Montag, 19. August 2013
Mein aktuelles Lieblings-Nörgler-Zitat
"Der Jazz auf dem ihm möglichen äußersten Niveau verhält sich zum Schlager wie die gehobene Belletristik T. C. Boyles zu Konsalik. Er verhält sich aber nicht wie Flaubert zu T. C. Boyle."

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Der Nörgler heißt bestimmt in Wirklichkeit Paul Kuhn. ;)

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Heißt er definitiv nicht. Außerdem schlägt er mich immer im Schach.

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Dazu gehört nicht viel, außer ein wenig Übung. Ich schlage dich auch im Schach.

(in meinem Schachclubtagen habe ich regelmäßig Schachmeister geschlagen, Großmeister allerdings nur in Blitzpartien, und das auch sehr selten - mit einer Ausnahme: als ich einmal nach einer Serie von Siegen drohte, ein ziemlich gut besetztes Blitzschachturnier zu gewinnen, habe ich mich darüber so erschrocken, dass ich aus dem Turnier ausstieg - es wären wohl noch zwei Partien gewesen, aber mir, einem unsicheren Schülerwesen, war die Situation unheimlich - mitten in einer gewonnenen Stellung stand ich also auf, flüchtete in die Toilette und wartete dort ab, bis das Turnier vorbei war)

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Der che und Du, könnt Euch ja zum Schachspielen per E-Mail verabreden.

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Den Trick mit der Toilette pflege ich auch dort anzuwenden. Nicht unbedingt zur Freude von Che.

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Hier irrte schon Adorno
Der Jazz auf dem ihm möglichen äußersten Niveau verhält sich zu Boyle wie Joyce, Kafka, Beckett und Brecht.
Man sollte wohl nicht kulturellen Rassismus unterstellen, wo sich vermutlich nur schlichte Ahnungslosigkeit äußert. Dennoch bleibt es frappierend, daß mancher auch etliche Jahrzehnte nach Adornos Blamage seinen Horizont noch nicht erweitert hat.
Es war übrigens in den fucking 30s, als Charles Mingus in den USA Schönberg studierte. Wir haben es hier mit einer ästhetischen Ignoranz zu tun, die nun schon ein Dreivierteljahrhundert auf dem Buckel hat.
(Ich verkneife mir eine Litanei der großen Namen. Mingus ist gar nicht der bedeutendste. Ununterdrückbar ist freilich die Erkundigung, ob es hier darum geht, gegen alle Evidenz implizit für europäische Musiker verschämt einen ansonsten durchaus eher infrage gestellten Geniebegriff zu reservieren.)
Das ganze Nörgler-Argument ist einfach wunderbar verkorkst. Auch im Kontext der Literatur ließen sich gute Gründe anführen, Wole Soyinka und Chinua Achebe höher einzustufen als Flaubert.
Oder renne ich offene Türen ein und bin auf bloßes Kabarett reingefallen?

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Wenn Wole Soyinka und Chinua Achebe den Roman bzw. seine Struktur auf die (post-)moderne Spitze und die Romanform hin zu einer polyphonen Veranstaltung trieben, nicht auf der Ebene realistischer Wiedergabe und Widerspiegelung beharrten, dem magischen Realismus eine neue Gestalt gäben, dann stünden sie in der Tat auf der Stufe von Flaubert sowie Kafka, Joyce und Beckett fürs 20 Jahrhundert. Was Flaubert für den modernen Roman leistete: er sprengte das überkommene Erzählen, den auktorialen Rahmen, er machte dem sogenannten realistischen Erzählen völlig neue Vorgaben, hinter die sich nie mehr zurückfallen ließ. Er tat etwas, das vorher noch niemand so betrieb, und zwar in einer gnadenlosen, geschliffenen, sezierenden Sprache. Wenn Wole Soyinka und Chinua Achebe die ästhetische Form hin zu einem neuen Erzählen öffneten, dann stimme ich Dir zu: sie stehen auf einer Stufe mit Flaubert. [In der post-modernen Literatur fallen mir dazu bisher nur David Foster Wallace und mit Abstrichen Don DeLilo ein, vielleicht noch Borges und Carlos Fuentes mit „Terra Nostra“.]

Viele hören es nicht gerne, weil ihnen in der Literatur alles gleich-gültig ist und der Begriff der ästhetischen Form ihnen nicht weiter ins Gewicht fällt, Hauptsache es wird nett erzählt: Aber es gibt in der Literatur und der Bildenden Kunst (Musik spare ich aus, die ist nicht mein Feld) durchaus eine erste Liga – was nicht bedeutet, daß die Bücher, die nicht so hoch spielen nun mißlungen seien. Auch Boyle ist gut. Aber er ist nun einmal nicht David Foster Wallace. So einfach sind die Dinge, wenn man sich die Romane des einen und des anderen ansieht. Wer alles nivelliert und auf eins herunterbricht, unterschlägt am Ende die qualitative Differenz. Mit diesen Unterscheidungen ist freilich nicht gemeint, daß es in der Kunst nun in eine Leistungsschau ausartete, sondern diese Anordnung läuft übers Binnenästhetische, über Konstruktion und Komposition. Denn es gibt durchaus Kriterien für‘s Avancierte, die sich benennen lassen. Insbesondere bei Flaubert. Jedes Jahrhundert bringt nur wenige Schriftstellerinnen und Schriftsteller hervor, so daß man sagen kann: nach diesem Buch ist alles, was war, anders, und es läßt sich nicht mehr in der schnurrigen Weise wie bisher weitererzählen.

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Weiterhin, Herr Lehmann: solche Sätze wie sie der Nörgler schreibt, pointieren einen Sachverhalt, verdichten ihn in seiner Komplexität in einem einzigen Satz. Nicht um die verschlungene Argumentation geht es in solchen Sentenzen, sondern um das Anspielen eines Motivs. Eines durchaus richtigen Motivs – zumindest was die Literatur betrifft. Man kann solche Verdichtungen als Aphorismus bezeichnen. Dir werden sicherlich die Namen Georg Christoph Lichtenberg und Karl Kraus etwas sagen.

