Drei Genossinnen von mir hatten sich kurzfristig auf einer Baustelle als Handlangerinnen verdingt. Ihnen gefiel die Arbeit, war zwar ein Knochenjob, sie nahmen den aber sportlich und fanden es nett, von den Bauarbeitern angehimmelt oder doch zumindest mit Komplimenten versorgt zu werden. Doch eines Tages bestellte der Chef sie zu sich und meinte, man müsste sich voneinander trennen, sie gefährdeten den Arbeitsfortschritt auf der Baustelle. Wieso, entgegneten sie, sie arbeiteten doch fleißig, das Klima wäre auch sehr kollegial, wo läge denn das Problem. Der Chef druckste ziemlich lange herum, dann meinte er, das Problem bestehe darin, dass die Bauarbeiter eine bestimmte Sorte von Kalksandsteinen, die in der Mitte ein sphärisch-ovales Loch hätten wegen der Form dieses Lochs als <frauenfeindliches Wort mit F> bezeichneten. Da sie alle bemüht seien, die drei Ladies höflich zu behandeln, sei es nicht mehr möglich, laut über die Baustelle "Günter, bring mal ne Karre mit ****** rüber!" zu brüllen, und deshalb kämen die Steine nicht an ihren Platz.
Meine Gesprächspartnerin ging ziemlich hoch und meinte, so ein abgefahrener durchgeknallter Kram hätte doch überhaupt nichts mit feministischen Diskursen zu tun. Ich machte damals Marketing für ein Unternehmen der Bauindustrie und antwortete "Wie sich Bauarbeiter gegenüber Frauen verhalten, hat mit meinem momentanen Leben sehr viel mehr zu tun als die von Dir angesprochenen Diskurse!" Und sie meinte dann: "Cut. Da weiß ich nicht mehr weiter."
Bis heute fällt mir dazu auch keine Lösung ein, finde aber den grobschlächtigen Sprachgebrauch viel harmloser als komplexe sexistische Zuschreibungsmuster "von oben", und meine Genossinnen fanden das eher abgefahren-komisch als bedrohlich.
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Karl Marx
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Solche Familienszenen liebe ich.
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Nicht alle gönnen mir immer diese Neigung zum Luxusgastrokonsum. Ab und an sagt schon mal jemand pikiert "Ich brauche solche Statussymbole nicht", und das finde ich dann wiederum ziemlich panne. Erstens, weil gehaltvolle Wein- und Whiskeysorten ebenso wie Meeresfrüchte vor allem gut schmecken, Status im Sinne sozialer Distinktion ist mir in diesem Kontext nicht wichtig, steht jedenfalls nicht im Vordergrund. Zum Anderen aber ist da noch eine ganz andere sozioökonomische Komponente mitverbunden: Die Ichbrauchkeinestatussymbolesager in meinem Dunstkreis kommen nämlich ausnahmslos aus akademischen Mittelschichtfamilien. Da gilt Luxunahrungsmittelkonsum als dekadent und vulgär und bewusste Bescheidenheit als distinguiert, in Schattierungen, die von bewusst proletarisch-bodenständiger Hausmannskost über Asiaküche und Vollwerternährung bis hin zu Vegetarismus und Veganismus reichen. Hummer, Langusten und Co. gelten als Aushängeschilder der Bourgeoisie, die Frage, ob des Essen lecker ist oder nicht spielt aus dieser Perspektive keine Rolle.

