazu zählte die Gabe von zusätzlichem Sauerstoff, eine nicht-invasive oder invasive mechanische Beatmung oder die extrakorporale Membranoxygenierung.
Einige Proben mussten aufgrund von Mängeln bei der Aufarbeitung und Analyse ausgeschlossen werden. In die endgültige Auswertung wurden Daten von 835 Patienten und 1.255 Kontrollen aus Italien sowie 775 Patienten und 950 Kontrollen aus Spanien einbezogen.
Untersucht wurden mögliche Assoziationen des Schweregrads von COVID-19 mit 8.965.091 Einzelnukleotid-Polymorphismen (SNP) in der italienischen und mit 9.140.716 SNP in der spanischen Kohorte.
Dabei fanden die Forscher Assoziationen zwischen einem schweren Verlauf und dem SNP rs11385942 am Locus 3p21.31 beziehungsweise dem SNP rs657152 am Locus 9q34.2 (Odds Ratio [OR] 1,77; 95%-Konfidenzintervall [CI] 1,48-2,11; P=1,15 × 10-10; OR 1,32; 95% CI 1,20-1,47; P=4,95×10-8). Am Locus 3p21.31 umfasste das Assoziationssignal die Gene SLC6A20, LZTFL1, CCR9, FYCO1, CXCR6 und XCR1. Und das Assoziationssignal am Locus 9q34.2 stimmte mit den ABO-Blutgruppen überein.
Genloci stehen mit immunologischen Vorgängen in Verbindung
Kaser befasst sich in seinem Editorial detailliert mit der Relevanz aller Ergebnisse für die Forschung und Versorgung von Patienten. Auch er unterstreicht die auffälligen Assoziationen mit den Blutgruppen: „Patienten mit der Blutgruppe A hatten ein erhöhtes Risiko für ein schweres COVID-19, und diejenigen mit der Blutgruppe 0 hatten ein verringertes Risiko.“
Das stärkste Signal sei jedoch die rs11385942-Insertion-Deletionsvariante GA oder G am Locus 3p21.31 gewesen, wie Kaser schreibt. „Die Häufigkeit dieses GA-Risiko-Allels war bei Patienten, die maschinell beatmet wurden, höher als bei Patienten, die nur zusätzlichen Sauerstoff erhielten: ein Befund, der darauf hinweist, dass dieses Risiko-Allel den schwersten Formen von COVID-19 eine Prädisposition verleiht.“ Für den AB0-Locus haben man solche Effekte speziell bei Patienten, die mechanisch beatmet wurden, nicht beobachtet.
Er ergänzt: „Unter den 6 Kandidatengenen bei 3p21.31 könnte LZTFL1 besonders relevant sein (…).“ LZTFL1 wird in großem Umfang exprimiert und kodiert für ein Protein, das am Proteintransport zu primären Zilien beteiligt ist, die als Antennen für extrazelluläre Signale fungieren. In T-Lymphozyten erfüllt LZTFL1 Aufgaben an immunologischen Schnittstellen zu Antigen-präsentierenden Zellen, etwa dendritischen Zellen.
Von den anderen 5 Kandidatengenen sind 4 (CCR9, CXCR6, XCR1 und FYCO1) an der Funktion von T-Zellen und dendritischen Zellen beteiligt, und das 5. (SLC6A20) ist ein Transporter mit intestinaler Expression, der durch das Angiotensin-konvertierende Enzym 2 (ACE2), den bekannten SARS-CoV-2-Rezeptor, reguliert wird.
Kaser: „Schweres COVID-19 ähnelt der sekundären hämophagozytischen Lymphohistiozytose, kurz HLH, einer lebensbedrohlichen Funktionsstörung des Immunsystems mit Hyperinflammation.“ Bekannte Auslöser seien autoimmune oder autoinflammatorische Störungen, bösartige Erkrankungen oder Infektionen, typischerweise mit Viren wie dem Epstein-Barr-Virus.