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"zumindest, was die Literatur betrifft"
Hätte ich mich doch bloß nicht auf den Nebenkriegsschauplatz der Literatur begeben - im Zitat ging es ja um Jazz. In eine Diskussion über Flaubert möchte ich eigentlich nicht einsteigen. Es würde zu weit führen und auch meinerseits nicht ohne name-dropping abgehen. Gesetzt also den Fall, ich verzichtete darauf, Flaubert vom Thron stoßen zu wollen, müßte ich gleichwohl darauf insistieren, daß die von mir beanstandete Äußerung zum Jazz, sollte sie eine Verdichtung sein, dennoch nur die Verdichtung eines weißen Flecks wäre, und, sofern sie eine Pointierung darstellte, lediglich die Pointierung einer Leerstelle in einem bildungsbürgerlichen Kanon bliebe, dessen Urheber weder Kenntnis davon noch Ohren dafür haben, daß in der afro-amerikanischen Musik die abendländische Avantgarde rezipiert wurde - teils bereits zu einer Zeit, als diese in ihrer Ursprungskultur noch verfemt war. Mithin erschöpft sich die Nörgler-Sentenz in ihrer Tendenz, das Anspiel landet im kulturhistorischen Seitenaus, und angesichts der drohenden Aussicht auf ein Rendezvous mit großen Namen wie Lichtenberg und Kraus wird der epigonale Aphoristiker hier auf irrtümliches Anprobieren zu groß geratenen Schuhwerks plädieren müssen.

Die "Kriterien fürs Avancierte" sind natürlich ein spannendes Thema. Mitunter mögen die Kriterien auch den Umgang mit dem Material avancieren, doch hin und wieder erscheinen halt Kunstwerke, die selbst zum Kriterium werden. In der Folge wird, was vorher noch Zugehörigkeit zum Kanon indizierte, zum Ausweis für Obsoleszenz.

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Wenn das so weitergeht, wird Herr Lehmann über meinen Satz noch promovieren.
Dass die Jazzsektierer auf jeglichen Einwand reagieren wie auf eine Religionsstörung, war freilich bekannt.

Mach dich mal locker, Lehmann. Was gestern in 2 TV-Sendungen von Wayne Shorter zu hören war, paßte so garnicht zu der Verkniffenheit, mit der du hier dein Beleidigstsein in den Thread hechelst.

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Adorno-Ähnlichkeitswettbewerbe der Hinterweltler
ja. sauber, Mr. Lehmann.

Deine heiteren Bemerkungen haben mich jedenfalls animiert, mich mal wieder mit Mingus - und wie das dann so geschieht - und mit JoBin zu beschäftigen. Der ja zuerst in Brasilien verpönt war, weil er die nordamerikanischen (avancierten, auch von Broadway- u. Hollywood-Komponisten herkommenden) Jazz-Harmonienin in die südamerikanischen Stile integrierte. Dennoch wurde "Girl from Ipanema" zum Hit. Sein "Desafinado" - seine als am schwierigsten geltende Komposition, die für eine Big Band gelungen zu arrangieren bis heute als Ausweis für die Meisterschaft des Arrangierens für die Big Band gilt - behandelt eben diesen Thema. Harmonisch, textlich, melodisch.

Es fehlte allerdings noch, dass der Nörgler über sich selbst promoviert. Seine Lockerungsübungen in Sachen Wayne Shorter lassen jedenfalls hoffen. Den ich übrigens mal mit Santana - ich meine Shorter - live erlebt habe.

Shorter ist, BTW, einer der wenigen - eigentlich der einzige -, der ein Davis-Album des frühen Miles Davis Quintetts fast schon dominierte. (Footprints)

Chinua Achebe zufolge „sollte jede gute Geschichte, jeder gute Roman, eine Botschaft enthalten, einen Zweck haben“. (Quelle: Wicki) Dies scheint mir nun ein typisches Merkmal einer mündlichen Überlieferungstradition zu sein. Vielleicht sogar typisch afrikanisch, wo dortselbst Afrikaner es als typische Eigenschaft des Afrikaners ansehen, mehrere Sprachen u. Dialekte zu beherrschen.

Nur weil die besten Theoretiker auf dem höchsten Niveau der ihnen möglichen ästhetischen Theorie keine andere Möglichkeit hatten, als Flaubert und Beethoven heranzuziehen, müssen die Kriterien, nach denen sie arbeiteten, nicht als universelle gelten. Die Beweise lagen lange Jahre auf der Straße, unterdessen sollte sich das aber auch im letzten Hinterwinkel von Hinterweltlern, wo sich die allseits gefürchteten Adorno-Ähnlichkeitswettbewerbe stattfinden, herumgesprochen haben-

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Ich und Adorno
wissen bzw wußten die Spitzenprodukte des Jazz durchaus zu schätzen.
Mit Jazz beschäftigte ich mich schon, als die hier vertretenen Fans noch ein gieriges Glitzern im Auge ihres Erzeugers waren. So haben wir damals in der hannöverschen Theorieszene Wheather Report, Gabarek, Al die Meola, McLaughlin, Weber, Yamashita Trio et al, eigentlich alles nach dem Swing, mit Begeisterung gehört.
Problematisch allerdings wird es dort, wo die Fans den Jazz auf ein Podest stellen, auf das er musikalisch und musikgeschichtlich nicht gehört. Die Creme der Jazzmusiker macht das übrigens nicht. Das bleibt der Gemeinde der Jazzreligiösen vorbehalten.

Seit Wochen warte ich nun vergeblich darauf, dass die den Jazz tiefstempfindenden Experten hier und bei Bersarin das Fundamentalargument beibringen, das ihnen doch zu Gebote stünde:
Dass man den Jazz und die Klassik nicht vergleichen könne, da Jazz Improvisation ist. Tatsächlich funktioniert die Klassik auf Papier, der Jazz nicht. An dem Punkt könnte dann mal eine Diskussion beginnen.

Dass man die Bedeutung von Shorters Begriff der „Zero Gravity“ nicht erfaßt – denn hätte man sie erfaßt, wäre man längst auf das Improvisationsargument gekommen –, spricht nicht für das weitergehende Verständnis der Fans und Experten, ist es doch eine Eigentümlichkeit der Jazzwelt, dass jeder Fan sich sogleich auch für einen Experten hält.

Die Prätention des Jazzexpertentums ist so albern, weil sie so grundlos ist.

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dann sind wir Wickelkinder ja gar nicht mal so eine unaufmerksame Nachfolgegeneration gewesen. Zuerst standen natürlich Wheather Report, Gabarek, Al die Meola, McLaughlin, Weber ... auf dem Programm, so ab vierzehn. Nur ich leistete mir Ausreißer und lieh mir 50er-Jahre Schellaks-Sachen vom Vater eines Freundes aus und hörte Monk/Trane, Fitzgerald, u. etwas später Young, Holiday.

