Sonntag, 4. Dezember 2011
Meine arme Mutter
Meine Mutter ist hochbetagt und krank. Seit Juni hat sie ein offenes Bein das nicht heilt und seit ein paar Wochen Wasser in den Beinen. Die Wunde, die ständig schmerzt verheilt deshalb nicht, weil sie Diabetes hat. Also keine metabolische Diabetes im strengen medizinischen Sinn - ihre hauptsächliche Nahrung besteht vielmehr aus Süßigkeiten. Sie verbraucht am Tag mehrere Packungen Chocini und eine Packung Pralinen und überflutet damit ihren Blutkreislauf mit Zucker, und das seid Jahren. Na ja, immerhin sieht sie ein, dass das so nicht weitergeht, aber ihre Verarbeitungsweise ist schon heftig. Es vergeht kein Tag, an dem sie nicht mehrmals laut weint und ruft "Ich will tot sein! Warum bin ich nicht schon tot? Werft mich in die Mülltonne!". Es wäre eine schlechte Depression, wenn es nur der Friedhof wäre und nicht die Mülltonne, so ist halt das Selbstwertgefühl in einer depressiven Phase, wobei meine Mutter allerdings den Stimmungsumschwung von depressiv na nicht direkt zu manisch aber doch zu wirklich gut drauf üblicherweise mehrmals am Tag hinbekommt. Wenn andere Leute in ihrer Gegenwart etwas essen was ihr nicht schmecken würde, z.B. Muscheln, sagt sie "könnte kotzen" oder "ich würde sterben, wenn ich so etwas essen müsste". Die Sterbenwollen-Sprüche sind meist zu Ende, wenn ich sage: "Gut, ich habe ja eine Pistole. Soll ich die holen?" oder "Soll ich jetzt den Abdecker anrufen?", dann schaltet sie schlagartig auf Normalmodus. Mein Vater, der den Psychoterror den ganzen Tag ertragen muss reagiert inzwischen mit eigenen Suiziddrohungen.


Mächtig anstrengend, das Alles. Und ich habe zum Umgang mit so etwas keine professionelle Ausbildung, nur Zivildienst in der Neurologie.

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Tut mir leid, mein Alter.
Bei uns gibts ähnliche Dramen. Verfluchtes Altwerden.

Bei dem, was es alles zu erleben gibt, müssten wir Menschen mindestens 150 Jahre fit und rege leben können. Ich finde es zum kotzen, dass wir uns immer noch mit frühen Altwerden und viel zu frühem sterben abfinden müssen.

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Geht mir auch so. Zumal ich die Fensehbilder vom bemannten Flug zu Saturn gerne noch sehen möchte;-)

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Wenn man es stoisch sieht, läuft das längste wie das kürzeste Leben auf dasselbe hinaus, da wir ja nur, wenn wir sterben, den Augenblick verlieren, in dem wir leben. Gedanken wie die obigen beiden sind demnach eine unnütze Zeitverschwendung. Carpe diem.

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Tut mir leid :(
Unsere Erzeugergeneration - vor allem die weibliche Seite - scheint eine extreme Tendenz zur (physischen wie psychischen) Selbstzerstörung zu haben.
Wenn man bedenkt, was die alles überstanden haben, und dann an (ihrem und unserem) "Heute" verzweifeln, lässt das auch tief blicken...

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Da hatte meine Schwester nach Tschernobyl so eine "strange"-Erfahrung. Ihre Nachbarn grillten unmittelbar nach der Katastrophe, als alle Freibäder dicht waren und davor gewarnt wurde, Kinder draußen spielen zu lassen im Garten, und als sie die dann auf den Fallout hinwies erwiderten die "Junge Frau, wir haben im Krieg unter unserem zerbombten Haus im Keller gewohnt, und da haben wir dann dann den Phosphor von den Bomben von den Broten gewischt und die gegessen."

Es ist aber wahrscheinlich nicht schwer zu verzweifeln, wenn man bemerkt, wie alles immer mehr nachlässt und weiß, dass die biologische Uhr eigentlich abgelaufen ist. Können wir wahrscheinlich gar nicht nachempfinden. Vater sagt immer, es gehöre sehr viel Mut dazu, alt zu werden.

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Citalopram
Sofern dies sich nicht mit anderen Medikamenten, die Deine Mutter eventuell nehmen muss, beisst. Red' mit ihrem Arzt.

Auch für Deinen Vater, in der jetztigen Situation.

Versuch es mal. Hilft tatsächlich ein wenig. Aber ein wenig ist in der beschriebenen Situation schon sehr viel.

Und Du - bleib gesund. Es hängt jetzt vieles an Dir - ob Du willst oder nicht.

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Danke dafür, und, jaaa, werde es beherzigen!

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An Stelle von Citalopram würde ich Cipralex (Escitalopram) sehr deutlich bevorzugen - und zwar in einer sehr geringen Dosierung von 5 mg/Tag.

(die exakte medizinische Begründung erspare ich dir jetzt einfach mal - falls Interesse: Mail!)

Das Problem dabei ist: So etwas darf bei deinen Eltern wegen der Suizidtendenzen nur im Rahmen einer Therapie passieren (auch: Citalopram). Und ich weiß ja nicht, ob du deine Eltern (besonders: die Mutter) in diese Richtung bewegen kannst.

