Dienstag, 24. Mai 2022
Der Ukraine-Krieg und die Linke - wird auf einmal alles anders?
Unterstützung von Friedensbewegung und Traditionslinken für Putin, oder abgeschwächt eine die exzessive Gewalttätigkeit und den neoimperialistischen Charakter des russischen Aggressors relativierende Sichtweise, ebenso wie eine Gleichsetzung der militärischen Unterstützung für die Ukraine oder der Rekrutierung von Freiwilligenverbänden mit der Anti-Hitler-Koalition oder den Internationalen Brigaden gegen Franco sind weniger situationsadäquate Verhaltensweisen, als eher Ausdruck der Sehnsucht der Intellektuellen nach dem Einfachen.

"Abschied von gestern" titelt die Maiausgabe von konkret in dem Zusammenhang und meint nicht den Film von Alexander Kluge, sondern die Postulation, dass die Linke im Westen sich nun endgültig in die Affirmation des Bestehenden zurückziehen würde.

Differenzierter und wahrer sind da die im gleichen Heft vorgenommenen Überlegungen von Felix Bartels:

"Wo die Kraft, einen Komplex von Widersprüchen als gesamten zu beleuchten, nicht mehr aufgebracht wird, konzentriert man sich darauf, innerhalb des Komplexes Punkte zu finden, an die man sich halten kann. Dann hält man eben zu Russland, erinnert an den vom Westen forcierten Regime Change in Kiew, die Aufrüstung durch das Pentagon seit 2014, Tausende ziviler Opfer in der Ostukraine seither, die Einbindung faschistischer Gruppen in den Staatsapparat und die Unterdrückung der Opposition durch die Regierung Selenskiy. Oder man hält zur NATO, betont demgemäß den russischen Machtanspruch gegenüber den ehemaligen Sowjetrepubliken, die Finanzierung der ost-ukrainischen Milizen, die Annexion der Krim, die Unterdrückung der russischen Opposition und die Desinformationskampagnen in Europa.

Imperialismus ist nicht die Eigenschaft einer Seite, sondern ein Verhältnis der Seiten, wird nicht durch einen Staat in die Welt hineingetragen, sondern entsteht unvermeidlich im Kampf von Staaten um Käufer, Arbeitskräfte, Einflussgebiete und Rohstoffe.

- Daran zu erinnern hat nichts mit Äquidistanz zu tun. Die bedeutet Unentschiedenheit, Abhnängigkeit von den gegebenen Stellungen, zwischen denen man zaghaft den eigenen Standort ausmittelt. Drüberstehen ist nicht Äquidistanz, eine Kritik aufs Ganze auch nicht.

Man müsse, heißt es, prüfen, ob der Antiimperialismus noch zeitgemäß ist. Ich denke, nach Jahrzehnten folkloristischer und friedensbewegter Deformation sollte man ihn überhaupt erst wieder lernen, seine innere Architektur begreifen."


In dem Zusammenhang verwundert es nicht, sondern ist eher zwangsläufig, dass die Materialien für einen neuen Antiimperialismus die überzeugendste und stringenteste, sich auf die wirklichen Wirtschaftsstrukturen und Klassenverhältnisse in Russland beziehende Analyse haben:

"EURASISMUS IN RUSSLAND
EIN BEITRAG ZUR POPULISMUS-DISKUSSION
Peter Bomann
2016
Was haben die alten kommunistischen Staatseliten in der SU bzw. Russland aus Militär, Geheimdiensten, Polizei und Partei an die geistige Leerstelle des staatsoffiziellen Marxismus-Leninismus gesetzt? Was steckt hinter der offensiven Linie, die seit dem Beginn der dritten Amtsperiode Putins zur Krim-Annektion, dem Krieg gegen die Ukraine und zum Eingreifen in
Syrien geführt hat?

Das interessiert nicht nur zur Einschätzung der Außen- und Innenpolitik Russlands, sondern auch, weil bestimmte Abteilungen des Kreml eine ideologische Durchdringung, wenn nicht sogar Hegemonie bei der radikalen Rechten Europa etabliert haben.

Und weil diese europäischen Rechte ?revolutionäre? Programmvorstellungen wie z. B. die Abkopplung Europas vom US-dominierten ?Westen?, eine rassistische Grenz- und Migrationspolitik bis hin zu Einschränkungen bestimmter Freiheitsrechte in ganz Europa ernsthaft anstrebt; und sich in einigen Ländern entsprechende Regierungswechsel schon vollzogen haben, vom Brexit zu schweigen. Die Auswirkungen auf die sozialen Kämpfe hier und anderswo mit neuen Polarisierungen sind erheblich. In Deutschland können Erscheinungen wie der Aufstieg und die Spaltungen der AfD, Elsässers Compact sowie der Mob auf Straßen und im Internet kaum ohne Hilfestellung aus Moskau erklärt werden. All das sind Krisenphänomene, die Bruchlinien im globalen System deutlich werden lassen.

