Montag, 10. November 2008
Gewesene Linke, heute: Die autonome Antifa (M)
Gewesene Linke

Heute: Die Autonome Antifa (M)

Mit der M hat es eine ganz eigene Bewandtnis. Entstanden war sie als eine Gruppe, die mit der autonomen Politik, wie sie bis dahin betrieben worden war gebrochen hatte. Witzigerweise wird selbst ihre Nachfolgerorganisation redical M von heute aktiven Autonomen, die altersmäßig die Kinder der Mler sein könnten, für eine „klassisch autonome Antifagruppe“ gehalten. Aber der Reihe nach.

Alles begann im Herbst 1987 in Göttingen. Zu dieser Zeit häuften sich in der Göttinger Innenstadt die Übergriffe von Neonazis. Zwar hatte es auch vorher schon Auseinandersetzungen mit Rechtsradikalen gegeben, und es gab in Göttingen eine sehr aktive Antifa-Gruppe. Aber bisher waren die Gegner Leute wie der NPD-Multifunktionär Hans Michael Fiedler, angebräunelte Burschenschaften oder Lyndon LaRouches EAP/Patrioten für Deutschland gewesen, keine gewalttätigen Neonazis. Das änderte sich, als der Österreicher Karl Polacek, Funktionär der weit rechts von der NPD stehenden FAP in das Haus seiner getrennt von ihm lebenden Frau in dem kleinen Dorf Mackenrode im Göttinger Wald zog. Polacek nutzte das Haus als Schulungszentrum und zog sich Nazi-Skins als persönliche Gefolgschaft heran. Von nun an trafen sich Glatzen abends bei Polacek und zogen von seinem Haus aus in die Göttinger Innenstadt, wo sie Leute zusammenschlugen, die ihnen nicht passten: Ausländisch Aussehende, vor allem Schwarze, Punks, Skateboardfahrer, auch Behinderte im Rollstuhl, die aus ihrer Sicht „Lebensunwertes Leben“ waren. Zunächst war die Reaktionsweise der linken Szene schnell, einfach und wirkungsvoll: Bei jedem rechtsradi kalen Vorkommnis mobilisierte eineTelefonkette möglichst viele Leute zum Ort des Geschehens, wobei wir damals zumeist schöne Zahlenverhältnisse hatten: Auf 5 oder 10 Naziglatzen kamen zumeist 400 Linke, die zu jeder Tages- und Nachtzeit binnen einer halben Stunde zur Stelle waren. Einmal haben wir eine Kleingruppe von Glatzen quer durch die Stadt gejagt, und am nächsten Tag berichtete das Göttinger Tageblatt in großer Aufmachung darüber. Dann aber passierte es, dass eines Nachts Nazis randalierten und keine Telefonkette ausgelöst wurde, Leute zusammengeschlagen wurden, ohne dass jemand eingriff.

Kurz darauf trafen sich ein DGBler und ein Antifa zufällig in einer Kneipe, sprachen über den Vorfall, und es wurde die Idee geboren, ein breites Antifa-Bündnis, organisiert und finanziert vom DGB auf die Beine zu stellen. Dieses Bündnis stand sehr schnell und reichte vom DGB über den Stadt- und KreisschülerInnenrat, die Jusos, die sich allerdings, wie für sie üblich, nach kurzer Zeit aus dem Bündnis verabschiedeten, den Pfarrer von Mackenrode, die Falken, den ASTA der Uni, die Fachschaftsräteversammlung und die linksradikalen Hochschulgruppen GAL und Linkes Bündnis bis zur Autonomen Antifa.

Eine der ersten und bemerkenswertesten Aktionen des Bündnisses war eine landesweite Großdemo gegen Polacek in Mackenrode mit Tausenden von Teinehmenden, die direkt an Polaceks verbarrikadiertem und mit Drahtnetzen wie eine militärische Stellung gesichertem Haus vorbeiführte.