Ich hatte ja bereits das eine oder andere Mal erwähnt, dass ich kaum noch Musik von Tonträgern höre. Aber einmal im Monat findet hier in der Vorstadtgegend eine Jazz-Session statt. Da natürlicherweise die Jazz-Szene in einer Stadt wie Hamburg überschaubar ist, kommen - wenn überhaupt jemand kommt - manchmal die besten Leute hier raus. Selbst Herb Geller war mal da. Auch die Anzahl der Besucher ist überschaubar: Da die Musiker der Basisband z.T. alte Freunde von mir sind, kennt mich inzwischen auch so mancher der anderen Musiker. Und es ist interessant, die musikalische Entwicklung der Jazzer über Jahre mitzuverfolgen, was manchmal auch Gesprächsthema ist, wenn wir beim Rauchen draußen zusammenstehen, und ich mit sympathischen Gefühlen den Fachsimplereien lausche.

Es trifft aber auch, wie ich aus diesen Gesprächen folgere, auf die lokale Creme und erst recht für die Anfänger zu: Niemand aus der Szene stellt den Jazz auf irgendein Podest.

Ich gehe auch und vor allem wegen des Sounds dort hin - und der Lautstärke wegen, die ich in meinen 4 Wänden mir nie leisten könnte.

- Und wegen der Improvisation! Die Einflüsse stilistischer Natur der unterschiedlichen Musiker usw., einer z. B., der sich bescheiden als Swing-Saxophonist bezeichnet, der aber, wie mir versichert wurde, natürlich alles gehört habe, Coletrane ... All diese Sätze schwirrten mir bereits lange im Kopf herum: Musik ist ein Phänomen in der Zeit. Allerdings auf eine Weise, dass diese Musik am besten live zu erleben ist. Die alten Aufnahmen hört in der Tat nur der Experte, nämlich der Musiker, weil ohne diese Jazz-Geschichte einfach gar nichts geht

Dass Jazz eine improvisierte Musik sei - darauf, hierauf hinzuweisen, habe ich bisher versichtet, weil mir zu billig erscheinend. Dass angestrebt wurde/wird die relativ statischen Formen eben durch die Improviation zu verflüssigen, hatte ich ja bereits mit dem Verweis auf Lester Young angedeutet; dass gerade hier oft waghalsige Ausflüge in Gefilde der Dissonanz unternommen werden, die den ästhetischen Genuss ausmachen können, ist halt so.

Die Rechtfertigung der simplen Formen mit dem Argument, dass solche einfach notwendig sind für die Improvisation im Kollektiv, muss für den Banausen wie ein Totschlagargument klingen - der die Finessen eines guten Improvisators einfach nicht hört. Und ich bezog mich natürlich auf das Moment der Improvisation, wenn ich auf die Übereinstimmung von Form und Spiel bei Ornette Coleman hinwies (im Gegensatz zu den statischen Formen vor dem Free-Jazz).

Da ich bisher der einzige gewesen bin, der den Jazz verteidigte, kannst Du jetzt nicht alle Versäumnisse mir zuschreiben. Es ging darum, die Kritik ernstzunehmen, nicht darum, zu sagen, 50 bis 60 Jahre nach Adornos Aufsatz haben Pastorios und Zawinul mit wheather report in Sachen Improvisation Maßstäbe gesetzt.

Und bereits in früheren Diskussionen habe ich mehrfach darauf hingewiesen, dass Adorno wohl insbesondere das Phänomen des Jazz-Fans abgestoßen habe.

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Ein Wort gegen Adorno (tote Männer können sich nicht wehren)
Kleine Zwischenfrage:

Woher kommt eigentlich diese Auffassung, Adorno sei der ultimative Musikkritiker? Ich weiß nicht, inwieweit ein objektiv Ultimatives überhaupt zum Wesen der Musik passt. Bei mir jedenfalls ist es nicht zuletzt Stimmungsfrage, was ich in der Musik für ultimativ, an der Spitize stehend halte. Das kann also die meisterliche Instrumentierung bei Wagner sein (von der ich deutlich mehr halte als von der eigentlichen Komposition), oder auch - um einmal in eine völlig fern liegende Ecke zu springen - ein "James Brown is dead" von L.A. Style, das als Gebrauchsmusik (zum Tanzen) sicherlich Maßstäbe gesetzt hat, und als Musikstück in der Summe vieltausend Menschenjahre gerettet hat, indem es - wie wunderschön - Menschen zum Tanzen brachte.

Ich will gar nicht erst wissen oder mir darüber auch nur Gedanken machen, was Adorno dazu gesagt hätte... *grins*

Adorno war sicher sehr musikalisch (weit mehr als ich es bin zumal), sicher belesen, sicher auch musikalisch versiert, er konnte sogar anspruchsvoll komponieren und sicher hatte er auch musikalischen Geschmack. Das hebt ihn etwas heraus, zumal zusammen mit seinem etwas überreichlich zur Apodiktik neigenden schriftstellerischen Talent.

Aber ultimativ? Nein, ist er für mich nicht. Vieles kannte er nicht, zum Beispiel die Dinge auf die Ziggev verwies, wie Antônio Carlos Jobim (den ich auch sehr bewundere), und auch das, was er zu kennen meinte bzw. für kennenswert hielt, das beschrieb er lediglich:

Interessant. Wirklich interessant. Aber eben nicht mehr und schon garnicht im Sinne eines letztgültigen Urteils. Seine Ansichten zum Schlager sind beispielsweise auf alle Fälle lesenswert, man mag sie sogar beeindruckend finden, spießt er doch verbreitete Schwächen und Künstlichkeiten dieses Musikmetiers geradezu meisterlich auf.

Zugleich ist es ausgerechnet hier, bei einem so schwachen Gegner, sogar reichlich lächerlich, was er schreibt. Ja, ganz ernsthaft. Wer glaubt - wie er - dass es im Schlager seitens der Musiker/Komponisten nichts als konfektioniertes, künstliches Gefühl gäbe (und sicher: das gibt es hier überreichlich), der hat sich selber blind gemacht. Nur mal als Beispiel, die absichtsvollen Kompositionen der Comedien Harmonists.

Zweifellos Schlager. Aber eben auch wirklich witzig und beschwingt. Das ist kein falscher Humor, und hat auch keine Künstlichkeit an sich. Wer so etwas nicht mag, der mag dann halt andere Dinge. Wer hingegen - wie Adorno - alles verflucht, was ihm fremd oder nicht angenehm ist, der ist einfach nur engherzig.

Was im Fall von Adorno - in seiner Eigenschaft als Musikkritiker und Musiktheoretiker - abschnittweise, je nach behandelten Sujet, sogar bis zur totalen Verblasenheit gesteigert wurde. Insofern: Interessant. Wirklich interessant. Mitunter sogar ein echter Maßstab. Aber sicherlich nicht der einzige...

