Sonntag, 15. Dezember 2019
Das Wort für Welt ist Wald
Es heißt ja immer, sich romantisch für Wälder begeistern sei typisch deutsch. Das stimmt insofern als dass es in der deutschen Romantik eine regelerechte Wälderbesoffenheit gab, in der britischen und angloamerikanischen Litertatur (J.R.R. Tolkien, Ursula K. Le Guin) gibt es diese Vorliebe für den Wald aber auch, nicht hingegen in Frankreich und im mediterranen Raum (Das Thema russische Seele und Taiga ist etwas anders gelagert).


Vielleicht ist das ja schon allein sprachlich verankert:

The word for world is wood, Das Wort für Welt ist Wald hat schon einmal unheimliche lautmalerische Qualitäten, Le mot pour monde c´est bois klingt hingegen seltsam, Terminus per Mundo Silvestrum est einderseits elegant, andererseits völlig bescheuert.

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Bois
Jean Giono und die Sehnsucht nach Bäumen.
https://www.youtube.com/watch?v=Vsy5xKquAuA

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Hier noch ein vielzitierter blödsinniger Spinner:
Das Massensymbol der Deutschen war das Heer. Aber das Heer war mehr als das Heer: es war der marschierende Wald. In keinem modernen Lande der Welt ist das Waldgefühl so lebendig geblieben wie in Deutschland. Das Rigide und Parallele der aufrechtstehenden Bäume, ihre Dichte und ihre Zahl erfüllt das Herz des Deutschen mit tiefer und geheimnisvoller Freude. Er sucht den Wald, in dem seine Vorfahren gelebt haben, noch heute gern auf und fühlt sich eins mit den Bäumen. Ihre Sauberkeit und Abgegrenztheit gegeneinander, die Betonung der Vertikalen, unterscheidet diesen Wald von dem tropischen, wo Schlinggewächse in jeder Richtung durcheinanderwachsen. Im tropischen Wald verliert sich das Auge in der Nähe, es ist eine chaotische, ungegliederte Masse, auf eine bunteste Weise belebt, die jedes Gefühl von Regel und gleichmäßiger Wiederholung ausschließt. Der Wald der gemäßigten Zone hat seinen anschaulichen Rhythmus. Das Auge verliert sich, an sichtbaren Stämmen entlang, in eine immer gleiche Ferne. Der einzelne Baum aber ist größer als der einzelne Mensch und wächst immer weiter ins Reckenhafte. Seine Standhaftigkeit hat viel von derselben Tugend des Kriegers. Die Rinden, die einem erst wie Panzer erscheinen möchten, gleichen im Walde, wo so viele Bäume derselben Art beisammen sind, mehr den Uniformen einer Heeresabteilung. Heer und Wald waren für den Deutschen, ohne daß er sich darüber im klaren war, auf jede Weise zusammengeflossen. Was anderen am Heere kahl und öde erscheinen mochte, hatte für den Deutschen das Leben und Leuchten des Waldes. Er fürchtete sich da nicht; er fühlte sich beschützt, einer von diesen allen. Das Schroffe und Gerade der Bäume nahm er sich selber zur Regel. Der Knabe, den es aus der Enge zu Hause in den Wald hinaustrieb, um, wie er glaubte, zu träumen und allein zu sein, erlebte dort die Aufnahme ins Heer voraus. Im Wald standen schon die anderen bereit, die treu und wahr und aufrecht waren, wie er sein wollte, einer wie der andere, weil jeder gerade wächst, und doch ganz verschieden an Höhe und an Stärke. Man soll die Wirkung dieser frühen Waldromantik auf den Deutschen nicht unterschätzen. In hundert Liedern und Gedichten nahm er sie auf, und der Wald, der in ihnen vorkam, hieß oft ›deutsch‹. Der Engländer sah sich gern auf dem Meer; der Deutsche sah sich gern im Wald; knapper ist, was sie in ihrem nationalen Gefühl trennte, schwerlich auszudrücken.
(aus: Elias Canetti, Masse und Macht)

