Donnerstag, 4. Februar 2021
Inzidenz unter 50, und dann?
che2001, 17:11h
NO-COVID-Initiative will Strategie-Wechsel: So vermeiden wir ein Jahr 2021 im Stotter-Lockdown
Sonja Böhm, Medscape
Eine Gruppe von Forschenden schlägt einen Strategiewechsel im Umgang mit der Corona-Pandemie vor: Bei der „NO-COVID“-Strategie soll die Zahl der Neuinfektionen (und Todesfälle durch COVID-19) drastisch reduziert werden – weit unter den bislang als Grenze kommunizierten Wert von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in 7 Tagen – auf Werte von maximal 10 oder niedriger. Hat man dies erreicht, können sogenannte grüne Zonen eingerichtet werden, z.B. Landkreise, in denen gelockert werden kann. Kommt es zu sporadischen Ausbrüchen, müssen diese rigoros gemanagt werden.
Wir haben in der aktuellen Situation das Schlechteste aus zwei Welten: Wir fahren die Wirtschaft an die Wand, … und wir haben hohe Kranken- und Todeszahlen. Prof. Dr. Michael Hallek
Vorbild für diese Strategie sind Länder, die damit erfolgreich waren, wie Australien, China oder Südkorea. Prof. Dr. Michael Hallek, Direktor der Klinik I für Innere Medizin, Uniklinik Köln, ein Verfechter des Strategiewechsels, erläutert dies so: „ Wir haben in der aktuellen Situation das Schlechteste aus zwei Welten: Wir fahren die Wirtschaft an die Wand, um es mal etwas plakativ zu formulieren, und wir haben hohe Kranken- und Todeszahlen. Das kann doch nicht die letzte Lösung sein!“
Keine andere Wahl, um Szenarien wie Irland und Portugal zu vermeiden
Halleks Vorschlag und der seiner Kollegen in der NO-COVID-Initiative: Keine weitreichenden Lockerungen, wenn vielleicht am 14. Februar eine 7-Tagesinzidenz von 50 oder weniger bundesweit erreicht ist. Man solle dann noch einige Wochen mit dem Lockdown weiter machen, bis ein Wert unter 10 (nahe null) erreicht sei. Dies habe z.B. in Australien selbst in Millionenstädten wie Melbourne und Sydney funktioniert.
Prof. Dr. Michael Hallek
„Wir haben keine andere Wahl“, zeigte sich Hallek bei einem Gespräch des Science Media Center überzeugt. Dies vor allem auch vor dem Hintergrund der sich auch in Deutschland bereits ausbreitenden ansteckenderen Mutationen. Diese machten „vorsichtig geschätzt“ bereits rund 5% der Neuinfektionen im Raum Köln aus, sagte er.
„Das heißt, wir sind bereits in exponentiellem Wachstum, und wenn wir in so einer Phase den Lockdown beenden, werden wir innerhalb von zwei bis drei Wochen eine extrem rasante Ausbruchsituation haben, so ähnlich wie wir es in Irland, in UK oder Portugal beobachten. Das müssen wir unter allen Umständen vermeiden!“
Es gilt im Handeln „vor das Virus zu kommen“
Auch Prof. Dr. Dirk Brockmann engagiert sich bei NO-COVID. Er ist Leiter der Forschungsgruppe für komplexe Systeme an der Humboldt-Universität zu Berlin und „Modellierer“. Derzeit reagiere man auf Veränderungen zu langsam, argumentiert er: Es entstehe über Wochen eine Infektionswelle wie Ende des Sommers, dann reagiere die Politik – und die Welle gehe nur allmählich wieder nach unten. „Auf diese Art sind wir immer langsamer als die Pandemie.“
Es gilt schneller, gezielter und früher zu reagieren, so dass man in der Zeitskala vor das Virus rückt. Prof. Dr. Dirk Brockmann
Bei derart dynamischen Prozessen gelte es aber „schneller, gezielter und früher“ zu reagieren, so „dass man in der Zeitskala vor das Virus rückt. Dann ändert sich die Dynamik, dann kann sich das auch qualitativ ändern“, erläutert er.
So lasse sich das Virus auf einem viel geringeren Niveau halten – „ein vielversprechender Ansatz“. Um so schnell zu sein, dürfe man aber nicht jedes Mal auf Entscheidungen der Politik warten müssen. Es müsse bei Ausbrüchen „automatisiert, regional, gezielt und schnell“ reagiert werden, so Brockmann.
