Dienstag, 2. April 2024
Nachts, als die Christbäume brannten
Am Ostermontag war Familientreffen, und es wurden interessante Gespräche geführt. Vater erzählte vom Krieg. Unter anderem die Geschichte vom Scheinflughafen. Da sich in der Nähe des Dorfes, in dem die Familie wohnte, ein Militärflughafen befand hatte man nebenan einen Scheinflughafen angelegt, als Ausweichziel für die alliierten Bomber. Dort standen Flugzeugattrappen aus Sperrholz und Sackleinen offen umher, während die echten Flugzeuge auf dem echten Flughafen in getarnten Hangars untergestellt waren.

Den britischen Bomberverbänden voran flogen sogenannte Pfadfinder vom Typ De Havilland Mosquito. Das waren Kampfflugzeuge aus Holz, die für das deutsche Radar unsichtbar waren, erste Stealth-Fighter sozusagen, die in der beginnenden Abenddämmerung so genannte Christbäume setzten. Das waren größere, langsam abbrennende Feuerwerkssätze, die an Fallschirmen hingen, welche durch die thermische Energie der Feuerwerke aufgebläht wurden und wie Heißluftballons schweben blieben anstatt zu Boden zu sinken. 4 solcher Christbäume wurden rund um ein Zielgebiet gesetzt und die Bomber hielten dann dazwischen.

Um den Scheinflughafen herum hatten die Deutschen mittels Fesselballons ihre eigenen Christbäume gesetzt, und die Briten fielen darauf herein und bombardierten wiederholt den Scheinflughafen. Mein Vater ging dann als Vierzehnjähriger mit dem Sprengmeister mit um Blindgänger zu entschärfen und sammelte selbst jede Menge sprengbares Material ein um mit dem dann selbst herumzupuffen.

Bei einem Angriff auf die Stadt hingegen, im Herbst 1944, wurde unser Nachbarhaus getroffen. Mein Opa stieg daraufhin, während alle Anderen im Keller saßen auf den Dachboden und fand dort eine Stabbrandbombe, die funkensprühend auf dem Holzboden lag der schon kokelte. Daraufhin öffnete er eine Dachluke, warf die Bombe hinaus auf die Straße und löschte den Schwelbrand mit einer Schippe Sand.
Ohne diese beherzte Tat stünde unser schönes Haus nicht mehr.

Meine Mutter arbeitete in dieser Zeit als Chemielaborantin. In dem Labor gab es auch einen Ägypter, Fouad. Als bei einem Bombenalarm die Laborbelegschaft und die Leute aus der Nachbarschaft in den Luftschutzbunker gingen bestimmte der Blockwart, dass Fouad draußen bleiben musste, da er kein Arier sei. Daraufhin sagte meine Mutter, wenn der draußen bleiben müsste bliebe sie das auch, alle oder keiner. Sämtliche Labormitarbeiterinnen schlossen sich an, worauf der Blockwart nachgab. So geht ziviler Ungehorsam.

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Solche Geschichten sollten, solche Alltagsgeschichte müßte viel mehr gesammelt und aufgeschrieben werden. Sie gehen verloren und sind bereits vielfach verloren, weil sie keiner bewahrt. Das ist schade. Vermutlich wird man hier am ehesten fündig, wenn man die Kleinverlage und dei Druckkostenzuschußverlage durchstöbert, wo solche Leute manchmal etwas publiziert haben, damit ihre Erinnerungen und Erzählungen nicht verloren gehen.

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Mehrere Geschichten - mit lebendigen Bildern - aus der Kriegszeit! Erzählen können solche natürlich nur die Altvorderen, die sich währenddessen, wie der Vater und der Großvater, in Lebensgefahr begaben. Über Heldenhaftigkeit oder Leichtsinn, über Mut oder Übermut können die Nachfahren dann diskutieren, wobei natürlich die Familienbande nicht überspannt werden und wohlwollende Aspekte überwiegen.

