Donnerstag, 12. Mai 2022
Strategien für künftige Booster; Urlaub ohne Maske; Virus bleibt im Darm; Tumorarten und Sterberisiko; Darmkrebs später erkannt
Michael van den Heuvel, Medscape


Das Infektionsgeschehen entwickelt sich weiter rückläufig. Mittlerweile ist die 7-Tage-Inzidenz auf 502,4 Fälle pro 100.000 Einwohner gesunken (Vortag 507,1).

Triage-Gesetzesentwurf: Lauterbach rudert zurück

Bundesregierung löst Corona-Krisenstab auf

In den Urlaub ohne Maske

Krebserkrankungen und Chemotherapien ? 2 Risikofaktoren für schweres COVID-19

Darmkrebs-Versorgung: Was sich während COVID-19 verändert hat

4. Dosis eines mRNA-Impfstoffs: Nachweislich ein ?erheblichen? Immunitätsschub

Parallelen zu Influenza-Vakzinen: Mehr Impfungen ? weniger Schutz?

Nicht nur an die Lunge denken: Das SARS-CoV-2-Virus bleibt lange im Darm

Suizide in COVID-19-Zeiten: Generell kein erhöhtes Risiko

Triage-Gesetzesentwurf: Lauterbach rudert zurück
Wie Medscape im Corona-Blog berichtet hat, sorgt ein neuer Referentenentwurf zur Triage bei COVID-19 für reichlich Ärger. Der Text sah eine sogenannte Ex-Post-Triage vor: Sollte sich ein Patient mit schlechterer Prognose in Behandlung befinden, so wäre die Therapie abzubrechen, falls ein Patient mit besseren Chancen die Ressourcen bräuchte.

Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD) hat sich mit seinem Vorpreschen wenig Freunde gemacht; SPD und Grüne waren gegen diese Formulierung. Und Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa schrieb: ?Schleichend verändert sich ? die Diskussion um die Triage ? von einem Instrument der medizinischen Abwägung in akuten Notfallsituationen zu einer Legitimation von Rationierung medizinischer Leistungen nach Nützlichkeit und Lebenswert.? Weitere Zweifel kamen von Juristen und von Intensivmedizinern.

Schließlich machte Lauterbach eine Rolle rückwärts und konstatierte auf Twitter : ?Es wird keinen Behandlungsabbruch (Ex-Post Triage) in Deutschland geben. Damit ÄrztInnen erst gar nicht in eine solche Entscheidungsnotlage geraten, brauchen wir genug Personal auf den Intensivstationen. Daran wird gearbeitet.?

Bundesregierung löst Corona-Krisenstab auf
Zirka 5 Monate nach dessen Einrichtung hat sich die Bundesregierung entschlossen, ihren Corona-Krisenstab unter Leitung von Bundeswehr-General Carsten Breuer wieder aufzulösen. Grund dafür sei eine ?andere Situation bei den Infektionen und Impfungen?, erklärte eine Sprecherin. Die bisherigen Aufgaben würden von der Regierung übernommen. In Spitzenzeiten gehörten dem Krisenstab bis zu 30 Experten aus unterschiedlichen Bereichen an. Ihre Aufgabe war vor allem, die Impfkampagne zu koordinieren.

Der Corona-Expertenrat bleibt jedoch bestehen. Er berät die Bundesregierung, trifft jedoch ? anders als zuvor der Krisenstab ? keine eigenen Entscheidungen.

In den Urlaub ohne Maske
Eine weitere Änderung betrifft den europäischen Flugverkehr. Die European Union Aviation Safety Agency (EASA) und das European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) haben neue Regelung zum Gesundheitsschutz bei Flugreisen veröffentlicht.

Am 16. Mai wird die Empfehlung zum verpflichtenden Tragen medizinischer Masken in Flughäfen und an Bord von Flugzeugen gestrichen. Dennoch raten beide Behörden, dies auf freiwilliger Basis weiterhin zu tun. Die Lufthansa wartet mit der Anpassung noch, bis die Regelung in deutsches Recht umgesetzt worden ist.

