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Montag, 19. Oktober 2020
Retrospektive Daten: Steigert das Antidiabetikum Sitagliptin bei schwerem COVID-19-Verlauf die Überlebenschance?
che2001, 19:38h
Dr. Jürgen Sartorius, Medscape
Eine retrospektive Studie aus Norditalien hat bei 338 diabetischen Patienten, die aufgrund von COVID-19 hospitalisiert waren, eine Halbierung der Mortalität gezeigt, wenn diese zusätzlich zu Insulin den oralen Dipeptidyl-Peptidase-4 (DPP-4)-Inhibitor Sitagliptin erhielten.
Ein solch deutliches Ergebnis aus diesem dramatischen europäischen Hotspot der frühen Corona-Pandemie ist natürlich beeindruckend. Prof. Dr. Baptist Gallwitz
Das Ergebnis gibt Anlass zu Spekulationen über einen möglichen Wirkmechanismus und die Planung einer prospektiven Studie. Die Ergebnisse der Beobachtungsstudie wurden in der US-amerikanischen Fachzeitschrift Diabetes Care publiziert [1].
Die Gruppe um Erstautor Dr. Sebastiano Solerte, Universität Pavia, Italien, analysierte die Daten von 338 Patienten mit Typ-2-Diabetes, die in der Zeit von März bis April 2020 aufgrund einer COVID-19-Erkrankung in eines von 7 norditalienischen Krankenhäusern eingeliefert worden waren. Die Hälfte von ihnen hatten Sitagliptin zusätzlich zu Insulin erhalten.
Von diesen 169 Patienten starben 18%, während in der Gruppe mit ausschließlich Insulin 37% ihre COVID-19-Erkrankung nicht überlebten. Der Unterschied war mit p=0,0001 hochsignifikant, die Hazard Ratio (HR) betrug 0,44.
Ein ebenfalls hochsignifikantes Verhältnis galt für die Besserung der klinischen Symptomatik: 60% der Patienten im Sitagliptin-Arm erlebten eine Verbesserung ihres Zustandes, wie sie nur 40% der Patienten ohne Sitagliptin-Behandlung erlebten (p=0,0001).
Auf diese retrospektive Studie muss nun eine prospektive Studie folgen, um diese Beobachtungen bestätigen oder falsifizieren zu können. Prof. Dr. Baptist Gallwitz
„Ein solch deutliches Ergebnis aus diesem dramatischen europäischen Hotspot der frühen Corona-Pandemie ist natürlich beeindruckend“, folgert Prof. Dr. Baptist Gallwitz, stellvertretender Direktor der Medizinische Klinik IV des Universitätsklinikum Tübingen und Mediensprecher der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG). „Aber auf diese retrospektive Studie muss nun eine prospektive Studie folgen, um diese Beobachtungen bestätigen oder falsifizieren zu können.“
Prof. Dr. Baptist Gallwitz
Datenlage nicht vollständig, therapeutische Notwendigkeiten ungeklärt
Die erfassten Patienten waren im Schnitt 69 Jahre alt, ungefähr die Hälfte war über 70 Jahre alt. Etwa 70% von ihnen waren Männer. Ein Typ-2-Diabetes bestand zwischen 7,5 und 10 Jahren. Die Vorerkrankungen waren bei etwa 40% der Patienten Herz-, bei etwa 25% chronische Nieren- und bei etwa 15% Krebserkrankungen. 67 bis 74% von ihnen litten unter Bluthochdruck.
Ein gutes Drittel erhielt vor der Einweisung in die Klinik Metformin, ein knappes Drittel Insulin und das restliche Drittel andere antidiabetische Medikamente. Alle Patienten hatten bei der Einweisung ins Krankenhaus Fieber, respiratorische Symptome und eine Sauerstoff-Sättigung von etwa 92%.
