Sonntag, 5. November 2017
Politisch korrekter Irrsinn, heute: Das Unaussprechliche
Seit ich zurückdenken kann gehört das Sichbeschäftigen mit der Realität der Folter zu den Grundelementen politischer Aufklärung. Auf dem Gymnasium war das Thema "Menschenrechte und Folter" ein eigenständiges Schwerpunktthema in Curriculum meines Werte-und-Normen-Kurses. Gründlich wurde sich damit auseinandergesetzt wer foltert, wer gefoltert wird, welche Foltermethoden zur Anwendung kommen (ein Religionslehrer war später kühn genug, hier auch die "weiße Folter" in Stammheim zu thematisieren), wie traumatisierten Folteropfern geholfen werden kann und wie jemand zum Folterer wird.

Heute, im Zeitalter der Triggerwarnungen, scheint dieser Umgang mit dem Thema nicht mehr so ohne Weiteres möglich zu sein. Als ich einer Genossin ein Buch, das aus der Opferperspektive über ein Foltercamp berichtet zum Geburtstag schenkte fragte sie mich süffisanft grinsend ob ich ihre SM-Komponenten stimulieren wollte. Als eine weitere Genossin einen Vortrag über ihre Foltererlebnisse in einem türkischen Gefängnis hielt merkte ich dass ein Freund sich Notizen machte. Später fragte ich ihn ob er sich aufgeschrieben hatte wie sie gefoltert wurde. Völlig entsetzt erwiderte er wie könne ich nur auf so eine Idee kommen das wäre ja pornografisch nein er hätte sich Notizen zu den Strukturen der türkischen Streit- und Polizeikräfte gemacht.
Als Abschiebehäftlinge von Vollzugsbeamten mißhandelt wurden machten wir eine Kundgebung, auf der ich einen Redebeitrag hielt in dem ich im Einzelnen beschrieb auf welche Weise die Mißhandlungen abliefen. Man hätte mir fast das Megaphon entrissen. Es galt als ganz und gar nicht angesagt so etwas zu verbalisieren.

BTW Ich selbst bin in einer Welt aufgewachsen in der die FSK und das Mindestalter für Filme nie eine Rolle spielten. Im Gegenteil, mein Vater fand es gut wenn ich als Kind schon schreckliche Gewaltszenen sehen würde sofern die eine gesellschaftliche Realität darstellen würde. Der Zweite Weltkrieg hätte auch keine Rücksicht darauf genommen dass er noch ein Kind war als er ihn erleben musste. Zu meinen frühesten bewussten Erinnerungen (mit vier Jahren) gehört denn auch ein Bild wie US-Soldaten einem vietnamesischen Kriegsgefangenen mit einem Messer dem Bauch aufschneiden damit der ein Waffenversteck verrät.

Sorry, ich finde der Welt gehört die Brutalität solcher Szenen um die Ohren gehauen.

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