Mittwoch, 27. Januar 2021
Sicherheit der COVID-19-Impfstoffe nach mehr als 1 Million Impfungen – das PEI zieht erste Bilanz
Dr. Nicola Siegmund-Schultze, Univadis


Die bisher gemeldeten unerwünschten Reaktionen auf die Impfung von mehr als 1 Million Menschen in Deutschland entsprechen qualitativ den Erwartungen, die Häufigkeit schwerer unerwünschter Effekte ist eher niedriger als in den Studien. Es treten vor allem Lokalreaktionen und Allgemeinreaktionen auf. Dies zeigt der 3. Sicherheitsbericht des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI). Stichtag war der 17. Januar.

Auf 2.000 Impfdosen wird circa 1 Fall von unerwünschten Wirkungen gemeldet, bei den schwerwiegenden Nebenwirkungen sind es 1,3 Fälle auf 10.000 Impfdosen (0,013%). Es gibt bislang keinen Todesfall, für den ein Zusammenhang zur Impfung bestätigt oder plausibel wäre.

Ärztinnen und Ärzte sind gesetzlich verpflichtet, Impfkomplikationen dem zuständigen Gesundheitsamt zu melden, das diese Meldung in pseudonymisierter Form an das Paul-Ehrlich-Institut weitergibt. Das PEI überwacht in Deutschland die Sicherheit von Impfstoffen.

Mehr als 6.500 Menschen sind 2-mal geimpft
Seit 22. Dezember 2020 ist in der Europäischen Union (EU) der mRNA-Impfstoff Comirnaty (BioNTech/Pfizer) zum Schutz vor COVID-19 zugelassen, am 27.12. wurde in Deutschland mit dem Impfen begonnen. Am 06.01.2021 erfolgte die EU-weite Zulassung eines Impfstoffs von Moderna.

In Deutschland wurden bis zum 17. Januar 2021 1.139.297 Personen gegen SARS-CoV-2 geimpft, darunter 1.136.573 mit dem Impfstoff von BioNTech/Pfizer und 2.724 Personen mit dem Covid-19-Impfstoff von Moderna (mRNA-1273).

Von den 1.139.297 Geimpften haben 6.581 die zweite Impfung erhalten.

Allergische Symptome bei 32 Personen – 2 lebensbedrohlich
Die Melderate unerwünschter Reaktionen betrug für den BioNTech/Pfizer-Impfstoff 0,57 Fälle auf 1.000 Impfdosen, für schwerwiegende Fälle betrug sie 0,13 auf 1.000 Impfdosen (Studiendaten: <2% schwere systemische Nebenwirkungen).


Für den COVID-19-Impfstoff von Moderna wurden 2 nicht-schwerwiegende Fälle berichtet. Dies entspricht einer Melderate von 0,73 Fällen auf 1.000 Impfungen.

Es traten im Durchschnitt 4 Reaktionen pro Meldung auf, die meisten kurzzeitig. Unerwünschte Effekte waren vor allem:

Kopfschmerzen,

Erschöpfung,

Schmerzen an der Injektionsstelle,

Schwindelgefühl,

Fieber und

Schüttelfrost.

In 145 Fällen wurden schwerwiegende Reaktionen gemeldet.

21 dieser Personen sind gestorben, sie waren im Median 87 Jahre alt. Bis auf 9 Verstorbene waren Verschlechterungen oder Komplikationen der Grunderkrankung ursächlich. In 9 Fällen blieb die Todesursache unklar – statistisch nicht mehr als die in der Altersgruppe erwartete Anzahl von Todesfällen unklarer Ursache, so das PEI.

Bei 32 Personen traten allergische Symptome auf, davon 20 Fälle einer anaphylaktischen Reaktion. Bei knapp der Hälfte der Anaphylaxien (47%) traten die ersten Symptome binnen 15 Minuten nach Impfung ein, bei 21% im Zeitintervall von 16 bis 30 Minuten, 2 Fälle wurden vom PEI als lebensbedrohlich bewertet.

Als auslösende Agenzien für Hypersensitivitätsreaktionen kommen nach Angaben des PEI die in den Impfstoffen enthaltenen Lipidnanopartikel infrage, besonders das darin enthaltene Polyethylenglykol.

Es bestünden derzeit keine Kontraindikation für Allergiker oder Menschen mit Anaphylaxien in der Vorgeschichte, sie könnten sich mit Comirnaty impfen lassen. Kontraindikationen seien dagegen eine bekannte Allergie auf Inhaltsstoffe des COVID-19-Impfstoffs und eine allergische Reaktion auf die erste Dosis.

Meldungen im Einklang mit Fachinformationen
Die Meldungen stünden im Einklang mit der Fach- und Gebrauchsinformation, resümiert das PEI. Vor dem Hintergrund, dass das Risiko für einen schweren und auch tödlichen Verlauf einer SARS-CoV-2-Infektion mit zunehmendem Alter rapide ansteige, sei es wichtig, dass ältere Menschen so gut wie möglich vor einer Infektion geschützt würden.