Zu dieser Demo hatte der DGB 15 Omnibusse der Göttinger Verkehrsbetriebe angemietet (die lange Sorte, 18m-Zieharmonika-Busse), die Stoßstange an Stoßstange in einer beeindruckenden Kavalkade nach Mackenrode gebraust kamen. Nach diesem Topact blieben die Nazis erst einmal still. Indes krachte die Sollbruchstelle des fragilen Bündnisses in Gestalt eines Granitsoldaten. Dieser hatte bis dato im Göttinger Rosengarten gestanden, ein altes Kriegerdenkmal in militaristischer Tradition, vor dem alljährlich Vertriebenenverbände ihre revanchistischen Feiern abhielten. Nun begab es sich aber zu der Zeit kurz nach der Mackenrode-Demo, dass Unbekannte die Statue umkippten und den Kopf abhauten, der viele Jahre später von einem Taucher in einem See gefunden wurde. Schnell wurde die Autonome Antifa un das Antifa-Bündnis insgesamt beschuldigt, diese Aktion durchgeführt zu haben, und die Gewerkschaft der Polizei forderte die Aufkündigung des Bündnisses durch den DGB und den Sturz des damaligen DGB-Vorsitzenden, der bald darauf ins hinterste Emsland versetzt wurde. Wir feierten für ihn und den DGB-Jugendsekretär noch eine Solifete, auf der T-Shirts verkauft wurden, die Schwarzvermummte zeigten, die ein Heldendenkmal umwarfen und darunter den Text „Alle werden fallen!“. Dieses Shirt habe ich dann getragen, bis es in den späten 90ern nicht mehr lesbar war.

Nach der Auflösung des Bündnisses konnte in der Autonomen Antifa keine Einigung über eine gemeinsame Praxis mehr erzielt werden. Die Einen diskutierten über eine Rückkehr zu genuin autonomen Positionen und einer Besinnung auf die Möglichkeiten der linksradikalen Szene ohne bürgerliche bzw. klassisch-arbeiterbewegungsmäßige Bündnispartner, die Anderen wollten das Bündnis ohne den DGB fortsetzen. Parallel dazu nutzten die Neonazis die momentane Schwäche des antifaschistischen Spektrums zu forcierten Angriffen, und es kam zu einer Eskalation der Gewalt, die ihren Höhepunkt mit dem Tod von Conny fand.

http://che2001.blogger.de/stories/970268/

Anfang der 90er konsolidierten sich aus den Zerfalls- und Umordnungsprozessen in der Antifaszene neue Gruppen. Aus dem Umfeld des Stadt- und KreisschülerInnenrats ging die Antifa-Jugendfront (AJF) hervor, aus der ursprünglichen Autonomen Antifa zwei Gruppen, von denen sich eine Mittwochs traf. Diese Mittwochsantifa nannte sich seit Anfang 1991, das Mittwochsdatum zur Symbolik machend, Autonome Antifa (M). Der kryptische Klang dieses Begriffs passte zu dem, was die M auch sonst intensiv betrieb: Selbstinszenierung.

Die Autonome Antifa (M) nahm für sich in Anspruch, ihre Lehren aus dem Scheitern des Antifa-Bündnisses gezogen zu haben, als da waren

1) Breite ambivalente Bündnisse bieten keine Sicherheit, Autonome müssen auf ihre eigene Stärke vertrauen.
2) Klassisch autonome Politik ist ebenfalls gescheitert. Agieren in Kleingruppen und militantes Vorgehen bedeuten ein hohes Kriminalisierungsrisiko, große persönliche Gefahr für Leib und Leben und läuft oft auf eine Auseinandersetzung hinaus, die primär mit der Polizei geführt wird, weniger mit den Neonazis und erst recht nicht mit den gesellschaftlichen Machtverhältnissen.
3) Daher muss die Autonome Antifa sich zahlenmäßig vergrößern und eine bundesweite Antifa-Organisation geschaffen werden.

Dieses Konzept wurde von der M Anfang 1992, ein Jahr seit ihrem Bestehen und nach einer uniform vermummten und behelmten Neujahrsdemo verkündet. die M sprach zwar selbst davon, eine "Organisierungsdebatte" zu führen, aber die führte sie allenfalls intern. Gegenüber anderen Gruppen wurde das Modell der bundesweiten Organisation offensiv vertreten, aber nicht als hinterfragbar angesehen.