Krebserkrankungen und Chemotherapien ? 2 Risikofaktoren für schweres COVID-19
SARS-CoV-2-Infektionen wurden bei Krebspatienten seit Beginn der Pandemie mit schwerem COVID-19 und mit mehr Todesfällen in Verbindung gebracht; Details waren jedoch unklar. Diese Lücke schließt eine neue Review und Metaanalyse.

Ausgewertet wurden verschiedene frei zugängliche Literaturdatenbanken, und zwar bis 14. Juni 2021. Die Autoren haben alle Fall-Kontroll- oder Kohortenstudien eingeschlossen, an denen 10 oder mehr Patienten mit maligner Erkrankung und mit SARS-CoV-2-Infektion mit oder ohne Kontrollgruppe (definiert als Patienten ohne Krebs, aber mit SARS-CoV-2-Infektion) teilgenommen haben.

Es wurden insgesamt 81 Studien mit 61.532 Krebspatienten ausgewertet. Von 58.849 Patienten gab es detaillierte Daten; 30.557 männlich (52%) und das Durchschnittsalter lag zwischen 35 und 74 Jahren.

Die Analyse hat ergeben:

Das relative Risiko (RR) aufgrund von COVID-19 zu sterben, betrug bei Patienten mit Krebs im Vergleich zu Patienten ohne Krebs 1,69 (95%-KI 1,46-1,95).

Im Vergleich zu anderen Krebsarten waren Lungenkrebs (RR 1,68; 95%-KI 1,45-1,94) und maligne hämatologische Erkrankungen (RR 1,42; 95%-KI 1,31-1,54) mit einem signifikant höheren Sterberisiko verbunden.

Brustkrebs (RR 0,51; 95%-KI 0,36-0,71) und maligne gynäkologische Erkrankungen (RR 0,76; 95%-KI 0,62-0,93) waren mit einem geringeren Sterberisiko verbunden.

Die Chemotherapie war mit der höchsten gepoolten Gesamtmortalitätsrate von 30% (95% KI 25 %-36 %) assoziiert.

Speziell für endokrine Therapien geben die Autoren 11% (95 % KI 6%-16%) an.

?Die Ergebnisse dieser Studie deuten darauf hin, dass Patienten mit Krebs und mit SARS-CoV-2-Infektion ein höheres Sterberisiko hatten als Patienten ohne Krebs?, heißt es als Fazit. ?Ein jüngeres Alter, Lungenkrebs und hämatologische maligne Erkrankungen waren ebenfalls Risikofaktoren, die mit einem schlechten Ausgang der COVID-19-Infektion verbunden waren.?

Darmkrebs-Versorgung während COVID-19: Weniger Diagnosen, mehr fortgeschrittene Tumore
Hat sich die Behandlung von Darmkrebs während der COVID-19-Pandemie verändert? Diese Frage stellen sich seit Beginn der Pandemie. Neue Erkenntnisse kommen aus Schweden.

Grundlage der registerbasierten Kohortenstudie waren Daten aus einem Darmkrebsregister aus den Jahren 2020 und 2019. Alle Patienten mit Darmkrebs- Diagnose vom 1. März bis 31. August 2019 und vom 1. März bis 31. August 2020 kamen in Frage. Eingeschlossen wurden 1.140 Patienten (583 Männer [51%]; medianes Alter 74 Jahre in 2019 und 73 Jahre in 2020).

In den Monaten März bis August 2020 erhielten weniger Patienten eine Darmkrebsdiagnose als in den gleichen Monaten des Jahres 2019 (550 vs. 590 Patienten). Insgesamt waren die Patientencharakteristika ähnlich, aber das prätherapeutische Tumorstadium war 2020 im Vergleich zu 2019 weiter fortgeschritten, mit einem höheren Anteil an T4-Tumoren (30% [172 Patienten] gegenüber 22% [132 Patienten]).

Der Anteil der Patienten mit laparoskopischer Operation, die Zeit bis zur Operation und die Rate an 30-Tage-Komplikationen waren ähnlich. Aber der Anteil der Patienten, die mit einem Stoma behandelt wurden, verdoppelte sich fast zwischen 2019 und 2020 von 17% (53 Patienten) auf 30% (96 Patienten; absolutes Risiko 13,0%; 95%-KI 6,8% bis 20,0%).

