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Dienstag, 28. November 2023
Portrait eines Geflüchteten: Majid Farhadi*
che2001, 12:34h
Abschiebungen aus Deutschland in Dublin-Vertragsstaaten (wie Frankreich) sind alltäglich: Im ersten Halbjahr 2023 hat es 273 Abschiebungen allein nach Frankreich gegeben. Was das im Einzelfall für die Betroffenen bedeutet, macht der nachfolgende, eindringliche Ausschnitt aus der Lesung „Der helle Horizont“ von Hanna Legatis und Martin-G. Kunze deutlich, mit dem die beiden derzeit in verschiedenen deutschen Städten auf Tour sind.
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„Heute Abend protestieren wir!“ Der Aufruf verbreitet sich schnell in der kleinen Stadt Oschnaviyeh und hunderte folgen ihm. Geschehen im September vor einem Jahr. Die junge Kurdin Mahsa Amini ist da gerade einige Tage tot.
Oschnaviyeh liegt ganz im Nordwesten des Iran. Hier leben überwiegend Kurdinnen und Kurden. Gegen 21 Uhr strömen die Menschen nach draußen. Kaum sind sie auf den Straßen, werden sie beschossen. Von örtlichen Polizisten mit Schrotflinten und von Scharfschützen. Die Schrot-Munition reißt schlimme Wunden, kann tödlich sein. Vier Menschen sterben sofort, einer ist gerade 16.
„Ich sehe noch immer sein Gesicht vor mir. Warum konnte ich nichts für ihn tun?“
Das fragt sich Majid Farhadi* – bis heute. Als Medizinstudent war er mit ein paar anderen Freiwilligen zu den Demonstranten geeilt, um Verletzten zu helfen. „Rote Sonne“ nennen sie sich, ähnlich dem „Roten Kreuz“ oder dem „Roten Halbmond“. Nur eben mit dem kurdischen Symbol der Sonne.
Majid Farhadi und seine Freunde können einige der Verwundeten versorgen. Bei den Demonstranten wächst derweil die Wut, sie stürmen auf das Polizeirevier zu. Die Beamten verbarrikadieren sich.
Jede Nacht versammeln sich von da an tausende auf den Straßen von Oschnaviyeh und protestieren. Jede Nacht werden es mehr. Und dann geschieht etwas Ungeheuerliches: Die Polizisten, alle Sicherheitskräfte geben auf.
„Man konnte die Angst in ihren Gesichtern sehen. Sie stiegen einfach in ihre Autos und fuhren weg.“ berichtet Majid Farhadi.
„Oschnaviyeh ist frei!“ Über die sozialen Medien verbreitet sich diese Botschaft im Nu. Der Traum vom Ende des Gewaltregimes ist plötzlich ganz nah, der Traum vom Frieden. Deshalb kommt es für die Menschen auch gar nicht in Frage, selber zu irgendwelchen Waffen zu greifen. Außerdem, so ergänzt Majid Farhadi, seien gerade Kurdinnen und Kurden von allen iranischen Regierungen schon immer brutal verfolgt und des bewaffneten Widerstands, des Terrorismus verdächtigt worden. „Wir wollten ihnen keinen Vorwand liefern, uns noch stärker zu unterdrücken.“
Die Freiheit in Oschanaviyeh dauert nur anderthalb Tage. Dann rückt eine Kolonne gepanzerter Fahrzeuge ein, Revolutionsgardisten und Polizisten verhaften auf einen Schlag 1008 Menschen. Auch Majid Farhadi.
Drei Wochen wird er in eine Einzelzelle gesperrt, in einem der sog. Geheimgefängnisse. Das sind – neben den offiziellen Haftanstalten – unter anderem leerstehende Gebäude, Lagerhallen, Keller von Moscheen. Revolutionsgardisten nutzen diese Räume als Folterzentren. Benachbarten Anwohnern soll verborgen bleiben, was dort geschieht.
