Montag, 16. Mai 2022
Sind offene und gewissenhafte Menschen eher vor Demenz geschützt?
Persönlichkeitsmerkmale und Risiko geistigen Abbaus
Batya Swift Yasgur

Extravertierte Personen und Menschen mit hoher Selbstdisziplin haben möglicherweise ein geringeres Risiko für einen kognitiven Abbau im späteren Leben, während das Risiko bei Menschen mit Neurotizismus erhöht sei, wie neue Forschungsergebnisse zeigen.

Die Forschenden analysierten die Daten von fast 2.000 Personen, die am Rush Memory and Aging Project (MAP) teilnahmen. Dabei handelt es sich um eine Längsschnittstudie mit älteren Erwachsenen aus dem Großraum Chicago. Die Rekrutierung begann 1997 und dauert bis heute an. Die Teilnehmer unterzogen sich einer Persönlichkeitsbeurteilung und ihre kognitiven Fähigkeiten wurden im Jahresturnus beurteilt. Die Studie wurde im April online im Journal of Personality and Social Psychology veröffentlicht.

Gewissenhaftigkeit und Extraversion als ?Schutzfaktoren?
Bei Personen, die bei der Bestimmung der Gewissenhaftigkeit hohe Werte erzielten, war die Wahrscheinlichkeit, dass sie während der Studie von einer normalen kognitiven Leistungsfähigkeit zu einer leichten kognitiven Beeinträchtigung (LKB; oder mild cognitive impairment, MCI) übergingen, deutlich geringer.

Ein zusätzlicher Wert von 1 in der Standardabweichung auf der Skala für Gewissenhaftigkeit war mit einem 22% niedrigeren Risiko des Übergangs von keiner kognitiven Beeinträchtigung (NCI) zur MCI verbunden. Andererseits war ein zusätzlicher Wert von 1 in der Standardabweichung auf der Neurotizismus-Skala mit einem um 12% höheren Risiko für den Übergang zur MCI verbunden.

Personen mit einem hohen Wert für Extraversion sowie für Gewissenhaftigkeit oder einem niedrigen Wert für Neurotizismus hatten eher länger normale kognitive Funktionen als andere Teilnehmende.

?Persönlichkeitsmerkmale spiegeln relativ dauerhafte Denk-, Fühl- und Verhaltensmuster wider, die sich über die gesamte Lebenszeit kumulativ in gesunden und ungesunden Verhaltensweisen und Denkmustern äußern können?, sagte die Hauptautorin Dr. Tomiko Yoneda, Medizinsoziologin an der Northwestern University in Chicago gegenüber Medscape.

?Die Akkumulation der lebenslangen Erfahrungen kann dann zur Anfälligkeit für bestimmte Krankheiten oder Störungen wie MCI oder zu der individuellen Prädisposition gegenüber altersbedingten neurologischen Veränderungen beitragen?, fügte sie hinzu.

Konkurrierende Risikofaktoren
?So zeichnet sich etwa Gewissenhaftigkeit durch Kompetenz, Pflichtbewusstsein und Selbstdisziplin aus, während Neurotizismus für Ängstlichkeit, depressive Symptome und emotionale Instabilität steht. Ebenso sind Personen mit einem hohen Grad an Extraversion eher begeisterungsfähig, gesellig, gesprächig und durchsetzungsfähig?, fügte sie hinzu.

?Frühere Untersuchungen legen nahe, dass eine geringe Gewissenhaftigkeit und ein hoher Neurotizismus mit einem erhöhten Risiko für kognitive Beeinträchtigungen verbunden sind?, so die Wissenschaftlerin weiter. Allerdings ?scheint die Wahrscheinlichkeit, ein höheres Alter zu erreichen, auch größer zu sein. Es handelt sich also mit anderen Worten nach diesen Ergebnissen um ?konkurrierende Risikofaktoren?.

Rund 2.000 Ältere untersucht
Laut Yoneda wollte ihr Team ?die Auswirkungen von Persönlichkeitsmerkmalen auf das gleichzeitige Risiko für den Übergang zu einer MCI, Demenz und Tod untersuchen.

Für die Studie analysierten die Forschenden die Daten von 1.954 Studienteilnehmern (Durchschnittsalter bei Studienbeginn 80 Jahre; 73,7% weiblich, 86,8% weiß), deren Persönlichkeit standardisiert untersucht und deren kognitive Fähigkeiten dann jährlich beurteilt wurden.

Zur Bewertung der Persönlichkeitseigenschaften ? insbesondere Gewissenhaftigkeit, Neurotizismus und Extraversion ? verwendeten sie das NEO Five Factor Inventory (NEO-FFI). Darüber hinaus untersuchten sie mithilfe von Multistate-Modellen für das Überleben den potenziellen Zusammenhang zwischen diesen Merkmalen und dem Übergang von einer Kategorie des Kognitionszustandes zu einer anderen (NCI, MCI und Demenz) und zum Tod.

Kognitiv gesunde Jahre
Bei Studienende war über die Hälfte der Stichprobe (54%) verstorben.

Die meisten Teilnehmer zeigten ihres ?relative Stabilität des kognitiven Status über die Messzeitpunkte hinweg?:

Es gab 725 ?Rückübergänge? von MCI zu NCI, ?die eine Verbesserung oder eine innerpersonelle Variabilität der kognitiven Funktion oder auch Lerneffekte widerspiegeln können?, so die Autorinnen und Autoren.

Es gab nur 114 ?Rückübergänge? von Demenz zu MCI und nur 12 von Demenz zu NCI, ?was darauf hindeutet, dass eine Verbesserung des kognitiven Status relativ selten ist, insbesondere wenn eine Person einmal das Demenzstadium erreicht hat?.