Da ich keinerlei Erfahrung mit "Sprengsätzen" habe, aber auch Geschichten kenne, in denen solche im falschen Moment explodierten und neugierigen Kindern das Leben nahmen, freue ich mich sehr für die Familie des Erzählers, zumal auch die Mutter Zivilcourage bewies, ohne ein Leid zu erfahren.

Natürlich hat auch die Verbindung von Weihnachten und Ostern ihren Reiz. Es brennt und kracht in der "stillen Zeit", was kann einem Geschichten-Erzähler Besseres passieren? Und dann wirft er noch einen Blick auf das Thema "Migration" - die Geschichte ist perfekt!😉

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Ja, so sind unsere Familientreffen, und ich bin studierter Alltagshistoriker, bin es möglicherweise geworden, weil ich in einem solchen, narrativem und geschichtsbewusstem, Umfeld aufgewachsen bin.

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Der Weg nach Hause
Da habe ich auch noch ein besonderes Schmankerl:

https://che2001.blogger.de/STORIES/570083/

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Den Widerstreit der Herzen fühle ich noch heute. Waren die Gründe, wofür mein Vater 1944 mit 17 Jahren in den Krieg zog, alle einem verbrecherischen Nazi-Gehirn entsprungen? Mußte er fünf Jahre in russischer Kriegsgefangenschaft büßen, weil er falschen Idealen folgte?

Bundespräsident Weizsäcker sagte am 8. Mai 1985, vor 40 Jahren sei Deutschland vom Nazionalsozialismus befreit worden. War mein Vater ein Teil des Nazionalsozialismus, von dem Deutschland durch die Allierten befreit werden mußte? Hätte mein Großvater, Vater, Onkel nicht wissen müssen, daß sie keiner gerechten Sache dienten?

Ein junger Mann kämpft im Krieg für sein Vaterland, riskiert sein Leben, um 40 Jahre später zu hören, er sei an grausamen Massakern des Krieges mitverantwortlich gewesen und zurecht seiner Freiheit und seiner Jugend beraubt worden! Versteht er das? Muß er das verstehen und klaglos hinnehmen? Hat er Anlaß, sich in Grund und Boden zu schämen? Wer hätte meinem Vater Antworten auf seine Fragen geben können?

Ich verzeihe ihm jeglichen jugendlichen Überschwang. Welche Gedanken ihn tatsächlich beim Kriegseintritt beschäftigten, auch über seine Kriegserlebnisse und die Gefangenschaft - darüber weiß ich leider nichts. Reden war nicht die Stärke meines Vaters. Jedenfalls kam er glücklicher Weise wieder nach Hause zurück und fand Gelegenheit, mich und drei weitere Kinder zu zeugen. Der älteste Bruder meiner Mutter hatte weniger Glück, er "fiel" in Ungarn, am Plattensee.

Das große Schweigen herrschte in vielen deutschen Familien. Zu widersprüchlich waren die Gedanken. Im zweiten Weltkrieg gab es ca. 60 Millionen Kriegstote. Was soll man da denken und sagen?

Ich selbst ging zur Bundeswehr, weil ich sicher war, nicht das Schicksal meines Vaters erleben zu müssen. Was aber hätte ich gemacht, wenn der Marschbefehl gekommen wäre? Zur damaligen Zeit war ich überzeugt, ein Krieg sei immer zu vermeiden.

Heute heißt es, wer Krieg vermeiden will, muß zum Krieg fähig sein. Dieser Zustand wird in Deutschland so schnell nicht erreicht. Selbst zu meiner Zeit, als die Bundeswehr besser gerüstet war, wurde nicht verhehlt: "Wenn der Russe will, steht er in drei Tagen am Rhein!"

Die meisten Deutschen empfinden die Kriegstüchtigkeit - im Gegensatz zu den Nachkriegsjahren - als ein erstrebenswertes Ziel. Sie vergessen dabei, daß eine völkisch geprägte Regierung "offensiv" denken könnte und mit einer gut ausgerüsteten Armee Gefallen daran finden könnte, die Muskeln spielen zu lassen. Selbst der großartige Goethe dachte in seiner Gier an härtere Maßnahmen (Erlkönig):

"Ich liebe Dich, mich reizt Deine schöne Gestalt;
und bist Du nicht willig, so brauch´ ich Gewalt!

