Mittwoch, 21. Oktober 2020
„Sonderrechte für Spahn müssen sofort beendet werden“ – Opposition läuft Sturm gegen Verstetigungspläne
che2001, 18:35h
Christian Beneker, Medscape
Dauerhaft mehr Macht für Spahn? Das Bundesgesundheitsministerium und sein Hausherr, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), wollen über eine Neufassung des Infektionsschutzgesetzes die Sonderbefugnisse für den Minister verstetigen. Bereits zurzeit ist es auch ohne Parlamentsbeschluss möglich, dass Spahn in Eigenregie Verordnungen erlässt. Dies wurde im Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, erlassen am 27. März 2020, so festgelegt. Sie werden vom Parlament regelmäßig verlängert. Diese Regelung gilt aber nur bis zum 31. März 2021.
Nun will das BMG per Eilverfahren die bisherige Frist verlängern und deshalb das Infektionsschutzgesetz entsprechend ändern. Doch die Oppositionsparteien protestieren.
„Eine Zumutung für die Gesellschaft“
„Der Entwurf befindet sich noch in regierungsinterner Abstimmung“, teilt das BMG auf Anfrage mit und verweist auf Spahns Äußerungen zum Thema vom Dienstagmorgen. Er verteidigte im ZDF-Frühstücksfernsehen die Gesetzesänderung zu Gunsten des Rechts zur Verordnung durch einen Minister. Es sei nicht „Willkür oder Zufall“, dass der Bund oder die Bundesminister diese Möglichkeit hätten, „sondern das sind vom Bundestag beschlossene Grundlagen“, betonte Spahn.
„Auch die epidemische Lage von nationaler Tragweite ist vom Bundestag beschlossen und seither mehrfach diskutiert worden.“ Spahn sagte, vor allem die Regeln zur Einreise sollten durch die Gesetzesänderung auf eine neue Grundlage gestellt werden. „Gerade bei der Einreise, wo etwa Testpflichten eine Rolle spielen können, um den Eintrag nach Deutschland hinein zu reduzieren, kann dies nur der Bund regeln.“
Im Übrigen betonte der Bundesgesundheitsminister, wie wichtig die parlamentarische Debatte der Corona-Einschränkungen sei. Immerhin gehe es um die „größte Freiheitseinschränkung in der Geschichte der Bundesrepublik“ und um erhebliche Zumutungen für den Einzelnen und die Gesellschaft.
Der Vorstoß Spahns trifft auf erheblich Kritik der Oppositionsparteien im Bundestag. Christine Aschenberg-Dugnus, gesundheitspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, sagt zu Medscape, die von Jens Spahn gewünschte Verlängerung der Sonderrechte sei „äußerst bedenklich“. Die Kompetenz für freiheitsbeschränkenden Maßnahmen müsse „dorthin, wo sie hingehört: ins Parlament.“
Es kann nicht sein, dass wir unser wirtschaftliches und gesellschaftliches Leben weiterhin nur über den Verordnungsweg eines Ministeriums geregelt wird. Christine Aschenberg-Dugnus
Das Parlament in Deutschland sei handlungsfähig. „Dieser Prozess der Entparlamentarisierung auch in Krisenzeiten ist ungerechtfertigt und muss beendet werden. Es kann nicht sein, dass wir unser wirtschaftliches und gesellschaftliches Leben weiterhin nur über den Verordnungsweg eines Ministeriums geregelt wird“, kritisiert Aschenberg-Dugnus.
Zudem sein die Verordnungen nicht immer durchdacht, moniert die Politikerin. „Dies belegen auch die mittlerweile über 60 Gerichtsurteile, welche die vorgenommenen Maßnahmen der Regierung aufgrund mangelnder Verhältnismäßigkeit aufheben.“ In der Tat haben gerade jüngst Gerichte in Niedersachsen und Baden-Württemberg das – allerdings von den Ministerpräsidenten veranlasste – Beherbergungsverbot gekippt.
B90/Die Grünen fordert „interdisziplinären Pandemierat“
Kordula Schulz-Asche, Berichterstatterin für Infektionsschutz in der grünen Bundestagsfraktion, fordert unterdessen einen festeten Regelkatalog. „Wir müssen verstehen, dass diese Pandemie ein Marathon und kein Sprint ist“, erklärt Schulz-Asche.