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ja, Dean, ...

die Theorie, wie sie der alterbolschwik hier und hier quick and dirty rekonstruiert hat, hat ja was für sich. Es ist eine schöne Theorie. Höchst avanziert, keine Frage. Vor allem, weil sie so schlüssig ist. Endlich haben wir aber die Improvisation auf dem Tapet. Und da stellt sich die Frage, ob wir wirklich noch zu denselben Ergebnissen kommen. Sie eignet sich immernoch für die Analyse; aber ob diese Ergebnisse dann nun wirklich so treffend sind, um diesem Stil gerecht zu werden oder ihn zu verdammen, das ist eben die Frage.

Denn diese Frage stellt sich womöglich gar nicht. Es ist eine Musikrichtung, die in der Praxis begründet ist. Desh. spreche ich ja auch immer von einem Stil, nicht von einer Musikrichtung.

@ Comedian Harmonists

Dean, aber komm, ich bin mir nicht sicher, ob Du im betreffenden Absatz noch mich meintest - aber nichts gegen die Comedian Harmonists ! (Ausrufeziechen!) Natürlich war das Pop -- aber intelligent und gewitzt gemacht: und zugleich, für unsere heutigen Ohren ist es eine Reminiszenz an all die jüdischen Unterhaltungskünstler, die von hier vertrieben worden sind, am Broadway oder in Hollywood Fußfassten, und von dort aus die Geschichte der populären Musik weiterbestimmten! Kotzt es Dich nicht manchmal an, dass wir in einem Land leben, das die - zumindest die musikalische - Elite vertrieben und ermordet hat? Das sind leider Tatsachen!

Und: Ja. Adorno hat komponiert. Hatte aber die Eier in der Hose, die Ergebnisse Fachleuten seines Vertrauens vorzulegen. Die ihm davon abrieten, weiterzukomponieren. Er zog seine Schüsse daraus und entwickelte seine Prosa weiter. Daran kann ich nichts finden. Jemand, der konsequnt ist - chapeau!

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Nun Ziggev,

der alte Bolchewik schreibt ein paar Dinge, die mir missfallen, teils, die imho widerlegbar sind. So schreibt er (sinngemäß bis wortwörtlich):
Jazz ist eine kulturindustriell vorfabrizierte Hülle, innerhalb derer keinerlei musikalische Entwicklung stattfindet. Jazz ist bloßes Kunstgewerbe, ohne die Möglichkeit zu einer Entwicklung einer wirklich künstlerischen Form, bei der sich Vernunft und Sinnlichkeit bzw. Schönheit in einem ausgeglichenen Verhältnis repräsentieren.
Dazu wäre Vieles zu bemerken. Ich belasse es mit Wenigem:

1. So viele Beispiele es für einen Jazz ohne echte musikalische Entwicklung gibt (imho im sogenannten modern Jazz sogar noch eher als in anderen Spielarten), so sehr gibt es Beispiele eben für genau das, der musikalischen Weiterentwicklung im Jazz und durch den Jazz.

Allein schon der Bossa Nova, der zum Vater den Jazz und zur Mutter südamerikanische Rhythmen hat, ist ganz zweifellos eine musikalische Entwicklung - eine sehr interessante und musikkulturell sehr hoch stehende zumal.

Es gibt Unmengen weiterer Beispiele, wobei ich selbstverständlich nicht nur Stilistiken meine.

2. Jazz kann (aber: muss nicht) einer kulturindustriellen Zurichtung sehr fern sein, womöglich sogar weitaus ferner beispielsweise als es viele musikalischen Avantgardisten sind...

Es ist der Jazz-Musiker, der darüber entscheidet!

3. Zwischen musikalischer Avantgarde (mit der ich mit wenigen Ausnahmen nur sehr wenig anfangen kann) und dem Jazz gibt es zahlreiche Berührungspunkte und Kooperationen.

Ich habe den Eindruck (vielleicht täusche ich mich da), dass dies weder Nörgler, noch Alter Bolschewik auf dem Zettel haben.

4. Alles in allem:

Es gibt kaum eine Musikrichtung, die "verspielter" ist als der Jazz - und den Musikern (auch eben den komponierenden) damit ganz erhebliche Freiheitsgrade einräumt, auch hinsichtlich der Entwicklung neuer Formen.

Man muss sich dabei nicht unbedingt z.B. an verspießerte Dixie-Land-Bands orientieren - aber sogar dann, wenn man das tut, wird man Dinge finden, in denen sich die besonderen Freiheitsgrade im Jazz zeigen, und zwar auf durchaus erfreuliche Weise.
Der Sinn künstlerischer Auseinandersetzung ist es nicht, das vorgegebene Formenmaterial kritiklos zu übernehmen und seine eigene Subjektivität in diese Formen hineinzugießen.
Och, das ist zu streng formuliert. Aber natürlich kann es ein ganz wesentlicher Sinn künstlerischer Auseinandersetzung sein, ein vorgegebenes Formenmaterial kreativ auszugießen und zu gestalten!

Das kann sehr reizvoll sein - und in der Musik gibt es Milliarden über Milliarden verschiedener Wege, dies zu tun - und dabei zugleich ein Künstler des schwersten Kalibers zu sein.

Fast könnte ich den Eindruck gewinnen, der alte Bolschewik ist kein Musiker.
Es ist dies die Problematik, daß ein Werk, wie es sich Schiller erträumt hatte, als Versöhnung von Allgemeinem und Besonderem, historisch nicht mehr möglich ist. Nicht Schönberg ist der Gipfel der musikalischen Entwicklung, sondern Beethoven. Und die Musik Schönbergs ist ebenso wie der Jazz ein Symptom dafür, daß die historische Entwicklung Werke wie die Beethovens unmöglich gemacht hat.
Der Satz gefällt mir! Da ich jedoch als Widerspruchsgeist deutlich bessere Anlagen habe, denn als Kopfnicker, möchte ich anfügen, dass ich mir unsicher bin - so schön und sogar richtig ich diese Aussage im Moment auch finde - ob sie wirklich richtig ist. Dazu trägt nicht wenig bei, dass ich Beethovens Musik - auch - für den Ausdruck spezifischer Produktionsbedingungen (als Musiker) und Klassenformationen betrachte.

Mit anderen Worten, Beethoven und seine Musik sind noch über das musikalische Genie hinaus für mich ein absoluter Spezialfall - und zugleich eben Ausdruck auch einer gesellschaftlichen Unterdrückungsstruktur, die eben alles andere als ein harmonisches Vereinen von Schönheit und Ratio darstellt...

Auch gilt: Beethovens Musik eine Utopie, die weit hinaus weist über die spezifischen Bedingungen, in der diese Musik entstanden ist. Und zugleich ist diese Musik eben Ausdruck einer spezifischen historischen Situation, und als solche unwiederholbar.