Strategie-Wechsel kann zu einem Motivations-Push beitragen
Solche automatisierten Systeme kämen auch den Wünschen der Bevölkerung entgegen, berichtet Prof. Dr. Cornelia Betsch. Sie ist Heisenberg-Professorin für Gesundheitskommunikation an der Universität Erfurt und Initiatorin des Projekts COVID-19 Snapshot Monitoring (COSMO), das regelmäßig in der Bevölkerung die Stimmung in der Corona-Pandemie abfragt.
Sie hat festgestellt, dass das Vertrauen in die Regierung sinkt – selbst bei denjenigen, die die Maßnahmen eigentlich befürworten. Die Menschen seien immer unwilliger dabei, sich an die Beschränkungen zu halten. Gleichzeitig wünschten sich fast 80% ein einheitlicheres System für Lockerungen und Verschärfungen, das klar verständlich sei. Auch könne eine Strategiewechsel wieder zu einem „Motivations-Push“ beitragen, meint Betsch.
Auch Hallek ist optimistisch, dass es der Politik gelingen könne, die Bevölkerung bei einem solchen Strategiewechsel mitzunehmen: „Das Narrativ ist: Lasst es uns jetzt endgültig in den Griff bekommen!“ Viele hätten derzeit die Sorge, wir könnten uns in einer Art „Stotter-Lockdown“ bis zum Jahresende hangeln.
Mit einem verlängerten Lockdown, so meint er, könnte es vielleicht gelingen, bis März in die „grüne Zone“ zu gelangen. Eine Unbekannte in der Rechnung sei aber die weitere Ausbreitung der Mutationen, diese könne das Konzept zunichtemachen. Hallek zeigte sich zutiefst überzeugt, dass das bisherige Konzept der „Eindämmung“ und des „mit dem Virus leben“ nicht funktioniert. Dafür sei der Erreger „ein bisschen zu leicht übertragbar und ein bisschen zu krankmachend“ – und habe zudem die ungünstige Eigenschaft, auch von Symptomlosen weiter verbreitet zu werden.
„Das ist politisch gut kommunizierbar!“
Nun helfe nur „ein echter Strategiewechsel, weg von der ‚Flatten-the-Curve-Strategie‘ hin zu einer klaren Kontrolle des Virus, zu unseren Bedingungen, proaktiv und bei Niedrigst-Inzidenzen, nahe Null oder bei Null. Das ist politisch auch gut kommunizierbar!“
Auch Brockmann hat keinen Zweifel, dass NO-COVID eine bessere Strategie ist, als etwa die von einigen Bundesländern vorgeschlagenen Stufenpläne zur schrittweisen Öffnung bei Inzidenzen unter 100, 50 bzw. 25. Denn damit bleibe man in einem sehr instabilen Bereich – dies auch im Hinblick auf die Ausbreitung der ansteckenderen Variationen des Virus.
Das Narrativ ist: Lasst es uns jetzt endgültig in den Griff bekommen! Prof. Dr. Michael Hallek
„Man muss sich eine Situation vorstellen, in der überall die Zahlen gering sind, und ab und zu bricht es mal lokal wieder aus und man reagiert sofort und dämmt es wieder ein. Das funktioniert dynamisch viel, viel effektiver“, betont er.
Und die praktische Umsetzung? Wie Mobilität steuern?
