Sonntag, 20. April 2008
Die Vorstandsassistentin
Sie ist Ende 20, ziemlich adrett, frisch von der Uni und sagt ausgebufften Endvierziger-Ingenieuren, wo es ihrer Meinung nach langzugehen hat. Sie wird für 8 Arbeitsstunden täglich bezahlt, arbeitet aber regelmäßig 12 Stunden lang. Ihre Chefs sagen, das müsste so sein, wenn man Führungskraft ist, sie selbst kämen oft erst um 23 Uhr nach Hause. Sie glaubt ihnen das. Was die Chefs ihr verschweigen ist die Tatsache, dass sie da großzügig Jagdgesellschaften, IHK-Bälle und Bootsausflüge mit reinrechnen, während sie wirkklich 12 Stunden am Tag hart arbeitet. Das geht auf die Substanz, und ob sie das sehr lange so durchhalten wird ist noch die Frage. Sie kompensiert es mit einer aufgesetzten Haha-Fröhlichkeit. So in etwa gleichaltrige Kolleginnen und Kollegen, die aus der gleichen Kategorie Leute stammen - angepasste WiWi-Absolventen mit kleinbürgerlichem Familienhintergrund - lachen da gerne mit und finden, sie sei ein schrecklich netter Mensch, ältere Kollegen finden dieses Lachen debil und hysterisch. Überhaupt, die Altersunterschiede: der älteste Abteilungsleiter ist 60 und leitet die Forschung und Entwicklung, der jüngste 35 und Chef der Strategie&Coaching. Wenn bei Dienstbesprechungen die Aufgaben verteilt werden, ist der 60jährige bemüht, zwar loyal seine Projekte voranzutreiben, aber sein Personal auch von allzuviel Arbeit freizuhalten. Er sagt den Chefs öfter mal ins Gesicht” Was sie da wollen ist zwar eigentlich recht schön, wir kriegen das aber nicht hin, rein personell gesehen, oder wir müssten unsere normalen operativen Tätigkeiten einstellen.” Er kommt damit immer durch.

Mr. 35 würde so etwas nie sagen, sondern schreit beim Aufgabenverteilen ganz laut “hier”, um mit seiner Abteilung zu glänzen. Das fällt ihm leicht, da er nichts selber macht, sondern nur Aufgaben verteilt. Diese Generation hat nicht gelernt,l sich zu wehren oder den Wert von Eigen-Sinn anzuerkennen. Aber sie hat gelernt, wie wichtig Gadgets, Luxusautos und Markenanzüge sind.

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Wenn's ja nur Gadgets, Luxusautos und Markenanzüge wären - darin könnten die Karriereheinis von mir aus ersticken. Für die meisten Berufseinsteiger geht's eher darum, ob sie sich noch eine Wohnung leisten können, wenn sie nicht ein Mindestmaß an schlauer Unterwürfigkeit an den Tag legen. Eigen-Sinn schön und gut, aber wenn genügend Interessenten bereit stehen, den Platz des Eigensinnigen einzunehmen, vergehen einem solche Bestrebungen nach dem dritten Arbeitsplatzwechsel.

Die jetzige Generation ist nicht zuletzt deswegen so desillusioniert, weil sich Politik mehr denn je als absolute Farce präsentiert, von deren Vertretern, der letzten Generation, man nichts zu erwarten hat, und Binnensolidarität aufgrund der Konkurrenzsituation am Arbeitsmarkt so gut wie nicht existent ist.

http://www.textlog.de/tucholsky-kinderstube.html

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Danke für diesen mir noch bis dato unbekannten kafkaesken Tucholsky!

Du hast in "lerne, das System zu lieben" selber geschildert, wie das Ganze funktioniert und wie Normen internalisiert werden, aber es ist mir wichtig, perspektivisch aufzuzeigen, dass/wie es auch anders geht.

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@brechreiz: Auffällig für die angesprochene Generation ist außerdem, dass die Verantwortung für das eigene Versagen oder die eigene Charakterlosigkeit oder für alle schlechten Eigenschaften nie beim Individuum liegt. Entweder wird die Schuld in der schlechten Bezahlung - wahlweise der Angst vor Jobverlust oder Karriereknick, dem schlechten Chef oder den blöden Kollegen gesucht oder - wenns gar nicht anders geht, ist die Politik bzw, die Verdrossenheit im Bezug auf selbige oder sind wahlweise die Konzerne verantwortlich. Nur der einzelne Mensch, der kann nichts dafür, wenn er sich entweder zum Büttel oder zum Schinder macht. Der Mensch sieht sich gern als ohnmächtiger Spielball der modernen Lebensumstände, in denen er sich befindet. Opfer, Opfer, Opfer - nur nicht verantwortlich.