Wir fordern den Bundesgesundheitsminister schon lange auf, dafür zu sorgen, dass wir die Möglichkeit einer fundierten Auseinandersetzung im Bundestag haben. Kordula Schulz-Asche
„Für die weitere Bekämpfung des Virus ist es überfällig, dass wir einen klaren Regelkatalog schaffen, der dadurch zustande kommt, dass sich stets Parlamente und nicht nur Ministerien damit befassen. Wir fordern den Bundesgesundheitsminister schon lange auf, dafür zu sorgen, dass wir die Möglichkeit einer fundierten Auseinandersetzung im Bundestag haben. Die Zeit der schnellen Lösungen läuft ab, jetzt muss die Stunde der wirksamen Lösungen schlagen!“
Damit Maßnahmen tatsächlich Wirkung entfalten und die Menschen sie nachvollziehen können, „fordern wir einen interdisziplinären Pandemierat, der unsere Arbeit an einer differenzierten Präventionsstrategie begleitet“, so Schulz-Asche. Da nicht nur die Pandemie selbst, sondern auch die Gegenmaßnahmen gesundheitliche, soziale und ökonomische Folgen hätten, „müssen wir für eine wirksame Pandemiebekämpfung mit Augenmaß sorgen. Denn Bevölkerungsschutz funktioniert in einer demokratischen Gesellschaft nur, wenn die Bürgerinnen und Bürger von der Wirkung von Alltagseinschränkungen überzeugt sind“.
Die Sonderrechte für Bundesgesundheitsminister Spahn müssen sofort beendet werden. Die Bundesregierung darf sie nicht entfristen! Dr. Achim Kessler
Dr. Achim Kessler, der gesundheitspolitische Sprecher der Linken-Fraktion erklärt: „Die Sonderrechte für Bundesgesundheitsminister Spahn müssen sofort beendet werden. Die Bundesregierung darf sie nicht entfristen!“ Wenn die Einschränkung von Grund- oder Freiheitsrechten zum Infektionsschutz erwogen würden, dann müsse die Entscheidung darüber „zwingend vom Parlament getroffen“ werden, so Kessler gegenüber Medscape.
Maßnahmen müssten entweder direkt in Form von Gesetzen verabschiedet oder nachträglich parlamentarisch bestätigt werden und nicht verordnet. Eine öffentliche Debatte über die richtigen Maßnahmen im Bundestag sei längst überfällig, um Transparenz für die Bevölkerung herzustellen.
Dauerhaft mehr Macht für Spahn? Das Bundesgesundheitsministerium und sein Hausherr, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), wollen über eine Neufassung des Infektionsschutzgesetzes die Sonderbefugnisse für den Minister verstetigen. Bereits zurzeit ist es auch ohne Parlamentsbeschluss möglich, dass Spahn in Eigenregie Verordnungen erlässt. Dies wurde im Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, erlassen am 27. März 2020, so festgelegt. Sie werden vom Parlament regelmäßig verlängert. Diese Regelung gilt aber nur bis zum 31. März 2021.
Nun will das BMG per Eilverfahren die bisherige Frist verlängern und deshalb das Infektionsschutzgesetz entsprechend ändern. Doch die Oppositionsparteien protestieren.
„Eine Zumutung für die Gesellschaft“
„Der Entwurf befindet sich noch in regierungsinterner Abstimmung“, teilt das BMG auf Anfrage mit und verweist auf Spahns Äußerungen zum Thema vom Dienstagmorgen. Er verteidigte im ZDF-Frühstücksfernsehen die Gesetzesänderung zu Gunsten des Rechts zur Verordnung durch einen Minister. Es sei nicht „Willkür oder Zufall“, dass der Bund oder die Bundesminister diese Möglichkeit hätten, „sondern das sind vom Bundestag beschlossene Grundlagen“, betonte Spahn.
„Auch die epidemische Lage von nationaler Tragweite ist vom Bundestag beschlossen und seither mehrfach diskutiert worden.“ Spahn sagte, vor allem die Regeln zur Einreise sollten durch die Gesetzesänderung auf eine neue Grundlage gestellt werden. „Gerade bei der Einreise, wo etwa Testpflichten eine Rolle spielen können, um den Eintrag nach Deutschland hinein zu reduzieren, kann dies nur der Bund regeln.“
Im Übrigen betonte der Bundesgesundheitsminister, wie wichtig die parlamentarische Debatte der Corona-Einschränkungen sei. Immerhin gehe es um die „größte Freiheitseinschränkung in der Geschichte der Bundesrepublik“ und um erhebliche Zumutungen für den Einzelnen und die Gesellschaft.
