Montag, 26. August 2013
ADS (H) - Volkskrankheit, Modesujet oder Marketingtrick?
che2001, 19:03h
Über kaum ein anderes grenzwertiges medizinisches Problem wurde in den letzten Jahren so viel publiziert wie über ADS (H), insbesondere bei Erwachsenen. Die Tatsache, dass es sich nicht einfach um eine Verhaltens- und Entwicklungsstörung von Kindern handelt, sondern Menschen ein Leben lang an dieser Störung zu knapsen haben ist noch nicht sehr lange bekannt. Aber: wo beginnt und wo endet ADS? In den USA und Australien wird verhaltensauffälligen Kindern, ob Klassenkasper oder Rumhüpfer, selbstverständlich Ritalin gespritzt, lebenslange Sucht inklusive. Als ich mal einige Monate als Lehrer an einer Sozialer-Brennpunkt-Schule gearbeitet habe, war sich das ganze Kollegium einig, dass Ursache des Tobeverhaltens und der Tics diverser SchülerInnen Bewegungsmangel, zu wenig an der frischen Luft sein und familäre Verwahrlosung waren und nicht ein ADs-Syndrom im klinischen Sinne.Hierbei handelt es sich, wie mir der Neurologe meines Vertrauens mitteilte, um eine Stoffwechselstörung innerhalb des Gehirns, die wiederum neuesten Erkenntnissen zufolge Folge einer Störung des Vitamin-B6-Metabolismus sein soll. Diese Krankheit (falls mensch das Krankheit nennen will) zu diagnostizieren ist also mit Laboranalysen verbunden. Tatsächlich erfolgt die Diagnose aber häufig nach rein behavioristischen Kriterien. Leute, die mehr reden als selber zuhören und dabei viel, schnell, laut und vom Tonfall her monoton sprechen und außerdem schusslig und unordentlich sind, ständig nach etwas suchen, dabei oft in Hektik oder gar Panik geraten, häufig mit den Füßen wippen, mit den Fingern auf den Tisch trommeln oder Angewohnheiten haben wie sich ständig im Gesicht zu kratzen etc., solche Merkmalskombinationen werden zu Krankheitsbildern erklärt bzw. einem Syndrom, das auch positive Seiten hat wie hohe Kreativität durch plötzliche Eingebungen und eine extrem lebhafte Fantasie. Ist es zulässig, eine solche Charakterisierung zu machen, oder ist das ein reines Modesujet oder schlimmer noch, ein herbeigeredetes Phänomen, das gewissermaßen alsMarketingtool der Pharmazie und mehr noch der Hersteller und Strukturvertriebe von Nahrungsergänzungsmitteln dient?
Mit der Aufmerksamkeit ist das ja eh so eine Sache. Niemand nimmt alles wahr, was um eine/n herum so passiert. Leute mit Aufmerksamkeitsdefizit nehmen sogar mehr wahr als der angenommene Durchschnitt, nur können sie nur schwer priorisieren, was vom Wahrgenommenen wichtig ist und was nicht.
Ich nehme mal folgendes Szenario:
In einem alternativen Kulturzentrum tagt ein politisches Plenum. Dieses diskutiert stundenlang über theoretisch anspruchsvolle Fragen, während im Nebenraum eine andere Diskussion läuft und im Bühnenraum ein Stockwerk tiefer Musik läuft. Angenommen, im Plenum sitzen eine sehr stark rationale, disziplinierte, durchorganisierte, zwanghafte Workaholic-Persönlichkeit und eine ADS-Persönlichkeit. Person 1 wird die Diskussion wortwörtlich, eins zu eins mitgeschnitten haben und könnte sie ohne Protokoll lückenlos wiedergeben. Von der Diskussion im Nebenraum und der Musik hat diese Person nichts mitbkommen. Die ADS-Person wird nur vage im Kopf haben, was im Plenum gesprochen wurde, hat aber auch Infos über die Diskussion im Nebenraum und weiß, welche Musik unten gespielt wurde. Das höchste Konzentrationsvermögen haben Autisten, die nichts außer einer einzigen Sache gleichzeitig wahrnehmen, das breiteste Wahrnehmungsspektrum Schizophrene, die so viel wahrnehmen dass es sie hilflos macht. Ist ADS in Wirklichkeit im Grunde Bezeichnung für einen Charaktertypen, so, wie es Zwanghafte, Zykloide usw. gibt?
Mit der Aufmerksamkeit ist das ja eh so eine Sache. Niemand nimmt alles wahr, was um eine/n herum so passiert. Leute mit Aufmerksamkeitsdefizit nehmen sogar mehr wahr als der angenommene Durchschnitt, nur können sie nur schwer priorisieren, was vom Wahrgenommenen wichtig ist und was nicht.
Ich nehme mal folgendes Szenario:
In einem alternativen Kulturzentrum tagt ein politisches Plenum. Dieses diskutiert stundenlang über theoretisch anspruchsvolle Fragen, während im Nebenraum eine andere Diskussion läuft und im Bühnenraum ein Stockwerk tiefer Musik läuft. Angenommen, im Plenum sitzen eine sehr stark rationale, disziplinierte, durchorganisierte, zwanghafte Workaholic-Persönlichkeit und eine ADS-Persönlichkeit. Person 1 wird die Diskussion wortwörtlich, eins zu eins mitgeschnitten haben und könnte sie ohne Protokoll lückenlos wiedergeben. Von der Diskussion im Nebenraum und der Musik hat diese Person nichts mitbkommen. Die ADS-Person wird nur vage im Kopf haben, was im Plenum gesprochen wurde, hat aber auch Infos über die Diskussion im Nebenraum und weiß, welche Musik unten gespielt wurde. Das höchste Konzentrationsvermögen haben Autisten, die nichts außer einer einzigen Sache gleichzeitig wahrnehmen, das breiteste Wahrnehmungsspektrum Schizophrene, die so viel wahrnehmen dass es sie hilflos macht. Ist ADS in Wirklichkeit im Grunde Bezeichnung für einen Charaktertypen, so, wie es Zwanghafte, Zykloide usw. gibt?
... comment
sozi ohne partei,
Montag, 26. August 2013, 19:34
Vergiß bitte ihre Ausfälle gegen Gender-Hooligans in der Piratenpartei! Aber ein ganzer Blog, der seit vielen Jahren besteht, und nur ADS- und Asperger-Syndrom-Problematik aus Betroffensicht behandelt, ist sicher relevant.
Desweitern möchte ich anmerken, daß sich hinter einem großem Teil der übermäßig disziplinierten, durchorganisierten, also zwangsgestörten Persönlichkeiten ADS-Persönlichkeiten und Asperger-Betroffene verbergen, die das, was ihnen physisch fehlt, eben durch Disziplin und Organisation kompensieren, also externe Hilfsmittel an Stellen verwenden, wo normal konfigurierte Menschen ohne sie auskommen.
Desweitern möchte ich anmerken, daß sich hinter einem großem Teil der übermäßig disziplinierten, durchorganisierten, also zwangsgestörten Persönlichkeiten ADS-Persönlichkeiten und Asperger-Betroffene verbergen, die das, was ihnen physisch fehlt, eben durch Disziplin und Organisation kompensieren, also externe Hilfsmittel an Stellen verwenden, wo normal konfigurierte Menschen ohne sie auskommen.
... link
first_dr.dean,
Montag, 26. August 2013, 23:50
Zunächst möchte ich dazu sagen, dass mich AD(H)S vor Rätsel stellt. Ein Freund von mir hat das, sehr eindeutig sogar, und ich habe bestimmt schon viele Dutzend Male versucht (mit Literatur, aber auch anders), mir ein Verständnis dieser "Krankheit" bzw. Spektrumstörung draufzuschaffen. Nunja:
Ohne Erfolg bislang.
Weil ADHS bei den Betroffenen tatsächlich mit einigem Leidensdruck verbunden ist, bin ich geneigt, es für eine Krankheit zu halten. Allerdings habe ich keine Ahnung, was und wer da krank ist.
Im Fall der "Zappel-Kinder" bin ich zu mindestens 50 Prozent der Auffassung, es handelt sich hier eindeutig um eine Krankheit - und zwar der Umgebung, in der sich diese Kinder aufhalten. Denn verblüffend oft zeigt sich - sogar bei "harten ADHS-Fällen" - dass eine gründliche Veränderung der Lebensumstände (inkl. Aufmerksamkeit und Förderung durch eine geeignete Hauptbezugsperson) das "Krankheitsbild" massiv verändert. Das heißt, "krank" ist dann vielleicht eher die Gesellschaft mit ihren Funktionsanforderungen und "Angeboten", die sie den Kindern und Jugendlichen macht.