Die Auswahl der Patienten aus der Kontrollgruppe entsprach in Symptomatik, Alter und Geschlecht denjenigen des Sitagliptin-Armes, so dass es keine besonderen Unterschiede zwischen beiden Gruppen gab, betonen die Autoren, darunter auch Letztautor Dr. Paolo Fiorina, Endokrinologe und Immunologe am Boston Children`s Hospital, USA, und des Internationalen Zentrums für Typ-1-Diabetes in Mailand, Italien, sowie Mitglied der American Society of Transplantation (ASH).
Nach 30 Tagen hatten 120 der 169 Patienten der Sitagliptin-Gruppe das Krankenhaus verlassen, aus der Kontrollgruppe lediglich 80 von 169. Alle Patienten erhielten während des 30-tägigen Follow-ups im Krankenhaus keine weiteren Medikamente zur Zuckersenkung. Dabei spielte es keine Rolle, welche Therapie sie vor ihrer COVID-19-Erkrankung erhalten hatten.
Die Publikation zeigt einige Ungereimtheiten. Prof. Dr. Baptist Gallwitz
„Die Publikation zeigt einige Ungereimtheiten“, bemerkt Gallwitz. „Es gibt Datenlücken, und es drängen sich Zweifel auf, ob sich die Patienten der beiden Gruppen anhand der Basisdaten wirklich nicht unterschieden. Deshalb wird man die von den Autoren angekündigte prospektive Studie mit großer Spannung erwarten.“
3 Theorien, aber noch keine Beweise
In ihrer Diskussion warten die Autoren mit 3 Theorien zu einem möglichen Wirkmechanismus von Sitagliptin auf, der die positive Wirkung auf den Verlauf von COVID-19 erklären könnte:
Zum einen ähnelt das Zielprotein DDP-4 (mit dem Synonym CD26) dem ACE-II-Protein, das von SARS-CoV-2 zum Eindringen in die Humanzellen genutzt wird.
Als Zweites könnte die Modulation der Aktivität von DDP-4 durch Sitagliptin antiinflammatorische und immunoregulatorische Effekte bewirken, die letztlich zu einer Abschwächung des typischen Zytokinsturmes bei schweren Verläufen von COVID-19 führen könnten.
Als dritte Theorie nennen die Autoren die Möglichkeit, dass ein außer Kontrolle geratener Blutzuckerspiegel zu schwereren Verläufen von COVID-19 bei diabetischen Patienten führe, dem durch Sitagliptin gegengesteuert würde. Tatsächlich fanden die Autoren in der Sitagliptin-Gruppe während der Hospitalisierung signifikant niedrigere Blutglukosewerte als in der Kontrollgruppe.
Die ersten beiden Möglichkeiten würden implizieren, dass Sitagliptin auch unabhängig von Diabetes gegen COVID-19 wirksam wäre, erläutert Fiorina.
„Grau ist alle Theorie“, meint Gallwitz dazu. „Fest steht aufgrund dieser Studie lediglich, dass die Gabe von Sitagliptin den Verlauf von COVID-19 nicht erschwert. Zur Überprüfung der Theorien zu den möglichen Wirkungen von Sitagliptin sollte in eine prospektive Studie auch ein weiterer DDP-4-Inhibitor aufgenommen werden, der dann einen ähnlichen Effekt wie Sitagliptin zeigen sollte.“
Eine retrospektive Studie aus Norditalien hat bei 338 diabetischen Patienten, die aufgrund von COVID-19 hospitalisiert waren, eine Halbierung der Mortalität gezeigt, wenn diese zusätzlich zu Insulin den oralen Dipeptidyl-Peptidase-4 (DPP-4)-Inhibitor Sitagliptin erhielten.
Ein solch deutliches Ergebnis aus diesem dramatischen europäischen Hotspot der frühen Corona-Pandemie ist natürlich beeindruckend. Prof. Dr. Baptist Gallwitz
Das Ergebnis gibt Anlass zu Spekulationen über einen möglichen Wirkmechanismus und die Planung einer prospektiven Studie. Die Ergebnisse der Beobachtungsstudie wurden in der US-amerikanischen Fachzeitschrift Diabetes Care publiziert [1].
