Dienstag, 6. Oktober 2020
Der US-Präsident und Corona: Medikamentöse Therapie lässt auf dramatischeren Verlauf schließen als öffentlich zugegeben
Sonja Boehm, Medscape


Über das Wochenende sorgten verschiedene zum Teil widersprüchliche Aussagen zum Gesundheitszustand des mit SARS-CoV-2 infizierten US-Präsidenten Donald Trump für Verwirrung und Verunsicherung. Wie schwer ist er tatsächlich erkrankt? Wann hat er die Diagnose erhalten? Wie wird er therapiert? Wie ist seine Prognose? Ein Versuch zu etwas mehr Klarheit.

Entgegen früheren Verlautbarungen scheint nun doch eindeutig, dass der US-Präsident mit externem Sauerstoff versorgt werden musste. Dies einmal bereits am Donnerstag als die Sauerstoffsättigung im Blut vorübergehend unter 94% gefallen war und dann nochmals am Samstag als die Werte wieder nur bei 93% lagen. Nach Angaben seines Leibarztes Dr. Sean Conley, der ihn seit März 2018 betreut und nach Presseberichten kein „klassischer“ Arzt, sondern „Doctor of Osteopathic Medicine“ ist, beträgt die Sauerstoffsättigung des Präsidenten derzeit wieder 98% und sei nie unter 90% gefallen.

Zusätzliche Dexamethason-Therapie wirft Fragen auf
Conley sagte auch bei einer Pressekonferenz am Sonntag, bei der auch das Ärzte-Team anwesend war, das Trump derzeit behandelt, der Präsident habe „niemals Probleme gehabt zu atmen“. Er berichtete auch, dass das Behandlungsregime am Samstag um Dexamethason erweitert worden sei.



Die zusätzliche Gabe von Dexamethason sorgte für einige Diskussionen unter Ärzten und in den Medien. Denn die Empfehlung der Arzneimittelbehörden, etwa der EMA, für die Anwendung des Glukokortikoids bei COVID-19 ist eigentlich auf Patienten beschränkt, die eine zusätzliche Sauerstofftherapie benötigen. Nur bei dieser Indikation ist ein eindeutiger Nutzen belegt.

Die Indikation basiert auf der RECOVERY-Studie (wie Medscape berichtete). In der Studie reduzierte die Dexamethason-Gabe die Sterberate von Patienten mit invasiver künstlicher Beatmung von 41 auf 29% in den ersten 4 Wochen. In der Gruppe, die Sauerstoff ohne künstliche Beatmung erhielt, nahm die Sterberate nur von 26 auf 23% ab und bei denjenigen ohne Sauerstoffgabe zeigte sich kein Effekt auf das Sterberisiko. Weitere Studien sowie eine Metaanalyse der WHO unterstützen diese Indikation.

War die Situation sehr viel dramatischer als offiziell verlautbart?
Auch Prof. Dr. Eric Topol , hochdotierter Wissenschaftler am Scripps Research Center in La Jolla, Kalifornien, und US-Medscape Chefredakteur, äußerte in einem Tweet Zweifel, ob bei Trump eine Indikation für Dexamethason vorliegt, wenn er tatsächlich, wie von seinem Arzt berichtet, nur 2-mal eine kurze Sauerstoffgabe erhalten hat.

Für Topol ist eindeutig, dass der Gesundheitszustand des Präsidenten am Freitag und Samstag sehr viel schlechter war, als öffentlich zugegeben. Auf Twitter listet er 5 Punkte auf, die nun klar seien:

Die Sauerstoffsättigung nahm am Freitag rapide ab;

Er erhielt zusätzlichen Sauerstoff;

Er hatte einen hohen Fieberanstieg;

sein Lungen-CT war abnormal
und er wurde aufgrund dieser rapiden Verschlechterungen in die Klinik verlegt.



Experimenteller Antikörper-Cocktail bereits am Freitag verabreicht
Wie Topol in einem Time -Artikel schreibt, erhielt Trump bereits am Freitag „eine Infusion eines experimentellen Arzneimittels – eines monoklonalen Antikörper-Cocktails, der zwar vielversprechend ist, aber noch nicht vollständig geprüft“.

Nach Medienberichten handelt es sich dabei um das Prüfpräparat des Unternehmens Regeneron mit dem Namen REGN-COV2. Mit der Kombination aus 2 synthetisch hergestellten neutralisierenden monoklonalen Antikörpern soll eine Passivimmunisierung erreicht werden. Die Antikörper binden nicht kompetitiv an die Rezeptorbindungsdomäne des Spike-Proteins von SARS-CoV-2.

Daten aus einer Studie mit REGN-COV2 sind erst vor wenigen Tagen vorgestellt worden. Danach senkt der Antikörper-Cocktail die Viruslast in der Nase und verkürzt die Symptomdauer. Trump soll eine hohe Dosis von 8 Gramm erhalten haben. Regeneron hat kürzlich die Notfallzulassung bei der FDA für die experimentelle Antikörper-Kombination beantragt – diese ist aber noch nicht erteilt.

… und schließlich noch Remdesivir – trotz EMA-Sicherheitsbedenken
All dies weist auf einen deutlich dramatischeren Krankheitsverlauf bei US-Präsident Trump hin als öffentlich zugegeben. Nach der Verlegung in die Klinik am Freitag wurde zudem mit einer Remdesivir-Behandlung begonnen. Die nun 5 Tage lang fortgesetzt werden soll. 2 Infusions-Dosen hat Trump bereits erhalten, die er laut seiner behandelnden Ärzte „gut, ohne irgendwelche Nebenwirkungen“ vertragen hat.