Bleibt die kritische Frage: Wenn in einzelnen Regionen niedrige Infektionszahlen erreicht werden, in anderen aber nicht, wie will man dann die interregionale Mobilität steuern? Die praktische Umsetzung sei lange in der Gruppe diskutiert worden, berichtet Hallek. Doch seien er und seine Mitstreiter optimistisch: „Es reicht wahrscheinlich, dass man Stichproben erhebt. Also wenn man sagt, aus einer ‚roten Zone‘ ist man eigentlich nicht zur Mobilität berechtigt, weil die Pandemie-Regeln noch gelten so wie jetzt, dann kann man dies wie bei einer Verkehrskontrolle stichprobenartig erheben, und bei Zuwiderhandeln gibt es eine Strafe.“
„Ich glaube, es geht mit einem so einfachen System“, so Hallek weiter, „wenn da ein gewisses Risiko besteht, dass man erwischt wird. Dann müsste man keine Polizeisperren an den Ausfallstraßen aufbauen, das ist natürlich vollkommen unrealistisch.“ Betsch gibt ihm recht: Allein die Chance ertappt zu werden und einfach ein bisschen etwas löhnen zu müssen, reiche oft. Ein Compliance-Forscher in der NO-COVID-Initiative habe auch bestätigt, dass die Chance, dass man erwischt werde – und nicht die Höhe der Strafe, Menschen motiviere, sich an Maßnahmen zu halten. Hallek: „Wir sind da ganz pragmatisch und versuchen, praktische Lösungen zu denken.“
Zeitfenster von Symptombeginn bis Isolierung ist viel zu lang
Apropos pragmatisch: Noch in einem weiteren Aspekt gelte es sehr viel schneller zu werden, betonte der Wissenschaftler. Derzeit vergehen im Schnitt von der ersten Symptomatik bei einem Neu-Infizierten und dem Zeitpunkt seiner Isolierung zwischen 5 und 9 (!) Tage – bis die Tests gemacht sind, die Ergebnisse vorliegen, diese kommuniziert und die Isolierungsmaßnahmen bei ihm und in seinem Umfeld umgesetzt sind.
Die Initiative habe auch modelliert, was es bringen könne, diesen Zeitraum zu verkürzen. „Eine Verkürzung nur um ein bis zwei Tage, so haben wir modelliert, hätte einen zweiten Lockdown und eine zweite Welle wahrscheinlich weitgehend neutralisiert“, berichtete Hallek. Es gebe einige Experten, auch im öffentlichen Gesundheitswesen, die dieses „wirklich realistische Ziel, Geschwindigkeiten zu schaffen“ unterstützten.
Die größten Hürden für die Umsetzung ihres Strategiewechsels sehen die Experten, zum einen in der Politik. Politiker hätten Bedenken, dass sich das hochgesteckte Ziel der Nahe-Null-Inzidenz nicht umsetzen und die damit verknüpften Versprechen nicht einhalten ließen. Das andere Gegenargument seien die Schwierigkeiten, in einem dicht vernetzten Gebiet wie Europa die Mobilität entsprechend einzuschränken.
Doch prinzipiell treibe alle die gleiche Frage um: Wie gehen wir nach dem jetzigen Lockdown mit der Krise um, wenn die Inzidenz bei 50 ist? Hallek: „Alle wollen eine Antwort, und ich glaube, wir bieten die beste Antwort darauf."
Sonja Böhm, Medscape
Eine Gruppe von Forschenden schlägt einen Strategiewechsel im Umgang mit der Corona-Pandemie vor: Bei der „NO-COVID“-Strategie soll die Zahl der Neuinfektionen (und Todesfälle durch COVID-19) drastisch reduziert werden – weit unter den bislang als Grenze kommunizierten Wert von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in 7 Tagen – auf Werte von maximal 10 oder niedriger. Hat man dies erreicht, können sogenannte grüne Zonen eingerichtet werden, z.B. Landkreise, in denen gelockert werden kann. Kommt es zu sporadischen Ausbrüchen, müssen diese rigoros gemanagt werden.
Wir haben in der aktuellen Situation das Schlechteste aus zwei Welten: Wir fahren die Wirtschaft an die Wand, … und wir haben hohe Kranken- und Todeszahlen. Prof. Dr. Michael Hallek
Vorbild für diese Strategie sind Länder, die damit erfolgreich waren, wie Australien, China oder Südkorea. Prof. Dr. Michael Hallek, Direktor der Klinik I für Innere Medizin, Uniklinik Köln, ein Verfechter des Strategiewechsels, erläutert dies so: „ Wir haben in der aktuellen Situation das Schlechteste aus zwei Welten: Wir fahren die Wirtschaft an die Wand, um es mal etwas plakativ zu formulieren, und wir haben hohe Kranken- und Todeszahlen. Das kann doch nicht die letzte Lösung sein!“
Keine andere Wahl, um Szenarien wie Irland und Portugal zu vermeiden
Halleks Vorschlag und der seiner Kollegen in der NO-COVID-Initiative: Keine weitreichenden Lockerungen, wenn vielleicht am 14. Februar eine 7-Tagesinzidenz von 50 oder weniger bundesweit erreicht ist. Man solle dann noch einige Wochen mit dem Lockdown weiter machen, bis ein Wert unter 10 (nahe null) erreicht sei. Dies habe z.B. in Australien selbst in Millionenstädten wie Melbourne und Sydney funktioniert.