Majid Farhadi wird heftig geschlagen, auf den Kopf, ins Gesicht, in den Bauch, auf seinen PeniFarhadi Die Milizionäre hängen ihn an der Decke auf, nur seine Zehenspitzen berühren den Boden. Tagelang verhören sie ihn so, halten ein Feuerzeug an seinen Leib und verbrennen seine Körperhaare. Mit einem Schlagstock in seinem After vergewaltigen sie ihn, drohen, ihn zu kastrieren. Irgendwann kann er nicht mehr schreien. „Ich war wie gelähmt, ich habe lediglich lautlos geweint.“
Auf Kaution wird er endlich freigelassen – vorrübergehend. Sofort engagiert er sich erneut, hilft, ein Versorgungs-Netz für verletzte Demonstranten aufzubauen. Als sein Prozess näher rückt und die Situation für ihn immer bedrohlicher wird, entscheidet er sich, aus dem Iran zu fliehen.
Auf gefährlichen Wegen, mit Hilfe von Freunden gelingt es ihm, mehrere Landesgrenzen zu überwinden. Schließlich erreicht er Deutschland.
Auf unsere Frage, wie er die Folter überleben konnte, antwortet er: „Ich habe es geschafft, Widerstand zu leisten.“
In Hamburg findet er Schutz bei seinem Bruder, Ärzte beginnen mit einer Behandlung seiner Verletzungen. Die körperlichen Wunden heilen allmählich, das Trauma bleibt.
In der Zeit, es ist Mitte September 2023, bekommen wir Kontakt zu Majid Farhadi. Trotz all der Einschüchterung, all der Schmerzen, die er erlitten hat, erleben wir ihn als sehr offen und zugewandt. Obwohl wir ganz verschiedene Sprachen sprechen und in verschiedenen Städten leben. Mit digitalen Übersetzungshilfen tasten wir uns aneinander heran und fragen ihn, wie es ihm mittlerweile in Europa geht:
„Ich habe das Gefühl, dass ich mir keine Sorgen mehr über das Sterben machen muss“
Majid Farhadi beantragt Asyl in Deutschland. Aber die Behörden wollen ihn nach Frankreich abschieben. Dublin-Verfahren… Sofort legt er Widerspruch ein. Die Abschiebung wird ausgesetzt – wegen seines katastrophalen Gesundheitszustands. Er erhält eine Duldung.
Dann bekommt er einen Termin bei der Hamburger Ausländerbehörde, um seine Ausweispapiere zu verlängern. Kaum hat er das Amtszimmer betreten, nehmen Sicherheitskräfte ihn fest, setzen ihn in einen Bus nach Frankreich und konfiszieren sein Handy. Er darf weder seinen Anwalt noch seinen Bruder anrufen.
Angst überfällt ihn, er gerät in Panik. Die Sicherheitskräfte gehen körperlich gegen ihn vor, halten ihn fest und verdrehen sein Handgelenk. Der Schmerz ist so stark, dass er um einen Arzt bittet. Ohne Erfolg. „Egal was ist – wir bringen Dich nach Frankreich!“ lautet stattdessen die Antwort.
In Frankreich haben Freunde Majid Farhadi jetzt einen Schlafplatz besorgt, sein Anwalt kämpft darum, dass er nach Deutschland zurückkehren darf.
„Das Mullah-Regime freut sich über meine Abschiebung aus Deutschland. Die deutsche Regierung ist sich bewusst, dass die Islamische Republik größter Unterstützer und Geldgeber der Terrorgruppe Hamas ist, die ganz Israel und Palästina in eine humanitäre Katastrophe gestürzt hat. Meine Abschiebung hilft der Islamischen Republik nun, kurdische Menschen zu unterdrücken.“
Wieder ist Majid Farhadis Zukunft völlig ungewiss. Seine Überzeugung allerdings keineswegs:
„Meine Abschiebung sorgt nicht dafür, dass es in Deutschland einen Flüchtling weniger gibt – sie kommt dem Knebeln meiner Stimme gleich. Aber ich bin sicher, dass das Regime im Iran fallen wird. Und ich werde nie daran zweifeln.“
* Name geändert
https://www.nds-fluerat.org/57875/aktuelles/portrait-eines-gefluechteten-majid-s/
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„Heute Abend protestieren wir!“ Der Aufruf verbreitet sich schnell in der kleinen Stadt Oschnaviyeh und hunderte folgen ihm. Geschehen im September vor einem Jahr. Die junge Kurdin Mahsa Amini ist da gerade einige Tage tot.