Interessant ist, dass – wie berichtet – zeitgleich am Freitag der Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (PRAC) der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) eine Sicherheitsprüfung von Remdesivir (Veklury®, Gilead) angekündigt hat. Der eigentlich gegen das Ebolavirus entwickelte Wirkstoff steht in Verdacht akute Nierenschädigungen zu verursachen.

Remdesivir hat eine bedingte Zulassung, dies allerdings auch nur zur Behandlung von COVID-19 bei Patienten mit Pneumonie, die zusätzlichen Sauerstoff benötigen. Bei diesen geht man nach bisherigen Daten davon aus, dass der Nutzen mögliche Risiken überwiegt. Patienten unter mechanischer Beatmung, aber auch solche mit leichten COVID-19-Symptomen, profitieren laut derzeitiger Daten nicht von dem Wirkstoff.

Trump – ein „Risikopatient“
Wie bereits berichtet, gehört Trump mit seinen 74 Jahren, einer Adipositas (BMI ungefähr 31) und möglichen kardiovaskulären Begleiterkrankungen, die allerdings nie öffentlich bestätigt wurden, durchaus zum Typus „Risikopatient“.

In einem Tweet am Freitag hatte der ehemalige CDC-Direktor, Dr. Tom Frieden, geschrieben, dass statistisch ein 74jähriger COVID-19-Patient ein rund 3%iges Sterberisiko hat und ein 10- bis 15%iges Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf – „diese Risiken sind noch höher für Männer und bei Adipositas“.

Wo hat sich Trump infiziert? Wann wusste er von der Diagnose?
Neben den Behandlungen sorgen auch verwirrende Angaben des Weißen Hauses über die zeitlichen Umstände der Diagnose für Verwirrung. So hatte sein Leibarzt Conley bei einer Pressekonferenz am Samstag davon gesprochen, die Diagnose sei 72 Stunden her, was bedeuten würde, dass Trump bereits am Mittwoch die positiven Testergebnisse erhalten hatte. An diesem Tag hatte er aber noch offizielle Termine wahrgenommen.

In einem Follow-up-Memo war Conley dann wieder zurückgerudert. Er habe Tag 3 der Diagnose gemeint und nur irrtümlich von 72 und 48 Stunden (die Infusion des Antikörper-Cocktails) gesprochen.

Auch ist die Quelle der Infektion nach wie vor unklar. Zunächst hatte es geheißen, eine sehr enge Mitarbeiterin von Trump, Hope Hicks, die ihn auf dem Flug mit der Airforce One zur TV-Debatte mit Joe Biden begleitet hatte, sei die wahrscheinliche Quelle.

Nachdem aber immer mehr Personen aus dem direkten Umfeld positiv getestet worden sind, wird nun spekuliert, die Verkündung der neuen Anwärterin für das Richteramt am Supreme Court, Amy Coney Barrett, im Rosengarten des Weißen Hauses am vergangenen Samstag könne ein „Superspreader-Event“ gewesen sein, wie aus einem Bericht der New York Times hervorgeht.

Insgesamt scheinen Trump selbst und seine Mitarbeiter sehr bemüht, den Gesundheitszustand des Präsidenten als möglichst gut darzustellen. Conley betont immer wieder, dass es Donald Trump gut gehe, er wohlauf sei – und man eben nur bemüht sei, ihm „das Maximale an Behandlungsmöglichkeiten“ anzubieten.

Laut den öffentlichen Bulletins der Ärzte kann er aufstehen, ist guter Laune und auch seine Herz-, Leber- und Nierenfunktionen seien im Normbereich. Zusätzlich soll der Präsident unterstützend Zink, ASS, Vitamin D, Melatonin und Famotidin erhalten.

Trump mit wirrer Botschaft und einem „verantwortungslosen“ Kurzausflug
Trump selbst meldete sich am Sonntag mit einer zweiten Video-Botschaft auf Twitter. Darin dankt er für die gute Versorgung durch Ärzte und Pflegepersonal und sagt, er habe nun „viel über COVID-19 gelernt“, nicht aus Büchern, sondern „im wirklichen Leben“. Er endet mit dem etwas seltsamen Gruß: „In the meantime, we love the USA, and we love what’s happening. Thank you. “

Direkt danach machte er sich wohl zu einem kurzen Ausflug zu seinen Fans vor dem Hospital auf. Trotz der strikten Quarantäne, die er eigentlich einhalten muss, verließ er in einem schwarzen SUV die Klinik, um vom Rücksitz des Wagens, begleitet von 2 Sicherheitsleuten, seine Fans zu grüßen, die sich in der Umgebung des Krankenhauses aufhielten und ihm mit Transparenten ihre Unterstützung versicherten und ihm gute Besserung wünschten. Trump trug bei dem Ausflug eine einfache Stoffmaske.

Nicht nur seine politischen Gegner, auch Ärzte kritisierten den Kurztrip scharf. Dr. James Phillips, ein Arzt aus dem Militärkrankenhaus, wurde mit den Worten zitiert: „Jede einzelne Person im Fahrzeug muss nun wegen dieses völlig unnötigen Vorbeifahrens des Präsidenten für 14 Tage unter Quarantäne gestellt werden.“ Und weiter mit Blick auf die Sicherheitsbeamten: „Sie könnten krank werden. Sie könnten sterben. Und all das, wegen politischem Theater.“ Dies sei von Trump „erstaunlich“ verantwortungslos.

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Don't cry for me White House staffers

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Super! Ganz großes Kino!

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