4. Dosis eines mRNA-Impfstoffs: Nachweislich ein erheblicher Immunitätsschub
Die 4. Dosis des mRNA-Booster-Impfstoffs COVID-19 wird gut vertragen und stärkt die zelluläre und humorale Immunität, so das Ergebnis einer neuen Studie der COV-BOOST-Studie. Darüber hat Medscape UK berichtet.

Insgesamt 166 Teilnehmer von COV-BOOST, die zuvor den Impfstoff von BioNTech/Pfizer als 3. Dosis bekommen hatten, erhielten nach dem Zufallsprinzip entweder eine 4. Dosis des gleichen Vakzins (30 µg; eine volle Dosis) oder mRNA-1273 (Moderna; 50 µg; die halbe Dosis).

Das Durchschnittsalter lag bei 70 Jahren und 86 der 166 Teilnehmer waren Frauen. Der durchschnittliche Abstand zwischen der 3. und 4. Dosis betrug 208,5 Tage.

In der Gruppe, die eine 4. Dosis des Vakzins von BioNTech/Pfizer erhalten hat, lag die mittlere Immunogenität 28 Tage nach der 3. Dosis bei 23.325 ELISA-Laboreinheiten (ELU)/ml (95%-KI 20.030-27.162). Dieser Wert stieg 2 Wochen nach der 4. Dosis auf 37.460 ELU/ml (95%-KI 31.996-43.857).

Auch in der Gruppe, die eine 4. Dosis Moderna erhalten hat, lag die mittlere Immunogenität 28 Tage nach der 3. Dosis (Pfizer) bei 25.317 ELU/ml (95%-KI 20.996-30.528) und stieg 2 Wochen nach der 4. Dosis auf 54.936 ELU/ml (95%-KI 46.826-64.452).

Die Forscher errechnen von dem Zeitpunkt unmittelbar vor der 4. Dosis (Tag 0) bis 14 Tage danach einen Anstieg der Immunität um das 12,19-Fache (95%-KI 10,37 bis 14,32) bei BioNTech/Pfizer. Für Moderna stieg der Wert um das 15,90-Fache (95%-KI 12,92 bis 19,58) an.

Auch die T-Zell-Antworten wurden von vor bis nach der vierten Dosis gesteigert: auf das 7,32-Fache (95%-KI 3,24 bis 16,54) in der BioNTech/Pfizer-Gruppe und auf das 6,22-Fache (95%-KI 3,90 bis 9,92) in der Moderna-Gruppe.

?Die 4. Dosis des COVID-19-Impfstoffs stärkt sowohl die Antikörper als auch die zelluläre Immunität erheblich, wenn sie mindestens sechs Monate nach der dritten Auffrischungsdosis verabreicht wird?, so das Resümee der Autoren.

Parallelen zu Influenza-Vakzinen: Mehr Impfungen ? weniger Schutz?
Doch hilft viel auch wirklich viel? Ein Kommentar in The Lancet Respiratory Medicine geht der Frage nach, welche möglicherweise negativen Folgen die Strategie, Patienten nach der COVID-19-Grundimmunisierung mehrfach zu boostern, haben könnte.

Daten zu Grippeimpfstoffen deuten darauf hin, dass wiederholte Impfungen bei einer Person zu einer abgeschwächten Immunantwort, einer Abnahme der Wirksamkeit des Impfstoffs und einer möglicherweise verkürzten Schutzdauer führen können. In Studien waren sowohl die Immunogenität nach der Influenza-Impfung als auch die Wirksamkeit des Impfstoffs gegen Influenza-assoziierte Arztkontakte bei Personen, die in der vorherigen und der aktuellen Saison geimpft wurden, häufig niedriger als bei Personen, die nur in der aktuellen Saison geimpft wurden.

In den wenigen Studien mit Daten für 4-6 vorangegangene Jahre waren die Immunogenität und die Wirksamkeit des Impfstoffs bei denjenigen am höchsten, die keine oder nur wenige vorherige Impfungen hatten, und am niedrigsten bei denjenigen, die häufig geimpft wurden. Die Mechanismen sind unklar; in der Literatur werden einige Hypothesen diskutiert.

Welche Konsequenzen haben diese Daten für Impfungen generell und speziell für COVID-19-Vakzine?

