Donnerstag, 17. Oktober 2024
Zum Stand der sicherheits- und asylpolitischen Debatte
Beitrag von Dr. Thomas Hohlfeld, MdB.

"Liebe Interessierte,

morgen früh stellt die Ampel-Koalition ihr Un-Sicherheitspaket zur Abstimmung. Die Debatte läuft ab 9 Uhr.

DIE LINKE stellt dem einen Entschließungsantrag zur Verteidigung des individuellen Asylrechts, zur Bekämpfung von Fluchtursachen statt Flüchtlingen und zur sofortigen Aufhebung der unionsrechtswidrigen Grenzkontrollen entgegen. Ich habe diesen Antrag, der auch auf die unsägliche Debatte zum Asyl- und Migrationsrecht seit "Solingen" eingeht, zur Kenntnis angehangen. Er ist auch hier verfügbar:
https://dserver.bundestag.de/btd/20/134/2013414.pdf

Nach jetzigem Stand wird es (mindestens) neun (!) namentliche Abstimmungen zum Thema geben: Neben den beiden Gesetzentwürfen der Ampel sollen auch diverse Entschließungs- und Änderungsanträge der Union und der AfD namentlich abgestimmt werden. Ich kann mich gar nicht erinnern, ob es jemals schon einmal eine solche Anzahl von namentlichen Abstimmungen zu einem einzigen Thema im Bundestag gegeben hat - der Vorgang illustriert, wie grotesk das Asylthema zur Polarisierung der Gesellschaft und zu Wahlkampfzwecken politisch "hochgezogen" wird.

Während die Koalition durch namentliche Abstimmungen mögliche "AbweichlerInnen" in den eigenen Reihen "disziplinieren" will, möchte die Union die Ampel vorführen, indem sie auf einzelne Stimmen aus den Reihen der FDP für ihre Anträge hofft. Und die AfD hat die Abstimmung ohnehin schon "gewonnen", bestimmt sie mit ihren radikalen Forderungen doch längst den Diskurs und das Handeln der politischen Akteure in Regierung und Opposition.

Wie sehr die Union in der Asylpolitik inzwischen deckungsgleich mit der AfD ist, lässt sich beispielhaft an diesen Entschließungsanträgen nachvollziehen:
https://dserver.bundestag.de/btd/20/134/2013415.pdf (ein Sammelsurium an allen Verschärfungen, die die Union in der letzten Zeit gefordert hat) und:
https://dserver.bundestag.de/btd/20/134/2013417.pdf (ein Antrag zur Umsetzung der Forderung von Merz, das EU-Asylrecht auszusetzen und alle Schutzsuchenden zurückzuweisen, im Wortlaut: "Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung daher zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und zum Schutz der inneren Sicherheit in Deutschland im Sinne von Artikel 72 AEUV auf, gemäß Artikel 16a Absatz 2 GG und § 18 Absatz 2 Asylgesetz umfassende Zurückweisungen von Personen ohne Recht zur Einreise vorzunehmen").
Dass die Union an dieser Forderung festhält, obwohl Deutschland erst am Dienstag wegen der Zurückweisung eines Syrers (ohne vorherige individuelle Prüfung möglicher Gefährdungen und ohne effektiven Rechtsschutz) vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt wurde (Urteil anbei), ist bemerkenswert und zeigt erneut, wie sehr die Union inzwischen dazu bereit ist, geltendes internationales und EU-Recht und verbindliche Rechtsprechung zu ignorieren - ganz nach ungarisch/polnischem Vorbild...

In der gestrigen Innenausschuss-Sitzung ließ sich auch durch mehrfaches Nachfragen leider nicht herausfinden, wie genau sich das BMI die "freiwillige" Ausreise / Selbstüberstellung mit "Laissez-passer"-Papieren vorstellt und ob sie davon ausgeht, dass auf einmal eine große Rücknahmebereitschaft der anderen Mitgliedstaaten vorliegen wird, wenn Deutschland die Geflüchteten nicht per Abschiebeflug sondern per Ausreisepapier auf die Rückreise schicken will...
Nur so viel:
Die SPD war der Meinung, dass "Leistungsausschluss" ein falscher Begriff sei, denn ein Leistungsanspruch bestehe ja - in Europa...
Die CDU/CSU war der Meinung, die Leistungskürzungen [sie sprach von "Kürzungen", obwohl es ein Ausschluss ist, egal] seien nicht wirksam, weil nun das BAMF im Einzelfall prüfen müsse.
Die FDP meinte hingegen, die geplante Regelung bleibe auch nach dem Änderungsantrag im Wesentlichen so, wie sie ursprünglich eingebracht wurde, denn das BAMF prüfe die Möglichkeit der Ausreise immer zugleich mit dem Dublin-Bescheid (siehe dazu meine letzte Rundmail).
Während die AfD die "Kürzungen" (s.o.) begrüßte ("wird auch Zeit"), kritisierten die Grünen, dass eine Verelendung von Menschen schon aus Sicherheitsgründen nicht gewollt sein könne (obwohl sie ja genau das mitbeschlossen haben - es gab keine Gegenstimmen in den Reihen der Ampel im Ausschuss).

Allein die LINKE widersprach der geplanten Ausschluss-Regelung, auch mit Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die aber - wie schon mal dargelegt - in der Gesetzesbegründung mit keinem einzigen Wort erwähnt wird.

Die Beschlussempfehlung des Innenausschusses (inklusive des Änderungsantrags der Koalition) zum Un-Sicherheitspaket findet sich hier: https://dserver.bundestag.de/btd/20/134/2013413.pdf.

Es gab noch einen kleinen "Eklat" im Innenausschuss: Die Ampelfraktionen haben mit ihrer Mehrheit verhindert, dass die Union ihre Anträge zum Thema debattieren und im Ausschuss abstimmen lassen konnte - inhaltlich ist das nicht schade, aber zugleich ein zutiefst undemokratisches Vorgehen, das die Rechte der Opposition massiv verletzt (nicht de jure, aber in der Sache). Die Anträge der Union wurden auch in den Wochen zuvor schon von der Tagesordnung gestimmt - da hieß es zur Begründung noch, die Anträge sollten zusammen mit den Gesetzentwürfen der Ampel debattiert werden. Jetzt lautete die (absurde) Begründung, dass die gesellschaftliche zum Thema ja noch andauere und dass insbesondere die FDP prüfen wolle, ob man den einen oder anderen Vorschlag der Union noch aufnehmen könne.
In Wahrheit wollte die Ampel verhindern, dass einzelne Abgeordnete der FDP den Anträgen der Union zustimmen - mit dem Ergebnis, dass die Unionsanträge nahezu wortgleich noch einmal als Entschließungsanträge ins Plenum eingebracht wurden und es jetzt erst recht namentliche Abstimmungen dazu geben wird (siehe oben)...

Soweit der heutige Bericht aus dem Tollhaus.

Beste Grüße
Thomas Hohlfeld

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Thomas Hohlfeld
Referent für Migrationspolitik

Gruppe Die Linke im Bundestag"

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