Nach Adjustierung der Daten an Demografie, depressive Symptome und das Apolipoprotein ε4-Allel (APOE) fanden die Forschenden heraus, dass die Persönlichkeitsmerkmale die wichtigsten Faktoren beim Übergang von NCI zu MCI waren.

Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine hohe Gewissenhaftigkeit und ein niedriger Neurotizismus Personen vor leichten kognitiven Beeinträchtigungen schützen können. Dr. Tomiko Yoneda
Eine höhere Gewissenhaftigkeit in der Persönlichkeitsstruktur war mit einem geringeren Risiko für einen Übergang von NKI zu MCI verbunden (Hazard Ratio: 0,78; 95%-Konfidenzintervall: 0,72?0,85). Umgekehrt war ein höherer Neurotizismus mit einem erhöhten Risiko des Übergangs von NKI zu MCI und einer signifikant geringeren Wahrscheinlichkeit des Übergangs zurück von MCI zu NKI verbunden (HR: 1,12; 95%-KI: 1,04?1,21 bzw. HR: 0,90; 95%-KI: 0,81?1,00).

Eine Punktzahl von ~6 auf einer Gewissenhaftigkeitsskala von 0?48 (d.h. 1 SD auf der Skala) war signifikant mit einem ~22% niedrigeren Risiko des Übergangs von NCI zu MCI verbunden, während eine Punktzahl von ~7 auf einer Neurotizismus-Skala (1 SD) signifikant mit einem ~12% höheren Risiko für einen Übergang von NCI zu MCI verbunden war.

Eine höhere Extraversion bedeutete eine erhöhte Wahrscheinlichkeit eines Übergangs von MCI zurück zu NCI (HR: 1,12; 95% KI: 1,03?1,22) Und obwohl Extraversion nicht mit einer längeren Gesamtlebensdauer verbunden war, behielten Teilnehmende, die eine hohe Extraversion aufwiesen, sowie diejenigen, die eine höhere Gewissenhaftigkeit oder einen niedrigen Neurotizismus aufwiesen, ihre normale kognitive Funktion länger bei als andere Teilnehmer.

?Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine hohe Gewissenhaftigkeit und ein niedriger Neurotizismus Personen vor leichten kognitiven Beeinträchtigungen schützen können?, so Yoneda.

?Wichtig ist, dass Personen, die entweder eine höhere Gewissenhaftigkeit, eine höhere Extraversion oder einen niedrigeren Neurotizismus aufwiesen, mehr kognitiv gesunde Jahre aufwiesen, d.h. mehr Jahre ohne kognitive Beeinträchtigung?, fügte sie hinzu.

Darüber hinaus ?erholten sich Personen mit niedrigerem Neurotizismus und höherer Extraversion eher von der Diagnose MCI, was darauf hindeutet, dass diese Eigenschaften auch dann noch protektiv wirken können, wenn die Demenz bereits fortgeschritten ist?, sagte sie.

Die Forschenden weisen darauf hin, dass sich die Studie nur auf 3 der Big-Five-Persönlichkeitsmerkmale konzentrierte, während die anderen beiden ? Offenheit für Erfahrungen und Verträglichkeit ? ebenfalls mit kognitiven Alterungsprozessen und Mortalität in Verbindung gebracht werden können.

In Anbetracht der aktuellen Ergebnisse und der umfangreichen Forschung im Bereich der Persönlichkeit ist das Ziel, die Gewissenhaftigkeit durch dauerhafte Verhaltensänderungen zu erhöhen, eine mögliche Strategie zur Förderung eines gesunden kognitiven Alterns, so Yoneda.

?Ungeahnte Einblicke?
Der Psychologe Dr. Brent Roberts von der University of Illinois Urbana-Champaign erklärte gegenüber Medscape, die Studie eröffne ?ungeahnte Einblicke bei der Frage, wie die Persönlichkeit den Prozess des kognitiven Abbaus beeinflusst und ihn entweder beschleunigt, wie beim Neurotizismus, oder verlangsamt, wie bei der Gewissenhaftigkeit?.

Für mich war das faszinierendste Ergebnis, dass die Extraversion mit dem Übergang von MCI zurück zum NCI zusammenhing. Dr. Brent Roberts
?Für mich war das faszinierendste Ergebnis, dass die Extraversion mit dem Übergang von MCI zurück zum NCI zusammenhing. Derartige Übergänge waren bislang einfach kein Forschungsgegenstand. Damit bieten sich ganz einzigartige Einblicke und Möglichkeiten für Interventionen, die Menschen tatsächlich dabei helfen können, sich von einem Abbau wieder zu erholen?, sagte Roberts, der nicht an der Studie beteiligt war.

Dr. Claire Sexton, Programmleiterin Wissenschaft und Öffentlichkeitsarbeit bei der Alzheimer's Association, betonte in einem Kommentar für Medscape die Neuartigkeit der Untersuchung, weil sie die Übergänge zwischen NCI und MCI sowie zwischen MCI und Demenz untersucht habe.

Sexton, die Teil des Forschungsteams war, gab zu bedenken, dass es sich um eine Beobachtungsstudie handelt. Eine solche könne zwar ?Assoziationen oder Korrelationen aufzeigen, aber keine Ursachen. Daher können wir nicht mit Sicherheit sagen, welche Mechanismen hinter diesen potenziellen Verbindungen zwischen Persönlichkeit und Kognition stehen, und es sind weitere Untersuchungen erforderlich.?

https://deutsch.medscape.com/artikelansicht/4911168?uac=389796AZ&faf=1&sso=true&impID=4250036&src=WNL_mdplsfeat_220516_mscpedit_de#vp_3

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Und die neurotischen Extravertierten haben die Arschkarte? Blogs und social media können zumachen.

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