Montag, 24. März 2025
Klimapolitik und Arbeiterklasse
Es gab mal eine Zeit, in der links bedeutete, soziale Forderungen der Arbeiterklasse zu vertreten und linke und grüne Anliegen miteinander verbunden waren. Lang ist´s her, und der "Abschied vom Proletariat" seitens der intellektuellen Linken und der Umweltbewegung ist einer der Hauptgründe für die Schwäche der Linken insgesamt (nein, nicht das Fehlen des untergegangenen Kasernenhofkommunismus). Eine Autorin überlegt sich was hier zu tun wäre. Und ich möchte hinzusetzen: Mein Reden seit den 1990ern.

https://taz.de/Klimapolitik-und-Arbeiterklasse/!6072490/

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Siegfried Kracauer war wohl einer der ersten, der das erkannt und prominent in einem Essay unterbrachte: "Die Angestellten". Und auch Adorno sprach ja immer wieder von den kleinen Ladenmädchen und wies auf den Wandel. Auch und gerade im Blick auf Lukács' "Geschichte und Klassenbewußtsein": "... das tatsächliche Bewußtsein der tatsächlichen Proletarier, die vor den Bürgern nichts aber auch gar nichts voraushaben außer dem Interesse an der Revolution, sonst aber alle Spuren der Verstümmelung des bürgerlichen Charakters tragen." So Adorno in einem Brief an Walter Benjamin Mitte der 1930er Jahre.

Und auch geschichtlich fassen Adorno/Horkheimer es in der DA zusammen: "Die Ohnmacht der Arbeiter ist nicht bloß eine Finte der Herrschenden, sondern die logische Konsequenz der Industriegesellschaft, in die das antike Fatum unter der Anstrengung, ihm zu entgehen, sich schließlich gewandelt hat." Diese eher am Mythos orientierte Deutung müßte man sicherlich auch inhaltlich noch genauer festmachen, um nicht bloß in Bildern und Analogien zu bleiben.

Mit den sozialen Verschiebungen in der BRD der 1960er und 1970er Jahre hin zu einer Wohlstandsgesellschaft für weite Teile, samt Aufstiegsversprechen dann durch eine sozialdemokratische Bildungspolitik, waren die Arbeiter zumeist keine Armen mehr, die irgend eine Grund hätten, etwas zu verändern. Außer eben aus der Hochhaussiedlung in ein Einzel- oder Reihenhaus zu ziehen, was vielen auch gelang. Bis zur Agenda 2010 wurde die SPD von einem großen Teil dieser Menschen gewählt.

Eine neue Arbeiterklasse, die eklatant ausgebeutet wird, haben wir sicherlich im Dienstleistungsbereich, wenn in Prenzlauer Berg, in Berlin-Mitte und bei der taz das rotgrüne Milieu sich ihre Nahrung von den Lieferando-Fahrern herbeibringen läßt. Zu sprechen wäre ebenfalls von Altersarmut und daß die Tafeln nicht nur in Berlin immer weiteren Zulauf erfahren.

Klima ist in all diesen Fragen für diese Menschen eher ein Luxusproblem und für viele wird nicht ersichtlich sein, warum Butter, Milch und Fleisch immer teurer werden. Und da sind wir dann ja auch beim taz-Text.

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PS: Die Fragen, die im taz-Gespräch verhandelt werden, sind auf alle Fälle interessant. Ich werde es mir später ganz durchlesen und ggf. was dazu schreiben. Natürlich aus links-konservativer Sicht :-) Ich bin eben ein guter und waschechter dänischer Sozi.

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Darauf werde ich dann ggf. aus linksradikal-revolutionärer Perspektive antworten, als dem Herzen nach halb katalanischer Anarchist und halb italienischer Operaist, der ich trotz norddeutscher Provenienz bin.

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Einer meiner Lieblingsautoren und möglicherweise der größte lebende linke Theoretiker, Karl Heinz Roth, schreibt ja von der permanenten Neuzusammensetzung der Klasse. Einer Klasse ohne Klassenbewusstsein, da liegt der Hund begraben, und die Aufgabe der Linken wäre zuerst einmal, "proletarische Zirkel" zu bilden, die das Klassenbewusstsein erschaffen müssen. Die Pizzaboten, Amazon-Auslieferer, Putz- und Reinigungskräfte, Ein-Euro-Jobber, aber auch die befristeten HilfsarbeiterInnen in außertariflicher Leiharbeit am Band, RegaleinräumerInnen, DauerpraktikantInnen in Werbeagenturen und IT-Systemwartungskräfte in Leiharbeit müssten sich als zusammengehörig mit gemeinsamen Interessen begreifen.

BtW auch die Art Linke zu der ich gehöre ist bzw. war in der Vergangenheit gänzlich anders situiert als die heutigen Grünen, obwohl es mit der grünen Partei an sich eine weit zurückliegende gemeinsame Herkunft gibt. Die autonome Szene der 1980er und 90er bestand neben einem hohen Studierendenanteil aus Leuten aus der Alternativökonomie (Kneipenkollektive, Ökoläden, kollektiv geführte Handwerksbetriebe, linke Buchläden und Szenedruckereien) sowie aus dem Ahi- und Sozibereich. Die Revolutionären Zellen rekrutierten sich aus der heute als Milieu nicht mehr existenten Jobberszene, das waren Leute, die unregelmäßig als Messebauer, Band-Roadies u.ä. tätig waren und zwischendurch auch schwarz arbeiteten, ein Milieu mit hoher räumlicher Mobilität.

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Einer meiner früher mal besten Freunde war so ein Oldfashionedboy mit einer Klassenorientierung, die sehr konsequent war, aber völlig aus der Zeit gefallen wirkte: Eltern in Bremer Arbeitermilieu sozialisiert, selbst schon keine Malocher mehr, aber diese Sozialisation bis in die Knochen und Haarspitzen internalisiert. Kein Auto besitzen, weil Arbeiter kein Auto haben (in den Neunzigern!) und daher öffentliche Verkehrsmittel benutzen und mit dem Zug in Urlaub fahren. Und entsprechend erlebte er sich selbst als Proletarierkind auf z.T. traumatisierte Weise, etwa die Vorstellung, seine gesamte studentische oder später berufliche Umgebung sähe auf ihn herab und verlange mehr Leistung von ihm als von jedem anderen weil man dem Arbeitersproß nichts zutraue. Angehörige der Oberschicht bzw. des Bildungsbürgertums wurden ironiefrei als Klassenfeinde bezeichnet vor denen er Ekel empfand und die er auch als persönliche Feinde betrachtete.

Als den auf einer Party eine Frau mal fragte woran er gerade forschen würde antwortete er an der Prägung des individuellen Bewusstseins durch Klassenzugehörigkeit. Sie erwiderte Begriffe wie Klasse und Schicht seien doch selber historisch überholte Kategorien, Darauf antwortete er - vor versammelten Partypublikum - dass eine solche Bürgertusse wie sie das denke könne er sich vorstellen.

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