Der Witz ist dabei der, dass ich das Seafoodessen, Singlemalttrinken und Zigarrenrauchen im Wesentlichen mit Freunden und -Dinnen kultiviert und entfaltet habe, die aus Arbeiterfamilien stammen, Haupttendenz Küstenproletariat. Der Geiz bzw. bewusste Verzicht hinsichtlich Luxusnahrung ist eben etwas genuin protestantisch-kleinbürgerliches, in Relation zur Höhe des Einkommmens geben, so meine persönliche Erfahrung, Arbeiterhaushalte bzw. arbeiterfamiliensozialisierte Leute viel mehr Geld für Essen und Trinken aus - allein schon, weil ein gepflegtes Gelage oft schon der höchste Luxus ist, den man sich leisten kann und man sich vielfach daran erinnert, dass sich den die eigenen Kreise vor geraumer Zeit noch nicht leisten konnten. Da zählt dann der Status tatsächlich, aber nicht in dem Sinne, wie einige mit der eigenen Bescheidenheit herumschnöselnde Bekannte meinen als Insignie der Zugehörigkeit zur Bourgeoisie, sondern eher in dieser Richtung "Vater hat noch auf der Werft geknülzt, ich kann mir Singlemalt leisten."
Nicht umsonst ist ja auch die Grillparty klassischerweise eine überwiegend proletarisch geerdete Veranstaltung, die der grünen Lehrerfamilie mit Vollwertspaghettiernährung mit Bärlauchsoße eher nicht einfiele. Ich erinnere mich mal an eine Diskussion um Ernährungsfragen, in der die entschiedenste Großemengenfleischvertreterin eine griechische Migrantin war.
In meiner Studienzeit wohnte ich in einer Art Spontivilla in einer WG, wo immer gemeinsam gut gekocht wurde und wir nur Premiumbiere tranken. Dafür kritisierten uns die Nachbar-WGs, wir galten als "unproletarisch" - bei Leuten, die sich zwar als links verstanden, aber entweder aus Mittelschichts- oder aus Bauernfamilien kamen, wir hatten ja hingegen einen Müllergesellen und eine studierende VW-Arbeitertochter unter uns.



Howauchever, auch für mich ist Edelfood keineswegs etwas, mit dem ich aufgewachsen wäre oder was in meiner Familie Tradition hätte, sondern etwas, von dem ich sehr genau weiß, dass man sich das erstmal leisten können muss, ein rares Gut, für das man dankbar ist. Wobei ich dann weit genug außerhalb der normalen Esstradition stehe, um zu Sylvester Heringssalat mit Langostinhos und Bockwürsten mit Senf zu kredenzen. Man gönnt sich ja sonst alles.



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http://www.news.de/politik/855100189/die-militarisierung-der-gesellschaft/1/
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Ohne Ethnologie, insbesondere Levy Strauss kein Strukturalismus, ohne die Elementare Semantik Saussures kein Poststrukturalismus. Die Erkenntnis, dass Sprache selber Realität schafft, bzw. dass das, was der Mensch für Realität hält eine sprachliche Übereinkunft bzw. Definition ist, dass steht am Anfang des postmodernen Denkens. Vielleicht könnte man sogar sagen, der Satz "Am Anfang war das Wort" wird hier auf empirisch-erkenntnistheoretische Füße gestellt. Die Voraussetzungen, mit denen die Großtheoretiker des Poststrukturalismus zur Sache gingen waren überwiegend die innerlinker spezifisch französischer Diskurse, ohne die ansatzweise zu kennen man gar nichts versteht. So war Lyotards Abrechnung mit den Großen Erzählungen eine implizite Abrechnung mit dem Maoismus und dem in Traditionen der Französischen Revolution stehenden Nationalismus in Frankreich, Baudrillard versuchte, aus der Kritik der Politischen Ökonomie eine anthropologische Grundkonstante abnzuleiten, wobei er am stärksten den ethnologischen Ursprüngen verhaftet blieb (symbolischer Tausch als magisches Ritual, den Tod zu bannen ist demzufolge principum movens aller nachneolithischen Gesellschaften), Bourdieu knüpfte an an konkrete Arbeiterkämpfe der 70er und an den frühen Operaismus an, und Foucaults "Ordnung der Dinge" wurzelt zunächst einmal in einer Kritik der hegelmarxistischen teleologischen Geschichtsphilosophie Sartres. Für Foucault folgen unterschiedliche Arten des Wissens auch unterschiedlichen Arten von Rationalität, "DIE" Rationalität des Positivismus wird bei ihm aufgelöst, dekonstruiert. Sein sogenannter Antihumanismus ist nicht gegen Humanität gewandt, sondern gegen die Annahme eines anthropologisch vorgegebenen Wesens des Menschen - dies nicht im Sinne einer körperlichen Beschaffenheit, sondern im Sinne eines inneren Wesens. Wenn die soziale Position eines psychologischen Gutachters, die Geschichte des Überwachens und Strafens oder die Kulturgeschichte der Sexualität untersucht werden, so stets als exemplarische Fälle, um die historische Gewordenheit und gesellschaftliche Bedingtheit heutiger Strukturen und Denksysteme und die dahinterstehenden Machtinteressen aufzudecken. Genau daher kommt der ungeheure Wert und die prägende Bedeutung dieses Ansatzes für die Geschichtswissenschaft.