Prof. Dr. Michael Hallek
„Wir haben keine andere Wahl“, zeigte sich Hallek bei einem Gespräch des Science Media Center überzeugt. Dies vor allem auch vor dem Hintergrund der sich auch in Deutschland bereits ausbreitenden ansteckenderen Mutationen. Diese machten „vorsichtig geschätzt“ bereits rund 5% der Neuinfektionen im Raum Köln aus, sagte er.
„Das heißt, wir sind bereits in exponentiellem Wachstum, und wenn wir in so einer Phase den Lockdown beenden, werden wir innerhalb von zwei bis drei Wochen eine extrem rasante Ausbruchsituation haben, so ähnlich wie wir es in Irland, in UK oder Portugal beobachten. Das müssen wir unter allen Umständen vermeiden!“
Es gilt im Handeln „vor das Virus zu kommen“
Auch Prof. Dr. Dirk Brockmann engagiert sich bei NO-COVID. Er ist Leiter der Forschungsgruppe für komplexe Systeme an der Humboldt-Universität zu Berlin und „Modellierer“. Derzeit reagiere man auf Veränderungen zu langsam, argumentiert er: Es entstehe über Wochen eine Infektionswelle wie Ende des Sommers, dann reagiere die Politik – und die Welle gehe nur allmählich wieder nach unten. „Auf diese Art sind wir immer langsamer als die Pandemie.“
Es gilt schneller, gezielter und früher zu reagieren, so dass man in der Zeitskala vor das Virus rückt. Prof. Dr. Dirk Brockmann
Bei derart dynamischen Prozessen gelte es aber „schneller, gezielter und früher“ zu reagieren, so „dass man in der Zeitskala vor das Virus rückt. Dann ändert sich die Dynamik, dann kann sich das auch qualitativ ändern“, erläutert er.
So lasse sich das Virus auf einem viel geringeren Niveau halten – „ein vielversprechender Ansatz“. Um so schnell zu sein, dürfe man aber nicht jedes Mal auf Entscheidungen der Politik warten müssen. Es müsse bei Ausbrüchen „automatisiert, regional, gezielt und schnell“ reagiert werden, so Brockmann.
Strategie-Wechsel kann zu einem Motivations-Push beitragen
Solche automatisierten Systeme kämen auch den Wünschen der Bevölkerung entgegen, berichtet Prof. Dr. Cornelia Betsch. Sie ist Heisenberg-Professorin für Gesundheitskommunikation an der Universität Erfurt und Initiatorin des Projekts COVID-19 Snapshot Monitoring (COSMO), das regelmäßig in der Bevölkerung die Stimmung in der Corona-Pandemie abfragt.
Sie hat festgestellt, dass das Vertrauen in die Regierung sinkt – selbst bei denjenigen, die die Maßnahmen eigentlich befürworten. Die Menschen seien immer unwilliger dabei, sich an die Beschränkungen zu halten. Gleichzeitig wünschten sich fast 80% ein einheitlicheres System für Lockerungen und Verschärfungen, das klar verständlich sei. Auch könne eine Strategiewechsel wieder zu einem „Motivations-Push“ beitragen, meint Betsch.
Auch Hallek ist optimistisch, dass es der Politik gelingen könne, die Bevölkerung bei einem solchen Strategiewechsel mitzunehmen: „Das Narrativ ist: Lasst es uns jetzt endgültig in den Griff bekommen!“ Viele hätten derzeit die Sorge, wir könnten uns in einer Art „Stotter-Lockdown“ bis zum Jahresende hangeln.
Mit einem verlängerten Lockdown, so meint er, könnte es vielleicht gelingen, bis März in die „grüne Zone“ zu gelangen. Eine Unbekannte in der Rechnung sei aber die weitere Ausbreitung der Mutationen, diese könne das Konzept zunichtemachen. Hallek zeigte sich zutiefst überzeugt, dass das bisherige Konzept der „Eindämmung“ und des „mit dem Virus leben“ nicht funktioniert. Dafür sei der Erreger „ein bisschen zu leicht übertragbar und ein bisschen zu krankmachend“ – und habe zudem die ungünstige Eigenschaft, auch von Symptomlosen weiter verbreitet zu werden.