@ Adorno komponiert

Ich hätte es besser gefunden, wenn er seine Fähigkeiten in diesem Bereich nicht aufgegeben hätte. Komponieren befreit den Geist! Es hätte ihm also genutzt, und ich wäre sicher, nicht wenige Menschen hätten ihre Freude an seiner Musik.

Er hat sich mutlos machen lassen, als Komponist. Mutlosigkeit ist selten ein guter Ratgeber!

(da kenne ich mich aus)

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Kommentar I
ach, dean, ich wiederhole mich, aber lass mich etwas geschmäcklerisch antworten.

ohne Frage bewundere ich die Theoriegebilde von Adorno. Und eine Aufzählung von 1 bis 4 bei dir hilft immer noch nicht, sich dem Phänomen des Jazz anzunähern. Im übrigen ist ja der Nörgler eingeknickt, und hat zugegeben, dass er in seiner Jugend oder etw. später sich die genialischen Improvisationsgebilde von Whether Report reingezogen hat.

Wir kommen aber so oder so nicht darum herum, dass dem Jazz relativ enge Grenzen gesetzt sind. Wie ich schon erwähnte, sitze ich ich regelmäßig morgens mit der Gitarre in der Küche und mache mir Gedanken über diese oder jene Skala, die möglich über diese oder jene harmonische Struktur zu spielen wäre.

Ich kenne aber gute alte Freunde, die das studiert haben. Und was haben die gelernt? "Jazz ist ein Stil, der ungefähr zwischen 1940 u. 1970 gespielt wurde".

Die Jazzer sind sich der Antiquiertheit ihres Stil bewusst, sie wissen das. - Wie es scheinen mag, im Gegensatz zu dem Jazz-Fan!

Es ist ein von der Praxis bestimmter Stil. Es ist ein historischer Stil. Um sich der Historizität zu entwinden, so würde ich versuchsweise sagen, wurden Sachen wie Free-Jazz entwickelt. Ganz frech: Leute wie Ornette Coleman langweilten sich bei den allüblichen II-V-Verbindungen, die noch ein Genie wie Ch. Parker in den Wahnsinn getrieben hatten. Und ja, ich habe mich mit all dem Mist mit der Gitarre in der Hand und die Noten auf dem Frühstückstisch jahrelang beschäftigt. Mit meinen Analysen diverser Bebop-Themen bin ich aber, mangelndes Talent, immer noch nicht fertig. Was ich ja kann, und anhand Schubert und Brahms gelernt habe, nicht nur als Handwerkszeug fürn jazz, die Analyse der Harmonien, bringt mir aber im Bebop nur die immerselben Ergebnisse. Deswegen kann ich zwar etwas Jazz, aber die harmonischen Verbindungen, über die Charlie Parker genialisch improvisierte, sind derart banal, dass ich nie den Mut aufbrachte, mich in diese Gefilde hineinzubewegen ...

Nein, zuerst kam die lange Weile. Dem Jazz muss man sich über die Improvisation nähern, sonst versteht man gar nichts.

Habe ich ja immer gesagt, Adorno hätte Jazzmusiker werden sollen; theoretische Bemerkungen im Adorno-Ähnlichkeitswettbewerb vom Nörgler oder die erhellenden kritischen Einwürfe vom alten bolschewiken, sind mehr oder weniger gelungene Improvisationen über dasselbe Thema.

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Kommentar II
1st Dr. Dean, entscheide Dich, über welches Thema Du improvisieren willst!

- im dlf oder so habe ich Adornos Kompositionen mal gehört. Lieber hätte ich das Original, Schönberg, gehabt, u. all dem haftete das Signum der Banalität an, wie gesagt, besser, dass er in Folge sich mehr auf Variationen in Prosa kaprizierte. Und da hat Er bemerkenswertes geleistet, wie ich als Jazz-Fan anerkennend ihm zugestehen muss.

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Der Adorno-Ähnlichkeitswettbewerb
wurde mittlerweile ein paarmal zu oft beschworen, um noch eine polemische Zugnummer zu sein. Wäre ich ein Freund von Ähnlichkeitswettbewerben, so engagierte ich mich allerdings eher beim Adorno- als beim Ziggev-Ähnlichkeitswettbewerb. Da ich auf beides verzichte, nehme ich lieber am Wet T-Shirt-Contest teil, als Zuschauer. An der Aufgabe, beim Damen-Schlammringen in die Jury berufen zu werden, arbeite ich noch.

„Die Jazzer sind sich der Antiquiertheit ihres Stil bewusst, sie wissen das.“ Das wär‘ mal was. Allerdings sehe ich nirgendwo die explizit formulierte Einsicht, dass der Formen- und Harmonienreichtum der Spätromantik weiter war, als es der Jazz jemals sein wird. Jazz läßt sich geradezu als Teilmenge, als Schrumpfform der Spätromantik dekonstruieren. Ohnedies kommt der Jazz immer zu spät: Irgendwann rang er sich zur Quartharmonik durch. Das hatte die Klassik auch gemacht, nur Jahrhunderte früher.

Ja, Dean, es gibt eine Entwicklung im Jazz. Die freilich verläuft zirkulär. Nachdem es eine zeitlang immer freier und wilder zugehen mußte, findet nun eine Rückkehr zum Harmonischen statt. Wer füllt in diesen Wochen und Monaten die Säle? Wer wird in den Medien hysterisch gefeiert und gehypet? Ein Schlagersänger, dem man das Bapperl „Jazz“ verpaßte.

Um die schlichtschematischen Beethoven-Bemerkungen Deans ein wenig aufzunorden:

Beethoven ist der Komponist des „versäumten Augenblicks“, einer historischen Sekunde, in der auch eine andere Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft möglich gewesen wäre, als der Übergang der Manufaktur ins „automatische Subjekt“.
Eine durchgängige Beethoven-Interpretation hätte zu zeigen, wie seine „Werke“ (der Alte Bolschewik zuckt) die sozusagen hyperdialektischen Verwerfungen und Momente jenes aufblitzenden Augenblicks auf den musikalischen Begriff bringen. Dass Adornos Beethovenbuch Fragment blieb, hat wohl die gleichen Ursachen, die für die Nichtvollendung von Benjamins Passagenwerk verantwortlich sind.
Einzelnes läßt sich indentifizieren: Der erste Satz des Opus 111 ist das schiere Chaos; im Chor der Neunten wird (das richtige Tempo vorausgesetzt) das Subjekt zu Tode gehetzt; die „Große Fuge“ spielt im Abgrund, in den es stürzte, und überall bei Beethoven zerrt die Musik mit der Kraft eines irren Berserkers an der Kette, an die sie qua Kadenz gelegt ist. Und damit zerrt sie notwendig und hörbar auch an der Kette der Tonalität.