Am Ende muß eine gute Geschichte noch einmal eine überraschende Wendung hinlegen. 😊

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Zum einen haben wir, was den Russen und den Rhein betrifft, nicht mehr das Jahr 1959 oder 1988, und es sind nicht mehr die Sowjets und die Staaten des Warschauer Paktes, die zudem bis an der Elbe, im Harz und an den Grenzen zu Hessen und Bayern standen, sondern es ist heute ein Rußland, das ohne Bündnispartner dasteht, und zwischen Deutschland und Rußland liegen das Baltikum, Tschechien Polen und zudem die Ukraine. Da dürfte es rein militärisch schon schwierig sein, eine soche Distanz zu besetzen und dabei auch noch logistisch die Nachschublinien zu halten.

"Sie vergessen dabei, daß eine völkisch geprägte Regierung "offensiv" denken könnte und mit einer gut ausgerüsteten Armee Gefallen daran finden könnte, ..."

Davon abgesehen, daß dieses Szenario in Deutschland nicht im Ansatz realistisch ist, besteht die größte Gefahr im Augenblick in der Aggression und Expansion Rußlands. Und dazu vor allem, daß die USA nicht mehr bereit sind Europa zu verteidigen, weil sie ihren Blick auf China und damit auf die Bedrohung von Taiwan und damit des pazifischen Raumes geworfen haben. China steht rüstungsmäßig dicht hinter den USA und ist ein Gegner von anderem Kaliber als Rußland. Und nein: man kann nicht für jeden Was-wäre-wenn-Fall gerüstet sein, der irgendwie mal eintreten könnte. Deutschland kann aber eine grundsätzliche Wehrfähigkeit anstreben, so daß wir, selbst wenn es die NATO in dieser Form nicht mehr gibt, weil die USA mit Trump austreten könnten, innerhalb der EU hinreichend gerüstet und militärisch kompatibel unter einem EU-Headquarter vernetzt sind. Dieses Worst-Case-Szenarion sollte die EU in der Tat in Brüssel durchspielen. Und sie tut das meines Wissens auch bereit.

Richtig ist, daß die Bundeswehr deutlich zu schwach ist. Wer den Frieden will, muß in der Tat besser und immer besser gerüstet sein. Und dazu reichen 2 Prozent des BIP bei weitem nicht aus. Es müssen also die Jahre, in denen Rußland noch durch ihren Überfall auf die Ukraine beschäftigt ist, genutzt werden. Und dazu werden vermutlich mindestens 4 Prozent des BIP erforderlich sein und dazu eine grundsätzliche Umstrukturierung der Bundeswehr und damit auch der Gesellschaft. Ein Anfang wäre gemacht mit einem einhalbjährigen verpflichtenden sozialen Jahr für alle Deutschen ab 18 Jahren.

Heute kann man in der Tat jungen Menschen nur raten, für eine Zeit zur Bundeswehr zu gehen, damit man wenigstens die Grundtechniken im Umgang mit einer Waffe lernt und eben nicht unangenehm überrascht wird, wenn es plötzlich völlig anders kommt, als man wir es uns in unseren friedensseligen Träume gedacht haben. Während wir im freien Eruopa kaum noch wissen, was Krieg und Entbehrung sind - gerade deshalb ist es wichtig, wehrhaft zu sein, damit das so bleibt -, sieht das in Rußland und der Struktur seiner Armee samt den Muschiks dort und der Brutalität ganz anders aus.

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Das "und bist du nicht willig ..." ist im übrigens das Motto der Armee Putins, was die Vergewaltigungen ukrainischer Frauen betrifft.