Bei meinem Freund wiederum ist es ebenfalls sehr verwirrend. Zunächst einmal bin ich als Person, sehr deutlich sogar, eine Art "Therapeutikum" für ihn - und zwar i.d.R. durch schlichte Anwesenheit. Mit einem Mal ist dann bei ihm ein Konzentrationsvermögen da, von dem er eigentlich sicher war, es bereits vollständig eingebüßt zu haben. Und ausgerechnet ein Job als Makler (wo er relativ viel unterwegs war), war dann etwas, wo sich seine Krankheitszeichen so gut wie garnicht zeigten.
Ich will das nicht generalisieren, aber in vielen Fällen würde ich vermutlich eher die Diagnose "falsches Leben" stellen als die einer individuellen Krankheit.
Im Übrigen warne ich sowohl vor der Generalisierung einer Ritalin-Therapie, als auch vor der Verteufelung von Ritalin. Es hängt vom Einzelfall ab. Und zwar nicht zuletzt auch die Frage, ob (und: wie!) Ritalin sich bei der jeweiligen Person auswirkt.
Verblüffend jedenfalls ist es, dass Ritalin bei "richtigen" ADHS-Kranken im Regelfall paradox wirkt. Eigentlich müsste es ja aufputschen. Doch bei ADHS-Kranken beruhigt es oftmals. Neurotypische Personen werden von Ritalin gekickt (also: Suchtstoff), aber eine beachtliche Anzahl von ADHS-Kranken (aber: bei weitem auch nicht alle!) spüren nicht den geringsten Kick. Und mehr noch: Bei diesen verringert die Ritalingabe sogar die Komorbidität in Richtung Suchterkrankungen - und zwar auf Normalmaß.
Tja. Und dann mache dir mal auf so eine Krankheit einen Reim. Ich habe das jedenfalls bislang noch nicht geschafft - und die Anmerkung mit dem Vitamin-B6-Stoffwechsel halte ich für eine Nebenspur.
(ich selbst bin gerade einer Spur hinterher in Bezug auf den gestörten Thyroxin-Stoffwechsel bei Menschen mit chronischer Hepatitis - sowie die Möglichkeiten einer Linderung/Behandlung - und was ich dazu sagen kann, ist: solche Fragestellungen sind hochgradig kompliziert und interdependent)
Möglicherweise durchaus wichtig - für einen Teil der Betroffenen. Insgesamt neige ich jedenfalls dazu, ADHS eher für ein Symptom zu halten - und die "Erkrankung" bzw. Verursachung für tendenziell unbestimmt und, je nach Person, sogar sehr verschieden zu halten.
Spannend finde ich persönlich auch, dass einige ADHS-Erkrankten sogar vorzügliche Responder auf ältere Antidepressiva (z.B. Imipramin) sind. Das spricht dann ja auch für meine Auffassung:
ADHS: Ein Symptombündel
ADHS: oft individuell, vermutlich eine Vielzahl unterschiedlicher "Krankheiten" und Ursachenbündel
Spannend finde ich, dass "Neuro-Feedback"-Therapien eine beeindruckend hohe Wirksamkeit bei ADHS haben. Mit anderen Worten, mit den geeigneten Methoden ist ADHS in einem großem Maß trainierbar! Damit stellen sich gleich mehrere Fragen. Einmal die Frage, inwieweit denn bei ADHS tatsächlich eine organische (oder gar genetisch mit bestimmte) Störung vorliegt. Dann auch die Frage (und die finde ich ebenfalls nicht doof), warum "Neuro-Feedback"-Therapien trotz ihrer eindeutig belegten Wirksamkeit hierzulande so gut wie nie zum Einsatz kommen. Ich halte es für ein beachtliches medizinethisches Problem, dass man Kinder lieber mit Ritalin abfüttert, als es zunächst mit deutlich harmloseren, ebenso aussichtsreichen Methoden zu probieren.
Auffällig ist für mich auch auch, dass der Wunsch nach ungestörten Unterricht (je nach Rigidität des jeweiligen Schulklimas) ADHS geradezu "erzeugt". Das heißt, mit anderen Worten, dass es sich hierbei durchaus recht häufig um eine Mode-Diagnose handelt, die von den Funktionserwartungen der Lehrer und Eltern geleitet wird.
Was ja durchaus nicht untragisch ist, zumal wenn solche Kinder dann unter Ritalin gesetzt werden - mit in diesem Fall tatsächlich sehr negativen Langzeitfolgen. Ich bin auch sehr geneigt zu denken, dass Ritalin für die Behandlung von Kindern und Jugendichen sogar grundsätzich hochproblematisch ist. Das jugendliche/kindiche Gehirn ist lange noch nicht ausgeformt - und unter dem langjährigen Einfluss von Ritalin kann ADHS sogar die geradezu natürliche Folge der Behandlung sein.
ADHS ist dann nämlich ein Cope-Mechanismus, mit dem sich das jugendliche Gehirn auf das Bombardement mit Ritalin reagiert. Tragisch: Auf diese Weise werden womöglich sogar ursprünglich mehrheitlich (!) gesunde Kinder/Jugendliche langjährig krank gemacht - und bestätigen dann im Laufe der folgenden Jahre umso eindeutiger die ursprüngliche Fehldiagnose...
Schöne Scheiße. Aber: Ich bin in solchen Fragen alles andere als ein Fachmensch. Ich habe einfach mal ein paar Aspekte aufgeschrieben, die ich in Bezug auf ADHS für sehr bemerkenswert halte.
P.S.
Kleine Randbemerkung, die Queerfeministas nicht in den Kram passt: Jungen sind von der "Diagnose" ADHS deutlich stärker betroffen, und zwar in den letzten Jahren deutlich zunehmend. Das gilt ganz besonders auch für Fehldiagnosen. Hier öffnet sich gerade eine ziemlich verheerende "Geschlechter-Schere", und zur Zeit werden bis zu 20 Prozent aller deutschen Jungen als ADHS-krank diagnostiziert.
Offenbar liegt es im Zeitgeist, jungentypisches Verhalten für krank zu erklären. Wäre ja ein TOP-Gelegenheit für Queerfeministas, Benachteiligungen von Jungen (oder ist das zunehmende Krankerklären von Jungen keine Benachteiligung??), ihren super-interdependenten, super-intersektionalen und super-allgemeingültigen Ansatz mal mit Vehemenz in Stellung zu bringen. Auch ließe sich Empathie belegen, und zwar auch für Leute (Kinder!), denen man sich offenkundig dann doch sehr fern fühlt.
Ach, sind ja nur Jungen. Na, dann! ^^
P.S.
Ich stellte gerade mit Erstaunen fest, dass meine Position sehr ähnlich ist zur Haltung des Kinderpsychologen Leon Eisenberg, der als einer der "Erfinder" der ADHS-Diagnose gilt - und knapp 40 Jahre u.a. zu diesem Thema geforscht hat.
Irgendwie freut mich das ja doch. Als Banause ein gutes Korn gepickt zu haben, ist doch was Feines.
Hilfreich ist imho auch der nachfolgend verlinkte Artikel, der - gemünzt auf die deutschen Verhältnisse - den in Bezug auf die AHDS-Diagnose bei Schulkindern den bemerkenswerten Satz enthält:
Ohne Erfolg bislang.
Weil ADHS bei den Betroffenen tatsächlich mit einigem Leidensdruck verbunden ist, bin ich geneigt, es für eine Krankheit zu halten. Allerdings habe ich keine Ahnung, was und wer da krank ist.
Im Fall der "Zappel-Kinder" bin ich zu mindestens 50 Prozent der Auffassung, es handelt sich hier eindeutig um eine Krankheit - und zwar der Umgebung, in der sich diese Kinder aufhalten. Denn verblüffend oft zeigt sich - sogar bei "harten ADHS-Fällen" - dass eine gründliche Veränderung der Lebensumstände (inkl. Aufmerksamkeit und Förderung durch eine geeignete Hauptbezugsperson) das "Krankheitsbild" massiv verändert. Das heißt, "krank" ist dann vielleicht eher die Gesellschaft mit ihren Funktionsanforderungen und "Angeboten", die sie den Kindern und Jugendlichen macht.
Bei meinem Freund wiederum ist es ebenfalls sehr verwirrend. Zunächst einmal bin ich als Person, sehr deutlich sogar, eine Art "Therapeutikum" für ihn - und zwar i.d.R. durch schlichte Anwesenheit. Mit einem Mal ist dann bei ihm ein Konzentrationsvermögen da, von dem er eigentlich sicher war, es bereits vollständig eingebüßt zu haben. Und ausgerechnet ein Job als Makler (wo er relativ viel unterwegs war), war dann etwas, wo sich seine Krankheitszeichen so gut wie garnicht zeigten.