Beethovens Thema und das von Goethes "Faust" ist das gleiche: die Katastrophe der Moderne.

Wo die Katastrophe – und falls sie – im Jazz anklingt, wird das durchaus zu würdigen sein. Wo nicht – und falls nicht – ist es bloß das vom alten Bolschewik angesprochene Kunsthandwerk.

Das von Genova abgehämelte Engagement Adornos (Donaueschingen statt Jazzfestival) hat seinen Grund nicht, wie von G. vermutet, in mangelnder Expertise Adornos beim „Arschwackeln“, sondern darin, dass er dort hinging, wo man theoretisch und praktisch die Frage stellte, ob Musik die Katastrophe noch zu reflektieren vermag.

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Ich nähere mich dem Disput jetzt einmal von der tänzerischen Seite
Musik ist mehr als Kastastrophenreflektion. Im Übrigen bzweifele ich, dass Adorno ein ernstes Problem "mit dem Arschwackeln", vulgo: Tanzen hatte. Als junger Mann tanzte er sehr gerne. Die "Arschwackeln"-Formulierung stammt in Bezug auf Adorno, wenn ich mich nicht täusche von MR, und konnotiert sich damit in einen Zusammenhang, wo Adorno vorgeworfen wird, eine "verklemmte Hete" gewesen zu sein.

Das ist, pardon, nicht einmal erörterungswürdig, auch unabhängig davon, dass derjenige, der so formulierte, in seiner realen Erscheinung ohne Weiteres als Musterbeispiel von Verklemmtheit durchgehen könnte.

Adorno mochte Musik, und darunter auch Erscheinungen von Musik (in gewissen Gegensatz zu dem, was er darüber schrieb), die - nunja - eben weder sonderlich hochkulturell waren, noch sich den Katastrophen der Moderne widmeten, wenn man einmal vom Sujet der Einsamkeit absieht.

Nörgler wird wissen, worauf ich hier anspiele. Aber genau das ist ja eben auch Aufgabe von Musik: Stimmungen ihren Ausdruck zu geben. Neben den großen Themen gibt es immer auch die "kleinen" Themen. Musik kann auch einfach Erzählung sein.

Ganz objektiv: Es gibt sehr viele Stimmungen und Themen...

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@ Nörgler

Wenn, dann wurde der Adorno-Ähnlichkeitswettbewerb genau zweimal beschworen, also falsch: "ein paarmal zu oft".

Willst Du die "explizit formulierte Einsicht, dass der Formen- und Harmonienreichtum der Spätromantik" weiter war, "als es der Jazz jemals sein wird" ?

Bitte:

Ja, der Formen- und Harmonienreichtum der Spätromantik war bereits weiter, als es der Jazz jemals sein wird.

Aber: Ausser in Improvisationen.

Du verdrehst meine Aussagen, stattdessen beliebst Du, weiterzupolemisieren. Aber anstatt Dich dem Gegenstande zu nähern, entfernst Du Dich für den polemischen Zugewinn oder Mehrwert, auf den die Ahnungslosen vielleicht hereinfallen werden, mehr und mehr von demselben.

Denn eben diese expressionistische Harmonien versuchen moderne Jazzer mittels ihrer Improvisationen in das ihnen zu eng werdende Korsett, das ihnen durch die "Standards" vorgegeben ist, hineinzuzwängen. Insbesondere die aus russischen Konservatorien stammenden Musiker mit ihrer klassischen Ausbildung führen das in letzter Zeit immer wieder vor.

Man muss dem Jazz gegenüber fair bleiben. Es ist eine auf Praxis beruhende, ich möchte sagen, Volksmusik. Das ist einfach banal und mit dem Brecheisen in die Fresse geschlagen argumentiert, dass es in Europa die und die musikalische Entwicklung bereits vor dem Jazz gegeben habe. Jeder fähige Musiker wird das historische Material aufgreifen. Willst Du das den betreffenden Musikern jetzt vorwerfen?

Bei Deiner ostentativ sich im Kreise drehenden Argumentation möchte ich Dir vorschlagem, es als Noegler mit dem Noegler-Ähnlichkeitswettbewerb einfach mal sein zu lassen.

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Ohne Jazz geht garnichts.
Über das "weiter sein" in der Musik kann mensch lange debattieren. Nur, war die Spätromantik (die ich ebenfalls sehr liebe) wirklich "weiter" als Beethoven - zum Beispiel?

Überhaupt, inwieweit ist ein einzelner Komponist, der seinen individuellen und großartigen Ausdruck gefunden hat, "weiter" als ein anderer?

Ich kann das nicht sehen. Pardon. Das mit dem "weiter sein" ist ohnehin so eine Sache. Die Musiker, die für ein klassisches Symphonieorchester benötigt werden, sind Virtuosen mit ihrem Instrument/en. Aber allergrößtenteils gewissermaßen "tote" oder "verriegelte" Virtuosen, die sich selbst und ihrem individuellen Ausdruck zumeist massiv misstrauen, und zwar so sehr, dass sie sogar völllig außerstande sind (die allermeisten - und das finde ich sehr bemerkenswert), in der Musik zu improvisieren - so als ob sie damit verbotenes Gelände betreten würden.

Ich weiß nicht, Nörgler, wie oft du zum Beispiel mit Musikern der Berliner Philharmoniker versucht hast, improvisierend, komponierend zu musizieren.

Es ist eine eindrucksvolle Erfahrung, kann ich dir sagen. Weil du nämlich dabei heraus finden wirst, dass sogar der kleinste musikalische Stümper zumeist deutlich mehr (!) kann als eben jener über Jahrzehnte geschulte, hochausgebildete Musiker der Berliner Philharmonie:

Improvisieren.*

(oh, und dann wären wir wieder beim Jazz - oder?)

Vielleicht lässt sich sogar sagen, dass die größten klassischen Komponisten in Wahrheit Jazzer waren. Sie improvisierten. Hört man sich die Kompositionen beispielsweise von Chopin an, dann lässt sich das oft direkt nachzuvollziehen, nämlich, dass er in vielen seiner Stücke einfach mehrere Improvisationen miteinander verband, ja, im Einzelfall auch einfach nur aneinander reihte.

Auf die Spitze formuliert: Ohne Jazz geht garnichts. Das gilt in ganz besonderen Maße für die klassische Musik - und auch die von Nörgler so hoch gelobte Spätromantik.