Pathomechanismen der sekundären HLH habe man nach wie vor kaum verstanden. Aber bei der primären, vererbbaren Form deute viel darauf hin, dass CD8+-T-Lymphozyten, natürliche Killerzellen und dendritische Zellen unter Beteiligung von Makrophagen eine Zytokinsturm auslösten.
Die deutlich niedrigere Mortalität bei Patienten mit COVID-19, die Dexamethason erhielten, liefere „starke Hinweise“, dass der Tod durch eine späte hyperinflammatorische Phase verursacht werden könne.
Doch was bringen die Erkenntnisse für potenzielle Therapien? „Da es unmöglich ist, Mechanismen anhand genomischer Daten vorherzusagen, ist die experimentelle Untersuchung der Biologie der Risikowege ein – wenn auch potenziell schwierigerer – Weg zu diesem Ziel“, schlussfolgert der Experte in Hinblick auf mögliche Therapien.
Es ist eines der größten Mysterien bei SARS-CoV-2-Infektionen: Warum ist der klinische Verlauf bei verschiedenen Personen so unterschiedlich? Während der eine kaum Symptome entwickelt, haben andere einen schweren Verlauf, müssen beatmet werden, drohen vielleicht sogar daran zu sterben. Wissenschaftler der Universität Kiel und Kollegen sind mittels einer genomweiten Assoziationsstudie (GWAS) der Klärung dieses Geheimnisses einen wichtigen Schritt nähergekommen.
Sie haben im Genom von Patienten aus Italien und Spanien mit schwerem COVID-19-Verlauf nach genetischen Komponenten gesucht, die den Verlauf beeinflussen, und die Ergebnisse nun im NEJM veröffentlicht [1]. Wie Prof. Dr. David Ellinghaus von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und Kollegen berichten, bringen sie den 3p21.31-Gencluster mit COVID-19 und Atemversagen in Verbindung.
Eine Assoziation fanden sie auch mit den Genlocus 9q34.2, der mit dem AB0-Blutgruppensystem in Zusammenhang steht. Eine Blutgruppen-spezifische Analyse, die bereits vorab im Sommer öffentlich geworden war und für einige Diskussionen gesorgt hatte (Medscape berichtete), bestätigt, dass die Blutgruppe A mit einem höheren Risiko für einen schweren Verlauf assoziiert ist (Odds Ratio 1,45; 95%-KI 1,2-1,75; P=1.48×10−4), während Blutgruppe 0 eher protektiv zu sein scheint (Odds Ratio 0,65; 95%-KI 0,53-0,79; P=1.06×10−5). Die HLA-Region zeigte kein Assoziationssignal.
In einem begleitenden Editorial schreibt Prof. Dr. Arthur Kaser von der University of Cambridge [1]: „Diese genomweite Assoziationsstudie wird richtungsweisend für die Forschung sein.“ Und weiter: „Der Artikel (…) über eine genomweite Assoziationsstudie zur schweren Coronavirus-Krankheit COVID-19 ist ein großer Schritt hin zu einem besseren Verständnis der molekularen Mechanismen der Erkrankung.“
Genomweite Assoziationsstudie mit 1.980 Patienten
Für ihre GWAS rekrutierten Ellinghaus und Kollegen in 7 Kliniken der italienischen und spanischen Corona-Epizentren insgesamt 1.980 Patienten mit schwerem COVID-19-Verlauf, definiert als Atemversagen. Dazu zählte die Gabe von zusätzlichem Sauerstoff, eine nicht-invasive oder invasive mechanische Beatmung oder die extrakorporale Membranoxygenierung.
Einige Proben mussten aufgrund von Mängeln bei der Aufarbeitung und Analyse ausgeschlossen werden. In die endgültige Auswertung wurden Daten von 835 Patienten und 1.255 Kontrollen aus Italien sowie 775 Patienten und 950 Kontrollen aus Spanien einbezogen.
Untersucht wurden mögliche Assoziationen des Schweregrads von COVID-19 mit 8.965.091 Einzelnukleotid-Polymorphismen (SNP) in der italienischen und mit 9.140.716 SNP in der spanischen Kohorte.