Ich will das nicht generalisieren, aber in vielen Fällen würde ich vermutlich eher die Diagnose "falsches Leben" stellen als die einer individuellen Krankheit.
Im Übrigen warne ich sowohl vor der Generalisierung einer Ritalin-Therapie, als auch vor der Verteufelung von Ritalin. Es hängt vom Einzelfall ab. Und zwar nicht zuletzt auch die Frage, ob (und: wie!) Ritalin sich bei der jeweiligen Person auswirkt.
Verblüffend jedenfalls ist es, dass Ritalin bei "richtigen" ADHS-Kranken im Regelfall paradox wirkt. Eigentlich müsste es ja aufputschen. Doch bei ADHS-Kranken beruhigt es oftmals. Neurotypische Personen werden von Ritalin gekickt (also: Suchtstoff), aber eine beachtliche Anzahl von ADHS-Kranken (aber: bei weitem auch nicht alle!) spüren nicht den geringsten Kick. Und mehr noch: Bei diesen verringert die Ritalingabe sogar die Komorbidität in Richtung Suchterkrankungen - und zwar auf Normalmaß.
Tja. Und dann mache dir mal auf so eine Krankheit einen Reim. Ich habe das jedenfalls bislang noch nicht geschafft - und die Anmerkung mit dem Vitamin-B6-Stoffwechsel halte ich für eine Nebenspur.
(ich selbst bin gerade einer Spur hinterher in Bezug auf den gestörten Thyroxin-Stoffwechsel bei Menschen mit chronischer Hepatitis - sowie die Möglichkeiten einer Linderung/Behandlung - und was ich dazu sagen kann, ist: solche Fragestellungen sind hochgradig kompliziert und interdependent)
Möglicherweise durchaus wichtig - für einen Teil der Betroffenen. Insgesamt neige ich jedenfalls dazu, ADHS eher für ein Symptom zu halten - und die "Erkrankung" bzw. Verursachung für tendenziell unbestimmt und, je nach Person, sogar sehr verschieden zu halten.
Spannend finde ich persönlich auch, dass einige ADHS-Erkrankten sogar vorzügliche Responder auf ältere Antidepressiva (z.B. Imipramin) sind. Das spricht dann ja auch für meine Auffassung:
ADHS: Ein Symptombündel
ADHS: oft individuell, vermutlich eine Vielzahl unterschiedlicher "Krankheiten" und Ursachenbündel
Spannend finde ich, dass "Neuro-Feedback"-Therapien eine beeindruckend hohe Wirksamkeit bei ADHS haben. Mit anderen Worten, mit den geeigneten Methoden ist ADHS in einem großem Maß trainierbar! Damit stellen sich gleich mehrere Fragen. Einmal die Frage, inwieweit denn bei ADHS tatsächlich eine organische (oder gar genetisch mit bestimmte) Störung vorliegt. Dann auch die Frage (und die finde ich ebenfalls nicht doof), warum "Neuro-Feedback"-Therapien trotz ihrer eindeutig belegten Wirksamkeit hierzulande so gut wie nie zum Einsatz kommen. Ich halte es für ein beachtliches medizinethisches Problem, dass man Kinder lieber mit Ritalin abfüttert, als es zunächst mit deutlich harmloseren, ebenso aussichtsreichen Methoden zu probieren.
Auffällig ist für mich auch auch, dass der Wunsch nach ungestörten Unterricht (je nach Rigidität des jeweiligen Schulklimas) ADHS geradezu "erzeugt". Das heißt, mit anderen Worten, dass es sich hierbei durchaus recht häufig um eine Mode-Diagnose handelt, die von den Funktionserwartungen der Lehrer und Eltern geleitet wird.
Was ja durchaus nicht untragisch ist, zumal wenn solche Kinder dann unter Ritalin gesetzt werden - mit in diesem Fall tatsächlich sehr negativen Langzeitfolgen. Ich bin auch sehr geneigt zu denken, dass Ritalin für die Behandlung von Kindern und Jugendichen sogar grundsätzich hochproblematisch ist. Das jugendliche/kindiche Gehirn ist lange noch nicht ausgeformt - und unter dem langjährigen Einfluss von Ritalin kann ADHS sogar die geradezu natürliche Folge der Behandlung sein.
ADHS ist dann nämlich ein Cope-Mechanismus, mit dem sich das jugendliche Gehirn auf das Bombardement mit Ritalin reagiert. Tragisch: Auf diese Weise werden womöglich sogar ursprünglich mehrheitlich (!) gesunde Kinder/Jugendliche langjährig krank gemacht - und bestätigen dann im Laufe der folgenden Jahre umso eindeutiger die ursprüngliche Fehldiagnose...
Schöne Scheiße. Aber: Ich bin in solchen Fragen alles andere als ein Fachmensch. Ich habe einfach mal ein paar Aspekte aufgeschrieben, die ich in Bezug auf ADHS für sehr bemerkenswert halte.
P.S.
Kleine Randbemerkung, die Queerfeministas nicht in den Kram passt: Jungen sind von der "Diagnose" ADHS deutlich stärker betroffen, und zwar in den letzten Jahren deutlich zunehmend. Das gilt ganz besonders auch für Fehldiagnosen. Hier öffnet sich gerade eine ziemlich verheerende "Geschlechter-Schere", und zur Zeit werden bis zu 20 Prozent aller deutschen Jungen als ADHS-krank diagnostiziert.
Offenbar liegt es im Zeitgeist, jungentypisches Verhalten für krank zu erklären. Wäre ja ein TOP-Gelegenheit für Queerfeministas, Benachteiligungen von Jungen (oder ist das zunehmende Krankerklären von Jungen keine Benachteiligung??), ihren super-interdependenten, super-intersektionalen und super-allgemeingültigen Ansatz mal mit Vehemenz in Stellung zu bringen. Auch ließe sich Empathie belegen, und zwar auch für Leute (Kinder!), denen man sich offenkundig dann doch sehr fern fühlt.
Ach, sind ja nur Jungen. Na, dann! ^^
P.S.
Ich stellte gerade mit Erstaunen fest, dass meine Position sehr ähnlich ist zur Haltung des Kinderpsychologen Leon Eisenberg, der als einer der "Erfinder" der ADHS-Diagnose gilt - und knapp 40 Jahre u.a. zu diesem Thema geforscht hat.
Irgendwie freut mich das ja doch. Als Banause ein gutes Korn gepickt zu haben, ist doch was Feines.
Hilfreich ist imho auch der nachfolgend verlinkte Artikel, der - gemünzt auf die deutschen Verhältnisse - den in Bezug auf die AHDS-Diagnose bei Schulkindern den bemerkenswerten Satz enthält:
"90 Prozent der ADHS-Diagnosen sind falsch."Allerdings ist dieser Artikel etwas marktschreierisch und gibt u.a. Eisenberg massiv falsch wieder. Diverse Zahlen werden falsch und deutlich übertrieben wiedergegeben. Dass die im Artikel angegebenen Problematiken allerdings existieren, halte ich aber für eine seriöse Feststellung.
... link
pango,
Freitag, 30. August 2013, 10:05
Allerdings
Ich stellte gerade mit Erstaunen fest, dass meine Position sehr ähnlich ist zur Haltung des Kinderpsychologen Leon Eisenberg, der als einer der "Erfinder" der ADHS-Diagnose gilt - und knapp 40 Jahre u.a. zu diesem Thema geforscht hat.
www.eastmachinery.com / www.eastmachinery.ru / www.eastmachinery.es
www.eastmachinery.com / www.eastmachinery.ru / www.eastmachinery.es
... link
che2001,
Sonntag, 1. September 2013, 18:29
@"Verblüffend jedenfalls ist es, dass Ritalin bei "richtigen" ADHS-Kranken im Regelfall paradox wirkt. Eigentlich müsste es ja aufputschen. Doch bei ADHS-Kranken beruhigt es oftmals. Neurotypische Personen werden von Ritalin gekickt (also: Suchtstoff), aber eine beachtliche Anzahl von ADHS-Kranken (aber: bei weitem auch nicht alle!) spüren nicht den geringsten Kick. Und mehr noch: Bei diesen verringert die Ritalingabe sogar die Komorbidität in Richtung Suchterkrankungen - und zwar auf Normalmaß." ----- Das wird zwar häufig so gesagt, vereinfacht die Materie aber. Tatsächlich haben Aufputschmittel, auch Kokain, Amphetamin usw. bis hin zu Ephedrin alle die Eigenschaft, die Konzentration auf bestimmte Gedanken oder Themenfelder zu erhöhen. Diffuses alles-Mögliche-Durcheinander-Denken geschieht eher unter dem Einfluss von Beruhigungsmitteln, Sedativa und Antihistaminika. Insofern ist es logisch, dass Ritalin dass Konzentrationsvermögen erhöht. Noch in den Siebziger Jahren wurde nicht nur Ritalin, sondern auch Captagon, Fencamfamin und andere Weckamine nicht nur bei ADS (was damals noch minimale zerebrale Orientierungsstörung hieß, nur bei Kindern bekannt war, unterschiedslos mit Tourette zusammengeschmissen wurde und als leichteste geistige Behinderung galt und daher Indikator auf eine Einstufung in die Sonderschule war) sondern auch als Geriatrika und bei Demenz verordnet.
