Dienstag, 2. Februar 2021
Seelischer Stress und Angst vor Ansteckung: Die Pandemie drückt auf die Psyche – informiert zu sein, wirkt entlastend
che2001, 17:40h
Ute Eppinger, Medscape
Die COVID-19-Pandemie stellt für viele Menschen eine enorme psychische Belastung dar: Das ist das Zwischenergebnis einer seit 10. März 2020 laufenden Querschnitt-Studie der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der LVR-Kliniken Essen [1]. Befragt wurden bislang knapp 25.000 Teilnehmer.
65% der Befragten empfinden aufgrund der Pandemie seelischen Stress, 59% fürchten sich davor, sich mit COVID-19 zu infizieren, 45% berichten von erhöhter Ängstlichkeit, 14% von depressiven Symptomen. Die Studiendaten zeigen aber auch: Informiertheit und Vertrauen in die Regierung wirken entlastend.
„Wir wollen herausfinden, welche Faktoren mit einer Verschlechterung des psychischen Zustands und welche mit einer Entlastung verbunden sind“, erklärt Prof. Dr. Martin Teufel, der als Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie die Studie leitet und für die Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM) eine Zwischenbilanz zieht. Erhoben werden in der Befragung Angaben zu Symptomen für Depressionen und Angst, zu negativer Stressbelastung und zum Gesundheitszustand sowie zu Alter und Geschlecht.
Psychisch kranke Menschen leiden besonders unter der Pandemie
„Man könnte sagen: Bis zu einem gewissen Grad sind wir alle Patienten in der Pandemie“, bilanziert Teufel. „Dabei berichteten Frauen und junge Menschen über eine insgesamt höhere seelische Belastung als der Durchschnitt.“
Bei Frauen könnte das an der häufigen Doppelbelastung durch Homeoffice und Homeschooling liegen; Heranwachsende wiederum machten sich Sorgen um ihre Bildungschancen, gleichzeitig ist das Treffen in Peer-Groups seit Monaten stark eingeschränkt.
Die Analyse der Daten zeigt, dass Menschen mit Depressionen, Angsterkrankungen oder Persönlichkeitsstörungen am deutlichsten unter den Begleiterscheinungen der Pandemie leiden. „Sie sind besonders gefährdet“, betont Teufel. „Viele berichten über verstärkte Symptome wie Schlafstörungen oder Antriebslosigkeit.“
Ursachen dafür können der Wegfall von Psychotherapien und Aktivitäten sein, die stabilisierend wirken. Auch Menschen mit neurotizistischen Tendenzen fehle das zwischenmenschliche Korrektiv ganz besonders – die Spiegelung im Sportverein, in der Familie oder durch Arbeitskollegen, um im seelischen Gleichgewicht zu bleiben.
„Für Menschen mit psychischen Vorerkrankungen ist es daher wichtig, in der Zeit der Pandemie auf psychologische Unterstützung über Telefonate, Videositzungen oder online zurückgreifen zu können“, sagt Teufel.
Man könnte sagen: Bis zu einem gewissen Grad sind wir alle Patienten in der Pandemie. Prof. Dr. Martin Teufel
Eines dieser Angebote ist das Online-Unterstützungsprogramm CoPE It des LVR-Klinikums Essen. Es wurde entwickelt, um den pandemiebedingt schwierigen Zugang zu Psychotherapien aufzufangen. Es besteht aus 4 Modulen und stellt allen, die unter depressiven Symptomen wie Ängstlichkeit, Antriebslosigkeit oder Ärger leiden, Expertenwissen und Selbsthilfe-Trainings über Podcasts und Videos zur Verfügung.
Im Vergleich mit gesunden Teilnehmern gaben Krebspatienten in der Umfrage keine höhere Stressbelastung oder Angst vor Ansteckung an (p=0,680). „Das ist ein beruhigender Befund“, stellt Teufel fest.
Patienten mit chronischen Erkrankungen stabilisieren ihre seelische Situation ganz offenbar durch angemessenes Sicherheitsverhalten. Prof. Dr. Martin Teufel
„Patienten mit chronischen Erkrankungen stabilisieren ihre seelische Situation ganz offenbar durch angemessenes Sicherheitsverhalten, indem sie sich etwa häufig die Hände waschen oder öffentliche Plätze meiden“, erklärt Teufel.
Informiertheit und Vertrauen in die Regierung wirken entlastend
In ihrer Studie identifizierten die Wissenschaftler auch Faktoren, die in der Pandemie psychisch entlastend wirken. Dazu zählen die Informiertheit über das Geschehen sowie Vertrauen ins Handeln der Politik. „Die Untersuchung zeigt klar auf: Wer sich subjektiv gut informiert fühlt oder Vertrauen in die staatlichen Maßnahmen hat, leidet weniger unter Angst oder psychischer Belastung“, berichtet Teufel.
Im Idealfall kommt beides zusammen: „Wir konnten an den Daten klar erkennen, dass die Fernsehansprache von Kanzlerin Angela Merkel im März 2020 Angst und Depression in der deutschen Bevölkerung reduzierte“, so Teufel. „Dies zeigt, wie wichtig es in Krisensituationen sein kann, dass Regierungen transparent und verständlich informieren, um Vertrauen herzustellen.“ Über konservative Medien, so die Einschätzung der Forscher, ließen sich Menschen zielführend erreichen.
