Montag, 4. Oktober 2010
"Die ist keine Linke!"
Mal wieder so eine Debatte erlebt, wo ich mir nur noch an den Kopf fassen kann. Da beschwerten sich ein paar Leute, die alle als StudentInnen in einer Kneipe jobben im Gespräch darüber, wie sie reglementiert und ausgebeutet würden. Hintergrund ist, dass Chefchen sich vorbehält, einzuteilen, wen er an der Theke bzw. als Bedienung und wen er in der Küche oder im Putzdienst einsetzt. Fest gemacht wird das am Äußeren: Die Schöneren oder Adretteren oder Gepflegteren kriegen den Publikumsjob, der Rest den Rest. Wobei alle gleich bezahlt werden und die Trinkgelder in einen Topf kommen, der unter alle gleich verteilt wird. Ich gebe zu bedenken, dass nunmal "Sex sells" gilt, die Konkurrenz nicht schlafe und man sich ja vielleicht zur Arbeit mal chicer anziehen könne als in der Freizeit, das ganze Thema sich aber ohnehin in einer Betriebsversammlung doch verhandeln ließe. Und lasse es mir nicht entgehen darauf hinzuweisen, was ich an Ausbeutung so in Mittelstandsbetrieben kennengelernt hätte und dass einige meiner vielfach gepiercten Gesprächspartner keine Chance zu einem Vorstellungsgespräch in solch einer Firma hätten. Da kommt als Antwort, man könne mit dem Chef ja nicht gleich auf gleich verhandeln, der sei Kapitalist und Klassenfeind, und da sei Augenhöhe ja gar nicht gegeben. Ich erwidere, wenn sie nicht bereit seien, ihre Interessen zu artikulieren sei das ein grundsätzlicher Fehler, und immerhin sei das ein linker Sozi, die Chefin eine Linke, die Palis beschäftige, um ihnen ein Bleiberecht in Deutschland zu verschaffen, und der Chefkoch auch links, man sähe es schon an dem roten Stern auf dem Tank seines Rat-Bikes. Und da kommt dann, halb empört, halb spöttelnd die Antwort, eine Frau, die weder Adorno noch Bakunin gelesen habe und die auch nicht auf Punkkonzerte gehe sei keine Linke, und der Koch sei einfach ein Motorradproll.

Toll. So einfach ist die Welt. Links bedeutet nicht die Einnahme von Positionen und Haltungen, sondern eine Mischung aus einer bestimmten Belesenheit (wenn sie die selber mal hätten, die haben doch vielfach nur Renommierbände in ihren Regalen stehen, vielleicht verbirgt sich unterm Bakunin- und Adornoeinband ja Jerry Cotton und die Bäckerblume) und der sozialen Zugehörigkeit zu einer bestimmten, nun ja, sagen wir, Partyszene. Und alles hübsch akademisch, von Motorradprolls will man sich ja fernhalten.

Mit einer solchen Linken ist nichts zu bestellen. Kindergarten.

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Ein bemerkenswert differenzierter Blick, den du dir da leistest. Angenehm.

Ich würde allerdings den Zustand des Linksseins nicht von einer Belesenheit abhängig machen. Ich habe vor 20 Jahren mal ein paar Monate auf dem Bau (Innenausbau) gearbeitet, da war keiner belesen. Dennoch gab es gewaltige Unterschiede, was politische Ansichten allgemein anging und auch was das Sozialverhalten untereinander anging. Das waren politische Haltungen, teilweise klar links, auch ohne ein einziges Buch im Wandschrank. Wissen bezieht man auch aus Praxis.

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muss dabei an einige Antifa-GenossInnen von vor 20 Jahren denken, welche die lokalen DKP- und BWK-Mitglieder auf Grund von deren Habitus als "bürgerlich" oder "bürgerliche Linke" abqualifizierten ... um danach einige jahre später Arbeit"geber"anwalt oder ähnliches zu werden

ansonsten: daraus dass sich die Leute auf Bakunin und Adorno beziehen lässt sich schliessen, dass diese nicht beide AutorInnen intensiv studiert haben

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Ich habe beide AutorInnen
- also sowohl Bakunin als auch Adorno - auch nicht intensiv studiert. Das ist schade. Vielleicht hätte ich sonst besser nachvollziehen können, wie um alles in der Welt man diese beiden Personen unter "AutorInnen" subsumieren kann. ;-)

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:-)

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Linke Gastwirte gibt es nichtmal als regelbestätigende Ausnahme. Das habe ich empirisch bewiesen.