Die Gruppe um Erstautor Dr. Sebastiano Solerte, Universität Pavia, Italien, analysierte die Daten von 338 Patienten mit Typ-2-Diabetes, die in der Zeit von März bis April 2020 aufgrund einer COVID-19-Erkrankung in eines von 7 norditalienischen Krankenhäusern eingeliefert worden waren. Die Hälfte von ihnen hatten Sitagliptin zusätzlich zu Insulin erhalten.
Von diesen 169 Patienten starben 18%, während in der Gruppe mit ausschließlich Insulin 37% ihre COVID-19-Erkrankung nicht überlebten. Der Unterschied war mit p=0,0001 hochsignifikant, die Hazard Ratio (HR) betrug 0,44.
Ein ebenfalls hochsignifikantes Verhältnis galt für die Besserung der klinischen Symptomatik: 60% der Patienten im Sitagliptin-Arm erlebten eine Verbesserung ihres Zustandes, wie sie nur 40% der Patienten ohne Sitagliptin-Behandlung erlebten (p=0,0001).
Auf diese retrospektive Studie muss nun eine prospektive Studie folgen, um diese Beobachtungen bestätigen oder falsifizieren zu können. Prof. Dr. Baptist Gallwitz
„Ein solch deutliches Ergebnis aus diesem dramatischen europäischen Hotspot der frühen Corona-Pandemie ist natürlich beeindruckend“, folgert Prof. Dr. Baptist Gallwitz, stellvertretender Direktor der Medizinische Klinik IV des Universitätsklinikum Tübingen und Mediensprecher der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG). „Aber auf diese retrospektive Studie muss nun eine prospektive Studie folgen, um diese Beobachtungen bestätigen oder falsifizieren zu können.“
Prof. Dr. Baptist Gallwitz
Datenlage nicht vollständig, therapeutische Notwendigkeiten ungeklärt
Die erfassten Patienten waren im Schnitt 69 Jahre alt, ungefähr die Hälfte war über 70 Jahre alt. Etwa 70% von ihnen waren Männer. Ein Typ-2-Diabetes bestand zwischen 7,5 und 10 Jahren. Die Vorerkrankungen waren bei etwa 40% der Patienten Herz-, bei etwa 25% chronische Nieren- und bei etwa 15% Krebserkrankungen. 67 bis 74% von ihnen litten unter Bluthochdruck.
Ein gutes Drittel erhielt vor der Einweisung in die Klinik Metformin, ein knappes Drittel Insulin und das restliche Drittel andere antidiabetische Medikamente. Alle Patienten hatten bei der Einweisung ins Krankenhaus Fieber, respiratorische Symptome und eine Sauerstoff-Sättigung von etwa 92%.
Die Auswahl der Patienten aus der Kontrollgruppe entsprach in Symptomatik, Alter und Geschlecht denjenigen des Sitagliptin-Armes, so dass es keine besonderen Unterschiede zwischen beiden Gruppen gab, betonen die Autoren, darunter auch Letztautor Dr. Paolo Fiorina, Endokrinologe und Immunologe am Boston Children`s Hospital, USA, und des Internationalen Zentrums für Typ-1-Diabetes in Mailand, Italien, sowie Mitglied der American Society of Transplantation (ASH).
Nach 30 Tagen hatten 120 der 169 Patienten der Sitagliptin-Gruppe das Krankenhaus verlassen, aus der Kontrollgruppe lediglich 80 von 169. Alle Patienten erhielten während des 30-tägigen Follow-ups im Krankenhaus keine weiteren Medikamente zur Zuckersenkung. Dabei spielte es keine Rolle, welche Therapie sie vor ihrer COVID-19-Erkrankung erhalten hatten.