Wer sich subjektiv gut informiert fühlt oder Vertrauen in die staatlichen Maßnahmen hat, leidet weniger unter Angst oder psychischer Belastung. Prof. Dr. Martin Teufel
Während die Bundeskanzlerin beim Krisenmanagement durch Aufklärung gut abschneidet, zeichnen vergleichbare Daten aus China und Russland, an denen die Arbeitsgruppe aus Nordrhein-Westfalen ebenfalls beteiligt war, ein anderes Bild [2]. „Die Rückmeldungen von mehr als 23.000 russischen Bürgern belegen ein viel geringeres Vertrauen in die Regierung als erwartet“, berichtet Teufel. „Gleichzeitig konsumieren die Menschen dort mehr Nachrichten im Internet, was ihre Ängste weiter steigert.“
Selbstwirksamkeit durch Aufklärung
Sämtliche Analysen der Essener Studien zeigen: Wer sich in der Pandemie gut informiert fühlt, hat weniger Angst. „Nachvollziehbare Informationen fördern die individuelle Selbstwirksamkeit, die Einstellung, Dinge ein Stück weit selbst in der Hand zu haben und einer bedrohlichen Situation begegnen zu können – etwa mit Sicherheitsmaßnahmen zur Abwehr einer COVID-19-Infektion“, bestätigt PD Dr. Florian Junne, stellvertretender Ärztlicher Direktor der Abteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Tübingen und Co-Autor der Studie. „So gelingt es Menschen, ihre Angst unter Kontrolle zu halten und nicht lähmend werden zu lassen“, fügt Junne hinzu.
Auch das vollständige Leugnen der Gefährlichkeit des Virus oder gar Verschwörungserzählungen können im Sinne psychologischer Abwehrmechanismen verstanden werden. Prof. Dr. Martin Teufel
Das Bedürfnis, die eigene Angst und Unsicherheit zu bewältigen, kann allerdings auch zu untauglichen Kompensationsversuchen wie der Pseudo-Kontrolle führen. „Darunter fällt beispielsweise das massenhafte Horten von Klopapier oder hochkalorischen Lebensmitteln“, zählt Teufel auf. „Aber auch das vollständige Leugnen der Gefährlichkeit des Virus oder gar Verschwörungserzählungen können im Sinne psychologischer Abwehrmechanismen verstanden werden – als Korrelate intrapsychischer Vorgänge, um mit Unsicherheit und Angst umzugehen.“
Die COVID-19-Pandemie stellt für viele Menschen eine enorme psychische Belastung dar: Das ist das Zwischenergebnis einer seit 10. März 2020 laufenden Querschnitt-Studie der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der LVR-Kliniken Essen [1]. Befragt wurden bislang knapp 25.000 Teilnehmer.
65% der Befragten empfinden aufgrund der Pandemie seelischen Stress, 59% fürchten sich davor, sich mit COVID-19 zu infizieren, 45% berichten von erhöhter Ängstlichkeit, 14% von depressiven Symptomen. Die Studiendaten zeigen aber auch: Informiertheit und Vertrauen in die Regierung wirken entlastend.
„Wir wollen herausfinden, welche Faktoren mit einer Verschlechterung des psychischen Zustands und welche mit einer Entlastung verbunden sind“, erklärt Prof. Dr. Martin Teufel, der als Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie die Studie leitet und für die Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM) eine Zwischenbilanz zieht. Erhoben werden in der Befragung Angaben zu Symptomen für Depressionen und Angst, zu negativer Stressbelastung und zum Gesundheitszustand sowie zu Alter und Geschlecht.
Psychisch kranke Menschen leiden besonders unter der Pandemie
„Man könnte sagen: Bis zu einem gewissen Grad sind wir alle Patienten in der Pandemie“, bilanziert Teufel. „Dabei berichteten Frauen und junge Menschen über eine insgesamt höhere seelische Belastung als der Durchschnitt.“
Bei Frauen könnte das an der häufigen Doppelbelastung durch Homeoffice und Homeschooling liegen; Heranwachsende wiederum machten sich Sorgen um ihre Bildungschancen, gleichzeitig ist das Treffen in Peer-Groups seit Monaten stark eingeschränkt.
Die Analyse der Daten zeigt, dass Menschen mit Depressionen, Angsterkrankungen oder Persönlichkeitsstörungen am deutlichsten unter den Begleiterscheinungen der Pandemie leiden. „Sie sind besonders gefährdet“, betont Teufel. „Viele berichten über verstärkte Symptome wie Schlafstörungen oder Antriebslosigkeit.“
Ursachen dafür können der Wegfall von Psychotherapien und Aktivitäten sein, die stabilisierend wirken. Auch Menschen mit neurotizistischen Tendenzen fehle das zwischenmenschliche Korrektiv ganz besonders – die Spiegelung im Sportverein, in der Familie oder durch Arbeitskollegen, um im seelischen Gleichgewicht zu bleiben.