Und es macht auch klar, dass von "postmoderner Beliebigkeit" oder "modischer Dekadenz" bei diesem Philosophen nicht die Rede sein kann. Das ist eigentlich beinhart empirische Gesellschaftskritik.
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Mal abwarten, wie bizarr 2011 wird.
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Das ist ein Teil der Wahrheit, den der Himmel gerne unter der roten Decke gehalten hätte:
http://www.youtube.com/watch?v=2fIOzTAu0n4
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"Polizei vor der Tür
Flüchtlingslager in Thüringen: Zu Weihnachten Schikanen vom Amt und kein
Hausverbot für Neonazis
Von Gitta Düperthal
Von Nächstenliebe haben sie zum Fest nichts zu spüren bekommen: Für den im
thüringischen Flüchtlingslager Zella-Mehlis wohnhaften Aserbaidschaner Polat
Ahmedov und seine Familie sei es zwei Tage vor Weihnachten völlig unerwartet
ganz dicke gekommen, berichtet der zur Hilfe gerufene Unterstützer von »The
Voice« Michael Stade im Telefongespräch mit junge Welt. Plötzlich habe die
Polizei vor der Tür gestanden und den 40jährigen genötigt, ein amtliches
Schreiben zu unterzeichnen, das dieser nicht verstanden hatte. Man habe ihn
gedrängt, aus seinen bisherigen Räumen in eine andere Wohneinheit
umzuziehen. Dort habe es weder Toilette und Bad noch funktionierende
Elektrik gegeben.
Der Hintergrund: Bereits seit langem hatte Ahmedov mit seiner Frau und
seinen zwei Kindern in einem Raum leben müssen, in dem akute
Gesundheitsgefährdung durch Schimmelpilz herrscht. Als junge Weltdort im
November recherchierte, litten die Kinder unter chronischem Husten. Trotz
kritischer Presseveröffentlichungen hatte man die Zustände im Landratsamt
Meiningen/Schmalkalden offenbar erst kurz vor Weihnachten registriert. Die
Amtsmaßnahme: Statt die Familie über die Weihnachtsfeiertage im Hotelzimmer
unterbringen, damit sie sich erholen kann, wurde sie genötigt, in nicht
bezugsfertige Räumlichkeiten zu ziehen. Fragt sich, ob es sich dabei um eine
von verständnislosen Bürokraten verursachte Panne oder bewußte Schikane
handelt. Für den leidgeprüften Flüchtling muß es nach letzterem aussehen,
zumal er bereits vergebens beantragt hatte, in eine Wohnung umziehen zu
können. Sie wurde ihm ebenso wie eine Arbeitserlaubnis verweigert. Ahmedov
ist verzweifelt. Weihnachten im Lager: kein Licht, geschweige denn ein
Lichtlein brennt.