Die Publikation zeigt einige Ungereimtheiten. Prof. Dr. Baptist Gallwitz
„Die Publikation zeigt einige Ungereimtheiten“, bemerkt Gallwitz. „Es gibt Datenlücken, und es drängen sich Zweifel auf, ob sich die Patienten der beiden Gruppen anhand der Basisdaten wirklich nicht unterschieden. Deshalb wird man die von den Autoren angekündigte prospektive Studie mit großer Spannung erwarten.“
3 Theorien, aber noch keine Beweise
In ihrer Diskussion warten die Autoren mit 3 Theorien zu einem möglichen Wirkmechanismus von Sitagliptin auf, der die positive Wirkung auf den Verlauf von COVID-19 erklären könnte:
Zum einen ähnelt das Zielprotein DDP-4 (mit dem Synonym CD26) dem ACE-II-Protein, das von SARS-CoV-2 zum Eindringen in die Humanzellen genutzt wird.
Als Zweites könnte die Modulation der Aktivität von DDP-4 durch Sitagliptin antiinflammatorische und immunoregulatorische Effekte bewirken, die letztlich zu einer Abschwächung des typischen Zytokinsturmes bei schweren Verläufen von COVID-19 führen könnten.
Als dritte Theorie nennen die Autoren die Möglichkeit, dass ein außer Kontrolle geratener Blutzuckerspiegel zu schwereren Verläufen von COVID-19 bei diabetischen Patienten führe, dem durch Sitagliptin gegengesteuert würde. Tatsächlich fanden die Autoren in der Sitagliptin-Gruppe während der Hospitalisierung signifikant niedrigere Blutglukosewerte als in der Kontrollgruppe.
Die ersten beiden Möglichkeiten würden implizieren, dass Sitagliptin auch unabhängig von Diabetes gegen COVID-19 wirksam wäre, erläutert Fiorina.
„Grau ist alle Theorie“, meint Gallwitz dazu. „Fest steht aufgrund dieser Studie lediglich, dass die Gabe von Sitagliptin den Verlauf von COVID-19 nicht erschwert. Zur Überprüfung der Theorien zu den möglichen Wirkungen von Sitagliptin sollte in eine prospektive Studie auch ein weiterer DDP-4-Inhibitor aufgenommen werden, der dann einen ähnlichen Effekt wie Sitagliptin zeigen sollte.“
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Corona-Pandemie: Wie viele zusätzliche Tote gab es?
che2001, 19:32h
Corona-Pandemie: Wie viele zusätzliche Tote gab es? Laut neuer Analysen USA Spitzenreiter, wir im mittleren Bereich
Julia Rommelfanger, Medscape
In den USA sind von März bis September 2020 deutlich mehr Menschen als sonst in diesem Zeitraum gestorben; 2 Drittel davon in direktem Zusammenhang mit einer COVID-19-Infektion. Insgesamt verzeichneten die USA bislang im Verhältnis zur Einwohnerzahl mehr Corona-Tote als die meisten anderen schwer von der Pandemie getroffenen Länder. Dies zeigen 2 Untersuchungen, die im Journal of the American Medical Association (JAMA) veröffentlicht worden sind [1,2].
US-Todesrate um 20 Prozent gestiegen
In der ersten Studie haben Dr. Steven H. Woolf, Department of Family Medicine and Population Health, Virginia Commonwealth University School of Medicine, Richmond, Virginia, USA, und Kollegen während eines 5-monatigen Zeitraums von März bis Juli 2020 einen Anstieg der Todesfälle um 20% im Vergleich zu den aufgrund von Zahlen aus den Vorjahren zu erwartenden Todesfällen festgestellt [1]. In New York betrug der Anstieg sogar 65%. Insgesamt sind in den USA in den 5 Monaten 225.000 mehr Menschen als in den Vorjahren gestorben.
USA verzeichnen die meisten Corona-Toten
In einer weiteren Untersuchung haben Alyssa Bilinski, Interfaculty Initiative in Health Policy, Harvard Graduate School of Arts and Sciences, Cambridge, Massachusetts, USA, und Dr. Ezekiel J. Emanuel, University of Pennsylvania Perelman School of Medicine, Philadelphia, USA, die zusätzlichen Todesfälle infolge von COVID-19 in den USA mit denen in 18 Ländern verglichen [2]. Zunächst einmal seien, so die Autoren, in den USA mehr Menschen im Zusammenhang mit dem Virus gestorben als irgendwo sonst auf der Welt.