„Für Menschen mit psychischen Vorerkrankungen ist es daher wichtig, in der Zeit der Pandemie auf psychologische Unterstützung über Telefonate, Videositzungen oder online zurückgreifen zu können“, sagt Teufel.
Man könnte sagen: Bis zu einem gewissen Grad sind wir alle Patienten in der Pandemie. Prof. Dr. Martin Teufel
Eines dieser Angebote ist das Online-Unterstützungsprogramm CoPE It des LVR-Klinikums Essen. Es wurde entwickelt, um den pandemiebedingt schwierigen Zugang zu Psychotherapien aufzufangen. Es besteht aus 4 Modulen und stellt allen, die unter depressiven Symptomen wie Ängstlichkeit, Antriebslosigkeit oder Ärger leiden, Expertenwissen und Selbsthilfe-Trainings über Podcasts und Videos zur Verfügung.
Im Vergleich mit gesunden Teilnehmern gaben Krebspatienten in der Umfrage keine höhere Stressbelastung oder Angst vor Ansteckung an (p=0,680). „Das ist ein beruhigender Befund“, stellt Teufel fest.
Patienten mit chronischen Erkrankungen stabilisieren ihre seelische Situation ganz offenbar durch angemessenes Sicherheitsverhalten. Prof. Dr. Martin Teufel
„Patienten mit chronischen Erkrankungen stabilisieren ihre seelische Situation ganz offenbar durch angemessenes Sicherheitsverhalten, indem sie sich etwa häufig die Hände waschen oder öffentliche Plätze meiden“, erklärt Teufel.
Informiertheit und Vertrauen in die Regierung wirken entlastend
In ihrer Studie identifizierten die Wissenschaftler auch Faktoren, die in der Pandemie psychisch entlastend wirken. Dazu zählen die Informiertheit über das Geschehen sowie Vertrauen ins Handeln der Politik. „Die Untersuchung zeigt klar auf: Wer sich subjektiv gut informiert fühlt oder Vertrauen in die staatlichen Maßnahmen hat, leidet weniger unter Angst oder psychischer Belastung“, berichtet Teufel.
Im Idealfall kommt beides zusammen: „Wir konnten an den Daten klar erkennen, dass die Fernsehansprache von Kanzlerin Angela Merkel im März 2020 Angst und Depression in der deutschen Bevölkerung reduzierte“, so Teufel. „Dies zeigt, wie wichtig es in Krisensituationen sein kann, dass Regierungen transparent und verständlich informieren, um Vertrauen herzustellen.“ Über konservative Medien, so die Einschätzung der Forscher, ließen sich Menschen zielführend erreichen.
Wer sich subjektiv gut informiert fühlt oder Vertrauen in die staatlichen Maßnahmen hat, leidet weniger unter Angst oder psychischer Belastung. Prof. Dr. Martin Teufel
Während die Bundeskanzlerin beim Krisenmanagement durch Aufklärung gut abschneidet, zeichnen vergleichbare Daten aus China und Russland, an denen die Arbeitsgruppe aus Nordrhein-Westfalen ebenfalls beteiligt war, ein anderes Bild [2]. „Die Rückmeldungen von mehr als 23.000 russischen Bürgern belegen ein viel geringeres Vertrauen in die Regierung als erwartet“, berichtet Teufel. „Gleichzeitig konsumieren die Menschen dort mehr Nachrichten im Internet, was ihre Ängste weiter steigert.“
Selbstwirksamkeit durch Aufklärung
Sämtliche Analysen der Essener Studien zeigen: Wer sich in der Pandemie gut informiert fühlt, hat weniger Angst. „Nachvollziehbare Informationen fördern die individuelle Selbstwirksamkeit, die Einstellung, Dinge ein Stück weit selbst in der Hand zu haben und einer bedrohlichen Situation begegnen zu können – etwa mit Sicherheitsmaßnahmen zur Abwehr einer COVID-19-Infektion“, bestätigt PD Dr. Florian Junne, stellvertretender Ärztlicher Direktor der Abteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Tübingen und Co-Autor der Studie. „So gelingt es Menschen, ihre Angst unter Kontrolle zu halten und nicht lähmend werden zu lassen“, fügt Junne hinzu.
Auch das vollständige Leugnen der Gefährlichkeit des Virus oder gar Verschwörungserzählungen können im Sinne psychologischer Abwehrmechanismen verstanden werden. Prof. Dr. Martin Teufel
Das Bedürfnis, die eigene Angst und Unsicherheit zu bewältigen, kann allerdings auch zu untauglichen Kompensationsversuchen wie der Pseudo-Kontrolle führen. „Darunter fällt beispielsweise das massenhafte Horten von Klopapier oder hochkalorischen Lebensmitteln“, zählt Teufel auf. „Aber auch das vollständige Leugnen der Gefährlichkeit des Virus oder gar Verschwörungserzählungen können im Sinne psychologischer Abwehrmechanismen verstanden werden – als Korrelate intrapsychischer Vorgänge, um mit Unsicherheit und Angst umzugehen.“
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