Mittwoch, 16. Oktober 2019
Ein schwieriger Abschied
Meine alte Terminassistentin ist verstorben. Ich habe sie bis fast zuletzt begleitet, wobei diese Sterbebegleitung sich vor dem Hintergrund eines nicht unproblematischen Verhältnisses abspielte. Im Reinen miteinander waren wir erst in der letzten Phase. Sie war eine treue und zuverlässige Mitarbeitern, die einerseits ungeheuer tüchtig war, aber andererseits schlecht über mich redete so dass ich ihr gekündigt hatte und sie dann auf flehentlichen Wunsch wieder einstellte.

Ihr schlecht über mich reden sah so aus dass sie bei Kollegen über mich ablästerte, Negativreaktionen von Kunden auf die Weise an mich weiterreichte indem sie meinte ich solle mir deren Unzufriedenheit zu eigen machen und einsehen dass ich schlecht beraten würde, in einem Fall wo eine Kundin meinte sie wäre nicht meine Kundin sondern würde von einem anderen Kollegen betreut rief sie meinen Chef im Italienurlaub an um zu fragen wie sie damit umgehen sollte, und sie bezeichnete mich ihm gegenüber als unmenschlich und als geistig verwirrt.

Später stellte sich heraus dass sie semantisch gar nicht wusste was sie da sagte, da ihr nicht klar war was mit Unmenschlichkeit und geistiger Verwirrtheit überhaupt gemeint ist. Mit unmenschlich meinte sie dass ich keine auf intuitiver Empathie beruhende Menschenkenntnis hätte und mit geistiger Verwirrtheit dass ich der Typ zerstreuter Professor bin der öfter mal etwas liegenlässt oder sich verspätet. In geheimnisvoll raunendem Tonfall erzählte sie auch wiederholt sie wüsste da von Intrigen und Machenschaften von denen ich nichts ahne und davon wie schlecht andere über mich redeten aber das dürfe sie mir nicht sagen. Wann immer ich ihre Erzählungen nachprüfte stellte sich heraus dass das alles nicht stimmte. Eine bis heute sehr gute Kundin die gerne meinen Rat sucht soll angeblich bei ihr angerufen haben um ihr mitzuteilen dass sie von mir nicht mehr betreut werden wolle. Sie zitierte Kunden in wörtlicher Rede mit Bemerkungen über mich wie "das ist doch kein Mensch", die in dieser Diktion ausschließlich sie gebrauchte.

Ihrerseits bat sie mich ständig um Honorarvorschüsse und zwar im flehenden Tonfall eines Junkies der um Geld bettelt. Sie war überhaupt extrem vom Stamme nimm und klaute zum Beispiel einem Bekannten eine Flasche Wein aus seinem Keller mit der Begründung dass die ihr zustehe. Für meinen Workaholic-mäßigen Arbeitseinsatz in Phasen der Geldknappheit hatte sie keinerlei Verständnis und meinte ich müsste doch nur meinen Vater anpumpen.

Irgendwann, als sie schon krank war und ich sie beim Einkaufen begleitete weil sie das alleine nicht mehr konnte bekam ich mit warum sie immer pleite war: Sie gab große Summen für teuerste Weine aus und hatte einen Kosmetikaverbrauch wie eine Diva, unter anderem eine Wimperntusche für 60 Euro das Fläschchen. Von sich sagte sie sie leiste sich Lebensqualität die es in meinem Leben nicht gäbe. Hmm, kettenrauchen, sich besaufen und sinnlos Teuerkosmetika verbrauchen, das ist also Lebensqualität, mein Leben, unter anderem ausgefüllt mit aktivem Sport, Fotografie, Museumsbesuchen, großen Bergtouren, sehr gutem Essen, tanzen und Beschäftigung mit wissenschaftlichen Theorien wäre hingegen ohne Lebensqualität.

Bei all dem hatte ich das Gefühl sie hätte gleichzeitig einen Minderwertigkeitskomplex und eine narzisstische Störung und produziere ihr Selbstbewusstsein aus der Abwertung anderer.


Rest in peace.

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Das würde mich doch mal interessieren, welche Werte dich zu dieser Form von Feindesliebe bewegt haben. Du hattest den Vorteil, den Jesus konsequent bis zum Ende geben zu können. Versuch das mal im Arbeitsumfeld, wo du sie vorher feuern musstest.

Nach beinahe 20 Jahren Erfahrung in unterschiedlichsten Arbeitsumfeldern zahlt es sich meiner Meinung nach aus, in jeder noch so kleinen harmlosen Klitsche Machttrümpfe in der Hinterhand zu haben, als ob man im Knast wäre: Gleich ab dem ersten Tag Netzwerken, Gefälligkeiten, Bonding, dann seine eigenen wacky Bedürfnisse und crazy stories artikulieren, auch wenn sie erfunden sind, damit man jemand ist, dann gegen die Vorgesetzten stänkern, wenn man weiß, wie der Wind weht, Privilegien bekommen durch Mehrarbeit, damit man wohlgelitten ist und die dann verteilen kann. Bewusst Schwächen erfinden und reinstreuen, die Viecher lieben das. Und in genau dem Augenblick, wo man jemand ist, radikal gegen jegliche Stichelei vorgehen, die man vorher vielleicht erdulden musste. Paktiere mit der schrulligen Alten und dem Prokuristen, verspreche dem Abteilungsleiter zwischen den Zeilen dadurch einen Vorteil. DANN kannst du sensibel und kauzig sein wie eine Frau in den Wechseljahren, vorher nicht. Nur in diesem lächerlichen Macchiato-Machiavelli-Framework. Das wird seltsamerweise respektiert. Komm dagegen ohne jegliche Deckung an wie Marshall Rosenberg und die Praktikanten nutzen ihre Mittagspause, um Geschichten über dich zu erfinden, mit Mindmapping-Apps. Ist quasi wie die Wicca-Weisheit, dass alles Positive und Negative dreifach zurückkommt. Aber die Göttin ist genauso faul wie der Christengott und man muss selbst für den Budenzauber sorgen.