Deutschland im mittleren Sterblichkeits-Segment
Im Vergleich mit Ländern mit unterschiedlicher COVID-19-Sterblichkeit seien die USA (60,3 COVID-19-Todesfälle pro 100.000 Menschen), Stand 19. September 2020, in die Gruppe der Länder mit hoher Sterblichkeit einzuordnen, schreiben Bilinski und Emanuel. Im niedrigen Sterblichkeitsbereich (bis zu 25 Todesfälle pro 100.000 Menschen) liegen etwa Japan (1,2/100.000) oder Australien (3,3/100.00); im mittleren Bereich etwa Österreich (8,6/100.00), Deutschland (11,3/100.000) oder Israel (14,0/100.000).
In Ländern mit hoher Sterblichkeit sind mehr als 25/100.000 Menschen infolge einer COVID-19-Infektion gestorben. Darunter fallen beispielsweise die Niederlande (36,2/100.000), Frankreich (46,6/100.000), Italien (59,1/100.000) und Spanien (65,0/100.000). Während die USA in den ersten Monaten der Pandemie noch eine geringere Mortalitätsrate als diese Länder aufwiesen, stieg in den Folgemonaten die Zahl der Toten dort, sodass sie nach Mai 2020 wesentlich höher als in allen 6 Vergleichsländern mit hoher Sterblichkeit lag.
Zwischen dem 10. Mai und dem 19. September sind etwa in Italien nur 9,1/100.000 Menschen an COVID-19 gestorben; in den USA jedoch 36,9/100.000. In 14 der untersuchten Länder lagen zudem Daten zur Gesamt-Sterblichkeit während des Beobachtungszeitraums vor. Im Großen und Ganzen folge das Muster für die Gesamtsterblichkeit dem der COVID-19-Toten, berichten Bilinski und Emanuel.
In den Ländern mit moderater COVID-19-Sterblichkeit blieb die Zahl der zusätzlichen Todesfälle über den gesamten Pandemie-Zeitraum begrenzt. In Ländern, die viele Corona-Tote zu beklagen hatten, stieg auch die Gesamtsterblichkeit deutlich an; bis zu 102,1/100.000 in Spanien. In Deutschland betrug der Anstieg 10,0/100.000 über den gesamten Untersuchungszeitraum; seit 10. Mai nur noch 1,4/100.000 und war vom 7. Juni bis 19. September sogar leicht rückläufig.
In den USA dagegen war die Übersterblichkeit in diesem Zeitraum höher als in allen anderen Ländern mit hoher Corona-Sterblichkeit. Das könne man auf unterschiedliche Faktoren zurückführen, so die Autoren des Reports, etwa „die schlechte Infrastruktur im Gesundheitswesen und die dezentralisierte, inkonsistente Reaktion auf die Pandemie“.
Auf das gesamte Jahr 2020 hochgerechnet ergebe das einen Anstieg der Todesfälle um mehr als 400.000, bemerken die JAMA-Chefredakteure Dr. Howard Bauchner und Dr. Phil B. Fontanarosa in einem Editorial [3]. Diese Zahlen „spiegeln die Verluste an Menschenleben durch die ,Große Pandemie von 2020‘ wider“, schreiben die Autoren des Editorials. Das seien weit mehr als die Zahl der Todesfälle im Korea- und im Vietnam-Krieg. Die Zahl der Corona-Toten in den USA nähere sich vielmehr der Zahl der US-Amerikaner an, die im Zweiten Weltkrieg gestorben seien.
In einem weiteren Kommentar mit dem Titel „Die Opfer von COVID-19“ bezeichnet Dr. Harvey V. Fineberg, Gordon and Betty Moore Foundation, Palo Alto, Kalifornien, USA, die Daten zur Übersterblichkeit als „aufschlussreichen Gradmesser“ für die Opferzahl eines plötzlich auftretenden Ereignisses (wie der Corona-Pandemie), da die Todesrate normalerweise über einen bestimmten Zeitraum relativ stabil sei [4].