Oschnaviyeh liegt ganz im Nordwesten des Iran. Hier leben überwiegend Kurdinnen und Kurden. Gegen 21 Uhr strömen die Menschen nach draußen. Kaum sind sie auf den Straßen, werden sie beschossen. Von örtlichen Polizisten mit Schrotflinten und von Scharfschützen. Die Schrot-Munition reißt schlimme Wunden, kann tödlich sein. Vier Menschen sterben sofort, einer ist gerade 16.
„Ich sehe noch immer sein Gesicht vor mir. Warum konnte ich nichts für ihn tun?“
Das fragt sich Majid Farhadi* – bis heute. Als Medizinstudent war er mit ein paar anderen Freiwilligen zu den Demonstranten geeilt, um Verletzten zu helfen. „Rote Sonne“ nennen sie sich, ähnlich dem „Roten Kreuz“ oder dem „Roten Halbmond“. Nur eben mit dem kurdischen Symbol der Sonne.
Majid Farhadi und seine Freunde können einige der Verwundeten versorgen. Bei den Demonstranten wächst derweil die Wut, sie stürmen auf das Polizeirevier zu. Die Beamten verbarrikadieren sich.
Jede Nacht versammeln sich von da an tausende auf den Straßen von Oschnaviyeh und protestieren. Jede Nacht werden es mehr. Und dann geschieht etwas Ungeheuerliches: Die Polizisten, alle Sicherheitskräfte geben auf.
„Man konnte die Angst in ihren Gesichtern sehen. Sie stiegen einfach in ihre Autos und fuhren weg.“ berichtet Majid Farhadi.
„Oschnaviyeh ist frei!“ Über die sozialen Medien verbreitet sich diese Botschaft im Nu. Der Traum vom Ende des Gewaltregimes ist plötzlich ganz nah, der Traum vom Frieden. Deshalb kommt es für die Menschen auch gar nicht in Frage, selber zu irgendwelchen Waffen zu greifen. Außerdem, so ergänzt Majid Farhadi, seien gerade Kurdinnen und Kurden von allen iranischen Regierungen schon immer brutal verfolgt und des bewaffneten Widerstands, des Terrorismus verdächtigt worden. „Wir wollten ihnen keinen Vorwand liefern, uns noch stärker zu unterdrücken.“
Die Freiheit in Oschanaviyeh dauert nur anderthalb Tage. Dann rückt eine Kolonne gepanzerter Fahrzeuge ein, Revolutionsgardisten und Polizisten verhaften auf einen Schlag 1008 Menschen. Auch Majid Farhadi.
Drei Wochen wird er in eine Einzelzelle gesperrt, in einem der sog. Geheimgefängnisse. Das sind – neben den offiziellen Haftanstalten – unter anderem leerstehende Gebäude, Lagerhallen, Keller von Moscheen. Revolutionsgardisten nutzen diese Räume als Folterzentren. Benachbarten Anwohnern soll verborgen bleiben, was dort geschieht.