Wenn ich die Geschichte oben lese, frage ich mich nur, warum du dir das so lang hast gefallen lassen. Die klassische und arbeitsrechtlich unproblematische Methode ist, ihr einfach Dinge aufzuhalsen, die durch den Arbeitsvertrag abgedeckt sind, sie früher oder später aber überfordern werden.

Ich bin manchmal, vielleicht als karmischer Ausgleich, in Chats und Foren unterwegs und helfe Leuten, die bei Idiotenspielen unter die Räder kommen. Häufig halten sich da verschwurbelte Varianten der Goldenen Regel in der Opfer-Psyche, außerdem eine seltsame Vorstellung, dass man nur ganz konsequent der Märtyrer für die Nettigkeit sein muss, bis auch ein paar der Autoritäten sich erbarmen und dem bösen Spiel ein Ende bereiten. Außerdem ein Habitus, der Bastarde anzieht wie Scheiße die Fliegen, aber das sagt man natürlich nicht.

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Die Wahrheit liegt immer im Auge des Betrachters
Gegeben habe ich mir das weil ich ein empathischer, hilfsbereiter Mensch bin der zu tiefer Mitmenschlichkeit erzogen wurde. Eine Zwischendurch-Freundin die die oben geschilderte Geschichte kannte bezeichnete mich deshalb als Weichei. Andererseits war es auch die Faszination des Bizarren die dabei mitspielte dass ich sie weiterbeschäftigte. Alles eine Frage der Perspektive. Nur, die Dame machte ihren Job wirklich sehr gut.

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@"Die klassische und arbeitsrechtlich unproblematische Methode ist, ihr einfach Dinge aufzuhalsen, die durch den Arbeitsvertrag abgedeckt sind, sie früher oder später aber überfordern werden." ----- Das wäre gar nicht gegangen: Sie war Nebenberuflerin die ausschließlich vom Homeoffice Termine für mich machte, eine Oma die sich Geld zur Rente dazuverdiente.

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"Gegeben habe ich mir das weil ich ein empathischer, hilfsbereiter Mensch bin der zu tiefer Mitmenschlichkeit erzogen wurde. Eine Zwischendurch-Freundin die die oben geschilderte Geschichte kannte bezeichnete mich deshalb als Weichei."

Mitmenschlichkeit und Altruismus kenne ich gegenüber Schwächeren, da macht es Sinn. Aber gegenüber irgendwelchen Psychos? Wie sehr das die eigene Position kompromittiert, wird davon abhängen, wie heteronom die ist.

Je mehr Autonomie man hat, etwa als Objektleiter, der sich nur dem Geschäftsführer gegenüber verantworten muss und seine Kollegen nicht wirklich ernst nehmen braucht, desto eher kann man sich sowas erlauben. Es gibt auch Autonomie aus dem Privatleben, die für manche in dieser Hinsicht funktioniert: Ich hatte mal an einem Arbeitsplatz einen evangelikalen Christen, der die junge Praktikantin, die übel gemobbt wurde, in Schutz genommen hat. Das hat funktioniert, weil er bereit war, psychologisch jederzeit die großen Geschütze aufzufahren und sich nicht darum geschert hat, was die anderen von ihm halten. Aber ich glaube nicht, dass es funktioniert hätte, wenn die anderen ihn angegangen hätten und er stoisch die andere Wange hingehalten hätte. Es gibt ja nicht nur die Arschlöcher: Die Sozialpsychologie am Arbeitsplatz wird erst toxisch, wenn ein paar naive nette Leute sich auch haben infizieren lassen und man sich an allen mögliche unsichtbaren Fronten verteidigen muss. Das bleibt niemandem in den Kleidern hängen, auf Dauer.

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Als selbstständiger Unternehmer, wenn auch mit Chef im Sinne einer Vertriebshierarchie (also HGB 84er im Strukturvertrieb) bin ich Handlungsbevollmächtigter gegenüber Schwächeren, nämlich meinen nebenberuflichen Hilfskräften. Wobei die mich gar nicht als Vorgesetzten betrachtete, sondern als Geschäftspartner. Und da sie 70 und ich knapp über 50 war auch noch als zu erziehendes Kind.

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Einer der größten Kracher war dass ich nach ihrer Krebsdiagnose sagte dass ich schon mehrere Krebsbegleitungen gemacht hatte und sie auf meine Unterstützung zählen könne und dass das beim heutigen Stand der Medizin nicht zwangsläufig ein Todesurteil sei. Ihre Reaktion darauf war eine wütende Antwort, solch einen Blödsinn würde nur ich erzählen, allen ihren Bekannten wäre klar dass sie daran sterben müsste, nur ich der keiné Ahnung hätte müsste wieder Blödsinn erzählen. Da will man helfen und aufbauen und dann so etwas. Zuwendung wurde mit Aggression und Herabwürdigung beantwortet.

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