Zwei Drittel zusätzlicher Todesfälle direkt auf COVID-19 rückführbar
Anhand von Daten des National Center for Health Statistics und dem US Census Bureau hat das Team um Woolf alle Todesfälle in den USA vom 1. März bis zum 1. August 2020 untersucht. Zu den COVID-19-Todesfällen zählten sie alle Sterbefälle, bei denen COVID-19 als alleinige Todesursache oder als wesentliche zum Tod führende Erkrankung aufgeführt war.
Von den 225.530 zusätzlichen Todesfällen standen 150.541 (67%) in direktem Zusammenhang mit COVID-19. Jedoch könne auch bei zusätzlichen Todesfällen, die nicht direkt mit einer COVID-19-Infektion in Zusammenhang gebracht wurden, eine Verbindung zu dem Erreger oder zu Auswirkungen der Pandemie bestehen, so die Vermutung der Autoren. Zum einen sei eine nicht erkannte oder nicht dokumentierte Infektion denkbar; zum anderen könnten nicht infizierte Personen aufgrund einer mit der Pandemie in Zusammenhang stehenden Beeinträchtigung gestorben sein.
„Eine Erkrankung wie COVID-19 kann sowohl direkt als auch indirekt die Mortalität erhöhen“, schreibt Fineberg. Unter den Todesfällen mit indirektem COVID-19-Bezug nennt er z.B. Patienten mit Schlaganfall-Symptomatik, die aufgrund von Corona-Bedenken nicht in die Notaufnahme kamen – mit eventuell fatalen Folgen.
Eine Erkrankung wie COVID-19 kann sowohl direkt als auch indirekt die Mortalität erhöhen. Dr. Harvey V. Fineberg
Schon eine frühere Studie hatte gezeigt, dass die Zahl der Todesfälle aufgrund von Alzheimer, Diabetes und Herzerkrankungen in den Monaten März und April 2020 in den 5 Bundesstaaten mit den meisten Corona-Toten ebenfalls stark angestiegen war. Ähnliches ergab nun die aktuelle Studie: Die kardiovaskuläre Sterblichkeit ist Mitte bis Ende April signifikant gestiegen, ebenso sind die Todesfälle infolge einer Demenz im selben Zeitraum sowie von Anfang Juni bis Ende Juli signifikant gestiegen.
Die Daten zur Übersterblichkeit seien gleichermaßen „beschämend und motivierend“, schreibt Fineberg. „Erreicht eine Pandemie die gesundheitlichen, sozialen und ökonomischen Auswirkungen, wie wir sie bei COVID-19 beobachten, hat, ungeachtet der exakten Zahl der Todesfälle bis zu einem bestimmten Zeitpunkt, eine intensive, andauernde, mehrgleisige und einheitliche Reaktion für das Land oberste Priorität“, so seine Forderung.
Erreicht eine Pandemie die gesundheitlichen, sozialen und ökonomischen Auswirkungen, wie wir sie bei COVID-19 beobachten, hat … eine intensive, andauernde, mehrgleisige und einheitliche Reaktion für das Land oberste Priorität.
Julia Rommelfanger, Medscape
In den USA sind von März bis September 2020 deutlich mehr Menschen als sonst in diesem Zeitraum gestorben; 2 Drittel davon in direktem Zusammenhang mit einer COVID-19-Infektion. Insgesamt verzeichneten die USA bislang im Verhältnis zur Einwohnerzahl mehr Corona-Tote als die meisten anderen schwer von der Pandemie getroffenen Länder. Dies zeigen 2 Untersuchungen, die im Journal of the American Medical Association (JAMA) veröffentlicht worden sind [1,2].
US-Todesrate um 20 Prozent gestiegen
In der ersten Studie haben Dr. Steven H. Woolf, Department of Family Medicine and Population Health, Virginia Commonwealth University School of Medicine, Richmond, Virginia, USA, und Kollegen während eines 5-monatigen Zeitraums von März bis Juli 2020 einen Anstieg der Todesfälle um 20% im Vergleich zu den aufgrund von Zahlen aus den Vorjahren zu erwartenden Todesfällen festgestellt [1]. In New York betrug der Anstieg sogar 65%. Insgesamt sind in den USA in den 5 Monaten 225.000 mehr Menschen als in den Vorjahren gestorben.