Der Vorstoß Spahns trifft auf erheblich Kritik der Oppositionsparteien im Bundestag. Christine Aschenberg-Dugnus, gesundheitspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, sagt zu Medscape, die von Jens Spahn gewünschte Verlängerung der Sonderrechte sei „äußerst bedenklich“. Die Kompetenz für freiheitsbeschränkenden Maßnahmen müsse „dorthin, wo sie hingehört: ins Parlament.“
Es kann nicht sein, dass wir unser wirtschaftliches und gesellschaftliches Leben weiterhin nur über den Verordnungsweg eines Ministeriums geregelt wird. Christine Aschenberg-Dugnus
Das Parlament in Deutschland sei handlungsfähig. „Dieser Prozess der Entparlamentarisierung auch in Krisenzeiten ist ungerechtfertigt und muss beendet werden. Es kann nicht sein, dass wir unser wirtschaftliches und gesellschaftliches Leben weiterhin nur über den Verordnungsweg eines Ministeriums geregelt wird“, kritisiert Aschenberg-Dugnus.
Zudem sein die Verordnungen nicht immer durchdacht, moniert die Politikerin. „Dies belegen auch die mittlerweile über 60 Gerichtsurteile, welche die vorgenommenen Maßnahmen der Regierung aufgrund mangelnder Verhältnismäßigkeit aufheben.“ In der Tat haben gerade jüngst Gerichte in Niedersachsen und Baden-Württemberg das – allerdings von den Ministerpräsidenten veranlasste – Beherbergungsverbot gekippt.
B90/Die Grünen fordert „interdisziplinären Pandemierat“
Kordula Schulz-Asche, Berichterstatterin für Infektionsschutz in der grünen Bundestagsfraktion, fordert unterdessen einen festeten Regelkatalog. „Wir müssen verstehen, dass diese Pandemie ein Marathon und kein Sprint ist“, erklärt Schulz-Asche.
Wir fordern den Bundesgesundheitsminister schon lange auf, dafür zu sorgen, dass wir die Möglichkeit einer fundierten Auseinandersetzung im Bundestag haben. Kordula Schulz-Asche
„Für die weitere Bekämpfung des Virus ist es überfällig, dass wir einen klaren Regelkatalog schaffen, der dadurch zustande kommt, dass sich stets Parlamente und nicht nur Ministerien damit befassen. Wir fordern den Bundesgesundheitsminister schon lange auf, dafür zu sorgen, dass wir die Möglichkeit einer fundierten Auseinandersetzung im Bundestag haben. Die Zeit der schnellen Lösungen läuft ab, jetzt muss die Stunde der wirksamen Lösungen schlagen!“
Damit Maßnahmen tatsächlich Wirkung entfalten und die Menschen sie nachvollziehen können, „fordern wir einen interdisziplinären Pandemierat, der unsere Arbeit an einer differenzierten Präventionsstrategie begleitet“, so Schulz-Asche. Da nicht nur die Pandemie selbst, sondern auch die Gegenmaßnahmen gesundheitliche, soziale und ökonomische Folgen hätten, „müssen wir für eine wirksame Pandemiebekämpfung mit Augenmaß sorgen. Denn Bevölkerungsschutz funktioniert in einer demokratischen Gesellschaft nur, wenn die Bürgerinnen und Bürger von der Wirkung von Alltagseinschränkungen überzeugt sind“.
Die Sonderrechte für Bundesgesundheitsminister Spahn müssen sofort beendet werden. Die Bundesregierung darf sie nicht entfristen! Dr. Achim Kessler
Dr. Achim Kessler, der gesundheitspolitische Sprecher der Linken-Fraktion erklärt: „Die Sonderrechte für Bundesgesundheitsminister Spahn müssen sofort beendet werden. Die Bundesregierung darf sie nicht entfristen!“ Wenn die Einschränkung von Grund- oder Freiheitsrechten zum Infektionsschutz erwogen würden, dann müsse die Entscheidung darüber „zwingend vom Parlament getroffen“ werden, so Kessler gegenüber Medscape.
Maßnahmen müssten entweder direkt in Form von Gesetzen verabschiedet oder nachträglich parlamentarisch bestätigt werden und nicht verordnet. Eine öffentliche Debatte über die richtigen Maßnahmen im Bundestag sei längst überfällig, um Transparenz für die Bevölkerung herzustellen.
... comment