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ein vom MDR mißverstandener Schrebergärtner:
Tiefe. Wurzeln. Das ist für mich Heimat. Man darf ja nicht vergessen: Wir kommen ja aus dem Wald. Gerade die Deutschen kommen aus dem Wald. Diese Verbundheit mit der Natur, das ist für mich etwas ganz Wunderbares. Wenn ich zum Beispiel mal nicht weiter weiß, dann gehe ich ganz bewußt unten in den Garten und stecke die Hände in die Erde, mach etwas mit den Händen im Erdboden, entweder jäten oder umgraben oder irgendwas, einfach um die Beziehung zur Erde nicht zu verlieren. Die Scholle, ja! Und das ist für mich - zum Beispiel - Heimat.
(Uwe Steimle mit der Abbildung des ein Loch in die Erde grabenden tschechischen Maulwurfs auf dem T-Shirt im Gespräch mit Julia Szarvasy auf dem VT-Spinner-Sender Nuoviso)

https://www.youtube.com/watch?v=uSC5WBcKgV4&t=125s

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Sacro Bosco
Lasciate ogni pensiero, voi che entrate oder Ogni pensiero vola.
https://www.flaneurin.at/die-monster-von-bomarzo/

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Die Kreter kennen offensichtlich keinen Wald. Deshalb erfanden sie das Labyrinth. Sie erfanden einen Ort, in den man zwar leicht hineingelangen aber nicht so schnell wieder herauskommen kann. Sobald das Labyrinth den Eintretenden gefangengenommen hat, geschieht Phantastisches. Man wird entweder vom gräßlichen Minotauros verschlungen oder die Knusperhexe verarbeitet Dich zu Pfefferkuchen oder der böse Wolf hat Böses im Schild, nachdem er das Rotkäppchen vom rechten Weg abbrachte. In allen diesen Fällen hätte man diesen gräßlichen Schicksalen entkommen können, wenn man den Weg markiert hätte und sich an ihn gehalten hätte. Im Märchen von Hänsel und Gretel zum Beispiel markierte Hänsel den Weg beim ersten Mal mit Kieselsteinen und das zweite Mal mit Brotstücken, die aber von Vögeln gefressen wurden, so daß das Malheur seinen Lauf nehmen konnte. Rotkäppchen wurde ermahnt, den Weg nicht zu verlassen, befolgte diesen Mutters Rat aber nicht, und Ariadne führte einen Faden mit sich, mit dessen Hilfe der kühne Recke Theseus der Jungfrau zu Hilfe eilen konnte, sobald sie des Scheusals ansichtig wurde.

Man sieht, "Wald" stellt irgendsoein international wirksamer Archetyp dar, der nicht nur deutsche Romantiker und Märchenerzähler ergriffen hat. Sehr oft hausen in Wäldern böse Geister, die man nicht mit Lärm stören darf (wie bei den Komi) oder die Menschenopfer verlangen (wie der Minotauros) oder sie verhexen und verzaubern die Menschen. Jedenfalls ein gefahrvoller Ort und kein Ort, an dem man sich sicher fühlen kann, wie Canetti behauptet. Dieser Canetti sieht in "Wald" offenbar aber etwas vollkommen anderes. Speziell Deutsches und Untertanenhaft-Militärisches.

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Tja, die Jungfrauen. Aber die Kreter? Sie lügen.

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Warum eigentlich erzählen alte Weiber ihren Enkeln an vielen Orten der Welt und zu verschiedenen Zeiten dieselbe Geschichte? Die Geschichte vom Labyrinth/Wald, aus dem man nicht mehr entkommt, sobald der Weg dahinhein verschüttet ist, und in dem man an ein Wesen (Knusperhexe/Minotaurus/Wolf) fällt, das einen verschlingt? Und warum hören dieselben Weiber ab dem 19. Jhdt. plötzlich damit auf? Muß wohl irgendeine Psychokiste von alten Weibern sein. Warum erfinden und erzählen praktisch denkende Menschen wie analphabetische Bauern überhaupt so närrische und phantastische Geschichten? Und wie kommt es, daß man ab dem 19. Jhdt. hinter einem Satz wie "Das Wort für Welt ist Wald" einen semantischen Sinn vermutet? Weil man das den Schülern in der Schule anerzogen hat?

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Der eine sieht den Wald vor lauter Bäumen, die andre die Welt vor lauter Träumen nicht.

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"Und wie kommt es, daß man ab dem 19. Jhdt. hinter einem Satz wie "Das Wort für Welt ist Wald" einen semantischen Sinn vermutet? Weil man das den Schülern in der Schule anerzogen hat? " ---- Nein, weil das ein Kultbuch von Ursula K.LeGuin ist (New-Wave-Science fiction), auch wenn es dort weniger lautmalerisch "Forest" heißt. Für Sprachspiele scheinst Du keinen Sinn zu haben.

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