Der Familie von Hussein Nassan, die seit 2002 mit vier Kindern in
Deutschland lebt, davon sechs Jahre im thüringischen Lager Gerstungen, geht
es nicht besser. Die Ausländerbehörde im Wartburgkreis hatte sich für die
Familie in der Vorweihnachtszeit eine besondere Überraschung einfallen
lassen: Auch dieses Jahr sei beabsichtigt, den erneuten Antrag auf
Einzelunterbringung abzulehnen, teilte die zuständige Sachgebietsleiterin
für Ausländer- und Asylbewerberangelegenheiten Silke Pridonashvili mit.
Gemäß verwaltungsrechtlichen Vorschriften gebe es Gelegenheit, sich nochmals
schriftlich zu äußern. Neutraler äußerte sich auf Nachfrage von junge
Weltdie Pressestelle des Landratsamts: Die Prüfung des Antrags nach
Einzelunterkunft sei noch nicht abgeschlossen. Doch was soll den der Behörde
bereits bekannten Erkenntnissen noch hinzuzufügen sein: Nassans Kinder
trauen sich nicht, Freunde einzuladen, weil die Wohnverhältnisse beengt und
die Toiletten unhygienisch sind. Es gibt keine Privatsphäre, keine
Möglichkeit, zur Ruhe zu kommen, Erkältungskrankheiten grassieren. Laut
Artikel drei der UN-Kinderrechtskonvention, gegen die Deutschland im Juli
2010 seine Vorbehalte zurücknahm, hat das Kindeswohl bei allen staatlichen
Maßnahmen Vorrang und es besteht die Pflicht, ihm Geltung zu verschaffen.
Hier kann davon keine Rede sein.
Im Gerstunger Lager Am Berg 1 gibt es weitere gravierende Probleme. Die
politisch Verantwortlichen verhinderten nicht, daß die NPD im November
Zutritt zum Lager erhielt. Ein Hausverbot für die Neonazipartei habe nicht
bestanden, teilte Friedrich Krauser, Erster Beigeordneter der
Kreisverwaltung im Wartburgkreis (CDU), auf Nachfrage von junge Weltlapidar
mit. Daß die NPD in einem Bericht auf ihrer Homepage höhnisch die
»Abschiebung der anmaßenden Wohlstandsflüchtlinge« fordert, stellt offenbar
kein Problem dar. Um künftig die Sicherheit der Bewohner zu gewährleisten,
befürwortet Krauser, die Flüchtlinge in eine Art Hochsicherheitstrakt
wegzusperren: »Außerdem wird, so wie in der Vergangenheit selbstverständlich
auch, kein Besuch in der Gemeinschaftsunterkunft Gerstungen genehmigt, der
nicht zuvor beantragt worden ist. Darüber hinaus sichert der Betreiber im
gebotenen Umfang die Sicherheit der Bewohner ab, in den Nachtstunden durch
die Zuhilfenahme eines Wachdienstes.« Klartext: Die NPD darf auch künftig
die Unterkunft »besuchen«, sie muß nur zuvor um Erlaubnis fragen.
Unterstützern der Bewohner von »The Voice« wird man hingegen wohl wie in
jüngster Vergangenheit Hausverbot erteilen"
http://www.thevoiceforum.org/
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1944, Luftangriff der Amerikaner, einer der ersten Bombenangriffe am Tag. Alle gehen in den Bunker, nur als Fouad rein will, sagt der Luftschutzwart, fremdrassige Ausländer hätten keinen Anspruch auf Schutz. Da sagt meine Mutter: "Das ist mein Kollege, wenn der nicht in den Bunker darf, bleibe ich auch draußen!" "Fräulein, das geht doch nicht, sie müssen da rein!"