Das ödet mich regelmäßig an.

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NO FAIR.
Kleinbürger-Bashing von großkarierten Donschen Dimensionen.
Anstatt immer dieses BWLer-Bashing. Die Zoologie unserer "professionellen" Arbeitsumgebung enthält schliesslich Raubtiere mit im Zweifelsfall viel gefährlicheren Strategien. Für IT hier 2 Gattungen:

+ Projekt-Schlampe/Cowboy, die/der weiss, dass ein von ihr/ihm übergebenes Projekt hoffnungslos viele Fehler und Ineffizienzen enthält, so dass sie/er eine Präventiv-Strategie gegen dich fährt, obwohl du einfach aus Prinzip Kollegen nicht in die Pfanne haust.

Gegenstrategie: Eigentlich sind das meist ganz nette Menschen. Einfach nur ein bischen faul. War ich selber mal. Man muß ihnen frühzeitig klar machen, dass man ihnen nicht an den Karren pinkelt. Die Vorgesetzten wissen ohnehin, dass ihre Projekte hoffnungslos viele Fehler und Ineffizienzen enthalten. Wenn die Vorgesetzten das nicht wissen: Arbeitsplatz wechseln.


+ Projekt-Manager, der keinen Bock auf IT hat und sich so zum Projekt-Manager berufen fühlt. Er ist immer männlich. Sein Berufsbild "Projekt-Manager" besteht aus genau 2 Elementen:
- paternalistisches Gehabe
- in-Arsch-kriechen-von Chef koste es was es wolle

Gegenstrategie: Arbeitsplatz wechseln.

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Klar ist jeder selbst verantwortlich, die Verhältnisse mögen von Politik und Konzernen angestrebt worden sein - verwirklicht wurden sie von jedem einzelnen. Die Vorstandsassistentin meint, 12 Stunden arbeiten zu müssen und hängt damit die Latte hoch - wenn noch ein paar (in diesem Unternehmen) drüber springen, wird das vielleicht zum Standard. Das muss gar nicht im Arbeitsvertrag stehen. Zehntausende Praktikanten arbeiten für 200 Euro oder weniger im Monat - weil der Arbeitgeber es sich erlauben kann, so dreist zu sein, weil genügend junge Menschen mitspielen.

Allerdings kommt hinzu, dass a) die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt sich sehr zu Ungunsten von Berufsanfängern verschoben haben (immer mehr Jungakademiker stehen dem Bestreben von Unternehmern gegenüber, immer weiter zu rationalisieren und möglichst den ganzen Betrieb von Praktikanten und freien Mitarbeitern führen zu lassen) und b) die Politik sich scheinbar völlig aus diesem Bereich verabschiedet hat: Auch wenn manche sicher gerne diese "charakterlosen Opfer" weiter im eigenen Saft schmoren sehen würden, könnten ein paar gesetzliche Mindeststandards nicht schaden. Über Privatinitiativen und Petitionen des DGB geht das nicht hinaus. Da ist ganz klar der Politik eine Mitschuld zuzuweisen, die eben nicht von Mittzwanzigern gemacht wird (und wurde), sondern verstärkt von Vertretern der letzten Generation.

Diese beiden Umstände werden gerne unterschlagen, wenn manche, die sich der eigenen bewegten Vergangenheit entsinnen, der heutigen Generation zurufen: "So tut doch was!", erst empört, weil diese scheinbar rückwirkend noch die eigenen Ideale besudeln, dann aber schon zynisch, weil die Konstituierung eines wesensmäßigen Unterschiedes (die "Opfer-Generation") allemal vor ersterem bewahrt. Da werden dann die abenteuerlichsten Kapriolen geschlagen: Beharrte man jahrzehntelang theoretisch unterfüttert auf der Unterdrückung des Individuums durch gesellschaftliche Verhältnisse, die erst aufgebrochen werden müssten, bevor man zu neuen Ufern aufbrechen könne, wurde der Marsch durch die Institutionen nicht (nur) aus Karrieregründen, sondern weil man erkannt hatte, dass man Hegemonien aufbrechen und Diskurse selbst bestimmen kann, wenn man gesellschaftliche Schlüsselpositionen besetzt, durchgeführt, wovon dann junge Erwachsene vor zwanzig Jahren im akademischen und politischen Bereich enorm profitiert haben, soll die heutige Generation sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen (und besser gar nicht fragen, wer ihnen den hinterlassen hat), komplett ohne (wenn auch nur halbherzige) politische Rückendeckung der Altvorderen, die dies auch noch abschätzig kommentieren, in Vorlage gehen: "Tschakka, du schaffst es! Der Sumpf ist nicht real, das ist deine negative Einstellung, die ödet mich an, du Opfer!"

