Montag, 20. November 2023
Am Tag, als Conny Wessmann starb
Am Abend des 17. November 1989 wurde meine Kommilitonin Conny Wessmann bei einem brutalen Polizeieinsatz getötet. Und nachdem Conny auf dem Straßenpflaster aufgeschlagen war meinte ein Hundeführer der Bullei zu meinen GenossInnen, darunter dem hier kommentierenden tuc, der hinter Conny gestanden hatte, bevor sie getötet wurde "Ihr könnt euch gleich danebenlegen", während ich wenige Hundert Meter entfernt in einer Kneipe saß und nichts mitbekam.

Am nächsten Tag waren Fadenkreuze auf Unigebäude gesprüht und der Spruch "Tote Conny=gute Conny, wir danken unserer Polizei!", einen weiteren Tag später sagte mir, als ich Flugblätter zu Connys Tod verteilte ein späterer NPD-Abgeordneter "Jetzt habt ihr euern Horst Wessel!", und noch einen Tag später wurde ein Brandanschlag auf ein Haus verübt, in dem GenossInnen von mir wohnten. Es verwundert da nicht, dass kurze Zeit später die Parole "Was wir brauchen, Genossen, sind Gewehre" auftauchte und bei einer späteren Nazi-Randale gegen Schwarze, bei der Bullen gemütlich kommentierend ohne einzugreifen danebensaßen ("Ein ausländischer Mitbürger betritt die Disco. Bin gespannt, wie er wieder rauskommt. ... Es wurde ein Notarztwagen verständigt") .




Fazit: Mich wundert an dem engen Verhältnis zwischen "Diensten" und Nazis gar nichts. Das ist Beides dasselbe Pack.

Der Öffentlichkeit gänzlich unbekannt ist die Tatsache, dass bei der letztgenannten Aktion jemand einen Karabiner auf einen Nazi anlegte, glücklicherweise aber gestoppt wurde.

Sic! Dies war kein Autonomer, sondern ein Leutnant der Bundeswehr und Einzelkampfausbilder. Das hätte ein Gemetzel gegeben, wenn der in Gegenwart der ZSK-Beamten losgeballert hätte.



Schnell bildeten sich Mythen um die Person Conny, die zur heroischen Antifafighterin zurechtstilisiert wurde. Dabei war sie überhaupt keine Autonome. Geschichtsstudentin, Minicarfahrerin und Bewohnerin des HC. Das HC, Abkürzung steht für Historisches Colloqium, war im Ursprung ein von einem Verein getragenes Wohnheim für Studierende der Geschichtswissenschaften, gegründet unter anderem von Rudolph von Thadden, damals eine Koryphäe (Konifere, wie wir sagten) am Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte, ein linksliberales Gegenmodell zu den Verbindungshäusern.

Aufgrunddessen war das HC frühzeitig zum Angriffsziel von Neonaziattacken geworden, und es hatte sich, quasi als Selbstschutztruppe, eine Art Haus-Antifa des HC gebildet, die parallel zur Autonomen Antifa aktiv war. Vermummt und mit Schlagstöcken ausgerüstet zogen diese Leute los, wenn die Telefonkette mal wieder gegen Naziübergriffe und sonstige rechtsextreme Vorkomnisse mobilisierte, was damals mindestens einmal die Woche passierte. Sie war also eher aufgrund unmittelbarer persönlicher Betroffenheit ins antifaschistische Handlungsfeld getreten als eine typische Autonome.


Die Trauer- und Wut-Demo am 25. 11. selbst verlief weitgehend friedlich, wenn auch am Rande ein Supermarkt entglast und die Schnapsregale geplündert wurden. Als vor dem Polizeihauptquartier Am Steinsgraben zwei Wasserwerfer auffuhren und eine Hundertschaft Bereitschaftspolizei drohend mit den Knüppeln auf die Schilde trommelte, kam es zu einer Panik, welche die Demo kurzfristig in zwei Hälften zerteilte. Nur die plötzlich gezückten Knüppel aus den vorderen Reihen des Schwarzen Blocks hielten die Polizei davon ab, sich auf die Demo zu stürzen, die nun zügig am Polizeipräsidium vorbeizog und dieses mit Krachern und anderen Feuerwerkskörpern eindeckte. Die Abschlußkundgebung sollte auf dem Hiroshimaplatz stattfinden, aber permanente Provokationen der Polizei zwangen schließlich dazu, diese vor das JUZI (Jugendzentrum Innenstadt) zu verlegen. Die Demo war bereits offiziell aufgelöst, als eine Braunschweiger Hundertschaft in einem amokartigen Alleingang, der offensichtlich mit der übrigen Polizei nicht abgesprochen war, aus der Lotzestraße auf das JUZI zustürmte - und dermaßen mit Feuerwerkskörpern, Pflastersteinen, Leuchtkugeln und sogar Molotow-Cocktails eingedeckt wurde, daß sie ebenso schnell wieder verschwand. Die Demoleitung behielt die Nerven und deeskalierte die Lage, indem sie die TeilnehmerInnen aufforderte, sich ins JUZI zurückzuziehen. Martialische Bilder waren zu sehen, als zwei Panzerwagen auf der Bürgerstraße auffuhren und einige Scharfschützen der Polizei auftauchten. Doch dies waren nur Muskelspiele am Rande; es kam an diesem Tag zu keinen weiteren Auseinandersetzungen.
In der Folge führten diese Ereignisse zu einem Führungswechsel bei der Göttinger Polizei und einer über einen Runden Tisch moderierten Deeskalationsstrategie.