Ansonsten frappierte und brüskierte die M: Ihre Demos erschienen als ultramilitant wirkende Schwarze Blöcke mit schwarzen Helmen, sie agierten aber nicht militant. Die klassischen Schwarzen Blöcke waren in Auseinandersetzungen entstanden, in denen die Polizei selber mit brutaler Gewalt vorging, sie waren eine Mobilisationsform für den Straßenkampf.

Die Schwarzen Blöcke der M marschierten vermummt und behelmt auf, wo dafür beim besten Willen keine Notwendigkeit zu sehen war, und die Polizei ging nicht gegen sie vor. Man erklärte, dass man stolz darauf sei, eine vermummte und behelmte Demo durchgesetzt zu haben, und das war es dann schon. Man meldete Demos nicht an, warf aber einen Routenplan mit minutiöser Angabe der Quadratmetergröße der mitgeführten Transparente in den Briefkasten des Ordnungsamts. Ein spöttelnder Text bezeichnete eine typische M-Demo als "Ritterspiele im Dorf".


Spielerisch war überhaupt vieles, was die M machte. Straßentheater und Happenings in der Göttinger Fußgängerzone gehörten zum Standardprogramm, und mitunter erinnerten die Aktionen an das Ziehen von Motivwagen beim Karneval. Mit ihrem plakativen Auftreten und dem aufwändigen, mit dem linksradikalen Schmuddeldruck radikal brechendem Layout ihrer Flyer und Publikationen (einige Mitglieder waren Drucker, Setzer oder Werbeleute) sprach die auch Leute an, die für die klassischen Autonomen nicht erreichbar gewesen wären. Das zog sich durch wie eine schwarzrote Linie: Überwog bei den klassischen Autonomen das Streetfighter-Outfit mit schwarzen Lederjacken, Dr.Martens und Springerstiefeln, zogen sich sehr vieler Mer immer genau das Outfit an, das in der Dancefloor- und Techno-Szene gerade angesagt war. Mit Adidas-Hosen, Carharrt-Kapuzis, Nike- und Reebok-Pump-it-up-Schuhen war die M schon Anfang der 90er unterwegs. Eine Theatertruppe verglich das M-Outfit mit dem von Star-Trek und machte dazu das Stück "Raumschiff Cloppenburg".

Inhaltlich gesehen war es schwer, mit der M zusammenzuarbeiten. Bei Bündnisdemos hielt die Gruppe sich regelmäßig nicht an Absprachen, Theoriediskussionen fanden mit ihnen praktisch nicht statt.

Ihre eigenen theoretischen Positionen unterschieden sich ziemlich von dem, was sonst in der Szene diskutiert wurde. In der Anfangszeit vertraten sie zunächst noch den Neuen Antiimperialismus, ich glaube allerdings nicht, dass sie ihn auch verstanden. Jedenfalls erinnere ich mich an eine Diskussion, bei der es um die finanzielle Lage des Jugendzentrums Innenstadt (JUZI) ging, und ein Redner der M schaffte es, einen Rundumschlag von Industrialisierungsprojekten in Schwellenländern und Begehrlichkeiten der EU-Wirtschaft nach Osteuropa mit der messerscharfen Folgerung zu verbinden, dass in einer solchen Situation keine kommunalen Mittel für das JUZI übrig seien ;-)

Wird fortgesetzt.

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hat damals in der zweiten Hälfte der 1980er der KB in Göttingen noch eine Rolle gespielt? ... waren davor (und vor meiner Zeit ;-)) ausser der VVN-BdA und "Volksfront" eigentlich in der Linken die einzigen, welche kontinuierlich Antifaarbeit machten ... und wann war nochmal der Naziangriff auf das JuzI?

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Ja, der KB hat da noch eine ziemliche Rolle gespielt, aber die Antifaarbeit war damals in Göttingen (und auch sonst im mir bekannten Nordeutschland) eine absolute Domäne von Autonomen und Antiimps. Antifa=Schwarze Lederjacke, Springerstiefel und Palituch, sozusagen.

Der KB hat auch Antifaarbeit gemacht, wurde aber dabei nicht so recht ernstgenommen-dokumentatorisch hatte die VVN mehr zu bieten, und für die härteren Komponenten war die Autonome Antifa zuständig. Beim KB hatte ich überwiegend den Eindruck, dass die ein instrumentelles Verhältnis zu allem hatten.