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@saltofthearth, hier ist von bodenständiger Old Economy die Rede, nicht von IT ;-)

DIE Uhren gehen etwas anders.

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@che: Da hat man schon nach Jahren der Mühen einen Job mit Krawattenzwang und wird immer noch nicht ernst genommen :-) (und erscheint dann gar nicht mit Krawatte, aber das ist eine andere Geschichte)
Ich will einfach ein nettes Wort für die netten BWL-Absolventinnen vor den machos hier einlegen.
Ich kenn welche, die zwar zum 50 h arbeiten neigen, aber dann echt fair zu den Externen sind, für die sie weisungsbefugt sind.
Das letzte katastrophale Führungsverhalten hab ich über einen an die 50 jährigen deutschen Olympia-Medailliengewinner gehört (glaub sogar Gold, sag aber nicht wer).
Aber überforderte, jüngere Frauen sind auch sch*** als Vorgesetzte. Die neigen dann kommunikations-mässig schonmal zu Zickigkeiten, reflektieren aber die Gesamtsituation dann oft in lichten Momenten doch nachhaltiger als viele Typen. Alles schon erlebt. Eines der guten Dinge des Älterwerdens ist echt, dass ich das inzwischen mit neutralem Abstand sehe und selbst absolut cool bleibe. Ist dann wie Theater.

Deshalb auch Zustimmung zu Brechreiz. Die jungen Dinger haben einfach noch nicht so starke Nerven wie wir. Ich hatte es damals auch nicht und ein bischen Nachsicht ist sowieso immer angebracht.

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Ich übe durchaus Nachsicht,bashen liest sich bei mir noch ganz anders ;-)

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Beharrte man jahrzehntelang theoretisch unterfüttert auf der Unterdrückung des Individuums durch gesellschaftliche Verhältnisse, die erst aufgebrochen werden müssten
Das ist ja im Grunde auch noch immer so, nur mussten wir alle auch irgendwann erkennen, dass die Gesellschaft letztlich "wir" sind und eben keine amorphe, unkontrollierbare Masse, aber darum geht es hier letztlich nicht so ganz wirklich.

Hierarschisches Fahrrad fahren ist keine Sache der gesellschaftlichen Zwänge sondern primär eine Charakterschwäche. Und wer für Karriere den Preis zahlen möchte 50 Stunden zu arbeiten, hat sich dafür grundsätzlich erst mal selbst entschieden. Es ist ja nicht so, dass wir hier über Menschen reden, denen im Falle eines Disputes mit der GF HartzIV winkt. Darum hält sich mein Mitleid einfach in Grenzen. Ich habe auch noch keine GF-Assistenten auf der Strasse gesehen, Plakate haltend und für bessere Arbeitsbedingungen sich einsetzend ... und das wäre ja vielleicht mal ein Schritt - sich zu organisieren oder zumindest sich im Unternehmen auf gleicher Ebene abzustimmen und zu solidarisieren.

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der älteste Abteilungsleiter
ist 60 und leitet die Forschung und Entwicklung

ui, wo gibts denn sowas, ausser im öffentlichen dienst? wenn der sich aber erlauben kann, seinen vorgesetzten so den wind aus den segeln zu nehmen, muss er saugut sein.

das modell, einstellen, gut zahlen und noch mehr verlangen, wenn das nicht nmehr kommt, dann sofort feuern, kommt aus der new economy, scheint aber andere bereiche erreicht zu haben. oder wie war das mit den junganwälten, zwei jahre ohne bezahlung 60 stunden/woche ohne urlaub ackern, mit der aussicht auf eine beteiligung hinterher. im handwerk sind das die subs, die man auslutscht, kommen immer neue.

ja, die frisch von der uni. wenn dann turbo-abi und bacherlor-studiengänge erst mal durchschlagen, kommen sie noch jünger und noch williger. ist ja auch die absicht.

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Tja, das gibt´s wirklich, und zwar in einem inhabergeführten Konzern.

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Kann mir die Werbung nicht verkneifen:
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