Dabei fanden die Forscher Assoziationen zwischen einem schweren Verlauf und dem SNP rs11385942 am Locus 3p21.31 beziehungsweise dem SNP rs657152 am Locus 9q34.2 (Odds Ratio [OR] 1,77; 95%-Konfidenzintervall [CI] 1,48-2,11; P=1,15 × 10-10; OR 1,32; 95% CI 1,20-1,47; P=4,95×10-8). Am Locus 3p21.31 umfasste das Assoziationssignal die Gene SLC6A20, LZTFL1, CCR9, FYCO1, CXCR6 und XCR1. Und das Assoziationssignal am Locus 9q34.2 stimmte mit den ABO-Blutgruppen überein.
Genloci stehen mit immunologischen Vorgängen in Verbindung
Kaser befasst sich in seinem Editorial detailliert mit der Relevanz aller Ergebnisse für die Forschung und Versorgung von Patienten. Auch er unterstreicht die auffälligen Assoziationen mit den Blutgruppen: „Patienten mit der Blutgruppe A hatten ein erhöhtes Risiko für ein schweres COVID-19, und diejenigen mit der Blutgruppe 0 hatten ein verringertes Risiko.“
Das stärkste Signal sei jedoch die rs11385942-Insertion-Deletionsvariante GA oder G am Locus 3p21.31 gewesen, wie Kaser schreibt. „Die Häufigkeit dieses GA-Risiko-Allels war bei Patienten, die maschinell beatmet wurden, höher als bei Patienten, die nur zusätzlichen Sauerstoff erhielten: ein Befund, der darauf hinweist, dass dieses Risiko-Allel den schwersten Formen von COVID-19 eine Prädisposition verleiht.“ Für den AB0-Locus haben man solche Effekte speziell bei Patienten, die mechanisch beatmet wurden, nicht beobachtet.
Er ergänzt: „Unter den 6 Kandidatengenen bei 3p21.31 könnte LZTFL1 besonders relevant sein (…).“ LZTFL1 wird in großem Umfang exprimiert und kodiert für ein Protein, das am Proteintransport zu primären Zilien beteiligt ist, die als Antennen für extrazelluläre Signale fungieren. In T-Lymphozyten erfüllt LZTFL1 Aufgaben an immunologischen Schnittstellen zu Antigen-präsentierenden Zellen, etwa dendritischen Zellen.
Von den anderen 5 Kandidatengenen sind 4 (CCR9, CXCR6, XCR1 und FYCO1) an der Funktion von T-Zellen und dendritischen Zellen beteiligt, und das 5. (SLC6A20) ist ein Transporter mit intestinaler Expression, der durch das Angiotensin-konvertierende Enzym 2 (ACE2), den bekannten SARS-CoV-2-Rezeptor, reguliert wird.
Kaser: „Schweres COVID-19 ähnelt der sekundären hämophagozytischen Lymphohistiozytose, kurz HLH, einer lebensbedrohlichen Funktionsstörung des Immunsystems mit Hyperinflammation.“ Bekannte Auslöser seien autoimmune oder autoinflammatorische Störungen, bösartige Erkrankungen oder Infektionen, typischerweise mit Viren wie dem Epstein-Barr-Virus.
Pathomechanismen der sekundären HLH habe man nach wie vor kaum verstanden. Aber bei der primären, vererbbaren Form deute viel darauf hin, dass CD8+-T-Lymphozyten, natürliche Killerzellen und dendritische Zellen unter Beteiligung von Makrophagen eine Zytokinsturm auslösten.
Die deutlich niedrigere Mortalität bei Patienten mit COVID-19, die Dexamethason erhielten, liefere „starke Hinweise“, dass der Tod durch eine späte hyperinflammatorische Phase verursacht werden könne.
Doch was bringen die Erkenntnisse für potenzielle Therapien? „Da es unmöglich ist, Mechanismen anhand genomischer Daten vorherzusagen, ist die experimentelle Untersuchung der Biologie der Risikowege ein – wenn auch potenziell schwierigerer – Weg zu diesem Ziel“, schlussfolgert der Experte in Hinblick auf mögliche Therapien.
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