... link
che2001,
Donnerstag, 12. September 2013, 19:31
Inhaltliche Revision: Anderen Quellen zufolge ist ADS nicht meßbar, weder im Labor noch am EEG. Es wird lediglich vermutet, dass es sich um eine Stoffwechselstörung handelt. Das entspricht einem sehr biologistischen Verständnis von der Natur des Menschen, während vor 20, 30 Jahren Millieutheorien und die Psychoanalyse noch bestimmend waren. Ich empfinde diese Entwicklung nicht als Fortschritt, sondern als Rollback. Dennoch wurde auch damals schon ADS, bzw. Zerebralsyndrom diagnostiziert. Diagnostiziert wird demzufolge ausschließlich anhand eines Bündels von Verhaltensauffälligkeiten, bei
Erwachsenen Zerstreutheit, Vergesslichkeit, Impulsivität, Tics, auch Dinge wie Nägelkauen, sich häufig Kratzen usw., Konzentrationsschwäche, das parallele Verfolgen ganz unterschiedlicher Gedankengänge, schlecht mit Geld umgehen können, eine gewisse Planlosigkeit in der Lebensführung, die Neigung zu Hektik und starker Bewegungsdrang (in einer Variante zählt auch eine Vorliebe für sehr scharf gewürztes Essen dazu). Die Frage ist, ob oder ab welchem Grad das krankhaft ist oder ob man so etwas überhaupt pathologisieren sollte. Kann auch leicht rassistische Tendenzen beinhalten: Deutsche Normen von Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, Kontrolle über den eigenen Körper usw. vorausgesetzt, würden NeurologInnen/PsychiaterInnen Verhaltensweisen zu Krankheitsbildern definieren, die in Mexiko oder Westafrika einen Großteil der Bevölkerung beträfen.
Erwachsenen Zerstreutheit, Vergesslichkeit, Impulsivität, Tics, auch Dinge wie Nägelkauen, sich häufig Kratzen usw., Konzentrationsschwäche, das parallele Verfolgen ganz unterschiedlicher Gedankengänge, schlecht mit Geld umgehen können, eine gewisse Planlosigkeit in der Lebensführung, die Neigung zu Hektik und starker Bewegungsdrang (in einer Variante zählt auch eine Vorliebe für sehr scharf gewürztes Essen dazu). Die Frage ist, ob oder ab welchem Grad das krankhaft ist oder ob man so etwas überhaupt pathologisieren sollte. Kann auch leicht rassistische Tendenzen beinhalten: Deutsche Normen von Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, Kontrolle über den eigenen Körper usw. vorausgesetzt, würden NeurologInnen/PsychiaterInnen Verhaltensweisen zu Krankheitsbildern definieren, die in Mexiko oder Westafrika einen Großteil der Bevölkerung beträfen.
... link
first_dr.dean,
Donnerstag, 19. September 2013, 20:24
Für die bedenkenlose Verkopplung von Legathenie mit ADHS seitens von Dr. Gumpert gibt es von mir ein:
... link
mark793,
Donnerstag, 19. September 2013, 21:00
Es wird lediglich vermutet, dass es sich um eine Stoffwechselstörung handelt.
Ähnliches gikt ja auch für Depressionen. Und dieses Verständnis ruft förmlich nach Behandlungsansätzen, die hauptsächlich auf der Verabreichung von Antidepressiva basieren und alles andere, was man tun könnte (und was Big Pharma weniger Geld in die Kassen spült), zunehmend in den Hintergrund drängt.
Ähnliches gikt ja auch für Depressionen. Und dieses Verständnis ruft förmlich nach Behandlungsansätzen, die hauptsächlich auf der Verabreichung von Antidepressiva basieren und alles andere, was man tun könnte (und was Big Pharma weniger Geld in die Kassen spült), zunehmend in den Hintergrund drängt.
... link
netbitch,
Donnerstag, 19. September 2013, 23:40
Ich habe ja mal ganz kurz in einer psychiatrischen Klinik gearbeitet, wenn auch nicht in der PatientInnenbetreuung, sondern in der Verwaltung, und habe da grausliche Konflikte erlebt: Zwischen z.T. großartigen Psychiatern, von denen die besten selber in der Behandlung von Kollegen waren, und PharmareferentInnen, die in Stationen hineinspazierten, um für ihre Produkte zu werben. Krankheit als Markt. Brrrrr!
... link
first_dr.dean,
Freitag, 20. September 2013, 01:12
"Es wird lediglich vermutet, dass es sich um eine Stoffwechselstörung handelt."
"Ähnliches gikt ja auch für Depressionen."
Äh, sorry: Als Pauschalaussage (ist aber vermutlich nicht so gemeint) ist das extremster Bullshit. Sicher ist, dass es
a) sehr unterschiedliche Ursachen gibt, und
b) dass "Stoffwechselstörungen" dabei die seltenste Variante darstellen.
Depressionen (damit kenne ich mich sehr gut aus - leider) können durch körperliche Faktoren und durch körperliche Krankheiten durchaus auch einmal verursacht werden. Oder genauer formuliert, diese Faktoren könnnen im Einzelfall zu den Hauptfaktoren der Verursachung werden. Das ist aber eher die Ausnahme. Die meisten Depressionen sind denn eher eine Reaktion auf konkrete Lebensumstände, und in Teilen auch, eine Frage, wie und mit welchen kognitiven Mechanismen Belastungen/Störungen verarbeitet werden.
Tatsächlich ist es bei Depressionen inzwischen ziemlich gut erforscht, womit diese verursacht sind bzw. verursacht werden können. Beispielsweise kann man (so wie es die US-Behörden z.B. bei Manning versucht haben, offenkundig erfolgreich) durch gezielten Schlafentzug Depressionen, und zwar lang anhaltende Depressionen, verursachen.
Umgekehrt lässt sich mit einer guten Schlafhygiene (das ist blöderweise nicht vermarktbar - und insofern kein Thema z.B. für Pharmareferenten) die Ausprägung einer Depression deutlich beeinflussen. Auch - das ist sogar erforscht - lässt sich mit "Sinn" (z.B. einer sinnvollen Lebensaufgabe) Depression bekämpfen - und umgekehrt durch die Entziehung von "Sinn" (z.B. via Arbeitslosigkeit) die Wahrscheinlichkeit von Depressionen massiv steigern. Dazu kommen durchaus "familäre" Faktoren.
Die "klassische" Familie, sofern sie funktional ist und stabil - hat durchaus eine gewisse prophylaktische Wirkung. Was für verschiedene "progressive" Sekten und Ideenströmungen schon mal ein Problem darstellt, nach dem Motto: "Das darf nicht sein!".
Ist aber so.
Genetische Faktoren (quasi zum erweiterten Kreis familiärer Faktoren rechnend) haben einen sehr deutlichen Einfluss, und darüber hinaus die Exposition durch a) Dauerstress und b) Lebenskrisen bzw. schweren Einschnitten im Leben.
Es ist also nicht so, dass "alles hart macht", was belastet, sondern ganz im Gegenteil, mit jeder einschneidenden Belastung steigt die Empfindlichkeit gegenüber neuen Belastungen - und irgendwann (individuell verschieden) bricht das psychische System gewissermaßen zusammen - Depression sind das nicht eben seltene Ergebnis davon. Scheidungen, Trennungen, schwere Erkrankungen, der Tod der eigenen Kinder oder des Partners usw. usf. Auch die schlichte Zugerhörigkeit zu einer exponierten Minderheitsgruppe ist ein wirksamer Belastungsfaktor.
Es gibt allerdings auch Schutzfaktoren, die gegen Depressionen wirken. Zuallererst wären hier langfristige Freundschaften zu nennen (die Aufgehobenheit und Integration in sozialen Strukturen) - was sogar eine verkorkste (familienferne oder sonstwie belastete) Kindheit aufwiegen kann. Je mehr Freundschaften ein Mensch hat, umso besser.
Auch Sport, Enspannungstechniken, Methoden seelischen Ausgleiches - und hatte ich es schon erwähnt? - eben auch berufliche Arbeit stellen gewisse Schutzfaktoren dar, allerdings i.d.R. schlechter wirksam als Freundschaften.
Freundschaften sind das Antidepressivum Nummer Eins!