„Das ist politisch gut kommunizierbar!“
Nun helfe nur „ein echter Strategiewechsel, weg von der ‚Flatten-the-Curve-Strategie‘ hin zu einer klaren Kontrolle des Virus, zu unseren Bedingungen, proaktiv und bei Niedrigst-Inzidenzen, nahe Null oder bei Null. Das ist politisch auch gut kommunizierbar!“
Auch Brockmann hat keinen Zweifel, dass NO-COVID eine bessere Strategie ist, als etwa die von einigen Bundesländern vorgeschlagenen Stufenpläne zur schrittweisen Öffnung bei Inzidenzen unter 100, 50 bzw. 25. Denn damit bleibe man in einem sehr instabilen Bereich – dies auch im Hinblick auf die Ausbreitung der ansteckenderen Variationen des Virus.
Das Narrativ ist: Lasst es uns jetzt endgültig in den Griff bekommen! Prof. Dr. Michael Hallek
„Man muss sich eine Situation vorstellen, in der überall die Zahlen gering sind, und ab und zu bricht es mal lokal wieder aus und man reagiert sofort und dämmt es wieder ein. Das funktioniert dynamisch viel, viel effektiver“, betont er.
Und die praktische Umsetzung? Wie Mobilität steuern?
Bleibt die kritische Frage: Wenn in einzelnen Regionen niedrige Infektionszahlen erreicht werden, in anderen aber nicht, wie will man dann die interregionale Mobilität steuern? Die praktische Umsetzung sei lange in der Gruppe diskutiert worden, berichtet Hallek. Doch seien er und seine Mitstreiter optimistisch: „Es reicht wahrscheinlich, dass man Stichproben erhebt. Also wenn man sagt, aus einer ‚roten Zone‘ ist man eigentlich nicht zur Mobilität berechtigt, weil die Pandemie-Regeln noch gelten so wie jetzt, dann kann man dies wie bei einer Verkehrskontrolle stichprobenartig erheben, und bei Zuwiderhandeln gibt es eine Strafe.“
„Ich glaube, es geht mit einem so einfachen System“, so Hallek weiter, „wenn da ein gewisses Risiko besteht, dass man erwischt wird. Dann müsste man keine Polizeisperren an den Ausfallstraßen aufbauen, das ist natürlich vollkommen unrealistisch.“ Betsch gibt ihm recht: Allein die Chance ertappt zu werden und einfach ein bisschen etwas löhnen zu müssen, reiche oft. Ein Compliance-Forscher in der NO-COVID-Initiative habe auch bestätigt, dass die Chance, dass man erwischt werde – und nicht die Höhe der Strafe, Menschen motiviere, sich an Maßnahmen zu halten. Hallek: „Wir sind da ganz pragmatisch und versuchen, praktische Lösungen zu denken.“
Zeitfenster von Symptombeginn bis Isolierung ist viel zu lang
Apropos pragmatisch: Noch in einem weiteren Aspekt gelte es sehr viel schneller zu werden, betonte der Wissenschaftler. Derzeit vergehen im Schnitt von der ersten Symptomatik bei einem Neu-Infizierten und dem Zeitpunkt seiner Isolierung zwischen 5 und 9 (!) Tage – bis die Tests gemacht sind, die Ergebnisse vorliegen, diese kommuniziert und die Isolierungsmaßnahmen bei ihm und in seinem Umfeld umgesetzt sind.
Die Initiative habe auch modelliert, was es bringen könne, diesen Zeitraum zu verkürzen. „Eine Verkürzung nur um ein bis zwei Tage, so haben wir modelliert, hätte einen zweiten Lockdown und eine zweite Welle wahrscheinlich weitgehend neutralisiert“, berichtete Hallek. Es gebe einige Experten, auch im öffentlichen Gesundheitswesen, die dieses „wirklich realistische Ziel, Geschwindigkeiten zu schaffen“ unterstützten.
Die größten Hürden für die Umsetzung ihres Strategiewechsels sehen die Experten, zum einen in der Politik. Politiker hätten Bedenken, dass sich das hochgesteckte Ziel der Nahe-Null-Inzidenz nicht umsetzen und die damit verknüpften Versprechen nicht einhalten ließen. Das andere Gegenargument seien die Schwierigkeiten, in einem dicht vernetzten Gebiet wie Europa die Mobilität entsprechend einzuschränken.
Doch prinzipiell treibe alle die gleiche Frage um: Wie gehen wir nach dem jetzigen Lockdown mit der Krise um, wenn die Inzidenz bei 50 ist? Hallek: „Alle wollen eine Antwort, und ich glaube, wir bieten die beste Antwort darauf."
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