Dann standen die ganzen Laborassistentinnen in ihren weißen Kitteln auf der Straße und erklärten, dass sie alle draußen blieben, wenn Fouad nicht in den Bunker dürfte, während schon die Flak am Feuern war, mit dem Resultat, dass er rein durfte. Ganz am Schluss sollte er noch mit einem Lorenzug in ein Vernichtungslager deportiert werden, aber dann war der Krieg zu Ende. Elisabeth, die er liebte, sagte ihrem Vater, einem eisenharten Nazi, der in den letzten Kriegstagen über Selbstmord nachdachte, sie würde den Amerikanern zur Not barfuß entgegenlaufen. War dann alles nicht mehr nötig. Als meine Mutter erwähnte, dass Fouad ein "möblierter Herr" war wussten meine Nichten nicht, was das war, und das Gespräch kam auf alte norddeutsche Slangausdrücke wie Lodderbast, dufte, knorke, detsch, auf dem Kieker, dösbaddel, kekhalsig, jemanden auf eine Jagdreise schicken, "was für eine neue Stellung hast Du denn?" da fing meine eine Nichte hysterisch an zu lachen und sagte "nicht 69", und schließlich redete alles wüst tohuwabohumäßig durcheinander, halb DOGMA, halb Loriot. Dann kamen auch noch die Kanadier ins Spiel, "it´s not spoken Niagara but Niagra, just like Viagra" "Na, Hauptsache, er steht" "Hm. Habe ich Sie nicht auf meiner Orgie kennengelernt?", und dann kam das rituelle Bommerlunderbesäufnis - "Eisgekühlter Bommerlunder, Bommerlunder eisgekühlt. Triooo, Triiiiiooooo, Bommerlunder we wanna go home".
Eine rundum gelungene Familienfeier eben. Und nicht nur zur Weihnachtszeit;-)
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Ironiemodus aus, gefunden bei Don:
http://www.guardian.co.uk/politics/2010/dec/23/bangladesh-death-squad-legal-challenge
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http://metalust.wordpress.com/2010/12/20/der-spiegelfechter-reist-gern-judenwitze/
möchte ich noch einmal aufdröseln, inwieweit rigide Szenemoral mit linken Emanzipationsperspektiven verwoben oder eben nicht verwoben ist und was das mit sozialen Milieus zu tun hat. Das ist gleichzeitig eine Generalantwort an all jene, die die für mich wesentlichen linken Positionen in einem politisch-moralischen-"gutmenschigen"-akademische Mittelschichtkontinuum im Öffentlichen Dienst verwurzelt sehen. Um es gleich vorweg zu nehmen: Diese Verortung ist ein Irrtum, und all die Herolde, Lebemänner, Georgis usw., die diese Verbindung ziehen, sehen da etwas, das so nicht gegeben ist.
Das ist dann auch alles sehr autobiografisch geschrieben.
Die ersten linken Zusammenhänge, in denen ich als Oberstufenschüler mich engagierte, waren geprägt durch SchülerInnen, Azubis und junge GesellInnen aus der IG-Metall-Jugend, türkische und kurdische Migrationsarbeiter, deren schöne Töchter und linksradikale iranische Studenten. Ich selbst habe einen Familienhintergrund, der mit "Bildungsbürgertum" falsch beschrieben wäre. Mein Vater war ein Manager, aber ohne Studium, auch ohne Abitur, mit Volksschulabschluss und Lehre, einer, der eine dieser heute nicht mehr denkbaren Nachkriegskarrieren gemacht hatte, Sohn einer teilalphabetisierten Landarbeiterin, die "sich hochgearbeitet" hatte, als sie Kellnerin in einer Dorfschänke wurde und eines langzeitarbeitslosen Schlossers. Meine Mutter hatte Realschulabschluss, war gelernte Chemielaborantin und Tochter eines Viehhändlers, aus Sicht meines Vaters was "Höheres". Die umfassende Bildung, die ich mir bereits in der Schulzeit aneignete war nichts mir in die Wiege gelegtes, sondern hing damit zusammen, dass in einer sozialen Aufsteigerfamilie weiterer Aufstieg in meiner Generation nur über Bildung möglich war.