Im Übrigen kann man auch die These vertreten, ganz unabhängig von der so formulierten angeblichen Einzigartigkeit und Nonplusultra-Themenwahl "Katastrophe der Moderne", dass jene musikalischen Entwicklungen, welche der Spätromantik folgten - und versuchten, die Freiheit in Form und Harmonik noch zu steigern - in erheblichen Teilen tatsächliche Missgeburten waren.

Die algorithmische Strenge in der Zwölftonmusik mag ja ganz wunderbar begründet werden können (es lässt sich ja bekanntlich jeder Scheiß wunderbar begründen...), aber sie entspricht meiner Auffassung nach einem zwanghaften, auf Regelhaftigkeit gerichteten Denken - und entfernt sich damit sogar von den Freiheiten, die in der Musik der Spätromantik gewonnen wurden.

(und vielleicht ist es ja darum auch so, dass der damit gegängelte Geist sich i.d.R. ein Ventil sucht - und zum Beispiel einen Ausweg auf Sirius sucht...)

Eben diese Zwanghaftigkeit ist - eigentümlicherweise - sehr vielen bedeutenden Zwölftonkomponisten in die Seele gemeißelt wie kaum ein anderer persönlicher Charakterzug. Insofern...

(ohne Jazz geht garnichts)

* Ich fand mich jedenfalls in dieser Situation prompt angeneidet. Der Philharmoniker war anfänglich ziemlich erschrocken über das, was ich zusammen mit einem Synthesizer und einem Sequenzer anstellte, und kurze Zeit später setzte dann bei ihm ein massiver Neid-Schub ein, wie er noch viele Wochen später einräumte. Diese Frechheit! Einfach selbst zu bestimmen, welche Noten wann zu folgen haben. Einfach zu machen - ohne sich davor auch nur einen einzigen hemmenden Gedanken hinzugeben. Ich weiß natürlich, dass ich diese - und auch andere Erfahrungen - nicht so ohne Weiteres generalisieren kann, denn es gibt bei den Berliner Phillharmonikern auch Musiker, die (damals heimlich!) Jazz spielen, und solche, die selbst komponieren, ja sogar kleine Pop-Musikstücke. Aber so alles in allem, in der Tendenz haut das eben doch hin. Heute habe ich aber leider Kontakte mehr zu den Musikern der Berliner Philharmonie. Schade. Lustig war ja auch die Erfahrung auf Parties, wenn nicht selten echtes Entsetzen ("Was?? Du komponierst?) von diesen, ähm, klassisch ausgebildeten Musikern kam. Die waren irgendwie der Meinung, es sei schon alles in der Musik entdeckt, was es zu entdecken gibt. Dabei bestehen schon für eine starre, eintaktige, vermeintlich simple 16tel Notensequenz im 12-Tonsystem rund 4,5 Milliarden, pardon, Billiarden Möglichkeiten!! Die Welt der Musik ist wirklich groß - und im Grunde genommen garnicht zu fassen. Darum liebe ich sie ja auch so.

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Nörgler, es könnte sein, daß Du Beethovens Werke verwechselst. Beethovens Neunte ist op. 129. op. 111 ist eine Klaviersonate. Beethovens Klaviersonate sind schön, besonders die letzten, wie die op. 111:

http://www.youtube.com/watch?v=J2nxmb7dpwg

Aber weder der erste Satz der Klaviersonate noch der der Neunten Sinfonie sind chaotisch, und deren Harmonik steht bei beiden ersten Sätzen nicht nahe am Abgrund. op. 111 paßt irgendwie nicht zu Faust und op. 129 nicht zu Adorno, der Moderne und Aufklärung nur als Katastrophe kennt, während Beethoven in Aufklärung und Moderne Hoffnung auf eine bessere Zukunft setzt, weshalb ja die Arbeiterbewegung seit 1919 jedes Jahr zu Silvester im Leipziger Gewandhaus um 16 Uhr Beethovens Neunte aufführt. Goethe hingegen ist klüger. Der läßt den Dr. Faust in der Hölle enden. Adorno gehört wohl zu Goethes Partei, Marx zu Beethovens Partei.

op. 111 ist dagegen ein tiefsinniges Werk, dessen zweiter Satz eine Variation enthält, die man für Boogie Woogie oder Jazz halten könnte:

http://www.youtube.com/watch?v=wk-iqxqixhY

Ansonsten verstehe ich wenig von Musiktheorie wie die meisten Erdlinge.

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@ 1st dr. dean

die, wie er selber sagt, auf die Schnelle in seiner Wiedergabe zusammengestolperte Theorie Adornos des alten bolschewiken ist so unplausibel nicht, wie er sie referiert. Aber insbesondere der frühe Schönberg ist trotz allem hörbar. Es kann bei einer Verteidigung des Jazz nicht darum gehen, z. B. die 12-Töner zu diskreditieren. Wie gesagt, sind hörbare Sachen mit dabei,

ich hatte einen Musiklehrer, dem ich hier ein Denkmal zu setzen versuchte, und dem als Kind verboten war, Chopin zu hören, - weil da jazzänliche Harmonien drin vorkämen.

Der Noergler mit seiner K-Gruppen-Vergangenheit glaubt wahrscheinlich noch an den Fortschrittsgedanken, wenn schon sonst nicht, dann eben in der Musik.

@ sozi ohne Partei

Danke für die Links

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In manchen Werken Chopins wird der Quintenzirkel ja auf eine Weise gebraucht, daß man mit ihm dann wirklich nur noch gebogene Quadrate malen kann. Ich verfüge über keine Detailkenntnisse in der Harmonielehre. Aber Chopins Musik muß in dieser Beziehung ungewöhnlich sein. Man braucht ja da schon eine Weile, um sich darin zurechtzufinden. Aber Chopin ist Vollromantiker genau wie Schumann. Auch wenn ich keine Ahnung habe, berühren diese Werke mehr als so ein Max Reger oder Johannes Brahms. ...aber jazzähnliche Harmonien? Was sind denn jazzähnliche Harmonien? Chopin macht keinen Jazz. Jazz besteht aus genau denselben Harmonien wie Mozarts Musik. Ein Werk wird doch nicht schlecht, nur weil darin ein paar Harmonien vorkommen. Und selbst dann, wenn ein Werk einfach strukturiert ist, muß es nicht schlecht, d.h. nur Kunsthandwerk, sein, wie mancheiner hier behauptet. "Komm lieber Mai und mache" ist auch schön, und eigentlich nur ein Volkslied. Warum muß ich mir Max Reger, Arnold Schönberg, Paul Dessau und Anton Webern antun?