Im Grunde genommen, wenn mensch es recht bedenkt, ist die Depression eine sehr kluge Krankheit. Das meine ich ernst! Denn sie zeigt, worauf es im Leben wirklich ankommt.
Beispielsweise ist Arbeit schlicht kacke (eigentlich wenig überraschend), wenn diese zu Lasten von Freundschaften und Familie geht. Zu viel Arbeit ist also sehr schlecht. Und nicht ganz so blöd ist es auch, wenn man im eigenen Leben vor allem solche Dinge verfolgt, die für einen selbst einen großen Sinn ergeben. Gut ist auch immer, wenn mensch in seinem Leben - als auch in der Arbeit - als autonom handelnde Person mit deutlichen eigenen Handlungs- und Entscheidungsspielräumen agieren kann.
Die gute Nachricht, auch hier: Autonomie kann mensch lernen! Bei Che gibt es sogar viele Hefte und Materialien dazu. ;-)
Oh, auch nicht ganz uninteressant: Demokratische Mitbestimmung und Selbstbestimmung wirken anti-depressiv. Hilfreich sind auch Ehrenämter, und überhaupt, wenn mensch sich ernstlich für seine Mitmenschen interessiert. Wenn also die Mitmenschen nicht bloß als Störfaktoren* oder "wandelnde Briefbörsen" betrachtet werden.
Mensch könnte fast schon sagen, dass die Klugheit der Depression eine gemäßigt anti-kapitalistische Klugheit ist. Jedenfalls ist an der prokapitalistischen Leistungsideologie schlicht nichts dran: Sie geht nicht auf.
(ich könnte jetzt noch viel mehr - und ganze Romane dazu schreiben, aber ich glaube, die Geduld der Mitlesenden mit einem länglichen Kommentar hier schon genug strapaziert zu haben - ich selbst finde das Thema natürlich superspannend, und freue mich darüber, dass ich hier relativ kompakt ein paar wesentliche Dinge aufgeschrieben habe)
* kleine, konstruktiv gemeinte Randbemerkung zu bestimmten radikalen Politsekten: Diese können in ihren übelwollenden/übelwertenden Varianten empfindsamere Menschen richtiggehend krank machen - einfach, indem die Aufmerksamkeit ständig darauf gerichtet wird "was nicht in Ordnung ist", was irgendwie "*istische Kackscheiße ist" oder wo sich wieder einmal die "heterosexuelle Matrix zeigt". Das Normale ist hier automatisch das Verkehrte - und der Zusammenhang, aus dem sich Unterdrückung und Repression bilden. Die Gefahr besteht allerdings, dass in dieser Perspektive das ganze Leben ständig "scheiße" gefunden wird, und noch der normalste und freundlichste Nachbar bzw. die Nachbarin ist ein potentieller Überträger einer heimtückischen Krankheit, z.B. "heterosexuelle Matrix". Spielt ein Kind mit Puppen - und ist dabei kein Junge: Skandaaal! Sind die Puppen nicht queer oder nicht schwarz: Skandaaal! Ja, noch jede Party (eigentlich meint so etwas: "Feier") ist ein ständiger Grund zum Ärgernis, sobald einen dort wildfremde Personen ansprechen. Was erlauben die sich?! Ganz furchtbar, immer, alles!!
Die Gesellschaft, die Mitmenschen (bzw. weit über 95 Prozent der Mitmenschen), das Leben überhaupt, verwandeln sich in dieser radikal "kritischen" Perspektive in etwas, an dem sich ständig abgearbeitet wird. Ich persönlich halte ein derartiges Überhandnehmen von Negativperspektiven eher für nicht kritisch, sondern für verfehlt. Es ist im Grunde genommen billig und gedankenlos, immer alles anzuprangern, und fast die komplette Gesellschaft reinweg nur negtiv zu betrachten - aber der Preis dafür ist hoch.
Stichwort: Negatives Menschenbild. Negatives Weltbild. Ja: So eine Sichtweise macht krank. Es dürfte demnach kein Zufall sein, dass sehr viele bzw. sogar fast alle jahrelang hochaktiven Aktivisten/innen von Queerfeminismus - von Phasen massiver Erschöpfung, intensiven Vergeblichkeitsgefühlen, massiven Angstattacken und sogar regelrechten psychischen Zusammenbrüchen berichten können.
Natürlich ist nicht immer alles im Leben positiv zu sehen. Aber eine gewisse "realistische Zuversicht", ein Sichkonzentrierenkönnen mehrheitlich auf positive Aspekte (sowohl bei Mitmenschen, als auch im Leben überhaupt) ist ungemein wichtig. Wenn mensch sich das ganze Leben scheiße quatscht - und darüber vergisst, wieviel wirklich positive Dinge zu entdecken und auch zu verfolgen sind, dann geht dabei etwas kaputt:
Die eigenen Seele.
"Ähnliches gikt ja auch für Depressionen."
Äh, sorry: Als Pauschalaussage (ist aber vermutlich nicht so gemeint) ist das extremster Bullshit. Sicher ist, dass es
a) sehr unterschiedliche Ursachen gibt, und
b) dass "Stoffwechselstörungen" dabei die seltenste Variante darstellen.
Depressionen (damit kenne ich mich sehr gut aus - leider) können durch körperliche Faktoren und durch körperliche Krankheiten durchaus auch einmal verursacht werden. Oder genauer formuliert, diese Faktoren könnnen im Einzelfall zu den Hauptfaktoren der Verursachung werden. Das ist aber eher die Ausnahme. Die meisten Depressionen sind denn eher eine Reaktion auf konkrete Lebensumstände, und in Teilen auch, eine Frage, wie und mit welchen kognitiven Mechanismen Belastungen/Störungen verarbeitet werden.
Tatsächlich ist es bei Depressionen inzwischen ziemlich gut erforscht, womit diese verursacht sind bzw. verursacht werden können. Beispielsweise kann man (so wie es die US-Behörden z.B. bei Manning versucht haben, offenkundig erfolgreich) durch gezielten Schlafentzug Depressionen, und zwar lang anhaltende Depressionen, verursachen.
Umgekehrt lässt sich mit einer guten Schlafhygiene (das ist blöderweise nicht vermarktbar - und insofern kein Thema z.B. für Pharmareferenten) die Ausprägung einer Depression deutlich beeinflussen. Auch - das ist sogar erforscht - lässt sich mit "Sinn" (z.B. einer sinnvollen Lebensaufgabe) Depression bekämpfen - und umgekehrt durch die Entziehung von "Sinn" (z.B. via Arbeitslosigkeit) die Wahrscheinlichkeit von Depressionen massiv steigern. Dazu kommen durchaus "familäre" Faktoren.
Die "klassische" Familie, sofern sie funktional ist und stabil - hat durchaus eine gewisse prophylaktische Wirkung. Was für verschiedene "progressive" Sekten und Ideenströmungen schon mal ein Problem darstellt, nach dem Motto: "Das darf nicht sein!".
Ist aber so.
Genetische Faktoren (quasi zum erweiterten Kreis familiärer Faktoren rechnend) haben einen sehr deutlichen Einfluss, und darüber hinaus die Exposition durch a) Dauerstress und b) Lebenskrisen bzw. schweren Einschnitten im Leben.
Es ist also nicht so, dass "alles hart macht", was belastet, sondern ganz im Gegenteil, mit jeder einschneidenden Belastung steigt die Empfindlichkeit gegenüber neuen Belastungen - und irgendwann (individuell verschieden) bricht das psychische System gewissermaßen zusammen - Depression sind das nicht eben seltene Ergebnis davon. Scheidungen, Trennungen, schwere Erkrankungen, der Tod der eigenen Kinder oder des Partners usw. usf. Auch die schlichte Zugerhörigkeit zu einer exponierten Minderheitsgruppe ist ein wirksamer Belastungsfaktor.
Es gibt allerdings auch Schutzfaktoren, die gegen Depressionen wirken. Zuallererst wären hier langfristige Freundschaften zu nennen (die Aufgehobenheit und Integration in sozialen Strukturen) - was sogar eine verkorkste (familienferne oder sonstwie belastete) Kindheit aufwiegen kann. Je mehr Freundschaften ein Mensch hat, umso besser.
Auch Sport, Enspannungstechniken, Methoden seelischen Ausgleiches - und hatte ich es schon erwähnt? - eben auch berufliche Arbeit stellen gewisse Schutzfaktoren dar, allerdings i.d.R. schlechter wirksam als Freundschaften.
Freundschaften sind das Antidepressivum Nummer Eins!
Im Grunde genommen, wenn mensch es recht bedenkt, ist die Depression eine sehr kluge Krankheit. Das meine ich ernst! Denn sie zeigt, worauf es im Leben wirklich ankommt.