USA verzeichnen die meisten Corona-Toten
In einer weiteren Untersuchung haben Alyssa Bilinski, Interfaculty Initiative in Health Policy, Harvard Graduate School of Arts and Sciences, Cambridge, Massachusetts, USA, und Dr. Ezekiel J. Emanuel, University of Pennsylvania Perelman School of Medicine, Philadelphia, USA, die zusätzlichen Todesfälle infolge von COVID-19 in den USA mit denen in 18 Ländern verglichen [2]. Zunächst einmal seien, so die Autoren, in den USA mehr Menschen im Zusammenhang mit dem Virus gestorben als irgendwo sonst auf der Welt.
Deutschland im mittleren Sterblichkeits-Segment
Im Vergleich mit Ländern mit unterschiedlicher COVID-19-Sterblichkeit seien die USA (60,3 COVID-19-Todesfälle pro 100.000 Menschen), Stand 19. September 2020, in die Gruppe der Länder mit hoher Sterblichkeit einzuordnen, schreiben Bilinski und Emanuel. Im niedrigen Sterblichkeitsbereich (bis zu 25 Todesfälle pro 100.000 Menschen) liegen etwa Japan (1,2/100.000) oder Australien (3,3/100.00); im mittleren Bereich etwa Österreich (8,6/100.00), Deutschland (11,3/100.000) oder Israel (14,0/100.000).
In Ländern mit hoher Sterblichkeit sind mehr als 25/100.000 Menschen infolge einer COVID-19-Infektion gestorben. Darunter fallen beispielsweise die Niederlande (36,2/100.000), Frankreich (46,6/100.000), Italien (59,1/100.000) und Spanien (65,0/100.000). Während die USA in den ersten Monaten der Pandemie noch eine geringere Mortalitätsrate als diese Länder aufwiesen, stieg in den Folgemonaten die Zahl der Toten dort, sodass sie nach Mai 2020 wesentlich höher als in allen 6 Vergleichsländern mit hoher Sterblichkeit lag.
Zwischen dem 10. Mai und dem 19. September sind etwa in Italien nur 9,1/100.000 Menschen an COVID-19 gestorben; in den USA jedoch 36,9/100.000. In 14 der untersuchten Länder lagen zudem Daten zur Gesamt-Sterblichkeit während des Beobachtungszeitraums vor. Im Großen und Ganzen folge das Muster für die Gesamtsterblichkeit dem der COVID-19-Toten, berichten Bilinski und Emanuel.
In den Ländern mit moderater COVID-19-Sterblichkeit blieb die Zahl der zusätzlichen Todesfälle über den gesamten Pandemie-Zeitraum begrenzt. In Ländern, die viele Corona-Tote zu beklagen hatten, stieg auch die Gesamtsterblichkeit deutlich an; bis zu 102,1/100.000 in Spanien. In Deutschland betrug der Anstieg 10,0/100.000 über den gesamten Untersuchungszeitraum; seit 10. Mai nur noch 1,4/100.000 und war vom 7. Juni bis 19. September sogar leicht rückläufig.
In den USA dagegen war die Übersterblichkeit in diesem Zeitraum höher als in allen anderen Ländern mit hoher Corona-Sterblichkeit. Das könne man auf unterschiedliche Faktoren zurückführen, so die Autoren des Reports, etwa „die schlechte Infrastruktur im Gesundheitswesen und die dezentralisierte, inkonsistente Reaktion auf die Pandemie“.