Autonomer Heldenkult
Hatte schon auf der Demo am 25.11. die Parole "Conny ist ermordet - wir kämpfen weiter!" einen pathetisch-heroischen Unterton, der so gar nicht zum Wesen der Getöteten und den von vielen Zufällen bestimmten Umständen ihres Todes passen wollte, so wurde in der Folgezeit Conny zu einer Art Göttinger Jeanne d´Arc. Besonders die Autonome Antifa (M) stilisierte die Frau zur Heldin und stellte sie als eine straighte Straßenkämpferin und Antifa-Aktivistin dar, die sie nie gewesen war. Ein zweiter Märtyrer war schnell gefunden: In der Sylvesternacht 1990-91 wurde Alexander Selchow von dem Neonazi Oliver Simon erstochen. Alexander war ein Bundeswehrsoldat gewesen, der mit der linken Szene überhaupt nichts am Hut, aber aufgrund eines weitgehend italienischen Freundeskreises sehr viel gegen deutsche Rassisten hatte. Obwohl seine FreundInnen und Verwandten sich ausdrücklich gegen eine politische Inanspruchnahme von Alex durch Autonome verwehrten, stellte ein Redner der M ihn als Antifa-Kämpfer dar, der seinen Antifaschismus nur auf andere Weise gelebt habe als die Leute von der M. 1997 verwendete die M bei einer Veranstaltung Fotos von Conny ohne Autorisierung und gegen den erklärten Willen von Angehörigen und FreundInnen der Getöteten. Während der ganzen neunziger Jahre spielte sich zwischen der M und praktisch der gesamten übrigen autonomen Szene Göttingens eine Auseinandersetzung ab, bei der es im Wesentlichen um zwei Punkte ging. Zum einen war die Zielsetzung der M, eine partei- oder verbandsähnliche organisierte Antifa zu schaffen, äußerst umstritten, zum anderen wurde ihr sinnentleerter Militanzfetisch vorgeworfen. So pflegte sie vermummt und behelmt zu demonstrieren, wenn dafür jeder Anlaß entfiel, einmal sogar in zwei auch noch mit Knüppeln ausgerüsteten Ketten, brav hinter einem Streifenwagen herlaufend, als mit der Polizei vereinbarte Inszenierung. In diesem Kontext wurde das Hochhalten der Erinnerung an Conny zu einem Heldengedenktag für eine Gruppe, die mit der Getöten persönlich nichts zu tun gehabt hatte. In der Folge fanden ab 1992 jeweils zwei getrennte Conny-Demos statt, eine von der M und eine von der übrigen Szene veranstaltet. An Letzterer nahmen diejenigen teil, die Conny gekannt hatten und sich gegen ihre Instrumentalisierung wandten. In der zweiten Hälfte der Neunziger flauten die Conny-Demos und Mahnwachen schließlich ab. In einer Szene, die so sehr durch junge Studierende geprägt ist wie in Göttingen, geriet manches in Vergessenheit, und 1998 wurde in einer Publikation einer autonomen Gruppe schon mal aus dem Mörder Oliver Simon dessen brauner Kamerad Sven Scharf.
Heute erinnern ein Gedenkstein und eine gußeiserne Skulptur an den Tod von Conny Weßmann. Es ist sehr zu hoffen, daß Conny nicht als legendäre Heldin in den Köpfen weiterleben wird. Die Beiläufigkeit und Zufälligkeit ihres Todes ist vielmehr ein schlagendes Zeichen dafür, daß es jeden und jede hätte treffen können- alle Menschen, die in Auseinandersetzungen mit Neonazis und Polizei hineingeraten.


http://goest.de/conny.htm

https://de.wikipedia.org/wiki/Conny_Wessmann

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