Beispielsweise ist Arbeit schlicht kacke (eigentlich wenig überraschend), wenn diese zu Lasten von Freundschaften und Familie geht. Zu viel Arbeit ist also sehr schlecht. Und nicht ganz so blöd ist es auch, wenn man im eigenen Leben vor allem solche Dinge verfolgt, die für einen selbst einen großen Sinn ergeben. Gut ist auch immer, wenn mensch in seinem Leben - als auch in der Arbeit - als autonom handelnde Person mit deutlichen eigenen Handlungs- und Entscheidungsspielräumen agieren kann.
Die gute Nachricht, auch hier: Autonomie kann mensch lernen! Bei Che gibt es sogar viele Hefte und Materialien dazu. ;-)
Oh, auch nicht ganz uninteressant: Demokratische Mitbestimmung und Selbstbestimmung wirken anti-depressiv. Hilfreich sind auch Ehrenämter, und überhaupt, wenn mensch sich ernstlich für seine Mitmenschen interessiert. Wenn also die Mitmenschen nicht bloß als Störfaktoren* oder "wandelnde Briefbörsen" betrachtet werden.
Mensch könnte fast schon sagen, dass die Klugheit der Depression eine gemäßigt anti-kapitalistische Klugheit ist. Jedenfalls ist an der prokapitalistischen Leistungsideologie schlicht nichts dran: Sie geht nicht auf.
(ich könnte jetzt noch viel mehr - und ganze Romane dazu schreiben, aber ich glaube, die Geduld der Mitlesenden mit einem länglichen Kommentar hier schon genug strapaziert zu haben - ich selbst finde das Thema natürlich superspannend, und freue mich darüber, dass ich hier relativ kompakt ein paar wesentliche Dinge aufgeschrieben habe)
* kleine, konstruktiv gemeinte Randbemerkung zu bestimmten radikalen Politsekten: Diese können in ihren übelwollenden/übelwertenden Varianten empfindsamere Menschen richtiggehend krank machen - einfach, indem die Aufmerksamkeit ständig darauf gerichtet wird "was nicht in Ordnung ist", was irgendwie "*istische Kackscheiße ist" oder wo sich wieder einmal die "heterosexuelle Matrix zeigt". Das Normale ist hier automatisch das Verkehrte - und der Zusammenhang, aus dem sich Unterdrückung und Repression bilden. Die Gefahr besteht allerdings, dass in dieser Perspektive das ganze Leben ständig "scheiße" gefunden wird, und noch der normalste und freundlichste Nachbar bzw. die Nachbarin ist ein potentieller Überträger einer heimtückischen Krankheit, z.B. "heterosexuelle Matrix". Spielt ein Kind mit Puppen - und ist dabei kein Junge: Skandaaal! Sind die Puppen nicht queer oder nicht schwarz: Skandaaal! Ja, noch jede Party (eigentlich meint so etwas: "Feier") ist ein ständiger Grund zum Ärgernis, sobald einen dort wildfremde Personen ansprechen. Was erlauben die sich?! Ganz furchtbar, immer, alles!!
Die Gesellschaft, die Mitmenschen (bzw. weit über 95 Prozent der Mitmenschen), das Leben überhaupt, verwandeln sich in dieser radikal "kritischen" Perspektive in etwas, an dem sich ständig abgearbeitet wird. Ich persönlich halte ein derartiges Überhandnehmen von Negativperspektiven eher für nicht kritisch, sondern für verfehlt. Es ist im Grunde genommen billig und gedankenlos, immer alles anzuprangern, und fast die komplette Gesellschaft reinweg nur negtiv zu betrachten - aber der Preis dafür ist hoch.
Stichwort: Negatives Menschenbild. Negatives Weltbild. Ja: So eine Sichtweise macht krank. Es dürfte demnach kein Zufall sein, dass sehr viele bzw. sogar fast alle jahrelang hochaktiven Aktivisten/innen von Queerfeminismus - von Phasen massiver Erschöpfung, intensiven Vergeblichkeitsgefühlen, massiven Angstattacken und sogar regelrechten psychischen Zusammenbrüchen berichten können.
Natürlich ist nicht immer alles im Leben positiv zu sehen. Aber eine gewisse "realistische Zuversicht", ein Sichkonzentrierenkönnen mehrheitlich auf positive Aspekte (sowohl bei Mitmenschen, als auch im Leben überhaupt) ist ungemein wichtig. Wenn mensch sich das ganze Leben scheiße quatscht - und darüber vergisst, wieviel wirklich positive Dinge zu entdecken und auch zu verfolgen sind, dann geht dabei etwas kaputt:
Die eigenen Seele.
... link
noergler,
Freitag, 20. September 2013, 17:07
Die dunkle Dame
C. G. Jung sagt, wenn die dunkle Dame Depression zu Besuch kommt, soll man sie nicht abweisen, sondern zuhören, was sie zu sagen hat.
Ihre Botschaft ist regelmäßig, dass man an sich selbst vorbeilebt. Die Konsequenz daraus ist dann, den falschen Film, in dem man vegetiert, zu verlassen.
Ihre Botschaft ist regelmäßig, dass man an sich selbst vorbeilebt. Die Konsequenz daraus ist dann, den falschen Film, in dem man vegetiert, zu verlassen.
... link
mark793,
Freitag, 20. September 2013, 18:01
@dr.dean: Du rennst da völlig offene Türen bei mir ein. Natürlich hält längst nicht jeder Experte die Depression in erster Linie für eine Stoffwechselstörung, aber ich hatte (mit Umweg über meine langzeit-depressive Ex-Partnerin) mit sehr prominenten Vertretern dieser Auffassung zu tun, und das waren und sind international anerkannte Koryphäen (ich nenne jetzt keine Namen). Es war für mich frappierend zu erleben, wie wenig ernstzunehmende Ursachenforschung da betrieben wurde und wie komplett die ganzen krankmachenden Lebensumstände ausgeblendet wurden, man freute sich, dass die Pillen Wirkung zeigten (das war nach fünf Jahren unbehandelter Dauerdepression eher nicht so wahrscheinlich, dass sich da schnell was tut) und verordnete für die Zeit nach dem Klinikaufenthalt noch bisschen Labertherapie, die auch nicht ansatzweise an den Themen kratzte, die überhaupt erst in diese Misere geführt hatten. Und da wundert man sich dann über die hohen Rückfallquoten. Fragt sich, ob die nicht eigentlich sogar erwünscht sind, denn an nachhaltigeren Lösungen der Problematik ist ja nichts zu verdienen.
... link
che2001,
Samstag, 28. September 2013, 13:11
Noch mal was zum Thema Ritalin und Speed: Diese Stoffe wirken nicht nur erregend, sie engen auch die Perspektive ein. Und ADSler, die ständig auf der Suche nach dem Thrill und Kick sind bekommen so ein Thrill- und-Kick-Gefühl, und gleichzeitig wird ihre Wahrnehmung, die sozusagen ständig im Weitwinkel-Modus ist, auf ein Durchschnittsmaß eingeengt.
... link
che2001,
Donnerstag, 24. Oktober 2013, 16:54
Die Frage nochmal auf den Punkt gebracht
Ist ein zerstreuter Mensch, der öfter etwas liegenlässt, bei der Suche nach verlegten Gegenständen in Hektik oder gar Panik gerät, zu heftigem Gestikulieren, Grimassen und Tics neigt (so von Buster Keaton über George Tati bis zu Louis de Funes) deswegen automatisch schon ADS?
... link
futuretwin,
Freitag, 25. Oktober 2013, 11:59
Das bin ich!
Wo kann ich das Zeug bestellen? ;-)
Ich hab auch schonmal Speed genommen, das fokussiert echt, aber ob das auf Dauer gut für mich wäre....
Wo kann ich das Zeug bestellen? ;-)
Ich hab auch schonmal Speed genommen, das fokussiert echt, aber ob das auf Dauer gut für mich wäre....
... link
che2001,
Freitag, 25. Oktober 2013, 12:31
So weit ich weiß gibt es das auf Rezept. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob Ritalin wesentlich gesünder ist als Speed.
... link
futuretwin,
Freitag, 25. Oktober 2013, 14:10
nee, wohl nicht. Ich bin mal gespannt, ob bei meiner Tochter irgendwann die fragliche Diagnose gestellt wird.....
Sie ist ähnlich hibbelig und unkonzentriert wie ich.
Sie ist ähnlich hibbelig und unkonzentriert wie ich.
... link
che2001,
Freitag, 25. Oktober 2013, 17:13
Wie gesagt, mir stellt sich die Frage, ab welchem Maß an Hibbeligkeit und Unkonzentriertheit da von einer Störung zu sprechen ist und inwieweit das tatsächlich eine organische Sache ist.