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Man kann sich nach dem Lesen auf Nebenkriegs-Schauplätzen verirren, oder vielleicht auch auf den Scheinflughäfen nach der Wahrheit suchen. Die jungen Soldaten auf dem "Weg nach Hause" hingegen geben uns Gelegenheit, das eigene Denken zu überprüfen, auch um festzustellen, wie sehr es sich seit Beginn seines Daseins verändert hat.

Als Kind stellte ich es mir spannend vor, wie die Amerikaner, oder wer auch immer, ihre ehemaligen deutschen Kriegsgegner "entnazifizierten". Mittels Kopfwäsche wird aus einem Schurken ein demokratischer Saubermann, der dann für wichtige Jobs wieder einsetzbar ist?

Selbst als Kind kam mir ein solches Verfahren naiv vor. Und tatsächlich, ich hörte oft von Richtern, Politikern usw., die in der jungen BRD der Kopfwäsche standhielten und Urteile fällten, Ansichten vertraten, ganz in der Tradition des dritten Reiches.

Oder mein Vater. Der kaufte sich, lange nach dem Krieg, einen russischen Fotoapparat und einen "Lada". Ich mußte an das Stockholm-Syndrom denken. Witzig war, als er einmal spontan sagte: "Die Ukrainer waren die größten Säue. Da hing die Scheiße im Kuhstall bis an die Decke!"

Naja, mein Vater erlitt im Krieg keinen Kopfschuß, aber meine Mutter sagte mir, er hätte in der Gefangenschaft eine Gelbsucht durchlitten. Das tätowierte A an der Innenseite des linken Oberarms war deutlich zu sehen, meine Neugier gering, das Schweigen dauerhaft.

Ich dachte oft darüber nach, was aus mir geworden wäre, hätte ich vom 17. bis zum 23. Lebensjahr Krieg und Gefangenschaft erlebt. Das steckt ja keiner einfach so weg! Und dann kommst Du heim in ein zerstörtes Land und willst ein normales Leben führen!?

Wiegesagt, mein Vater konnte nicht über das reden, was er tat. Ein Auszubildender, in den 1990er Jahren, sagte über meinen Vater: "Der R. hat mir nie etwas erklärt. Er hat einfach gemacht und ich stand dabei."

Vielleicht war es ihm zuviel, über sein Leben nachzudenken. Vielleicht hat er gewußt, daß er einem Verbrecher zu lange die Treue hielt. Vielleicht, vielleicht, vielleicht... ihn zu lieben war schwer und gelang mir zunehmend weniger. Als er starb, empfand ich Erleichterung.

Heute weiß ich, daß ich zu streng mit ihm war. Meine Anstrengungen, sein Leben in seiner Zeit zu verstehen, waren nicht der Rede wert. Er tat, was viele taten - Befehl und Gehorsam. Eigenes Denken war lebensgefährlich.

Selbst als Rekrut bei der Bundeswehr, der zum Widerspruch aufgefordert wurde, falls ein Befehl zu beanstanden sei, hielt ich lieber mein sonst so großes Maul. Der feuchtfröhliche Abend in der Kantine durfte nicht gefährdet werden. 😉

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Wir müssen natürlich derzeit viel über Krieg nachdenken und ich habe einiges dazu geschrieben. Da ich aber viel mehr Freude im Herzen fühle als alles Andere und diese gerne teilen würde, lade ich euch zu einem fotografischen Spaziergang ein, indem ich ein paar meiner Fotos zur Verfügung stelle. Bittesehr!
https://1drv.ms/a/s!AvZVKDP9tPCgyQpXuFdy2p0M2FmD?e=pJ37om

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!

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Ja, die sind in der Tat sehr schön, danke dafür!
Bei mir kommen auch demnächst wieder ganz viele schöne Gartenbilder.

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An der Seite Russlands steht ein genervtes China, das Russland zwar hält, ihm aber auch nicht militärisch beistehen würde. Das Verhältnis China-Russland ist ein im Grunde koloniales: Rohstoffe gegen Hightechprodukte. Es lohnt sich, zu diesem Thema die Blätter für deutsche und internationale Politik zu lesen.

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