Auf das gesamte Jahr 2020 hochgerechnet ergebe das einen Anstieg der Todesfälle um mehr als 400.000, bemerken die JAMA-Chefredakteure Dr. Howard Bauchner und Dr. Phil B. Fontanarosa in einem Editorial [3]. Diese Zahlen „spiegeln die Verluste an Menschenleben durch die ,Große Pandemie von 2020‘ wider“, schreiben die Autoren des Editorials. Das seien weit mehr als die Zahl der Todesfälle im Korea- und im Vietnam-Krieg. Die Zahl der Corona-Toten in den USA nähere sich vielmehr der Zahl der US-Amerikaner an, die im Zweiten Weltkrieg gestorben seien.
In einem weiteren Kommentar mit dem Titel „Die Opfer von COVID-19“ bezeichnet Dr. Harvey V. Fineberg, Gordon and Betty Moore Foundation, Palo Alto, Kalifornien, USA, die Daten zur Übersterblichkeit als „aufschlussreichen Gradmesser“ für die Opferzahl eines plötzlich auftretenden Ereignisses (wie der Corona-Pandemie), da die Todesrate normalerweise über einen bestimmten Zeitraum relativ stabil sei [4].
Zwei Drittel zusätzlicher Todesfälle direkt auf COVID-19 rückführbar
Anhand von Daten des National Center for Health Statistics und dem US Census Bureau hat das Team um Woolf alle Todesfälle in den USA vom 1. März bis zum 1. August 2020 untersucht. Zu den COVID-19-Todesfällen zählten sie alle Sterbefälle, bei denen COVID-19 als alleinige Todesursache oder als wesentliche zum Tod führende Erkrankung aufgeführt war.
Von den 225.530 zusätzlichen Todesfällen standen 150.541 (67%) in direktem Zusammenhang mit COVID-19. Jedoch könne auch bei zusätzlichen Todesfällen, die nicht direkt mit einer COVID-19-Infektion in Zusammenhang gebracht wurden, eine Verbindung zu dem Erreger oder zu Auswirkungen der Pandemie bestehen, so die Vermutung der Autoren. Zum einen sei eine nicht erkannte oder nicht dokumentierte Infektion denkbar; zum anderen könnten nicht infizierte Personen aufgrund einer mit der Pandemie in Zusammenhang stehenden Beeinträchtigung gestorben sein.
„Eine Erkrankung wie COVID-19 kann sowohl direkt als auch indirekt die Mortalität erhöhen“, schreibt Fineberg. Unter den Todesfällen mit indirektem COVID-19-Bezug nennt er z.B. Patienten mit Schlaganfall-Symptomatik, die aufgrund von Corona-Bedenken nicht in die Notaufnahme kamen – mit eventuell fatalen Folgen.
Eine Erkrankung wie COVID-19 kann sowohl direkt als auch indirekt die Mortalität erhöhen. Dr. Harvey V. Fineberg
Schon eine frühere Studie hatte gezeigt, dass die Zahl der Todesfälle aufgrund von Alzheimer, Diabetes und Herzerkrankungen in den Monaten März und April 2020 in den 5 Bundesstaaten mit den meisten Corona-Toten ebenfalls stark angestiegen war. Ähnliches ergab nun die aktuelle Studie: Die kardiovaskuläre Sterblichkeit ist Mitte bis Ende April signifikant gestiegen, ebenso sind die Todesfälle infolge einer Demenz im selben Zeitraum sowie von Anfang Juni bis Ende Juli signifikant gestiegen.
Die Daten zur Übersterblichkeit seien gleichermaßen „beschämend und motivierend“, schreibt Fineberg. „Erreicht eine Pandemie die gesundheitlichen, sozialen und ökonomischen Auswirkungen, wie wir sie bei COVID-19 beobachten, hat, ungeachtet der exakten Zahl der Todesfälle bis zu einem bestimmten Zeitpunkt, eine intensive, andauernde, mehrgleisige und einheitliche Reaktion für das Land oberste Priorität“, so seine Forderung.
Erreicht eine Pandemie die gesundheitlichen, sozialen und ökonomischen Auswirkungen, wie wir sie bei COVID-19 beobachten, hat … eine intensive, andauernde, mehrgleisige und einheitliche Reaktion für das Land oberste Priorität.
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