Montag, 6. November 2017
Mit Vater im Museum
Ich war kürzlich mit meinem Vater im Museum. Die Ausstellung war viel zu dunkel, sollte wohl finsteres Mittelalter darstellen, und da die Exponatbeschriftungen schwer zu lesen waren benutzte er seine Lesebrille und las die Texte aus nächster Nähe. Als wir wieder ins Helle - ins Treppenhaus - traten hatte er die Lesebrille noch auf, übersah eine Stufe und flog einige Meter durch die Luft und prallte mit dem Kopf gegen die Wand, blieb blutend liegen. Rettungswagen verständigt, Einlieferung ins Klinikum. Ich wartete bange in der Wartezone neben der Notaufnahme, verständigte über Smartphone Schwester und Neffe, die mir beide rieten auf Vater einzuwirken dass er auf jeden Fall zur Beobachtung eine Nacht dableiben sollte. Mein Instinkt der immer sehr gut funktioniert sagte mir "nein", wir würden wie geplant heute zusammen zu Mittag essen. Andererseits ist der 89 Jahre alt, es war von Verdacht auf Schädelbasisbruch die Rede. Als ich dann in die Notaufnahme gerufen wurde erwiesen sich alle Befürchtungen als komplott unbegründet: Vater hatte seine Personality-Show abgezogen und das Notaufnahmeteam perfekt unterhalten. Auf die Frage nach seiner Lebenssituation hatte er geantwortet dass er seit 2012 Witwer sei, meine Mutter sehr geliebt habe und obwohl tot noch immer liebe, 62 Jahre lang mit ihr verheiratet gewesen sei und ihr die letzten Jahre jeden Abend drei Ständchen gesungen habe. Eines dieser Ständchen trällerte er dann auch mit seiner noch immer tollen Stimme (er hätte Opernsänger werden können). Als Arzt und Schwestern voll der Bewunderung für Vater waren konnte ich nicht an mich halten und erzählte, dass ich genau in dieser Station 2005 mit einer zerschmetterten Schulter eingeliefert worden war und man mir erzählt hatte dass ich diesen Arm nie wieder richtig bewegen können würde, tatsächlich aber ein halbes Jahr nach meiner letzten OP als touristischer Erstbegeher einen neuen Klettersteig mit Felsüberhang eröffnet hatte. Wir sind so in dieser Familie. Eine Krankenschwester verabschiedete Vater mit: "Sie sind ein toller Mann."

Der könnte einen Fanshop aufmachen.

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