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kannte zumindest mal einen ... leider ist die Kneipe nach einigen Jahren pleite gegangen

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Mir fehlen Kenntnisse der Bäckerblume, was ich sehr bedauere, aber ich fürchte, ich werde in meiner knappen Lebenszeit nicht mehr dazu kommen, tja, und Adorno kenne ich nur aus Bücherleihen/Bibliotheken. Bakunin habe ich gar nur kursorisch gelesen - dafür kann ich aber Arendt teils vorwärts aufsagen und Eucken vollständig vor- und rückwärts beten und parallel durch Stirnrunzlungen sowie Gestiken auf innere Widersprüche und Unvollkommenheiten seiner Theoriebildung, Analysen und Ratschläge hinweisen.

Belesen bin ich in Sachen Marx und Lenin (immerhin rund 700 Seiten, die ich teils ganz erheblich schätze) sowie den Talmud (den ich dann nach rund 500 Seiten als amüsant und größtenteils für mich redundant ansah) - außerdem ein deutlich größerer Umfang an erfreulich anspruchsloser Comicliteratur. Und dann gibt es noch einige andere zig-tausend gelesene Seiten, viel Geschichte, viel Naturwissenschaft, Ökonomie, betriebswirtschaftliches Dingsdabumsda, Naturkunde (natürlich auch: Pilze), Musikkrams, EDV-Krams, dutzendfach die Bibel, dreifach den Koran sowie hunderte von Hadithen, Philosophie (hier sehr gerne Franzosen sowie alles von Simone Weill), Theologie, ach, und Wissenschaftstheorie/geschichte. Und überhaupt: Viel Krams. Mancher Roman, tausende Seiten von Tucholsky, Kurt (den ich selbstverständlich vollständig besitze), Goethe, Mark Twain, Karl Kraus (ebenfalls vollständige Sammlung), Gedichte von Mascha Kaleko, die mich tief berühren, eine polnische Dichterin, viele Regalreihen Kochbücher und weitere Erfreulichkeiten.

Möglicherweise sind die Kochbücher das Beste davon.

;-)

Die Frage ist allerdings, was man (hier: was ich) daraus macht. Gerade auch bei Kochbüchern!

Aber Praxis der unterschiedlichsten Lebensverhältnisse und Lebenslagen, sowie verschiedene Strategien (inkl. erfolgreicher Umsetzung) zur politischen Einflussnahme, jahrelanges "Training" in linken Gruppen und Gremien, von unten bis hinauf zu Bundesministern, sowie einen guten Haufen kritischer und eigenständiger Reflektion:

Damit kann ich dienen. Teils hat es mich klüger gemacht, teils verbohrt, teils hat es einfach nur Zeit geraubt, teils hat es mein Leben ungemein bereichert, teils hat es mir Welten erschlossen, teils hat es mich einigen Menschen und Verhältnissen entfremdet.

Dumme und auf Atitüde fixierte Linke: Die sind doch normal. Ganz so normal, wie Menschen auch in anderen Verhältnsissen und mit anderen politischen Einstellungen eben auch normal sind, teils wunderbar, teils halt auch nervig, teils sogar unfassbar dämlich.

(in dieser Hinsicht wirklich nichts toppt eine sexistisch-chauvinistische AntiRa-Gruppe, mit der ich kurz einmal Kontakt hatte, einen selbstgerechten, pseudoanarchistischen und vor allem aber vollkommen nutzlosen, Stress und Selbstlähmung verbreitenden Haufen, der letztlich auf der wechselseitigen Selbstinszenierung als "Linker" basierte - und die Frauen dort, die durften in den Plenen nicht einen einzigen vollständigen Satz ununterbrochen äußern, außer vielleicht kurze Beifallsrufe gegenüber den jeweiligen stets im Brüllton sprechenden Obermackern - ein echter Sauhaufen - allerdings kenne ich einen größeren Haufen an Innensichten aus der FDP und der FNS und finde, dass die da ganz nahe rankommen, nur leider: ständig - mit nur ganz wenigen Ausnahmen)

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Den Comic "Les Aventures de Mado et Maildur" (nur auf französisch zu haben) sollte man gelesen haben, vor allem die Stelle, wo die Menschenfrau Mado, so eine Art Nullzeitgenerator mit Plasmagun, ihren Freund Maildur, einen ähnlich bewaffneten menschengroßen und -intelligenten Katermutanten als "Raciste" beschimpft, als der eine RVAG (Ratte von außergewöhnlicher Größe) am Spieß brät.

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