Eine andere Variante wäre im Fall deiner Mutter Mirtazapin. Das ginge diesmal im Rahmen normaler hausärztlicher Versorgung. Es wirkt im Vergleich zu Citalopram etwa genauso gut gegen Depressionen (i.d.R. nach drei Wochen), aber überdies ein wenig wie ein Downer, was die Sache für deinen Vater deutlich einfacher machen würde, und vor allem ausgleichend. Allerdings ist da die Sache mit dem Wasser, und da muss man mal gucken, vielleicht so 7 Tage lang bei wirklich enger, täglicher "Inspektion", ob die Kombination von z.B. 10 mg Mirtazapin, Einnahme Abends, (immer noch sehr niedrig) zusammen mit einem wassertreibenden Medikament (morgens und am Nachmittag) funktioniert.

Es wäre einen Versuch wert.

Riesennachteil - unter Umständen: Mirtazapin wirkt bei einem erheblichen Teil der Patienten (ca. 30 Prozent) deutlich appetitsteigernd. Ich weiß ja nicht, wie das Gewicht bei deiner Mutter gerade so ist. Solange sie ein BMI unter 30 hat, sollte es aber gehen.

Fluoxetin halte ich wegen der Wassersache (und aus anderen Gründen) im Fall deiner Mutter für kontraindiziert - obwohl es immerhin schwach gewichtsreduzierend wirkt.

Ähem - Break -----

Vielleicht sind ja auch einfach lange Spaziergänge bzw. Fahrradausritte eine Möglichkeit? Ich mein, wenn deine Eltern z.B. jeweils Elektrofahrräder bekämen (ordentliche, auf denen sie sich wohl fühlen), dann kann das eventuell schon wie ein kleines Wunder wirken.

Ganz ohne Chemie.

Ich drücke dir und deinen Eltern die Daumen, Che - und sehe es ganz ähnlich wie Lebemann.

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Danke für die Tipps. Der längstmögliche Spaziergang wäre für meine Mutter einmal durch den Garten - zweimal im Jahr.

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Na gut, das klingt dann natürlich auch nach mangelndem Tageslicht.
Ohne Scheiß, das ist gar nicht mal seltene Ursache für Depression.
Google mal nach einer Tageslichtlampe und schenk ihr die zu Weihnachten.

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Warum nicht?


Danke für die Tipps, die Depression bei ihr ist allerdings Jahrzehnte alt.

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Der längstmögliche Spaziergang wäre für meine Mutter einmal durch den Garten - zweimal im Jahr.
Elektrofahrrad oder -dreirad geht auch nicht?

Hmm. Dann könnte vielleicht eines der wirksamsten Depressivo-Statika wirken: ehrenamtliche Tätigkeit.

Kein Scheiß. Wirkt. Und wie!

Und falls sie etwas Neigung haben sollte, wäre es ggf. dein Job, ihr was Passendes zu suchen. Und tucs Tipp finde ich sehr prima. Dazu könnte evtl. noch ein Tageslichtwecker passen. Ist wirklich gut!
Danke für die Tipps, die Depression bei ihr ist allerdings Jahrzehnte alt.
Inzwischen hat man herausgefunden, dass auch chronifizierte Depressionen im hohen Alter therapierbar sind. Passende Therapeuten gibt es dafür. Und das, was da gerade konkret abläuft, das macht auf mich einen eher heftigen Eindruck, und vor allem, dass da sowas wie eine akute Krise vorliegt. Oder hatte sie diese heftigen Stimmungsschwankungen über den Tag hinweg schon immer in dem Maß?

Noch ´ne ganz doofe Frage von mir: Könnte deine Mutter eventuell - bei sich zuhause - Nachhilfestunden geben?

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Das scheidet alles völlig aus. Meine Mutter lebt in haremsartiger Abschottung von der Außenwelt und will das so. Und die ist so alt und schwach, dass mir da nur "das Ehrenamt am Grabesrand" zu einfiele. Und da sie nicht will, dass andere sehen wie schwach sie ist kommt es gar nicht in die Tüte, dass die sich draußen bewegt. Schon zum Geburtstag ihrer Tochter fährt die nicht mehr mit.

In was soll die denn Nachhilfestunden geben? Altzheimer für Anfänger?

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Die harte Abschottung gehört zur Erkrankung, Stichwort: Soziophobie. Nachhilfestunden in Mathematik vielleicht, für Grundschüler? Englisch? Geschichte? Hausaufgabenbetreuung? Gemeinsam malen?

Hmm. Wird sie vermutlich alles nicht wollen.

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Das kann sie alles längst nicht mehr. Das ist eine hilflose pflegebedürftige Greisin. Die hat Phasen, wo sie alles in Blau oder alles in Rot sieht, weil ihr Vorderhirn nicht mehr richtig durchblutet wird. Es ist schon schwierig sich mit ihr zu unterhalten, weil sie schlecht hört und ihre Auffassungsgabe auch zwischenzeitige Aussetzer hat.

So traurig es ist, da ist eher über Heimeinweisung nachzudenken, oder über permanente häusliche Pflege.

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