Majid Farhadi wird heftig geschlagen, auf den Kopf, ins Gesicht, in den Bauch, auf seinen PeniFarhadi Die Milizionäre hängen ihn an der Decke auf, nur seine Zehenspitzen berühren den Boden. Tagelang verhören sie ihn so, halten ein Feuerzeug an seinen Leib und verbrennen seine Körperhaare. Mit einem Schlagstock in seinem After vergewaltigen sie ihn, drohen, ihn zu kastrieren. Irgendwann kann er nicht mehr schreien. „Ich war wie gelähmt, ich habe lediglich lautlos geweint.“
Auf Kaution wird er endlich freigelassen – vorrübergehend. Sofort engagiert er sich erneut, hilft, ein Versorgungs-Netz für verletzte Demonstranten aufzubauen. Als sein Prozess näher rückt und die Situation für ihn immer bedrohlicher wird, entscheidet er sich, aus dem Iran zu fliehen.
Auf gefährlichen Wegen, mit Hilfe von Freunden gelingt es ihm, mehrere Landesgrenzen zu überwinden. Schließlich erreicht er Deutschland.
Auf unsere Frage, wie er die Folter überleben konnte, antwortet er: „Ich habe es geschafft, Widerstand zu leisten.“
In Hamburg findet er Schutz bei seinem Bruder, Ärzte beginnen mit einer Behandlung seiner Verletzungen. Die körperlichen Wunden heilen allmählich, das Trauma bleibt.
In der Zeit, es ist Mitte September 2023, bekommen wir Kontakt zu Majid Farhadi. Trotz all der Einschüchterung, all der Schmerzen, die er erlitten hat, erleben wir ihn als sehr offen und zugewandt. Obwohl wir ganz verschiedene Sprachen sprechen und in verschiedenen Städten leben. Mit digitalen Übersetzungshilfen tasten wir uns aneinander heran und fragen ihn, wie es ihm mittlerweile in Europa geht:
„Ich habe das Gefühl, dass ich mir keine Sorgen mehr über das Sterben machen muss“
Majid Farhadi beantragt Asyl in Deutschland. Aber die Behörden wollen ihn nach Frankreich abschieben. Dublin-Verfahren… Sofort legt er Widerspruch ein. Die Abschiebung wird ausgesetzt – wegen seines katastrophalen Gesundheitszustands. Er erhält eine Duldung.
Dann bekommt er einen Termin bei der Hamburger Ausländerbehörde, um seine Ausweispapiere zu verlängern. Kaum hat er das Amtszimmer betreten, nehmen Sicherheitskräfte ihn fest, setzen ihn in einen Bus nach Frankreich und konfiszieren sein Handy. Er darf weder seinen Anwalt noch seinen Bruder anrufen.
Angst überfällt ihn, er gerät in Panik. Die Sicherheitskräfte gehen körperlich gegen ihn vor, halten ihn fest und verdrehen sein Handgelenk. Der Schmerz ist so stark, dass er um einen Arzt bittet. Ohne Erfolg. „Egal was ist – wir bringen Dich nach Frankreich!“ lautet stattdessen die Antwort.
In Frankreich haben Freunde Majid Farhadi jetzt einen Schlafplatz besorgt, sein Anwalt kämpft darum, dass er nach Deutschland zurückkehren darf.
„Das Mullah-Regime freut sich über meine Abschiebung aus Deutschland. Die deutsche Regierung ist sich bewusst, dass die Islamische Republik größter Unterstützer und Geldgeber der Terrorgruppe Hamas ist, die ganz Israel und Palästina in eine humanitäre Katastrophe gestürzt hat. Meine Abschiebung hilft der Islamischen Republik nun, kurdische Menschen zu unterdrücken.“
Wieder ist Majid Farhadis Zukunft völlig ungewiss. Seine Überzeugung allerdings keineswegs:
„Meine Abschiebung sorgt nicht dafür, dass es in Deutschland einen Flüchtling weniger gibt – sie kommt dem Knebeln meiner Stimme gleich. Aber ich bin sicher, dass das Regime im Iran fallen wird. Und ich werde nie daran zweifeln.“
* Name geändert
https://www.nds-fluerat.org/57875/aktuelles/portrait-eines-gefluechteten-majid-s/
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