Studien zur Wirksamkeit von Impfstoffen sollten nach Personen mit und ohne vorherige Infektion und nach Unterschieden im vorherigen Impfstatus stratifiziert werden, um Änderungen der Impfstoffwirksamkeit von Änderungen der Anfälligkeit der Bevölkerung im Laufe der Zeit zu unterscheiden. Bei Influenza war dies bislang nicht möglich.

Der optimale zeitliche Abstand zwischen der COVID-19-Grundimmunisierung und Auffrischungsimpfungen verdient viel mehr Aufmerksamkeit als bisher. Wenn COVID-19 zu einem endemischen Virus mit saisonaler Zirkulation wird, könnte eine Verteilung der COVID-19-Impfstoffdosen in 9-Monats- oder 12-Monats-Intervallen ebenso viel Schutz bieten wie eine häufigere Impfung, z. B. alle 6 Monate.

Ein Wechsel des SARS-CoV-2-Impfstoffantigens kann notwendig sein, um Menschen, die wiederholt geimpft werden, vor neuen Varianten zu schützen.

Die Einführung alternativer Impfstofftypen könnte die Immunogenität und die Wirksamkeit im Vergleich zur wiederholten Verwendung derselben Impfstofftechnologie verbessern.

Nicht nur an die Lunge denken: Das SARS-CoV-2-Virus bleibt lange im Darm
Forscher hatten in den letzten Monaten bei Infizierten SARS-CoV-2 in etlichen Geweben nachgewiesen, auch im Darm. Studien lieferten bislang kein klares Bild, wie lange das Virus fäkal ausgeschieden wird; jetzt liegen neue Daten vor.

Die Forscher analysierten die Dynamik der fäkalen RNA-Ausscheidung bis zu 10 Monate nach der COVID-19-Diagnose bei 113 Personen mit leichter bis mittelschwerer Erkrankung. Außerdem haben sie Assoziationen der Ausscheidung viraler RNA mit Krankheitssymptomen bewertet.

Die Ergebnisse: Fäkale SARS-CoV-2-RNA wurde bei 49,2% (95%-KI 38,2%-60,3%) der Teilnehmer innerhalb der ersten Woche nach der Diagnose nachgewiesen. Während bei den Teilnehmer 4 Monate nach der Diagnose keine oropharyngeale SARS-CoV-2-RNA-mehr nachzuweisen war, schieden 12,7% (95%-KI 8,5%-18,4 %) 4 Monate nach der Diagnose weiterhin SARS-CoV-2-RNA im Stuhl aus und 3,8% (95%-KI 2,0 %-7,3%) sogar nach 7 Monaten.

Dies alles deute darauf hin, dass SARS-CoV-2 den Magen-Darm-Trakt infiziere und dass diese Infektion bei manchen Patienten länger bestehen bliebe, heißt es als Fazit.

Suizide in COVID-19-Zeiten: Generell kein erhöhtes Risiko
Die Pandemie mit ihren Lockdowns und mit Ängsten vor Krankheit oder vor Jobverlust hat zu starken psychischen Belastungen geführt; Krisen sind bekannte Risikofaktoren für Suizide. Wissenschaftler der Universitätsmedizin Leipzig haben deshalb Suizidstatistiken anhand verschiedener soziodemografischer Merkmale ausgewertet. Daten kamen aus Sachsen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein.

Die Analyse zeigt: Bei Männern sank die Anzahl der Suizide von 2020 bis 2021 im Vergleich zu den Jahren 2017 bis 2019 leicht ab, bei Frauen war ein leichter Anstieg der Suizide zu verzeichnen. In beiden Fällen war die Änderung nicht signifikant.

Eine signifikante Verringerung ergab sich bei Männern zwischen 81 und 90 Jahren; ein signifikanter Anstieg wurde bei über 90-jährigen Männern beobachtet. Da die Merkmale männliches Geschlecht und hohes Lebensalter stark mit Suizid assoziiert seien, liegt bei dieser Gruppe ohnehin ein hohes Suizidrisiko vor, so die Autoren.


https://deutsch.medscape.com/artikelansicht/4911157?uac=389796AZ&faf=1&sso=true&impID=4240649&src=WNL_mdplsfeat_220512_mscpedit_de#vp_4

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