Gibt es also eine Gesamtkonzeption hinter dem russischen Vorgehen in der Globalpolitik?

Ja, es gibt sie, eine ausgewiesene geopolitische Vision von Teilen der russischen Staatselite, die ihr das Selbstbewusstsein für ihre Kriege nach innen und außen verleiht.

Aus hiesiger Sicht würden manche im Vorgehen Russlands eine defensive Reaktion auf das unbe-kümmerte Vordringen der NATO und EU durch Osterweiterung, auf die Brzezińskischen Ideen für die ?eine? Weltmacht zur Zerschlagung der Gegenmacht Russland auf die Technologie-Offensive des US-Kapitals, die Finanzmacht der Wallstreet und der US-Zentralbank sehen. Also es eher als geopolitische Antwort auf Machtverlust und auf die große Kränkung durch den Untergang der ehem. Sowjetunion lesen. Sie können auf den zweiten Weltkrieg mit Millionen Opfern und auf die Fortsetzung des alten geopolitischen Konflikts im kalten Krieg verweisen, der auf das Konto des US-Imperialismus gehe, während vom sowjetischen und nunmehr russischen Imperialismus keine Rede zu sein braucht.

Wesentliche Teile der russischen Eliten denken wie Putin mit seinem Spruch über?die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts?. Das wäre auch die klassische Denkrichtung der Traditionslinken in Deutschland. Dagegen würden diverse Gruppen der radikalen Linken diese Ursachenbeschreibung in Frage stellen und mit der kontinuierliche Krise der Produktivität in der gesamten russischen Gesellschaft argumentieren. Sie halten das Ausblenden der
russischen Aggressionen, auch wenn es gegen das westliche, dominante Kapital geht, für einen politischen Fehler. Der Feind unseres Feindes ist nicht unser Freund, das hat die Geschichte des Stalinismus erwiesen. Wir halten auch die Grundeinschätzung der Traditionslinken für falsch, dass die russische Außenpolitik eine direkte Antwort auf die militärischen und geopolitischen Bedingungen sei, sondern meinen, dass zuerst einmal die innere Lage in Russland betrachtet werden sollte. Dort ist eine sozial blockierte Situation zu beobachten, in deren Zentrum die Angst vor sozialen Unruhen steht und eine Unfähigkeit, mit der Widerständigkeit der Klasse fertig zu werden und Rechtssicherheit, strukturelle Innovationen und Wirtschaftswachstum aus junger Elitensubjektivität und aggressiver Neuordnung der sozialen nterwerfung statt aus Rohstoffverkauf hervorzubringen. Ausführlich wurde der analytische Grundansatz, sich auf die inneren Kämpfe und sozialen Renitenzen in der sowjetischen Gesellschaft zu beziehen und von daher die Krisenentwicklung im Inneren und Konsequenzen in der Außenpolitik zu erklären, bereits vor über 20 Jahren in der Zeitschrift
?MATERIALIEN FÜR EINEN NEUEN ANTIMPERIALISMUS ? entwickelt, an den wir hier anschließen können.

Das Sozialmodell der Sowjetunion besteht zwar nicht mehr, aber dennoch haben sich wesentliche Haltungen in der Bevölkerung, deren Resistenzformen einerseits wie auch die Verhaltensweisen z.B. von Betriebsleitungen und Bürokratien in Teilen der Gesellschaft erhalten."


Hier hätte eine Debatte zur Anatomie des Konfliktes anzusetzen, die der Höhe der Zeit und der Komplexität der Materie entspricht.


https://materialien.org/das-ende-des-sowjetischen-entwicklungsmodells/

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Sommergrippe derzeit größeres Risiko als Covid 19?
?Die virologische Surveillance zeigt, dass neben dem noch anhaltenden COVID-19-Geschehen aktuell Influenza-Infektionen, insbesondere bei Kindern in der Altersgruppe 5 bis 14 Jahre, weiterhin die ARE-Aktivität mitbestimmen und in den Altersgruppen der Kinder aktuell häufiger diagnostiziert werden als SARS-CoV-2-Infektionen?, schreibt das RKI im aktuellen Wochenbericht.