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beim KB wurde die ganze Sache schon ernst genommen, haben speziell in der Zeit zwischen 1975-1982 dazu auch einige einigermassen gut recherchierte Bücher und Broschüren (u.a. "Wie kriminell ist die NPD?") erstellt ... ausserdem hatte die "Faschisierungsthese" des KB zumindest in HH immer eine gewisse Breitenwirkung über das KB-Milieu hinaus ... ansonsten kamen bei uns autonomen Stadtteil-Antifas einige der frühen Antifa-M-Papiere ziemlich "klassisch antiimp-mässig" rüber, so dass dort wert darauf gelegt wurde, sein "Verhältnis zu den Gefangenen" zu definieren

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Ich habe auch nicht gesagt, dass der KB die Sache nicht ernstgenommen hätte, sondern dass die Antifa-Arbeit des KB von den autonomen Antifas und auch dem linken Gewerkschaftsflügel nicht so recht ernst genommen wurde. Mein Referenzzeitraum betrifft hier aber die Jahre 1987-1993.

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Der Naziangriff auf das JUZI müsste 1990 gewesen sein.

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Wenn schon nach dem KB gefragt wird
Manchmal kommt man auf das Nächstliegende nicht. Ich erwähnte oben die Hochschulgruppen GAL und Linkes Bündnis. In der GAL arbeiteten Autonome, Antiimps und Trotzkisten zusammen, im Linken Bündnis KBler, Anarchisten (FAU-Graswurzelrevolution-Spektrum) und MGler sowie Radikalfeministinnen und linke Grüne.

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Der Friedhof der Antifanten
Herzlichen Dank für die fundierten Einblicke in die zugewachsenen Winkel des Friedhofes der Antifanten.

Für mich, als jemanden der die wohl beste Zeit der deutschen Antifanten aufgrund Abwesenheit aus dem Lande D verpasst hat, sind diese hervorragenden Porträts ein steter Quell des Erstaunens und der Verwunderung.

Danke und bitte weiter damit, es ist ein Stück Allgemeinbildung!

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Ich danke für die Aufmerksamkeit. Heute abend kommt der zweite Teil!

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JuZI
Hey Che,
freut mich, Dich im www. mal wieder zu sehen!
(Dreidimensional und beim Bierchen wäre mir latürnich noch lieber.) Vorausgesetzt, Du bist der Che, der mir grade vor Augen schwebt. ;)
Schön jedenfalls, dassde die Geschichte mal etwas aufrollst. Mann, was ne wilde Zeit …
Der JuZI-Angriff müsste meiner Erinnerung tatsächlich schon im Dezember 89 gewesen sein. Ich weiss noch, dass so etwas wie Weihnachtsmarkt war. Aber an die Schlagzeile im Göttinger Tageblatt erinnere ich mich ganz genau: "Erbsen, Eintopf, Extremisten" – und darunter ein Text über die armen gebeutelten Bürgerlein zwischen den Marktständen, eben mit Austern und Erbsensuppe.

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Möönsch, Tuc!
Klar bin ich der, den du meinst. Du kennst ja auch noch sicher "auf der Weender, nachts um halb eins" und "Bürger, macht Euch keine Sorgen, plündern tun wir morgen!".

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Große Dichtkunst!
Ja, genau wie "Wir sind die linken Horden, wir plündern und wir morden, und fressen sowieso: kleine Kinder roh …"

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"...wir waschen uns nie, hoch die Anarchie!"

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Oder auch: "Wir sind die Terrorungeheuer, für Terror ist uns nichts zu teuer, wir kommen aus dem Nahen Osten, Gaddafi zahlt die Reisekosten!".


Ein alter Genosse war davon so begeistert, dass er jedesmal, wenn eine Scheibe klirrte, lauthals brüllte: "Gaddafi trägt die Kosten!".

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Bei uns in Rhein-Main hieß das seinerzeit nur "Gaddaffi schick uns Waffi!" und "Ob hüben oder drüben, wir sind alle Lyben!"
Ich glaube ihr wart die besseren Dichter.

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Dann gab´s noch bei Hausbesetzungen "Wenn Ihr räumt, hol´n wir die Russen" ;-)

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