... link
netbitch,
Dienstag, 29. Oktober 2013, 16:27
Ich kann zwar diese Fragen nicht beantworten, aber ein paar andere Sachen würde ich gerne klarrücken. Es sollte nicht der momotische Fehler gemacht werden, in einer ganz einseitigen Focussierung durch die Foucaultsche Brille wissenschaftsfacliche Entwicklungsprozesse zu ideologisieren und hier mit einer generellen Biologismuskeule zu hantieren. Die Klinische Psychologie ist heute einfach eine andere als in den Eighties. Bis in die Zeit, und da war das gerade schon am Umbrechen, basierte das noch auf den psychopathologischen Kategorien Griesingers, Freuds und selbst noch von Krafft-Ebings. Alle Arten psychischer Erkrankungen wurden zu Formenkreisen zusammengefasst, und dann wurde zwischen Neurosen und Psychosen unterschieden, je nach Schweregrad, Krankheitseinsicht und Psychotherapieansprache. Eine manisch-depressive Erkrankung war dann sozusagen die Steigerungsform einer depressiven Neurose. Neurosen wurden als durch frühkindliche Traumata, traumatische Erfahrungen allgemein oder verkorkste Erziehung bedingt und kognitiv therapierbar angesehen, Psychosen als endogen ohne bekannte Ursache und ohne zumindest Hilfsmittel von Medikamenten oder, wohlgemerkt, freiwilligen Elektroschocks nicht erfolgreich therapierbar. ADS, Asperger und so etwas standen da völlig außen vor, das wurde zu den Behinderungen gerechnet.
Heute gibt es ein viel differenzierteres Bild, die Unterteilung in Neurosen und Psychosen wurde als Ideologie abgetan, deswegen spricht die Klinik heute von "Störungen". Eine ganz bestimmte Störung, die bipolare Störung, früher manisch-depressive Erkrankung genannt, geht in ihrer voll ausgeprägten Form immer mit einer Störung des Serotonin- und Noradrenalinspiegels einher und mit organischen Veränderungen an den Rezeptoren im Gehirn. Damit ist noch keine Aussage darüber getroffen, ob diese Art Stoffwechselstörung ursache des Syndroms ist, sondern nur, dass sie festes Bestandteil des Krankheitsbildes ist. Dieses wiederum ist einigermaßen verlässlich mit Serotonin-Wiederaufnahmehemmern und Lithium behandelbar. Geprägt durch die alte Niederspritz-Psychiatrie und alternativmedizinische Vorstellungen galt unter linken und grünen Menschen in den Eighties der Grundsatz "Möglichst immer Psychotherapie, ja keine Chemie". Beim heutigen Erkenntnisstand der Psychiatrie würde ich das nicht mehr sagen. Solche Depressiven, die eine Hirnstoffwechselstörung haben etwa mit Verhaltenstherapie zu behandeln und ihnen ihre Medikamente vorenthalten zu wollen ist gröbster Unsinn. Was noch nichts mit der ADHS-Hysterie und dem Mythos von Ritalin als Allheilmittel zu tun hat, eher so gar nix.
Und was die Zupordnung von Symptomen angeht, da haben die Foucault-orientierten KritikerInnen der Ordnungsgesellschaft schon Recht, wird viel Unfug getrieben. Stuhlkippeln ist noch kein Symptom, und nicht jedes Schnalzen, nagelkauen, im Gesicht kratzen, regelmäßiges Stirnrunzeln ist ein Tic. Und ein Mensch mit Tics auch nicht zwangsläufig ADS.
Heute gibt es ein viel differenzierteres Bild, die Unterteilung in Neurosen und Psychosen wurde als Ideologie abgetan, deswegen spricht die Klinik heute von "Störungen". Eine ganz bestimmte Störung, die bipolare Störung, früher manisch-depressive Erkrankung genannt, geht in ihrer voll ausgeprägten Form immer mit einer Störung des Serotonin- und Noradrenalinspiegels einher und mit organischen Veränderungen an den Rezeptoren im Gehirn. Damit ist noch keine Aussage darüber getroffen, ob diese Art Stoffwechselstörung ursache des Syndroms ist, sondern nur, dass sie festes Bestandteil des Krankheitsbildes ist. Dieses wiederum ist einigermaßen verlässlich mit Serotonin-Wiederaufnahmehemmern und Lithium behandelbar. Geprägt durch die alte Niederspritz-Psychiatrie und alternativmedizinische Vorstellungen galt unter linken und grünen Menschen in den Eighties der Grundsatz "Möglichst immer Psychotherapie, ja keine Chemie". Beim heutigen Erkenntnisstand der Psychiatrie würde ich das nicht mehr sagen. Solche Depressiven, die eine Hirnstoffwechselstörung haben etwa mit Verhaltenstherapie zu behandeln und ihnen ihre Medikamente vorenthalten zu wollen ist gröbster Unsinn. Was noch nichts mit der ADHS-Hysterie und dem Mythos von Ritalin als Allheilmittel zu tun hat, eher so gar nix.
Und was die Zupordnung von Symptomen angeht, da haben die Foucault-orientierten KritikerInnen der Ordnungsgesellschaft schon Recht, wird viel Unfug getrieben. Stuhlkippeln ist noch kein Symptom, und nicht jedes Schnalzen, nagelkauen, im Gesicht kratzen, regelmäßiges Stirnrunzeln ist ein Tic. Und ein Mensch mit Tics auch nicht zwangsläufig ADS.
... link
noergler,
Dienstag, 29. Oktober 2013, 23:48
Dunkle Damen hier und dort
Den Übergang der Pharmaprofite vom Niederspritz zu Venlafaxin et. al. hat Netbitch schön beschrieben. Irritierend nur, dass sie das gut zu finden scheint.
War da was mit der Dunklen Dame Depression, von der ich oben sprach?
Ist aber OK, vergiß es.
War da was mit der Dunklen Dame Depression, von der ich oben sprach?
Ist aber OK, vergiß es.
... link
netbitch,
Mittwoch, 30. Oktober 2013, 00:46
Oh, noch jemand wie ich!
Nämlich mit Nachttischlampenfieber. Nein, ich finde die Prozac-Allgemeinverbreitung gar nicht toll. Generell bin ich der Auffassung, dass die Selbstbestimmung der PatientInnen im Vordergrund stehen muss. Aber genau in der Hinsicht habe ich erlebt, dass schwer Depressive (wegen mir: Bipolare) auf Lithium und Venlafaxin positiv anspringen und zum Teil auch gar keine Psychotherapie wollen, so Richtung: "Ich bin nicht irre, ich habe eine Stoffwechselstörung", und solche Bedürfnisse sollten dann halt auch berücksichtigt werden. Wer meint, mit medikamentöser Behandlung besser klarzukommen als mit Psychotherapie, falls es diesen Gegensatz überhaupt gibt (klar, die kranken Kassen wollen Geld sparen und entscheiden lieber für die erste Variante,kapitalistische Arschkrampen, die sie nun mal sind), in der seriösen patientInnenzentrierten Praxis sind das eher miteinander verbundene Optionen - also solche Leute sollen ihren Stoff bekommen. Ich habe Manisch-Depressive kennengelernt, die ihr Leiden weniger als biographisch bedingte emotionale Störung denn als so etwas wie Diabetes oder Parkinson wahrnehmen,das medikamentös eingestellt werden muss. Das will ich nicht verallgemeinern, aber das gibt es.
... link
ziggev logged in,
Mittwoch, 30. Oktober 2013, 04:33
in ner Fernseh-Doku berichtete ein Zeitzeuge, Klaus Mann habe in Paris Kokain seiner beruhigenden Wirkung wegen geschätzt: endlich Ruhe !
In Rainald Goetz´ Roman Irre (1983), in welchem der Hauptprotagonist seinen Patienten andauernd Haldol verabreicht, wird eines jener typischen hysterisch-paranoiden Gespräche wiedergegeben (es ist nicht die einzige Stelle, wo ich das Gefühl hatte, dass Goetz irgendwann irgendwo einfach mal ein Tonbandgerät mitlaufen ließ), typisch für jene Zeit, in welcher man bemüht war, den 70er-Jahre-Paranoia weiterzuzelebrieren, nur waren einem die Themen ausgegangen, und das in dem Ausruf des Protagonisten kumuliert: "Die sind irre, die sind einfach irre!" (So in etwa)
Die Sache hatte daher eigentlich bereits mit Goetz abgahakt gewesen sein sollen, meinte ich. Habe allerdings die Diskussion hier nicht mitverfolgt und Goetz schlägt ja aus der aufgeheitzten Stimmung jener Zeit selber Profit (krasse Schilderungen des krassen Verhaltens der Patienten, die sich und alles in der Zelle mit Kot einschmieren, der trocknet und weggewaschen werden muss etc.). Letzteres kann heute jedenfalls summacumlaude nicht mehr nachgesagt werden.