Während des Studiums änderte sich zwar die soziale Zusammensetzung des Milieus, in dem ich mich bewegte, aber die autonome Szene blieb geprägt durch Studis aus Arbeiterfamilien und Leute aus dem AHi- und Sozi-Bereich.Und bis dato hatte ich eine rigide politische Korrektheit nicht kennengelernt, eher eine sehr offene, gerade in sexueller Hinsicht libertäre Szene. Erst nachdem ich Jahre in dieser Szene unterwegs war wandelte sich dies grundsätzlich. Bedingt durch die ja auf soziale Aussiebung angelegten Deformen des Hochschulrahm engesetzes schwand die Anzahl der Studis aus Arbeiterfamilien. Eine neue Generation von Studierenden, altersmäßig vielleicht 5-7 Jahre jünger als ich, aber vom gefühlten Alter eher 15 Jahre danach rückte an und dominierte die studentische Linke bald. Die kamen fast nur noch aus Akademerhaushalten, vor allem verspießerte 68er und Lehrer- Anwalts- und Pastorenfamilien. Die waren mit Kriegssielzeugspielverboten und Vollwerternährung sozialisiert worden und mir reichlich fremd.
Dinge, die meine älteren Schwestern sich noch selbst erarbeitet hatten waren bereits Bestandteile ihrer Erziehung gewesen. Und sie waren, was ich bis dahin aus der Szene nicht kannte, hochmoralisch, grenzten sich zudem gegen Dropouts, die bis dahin selbstverständlich dazugehört hatten geradezu panisch ab und betrachteten migrantische Männer pauschalisierend als Machos und Frauenfeinde. Der spätere Antiislamismus und Wohlstandsrassismus der Antideutschen wurde damals angelegt.
Der Moralin-Turbobeschleuniger kam dann mit dem Bekanntwerden von Vergewaltigungen in der linken Szene, Schwarzers PorNo-Kampagne und dem zeitgleichen Tod einer Genossin durch Polizeigewalt. Alle Debatten, die etwas mit Sexismus oder innerlinken Hierarchien zu tun hatten, gerieten zu moralischen Tribunalen gegen potenzielle oder tatsächliche Abweichler. Chancen, Debatten über Sexismus sinnvoll zu führen, wurden verpasst, indem moralisch aufgeladene Diskussionen so gedreht wurden, dass sie neue Hierarchien über Distinktion erschufen (der. die ist nicht so weit wie...) Als eine Metallarbeiterin meinte, die Forderung nach Abschaffung von Leichtlohngruppen für Frauen und gleichem Lohn für gleiche Arbeit sei gesellschaftlich relevanter als die korrekte Schreibweise mit großem I wurde die als "blöde Kuh" bezeichnet. Ich begann mich in einer Szene, die ich bis dahin immer noch als die eigene betrachtet hatte immer unwohler zu fühlen.
Der Umstieg kam dann für mich mit den Aktionen gegen den Zweiten Golfkrieg von 1991, Hoyerswerda und den anschließenden rassistischen Pogromen: Ich verließ die bisherigen Zusammenhänge und schloss mich einer Kurdistan-Irak-Solidaritätsgruppe und einer weltanschaulich im Umfeld der Materialien für einen Neuen Antiimperialismus verankerten Antirassismusgruppe an, beide sozial äußerst durchmischt: Viele Migrierte, oft Bürgerkriegsflüchtlinge mit Folter- und Guerrilakampferfahrungen, Frauen aus Lesbenzusammenhängen neben männlichen Prolls, völlig bunte Mischung. Und da war diese eigentümliche PC-Weltsicht zwar immer mal wieder vorhanden, aber keinesfalls dominierend.
Lese ich jetzt das, was so in den Kommentaren bei Spiegelfechter oder in den Positionen von G. oder Hartmut die Runde macht, kommt mir das wie eine völlig groteske Parodie der selbst erlebten Geschichte vor.
Fazit: PC-Moral in der Linken war ein Einbruch der akademisch sozialisierten Mittelschicht, aber weder genuin links noch etwas, was mit einem gesellschaftlichen Mainstream irgendetwas zu tun hätte.
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