?Bei Auftreten von Symptomen einer neu auftretenden Atemwegserkrankung wie z.B. Schnupfen, Halsschmerzen oder Husten wird ? unabhängig vom Impfstatus und auch bei negativem COVID-19-Testergebnis ? dringend empfohlen, Kontakte zu meiden und bei Bedarf die hausärztliche Praxis zu kontaktieren.?

Anders ist die Sachlage in den USA, wie Medscape berichtet . Laut der American Academy of Pediatrics und der Children?s Hospital Association scheint die Inzidenz bei Kindern an Fahrt zu gewinnen. Die Zahl der Neuerkrankungen lag in der Woche vom 6. bis 12. Mai bei über 93.000, verglichen mit 62.000 in der Vorwoche.

Der jüngste Aufwärtstrend ist auch in Daten der Centers of Disease Control and Prevention (CDC) zu erkennen. Demnach ist die wöchentliche Rate an Neuinfektionen bei Kindern im Alter von 0 bis 14 Jahren von 35 pro 100.000 am 26. März auf 102 pro 100.000 am 7. Mai angestiegen. Kinder im Alter von 0 bis 14 Jahren sind am häufigsten betroffen.


US-Experten spekulieren über mehrere potenzielle Gefahren in den nächsten Monaten.

Die evolutionäre Entwicklung von SARS-CoV-2 beschleunigt sich weiter; neue Mutationen treten auf.

Neue Varianten sind besser in der Lage, der Immunität zu entgehen.

Ihre Übertragbarkeit und Infektiosität sind höher.

Impfstoffe und Auffrischungsimpfungen bieten bei neuen Varianten weniger Schutz vor einer Übertragung als bei bisherigen Varianten.

Menschen mit Immunität, die nicht geimpft wurden, sind stärker denn je gefährdet.

Was ist jenseits der Impfstoffforschung zu tun? ?Die Diskussion über Masken und über Instrumente der öffentlichen Gesundheit muss neu ausgerichtet werden?, erklärt CDC-Direktor Dr. Tom Frieden. ?Masken sind ein kostengünstiges, lebensrettendes Instrument, das dazu beitragen kann, die Ausbreitung anderer Infektionskrankheiten, nicht nur von COVID, einzudämmen.? Viele Lehren aus der Pandemie könnten jetzt weiterentwickelt werden, um die Ausbreitung von Krankheiten kontinuierlich zu kontrollieren und um die Welt gesünder zu machen.

Einrichtungsbezogene Impfpflicht: Naht das Ende?
Impfungen schützen gegen Infektionen, nur lehnen auch viele Angestellten im Gesundheitswesen Vakzine gegen COVID-19 ab. Mittlerweile hat das Bundesverfassungsgericht die einrichtungsbezogene Impfpflicht bestätigt (Medscape hat im Blog darüber berichtet). Dennoch kommt keine Ruhe in die Thematik.

Zwar sei die Teil-Impfpflicht unter den Bedingungen einer gefährlichen Virusvariante geboten, sagt Unions-Fraktionsvize Sepp Müller (CDU). ?Angesichts der milderen Verläufe durch Omikron und der nach wie vor vielen offenen Fragen bei der praktischen Umsetzung muss aber geprüft werden, ob die einrichtungsbezogene Impfpflicht noch angemessen und verhältnismäßig ist.?

Müller geht es vor allem um Schwierigkeiten bei der Umsetzung. Er will Details über eine parlamentarische Anfrage klären. ?Fallen die Antworten weiter unbefriedigend aus, werden wir uns als Union für eine Aussetzung der Impfpflicht ernsthaft mit der Ampel unterhalten?, erklärt der Christdemokrat.

Long-COVID: Welche Rolle spielen virale Reservoirs im Körper?
Wissenschaftlern gibt Long-COVID immer noch zahlreiche Rätsel auf. In einem redaktionellen Übersichtsbeitrag in Nature geht Heidi Ledford der Frage nach, welche Rolle Bruchstücke von SARS-CoV-2 im Körper spielen könnten.

2 Jahre nach Beginn der Pandemie häufen sich die Belege, dass Teile von SARS-CoV-2 nach einer Erstinfektion monatelang im Darm verbleiben. ?Die Ergebnisse tragen zu einem wachsenden Pool von Beweisen bei, die die Hypothese stützen, dass hartnäckige Virusstücke ? Coronavirus-?Geister? ? ? zu dem mysteriösen Zustand namens Long- COVID beitragen könnten?, so die Autorin.

https://deutsch.medscape.com/artikelansicht/4911194?uac=389796AZ&faf=1&sso=true&impID=4268485&src=WNL_mdplsfeat_220523_mscpedit_de#vp_2

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