Kannte nen Kerl, der das hatte, was ADHS genannt wird. Der litt mit Mitte-Ende-30 wirklich darunter. Wie ich es verstanden habe, holte der sich mit polizeilicher Erlaubnis (extra Schein) in der Apotheke feinstes Speed ab (wobei, ehrlich, Speed wirklich neben Crack und H die ekelhafteste Droge ist, wo gibt).
Meine erste depressive Episode, die sich über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte aufgebaut hatte, eine mittelgradige, aber ich brauch hier ja niemandem zu erzählen, dass diese Diagnosen alleinig den Zweck erfüllen, dem Artzt zu ermöglichen, überhaupt irgendetwas diagnostizieren und infolge etwas bei der Krankenkasse abrechnen zu können, meinetwegen Burn Out, Verbitterungsstörung, wie auch immer, das Ding kurierte ich erfolgreich mit Jogging, Meditaion und einer guten Therapie oder einer Art Psycho-Kur plus Gesprächen.
Ich hatte aber Glück. Später traf ich einen alten Schulkameraden, inzwischen Psychiater, und fragte ihn, wie hoch er den Prozentsatz der kompetenten Therapeuten, Sozailtherapeuten usw. einschätzte. Es war schon seltsam, er nannte exakt den Satz, der mir nach meinem Horrortrip, während dessen ich mit diesen Leuten zu tun hatte und der erst wirklichen Leidensdruck bei mir erzeugt hatte, im Kopf rumging: 3% !
Ohne Meditaion hätte ich diese Tortur der erzwungenen Auseinandersetzung mit der eitlen Selbstgerechtigkeit und intellektuellen Seichtigkeit und wissenschaftlicher Halbbildung jenes Personals nicht überlebt.
Aber wie gesagt, mit der entscheidenden Therapeutin und meiner Psychiarterin, die die Option einer Medikation nicht einmal erwähnt hatte, hatte ich ziemlich Glück gehabt.
Das Thema Therapie ist für mich durch (und ich lehrte während meines freiwilligen Stationsaufenthalts nicht nur einem/einer der dort Beschäftigten das Fürchten. Der Stationsarzt lehnte es dann ab, mit mir weiter zu sprechen.)
Jetzt ist (war) es eine "schwere"; mein jetziger Psychiarter, ein smarter Typ in meinem Alter, etwas jünger vermutlich, hat Parkinson. Dopamin-Haushalt. Ich äußerte meine Zweifel. "Keine Sorge, damit wird es Ihnen gut gehen." Ich fand, wenn der selber Medikamente nimmt, wahrscheinlich nicht zu wenig, die derartig ins System der im Gehirn ausgeschütten oder eben nicht ausgeschütteten Botenstoffe eingreifen, dann kann ich dem vertrauen. N bisserl mit rumexperimentiert, z.T. wieder abgesetzt, z.T. die Einnahme fortgesetzt. Alles kein Problem. Das eine Zeug habe ich lediglich über ein halbes Jahr immer für ein paar Wochen sporadisch eingenommen - Dosierung: so nach Gefühl. Seitdem habe ich zum ersten Mal in meinem Leben einen lebbaren Schlafrhythmus. Das scheint nicht wieder wegzugehen.
Dass ich aber "was" hätte, das behandlungfähig sein könnte, dass es mir tatsächlich ebensogut auch besser gehen könnte, der Lichtstreif am Horizont, das bzw. den hatte ich durch Meditation entdeckt.
Ach, der Alten Dame habe ich auch mal (letzten Herbst) einen kleinen Text gewidmet, sie pflegte sich auf meinem grünen Sofa niederzulassen, und wenn gar nichts mehr geht, Meditation hilft das eine oder andere Mal dann doch.
In Rainald Goetz´ Roman Irre (1983), in welchem der Hauptprotagonist seinen Patienten andauernd Haldol verabreicht, wird eines jener typischen hysterisch-paranoiden Gespräche wiedergegeben (es ist nicht die einzige Stelle, wo ich das Gefühl hatte, dass Goetz irgendwann irgendwo einfach mal ein Tonbandgerät mitlaufen ließ), typisch für jene Zeit, in welcher man bemüht war, den 70er-Jahre-Paranoia weiterzuzelebrieren, nur waren einem die Themen ausgegangen, und das in dem Ausruf des Protagonisten kumuliert: "Die sind irre, die sind einfach irre!" (So in etwa)
Die Sache hatte daher eigentlich bereits mit Goetz abgahakt gewesen sein sollen, meinte ich. Habe allerdings die Diskussion hier nicht mitverfolgt und Goetz schlägt ja aus der aufgeheitzten Stimmung jener Zeit selber Profit (krasse Schilderungen des krassen Verhaltens der Patienten, die sich und alles in der Zelle mit Kot einschmieren, der trocknet und weggewaschen werden muss etc.). Letzteres kann heute jedenfalls summacumlaude nicht mehr nachgesagt werden.
Kannte nen Kerl, der das hatte, was ADHS genannt wird. Der litt mit Mitte-Ende-30 wirklich darunter. Wie ich es verstanden habe, holte der sich mit polizeilicher Erlaubnis (extra Schein) in der Apotheke feinstes Speed ab (wobei, ehrlich, Speed wirklich neben Crack und H die ekelhafteste Droge ist, wo gibt).
Meine erste depressive Episode, die sich über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte aufgebaut hatte, eine mittelgradige, aber ich brauch hier ja niemandem zu erzählen, dass diese Diagnosen alleinig den Zweck erfüllen, dem Artzt zu ermöglichen, überhaupt irgendetwas diagnostizieren und infolge etwas bei der Krankenkasse abrechnen zu können, meinetwegen Burn Out, Verbitterungsstörung, wie auch immer, das Ding kurierte ich erfolgreich mit Jogging, Meditaion und einer guten Therapie oder einer Art Psycho-Kur plus Gesprächen.
Ich hatte aber Glück. Später traf ich einen alten Schulkameraden, inzwischen Psychiater, und fragte ihn, wie hoch er den Prozentsatz der kompetenten Therapeuten, Sozailtherapeuten usw. einschätzte. Es war schon seltsam, er nannte exakt den Satz, der mir nach meinem Horrortrip, während dessen ich mit diesen Leuten zu tun hatte und der erst wirklichen Leidensdruck bei mir erzeugt hatte, im Kopf rumging: 3% !
Ohne Meditaion hätte ich diese Tortur der erzwungenen Auseinandersetzung mit der eitlen Selbstgerechtigkeit und intellektuellen Seichtigkeit und wissenschaftlicher Halbbildung jenes Personals nicht überlebt.
Aber wie gesagt, mit der entscheidenden Therapeutin und meiner Psychiarterin, die die Option einer Medikation nicht einmal erwähnt hatte, hatte ich ziemlich Glück gehabt.
Das Thema Therapie ist für mich durch (und ich lehrte während meines freiwilligen Stationsaufenthalts nicht nur einem/einer der dort Beschäftigten das Fürchten. Der Stationsarzt lehnte es dann ab, mit mir weiter zu sprechen.)
Jetzt ist (war) es eine "schwere"; mein jetziger Psychiarter, ein smarter Typ in meinem Alter, etwas jünger vermutlich, hat Parkinson. Dopamin-Haushalt. Ich äußerte meine Zweifel. "Keine Sorge, damit wird es Ihnen gut gehen." Ich fand, wenn der selber Medikamente nimmt, wahrscheinlich nicht zu wenig, die derartig ins System der im Gehirn ausgeschütten oder eben nicht ausgeschütteten Botenstoffe eingreifen, dann kann ich dem vertrauen. N bisserl mit rumexperimentiert, z.T. wieder abgesetzt, z.T. die Einnahme fortgesetzt. Alles kein Problem. Das eine Zeug habe ich lediglich über ein halbes Jahr immer für ein paar Wochen sporadisch eingenommen - Dosierung: so nach Gefühl. Seitdem habe ich zum ersten Mal in meinem Leben einen lebbaren Schlafrhythmus. Das scheint nicht wieder wegzugehen.
Dass ich aber "was" hätte, das behandlungfähig sein könnte, dass es mir tatsächlich ebensogut auch besser gehen könnte, der Lichtstreif am Horizont, das bzw. den hatte ich durch Meditation entdeckt.
Ach, der Alten Dame habe ich auch mal (letzten Herbst) einen kleinen Text gewidmet, sie pflegte sich auf meinem grünen Sofa niederzulassen, und wenn gar nichts mehr geht, Meditation hilft das eine oder andere Mal dann doch.
... link
... comment