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das war ja gerade der Gag: dass Chopin Harmonien gebrauchte, die im Jazz wieder aufgegriffen würden. Ich erinnere mich nicht mehr genau, aber es könnten Figuren der linken Hand oder auch in der Rechten gewesen sein, die zwischen Dur u- Moll chargierten. Oder möglw. in Verbindung mit der kleinen 7. Pfui, Chopin, der hat dasselbe gemacht, was später afroamerikanische Musiker zu machen sich erdreisteten! Der zwingende Schluss: meinem Musiklehrer war es verboten, sich weiterhin mit Chopin zu beschäftigen, weil eigentlich "Negermusik".

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"während Beethoven in Aufklärung und Moderne Hoffnung auf eine bessere Zukunft setzt, weshalb ja die Arbeiterbewegung seit 1919 jedes Jahr zu Silvester im Leipziger Gewandhaus um 16 Uhr Beethovens Neunte aufführt."

+1

- alle Menschen werden Brüder -

@ Ziggev

Figuren der linken Hand. Die eignen sich - teils - sogar für EBM...

(echt jezz)

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Sorry, was ist EBM ? Electrical Bassmood Musik ? Keine Ahnung.

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"Sorry, was ist EBM ?"

Sowas zum Beispiel. Oder sowas - oder auch sowas. Sehr körperbetonte elektronische Musik - "Electronic Body Music".

Randnotiz: Aus Gründen der Spurenverwischung folge ich Ziggev an diese Stelle und lösche hier einen Absatz - aus reiner Vorsicht. Aber die Geschichte ist ja erzählt worden - und war für einige hier vielleicht ja wirklich interessant.

Hey, und ich trage auch noch keinen Alu-Hut!
;-)

(so isses halt)

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gelöschter Kommentar.

so, das stand jetzt lange genug hier - verräterisch genug und mich googlebar machend; in der Tat vielleicht auch ein wirklich etwas überflüssiger Kommentar.

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ach, noergler: nochetwas zur Quartharmonik
bzw. zu Deimen Kommentar, 29. August 2013, 10:48.

Dort heißt es:
Jazz läßt sich geradezu als Teilmenge, als Schrumpfform der Spätromantik dekonstruieren. Ohnedies kommt der Jazz immer zu spät: Irgendwann rang er sich zur Quartharmonik durch. Das hatte die Klassik auch gemacht, nur Jahrhunderte früher.
Nichts anderes hatte ich erwartet; wenn ich schon mit meiner kleinen Jazzharmonielehre hinreiche, um bei Brahms, Schubert und Schumann zu ganz griffigen Ergebnissen zu kommen (die sich unermüdlich der für den altenbolschewiken dem Jazz anzulastenden Liedform bedienten), was ist dann erst mit der Spätromantik ...?

Aber bitte widerlege erst Wikipedia, derzufolge die "Quartenharmonik" erst nach der Zeit von c. a. 1600-1900 aufkam. Selbe Quelle: "Sptäromantik".

Ich ließ mich leider abschrecken von Deiner Begriffsherumgefuchtelei, aber was ich jetzt dort zu lesen bekam, kannte ich schon lange und hat sich teilw. aus meinen eigenen Analysen von Jazz-Stücken ergeben.

Es stimmt zwar, dass Quartschichtungen besonders im Modalen Jazz erst Mode wurden, also Jahrzehnte nach der Spätromantik (1860-1910), nach dem Cool Jazz der 50er, aber dieselben Klänge hörst Du eben auch bei der letztlich dem Swing verhaftetet gebliebenen B. Holiday etwa in der Gitarre. Fürn Modal-Jazz beispielhaft: Davis´"So What". Den Minor-11 - Akkord spielt der Gitarrist bei Holiday andauernd (as far as I remenber z. B. bei einem ihrer frühesten Hits). Der eben aus nichts als Quartschichtungen besteht. Und es wimmelt nur so von Standarts, die insbesondere im Melodieton die 4 bzw. 11 enthalten, also die Tonika des der im Quartzirkel vortschreitenden Progerssion folgenden Harmonie, der dann auch kommt, zu dem eben der vorangegangene im Quint-, also potenziellen Dominantverhältnis steht. Dieser Effekt, der auf einen Tonartwechsel hinzustreben scheint, bewirkt im Jazz eher, dass das harmonische Gefüge sich zusehends verflüssigt.

Gerade in frühen Gospels und Spirituals dasselbe Phänomen: Denn die Töne einer vierfachen Quartschichtung ergeben die Töne der der "Blues"-Leiter verwandten und für diese Stiele typischen pentatonischen Leitern: Z. B. g - c - f - b - es (4 Quarten) ergeben anders aufgereiht die C-Moll pentatonische Leiter (c-es-f-g-b-) oder die Es-durpentatonische (es-g-b-c-f). (Wobei diese 4-fache Schichtung als Akkord eher als amerikanische Subdominante mit Quartvorhalt aufzufassen wäre und im reinen Jazz eher selten anzutreffen ist; da wären wir schon eher bei Motown.)

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also langweiliger noch nie den noergler widerlegt
... n, shit happens! treudelt alle zum Adornitismus! Setzt weiterhin den hochsprechenden Fehlurteilen auf! Glaubt einfach, weil es so ist, den Fehlurteilen, des noerglers, die um Jahrhunderte vorbeischießen! Verfälscht die Musikgeschichte, nur, um einmal, einmal recht zu behalten! Im Namen der Ideologie !! Alles schon tausendmal gespielt, interpretiert, nicht nur von Coletraine, sondern auch von jedem gewöhnlichem Swing-Guitarristen der Swing Ära, sogar zuvor von Miles Davis, aber der Noegler weiß es besser ! Dies bitte nie vergessen!

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Das liest sich jezze wie der Zitterwolf auf LSD.

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:-) naja, der - wo noch? - angeführte Musikjournalist soll bei jenem Ausspruch eine skurrile Tanzbewegung ausgeführt haben - aber das war einfach nur eine etwas emotionale Reaktion auf angelesene Unwissenheit entgegengesetzt gegen intime Vertrautheit mit dem Material, das man für etliche Urteile jedenfalls kennen sollte. Ich habe nicht gesagt, das kleine (kleine!) Dosen Psylocibin dabei schaden können.

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"Quartschichtungen
… Minor-11 - Akkord … Melodieton die 4 bzw. 11 enthalten … im Quartzirkel vortschreitenden Progerssion … der vorangegangene im Quint-, also potenziellen Dominantverhältnis … pentatonische Leitern … die C-Moll pentatonische Leiter … Subdominante mit Quartvorhalt …"

Dass Jazz so beschreibbar ist, macht als rückständig ihn identifizierbar.

Jazz ist Unterhaltungsmusik für Hochbegabte ohne Musikverstand.

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