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Schützt Vitamin D vor schwerem COVID-19?
Ein Endokrinologe erklärt die Datenlage und ob eine Supplementierung sinnvoll ist
PD Dr. Johannes W. Dietrich


Fast schon seit Beginn der COVID-19-Pandemie wird über eine mögliche protektive Rolle einer Vitamin-D-Supplementation diskutiert. Auch im Blog der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) wurde das Thema bereits zweimal behandelt (18. und am 19. Mai 2020). Hier diskutiert der Endokrinologe PD Johannes W. Dietrich, Oberarzt am Universitätsklinikum Bergmannsheil, Klinikum der Ruhr-Universität in Bochum (UK RUB), die aktuelle Datenlage. Sein Kommentar erschien ursprünglich in der ersten Januarwoche in den Medizinischen Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie.

Hinweise aus Studien, dass ein Vitamin-D-Mangel mit einem erhöhten Risiko für einen schweren Verlauf von COVID-19 einhergeht, gibt es viele. Eine Meta-Analyse konnte kürzlich zeigen, dass bei schweren Verlaufsformen die Wahrscheinlichkeit für einen Vitamin-D-Mangel um 64% höher als bei leichten Verläufen war (Odds Ratio 1,64, 95%-Konfidenzintervall 1,30–2,09).

Eine insuffiziente Vitamin-D-Konzentration war umgekehrt mit einem erhöhten Risiko für Hospitalisierungen (OR 1,81, KI 1,41–2,21) und einer Übersterblichkeit assoziiert (OR 1,82, KI 1,06–2,58) [1].

Dennoch bleibt die Frage, ob hier wirklich eine Kausalität zugrunde liegt.

Es könnte ja durchaus sein, dass eine Verzerrung durch Confounder vorliegt, etwa weil multimorbide und bettlägerige Menschen häufig auch einen Vitamin-D-Mangel aufweisen, ihr Risiko aber wegen der Multimorbidität erhöht ist.

Außerdem konnte gezeigt werden, dass die 25-Hydroxy-Vitamin-D-Konzentration im Serum nach experimenteller Herbeiführung einer Entzündung durch Gabe bakterieller Lipopolysaccharide absinkt [2], so dass ein Mangel an Vitamin D möglicherweise nicht die Ursache, sondern die Folge der schweren Erkrankung darstellt. Daher wurden zu Recht interventionelle Studien zur Klärung eines möglichen Nutzens einer Vitamin-D-Therapie gefordert [3].

Die Studienlage
Diesen Anspruch wollen 2 kürzlich veröffentlichte Studien erfüllen, welche die Wirkung einer supplementativen Therapie mit Vitamin D auf den Verlauf von COVID-19 untersucht haben. Die randomisierte COVIDIOL-Studie hat 76 hospitalisierte Patientinnen und Patienten mit SARS-Cov-2-Infektion untersucht [4].

50 Personen erhielten am Aufnahmetage 0,532 mg Colecalciferol und je 0,266 mg an den Tagen 3 und 7 nach Aufnahme. Eine Kontrollgruppe erhielt kein Vitamin D. Beide Gruppen wurden ansonsten mit derselben Standardbehandlung, die u. a. Hydroxychloroquin und Azithromycin sowie ggf. Ceftriaxon umfasste, therapiert.

Von den 50 mit Vitamin D behandelten benötigte eine Person eine intensivmedizinische Therapie (2%), jedoch 13 der 26, die kein Vitamin D erhielten (50%). Durch eine Vitamin-D-Therapie sank die Odds Ratio für eine Intensivtherapie auf 0,02 (95%-Konfidenzbereich 0,002–0,17) ab. Nach Korrektur um Hypertonie und Diabetes mellitus Typ 2 lag die Odds Ratio mit 0,03 (0,003–0,25) nur unwesentlich höher. In der Colecalciferol-Gruppe gab es keinen Todesfall, jedoch 2 in der Kontrollgruppe.

Die 2. Studie verfolgte einen „quasi-experimentellen“ Ansatz [5]. Hierfür wurden 66 an COVID-19 erkrankte Bewohner eines französischen Pflegeheims untersucht. Zur Interventionsgruppe wurden diejenigen gezählt, die während der COVID-19-Erkrankung oder im Monat davor eine Colecalciferol-Supplementation erhielten, wie das in französischen Pflegeheimen übliche Praxis ist. Als Kontrollgruppe zählten die übrigen mit SARS-CoV-2 infizierten Bewohner. Ergebnis: 82,5% der 57 Senioren in der Therapiegruppe überlebten, aber nur 44,4% der 9 Personen in der Kontrollgruppe.

„Noch ist Vorsicht angebracht“
Mit den Ergebnissen der beiden Studien liegen erstmals Hinweise aus interventionellen Ansätzen vor, die eine mögliche Effektivität einer Vitamin-D-Supplementation für eine Verbesserung der Prognose von COVID-19 suggerieren. Diese Ergebnisse würden gut zu experimentellen Hinweisen passen, dass Vitamin D auch die Abwehr viraler Infekte unterstützt [3].

Allerdings ist noch Vorsicht angebracht.

Zum einen sind die Fallzahlen beider Studien sehr klein, so dass die statistische Belastbarkeit noch gering ist. Zum anderen muss eine Supplementation nicht automatisch hilfreich sein, denn von einer möglichen Überversorgung mit Vitamin D ist keine Verbesserung der Prognose zu erwarten.

So konnte eine Studie zeigen, dass es einen nichtlinearen U-förmigen Zusammenhang zwischen Vitamin-D-Versorgung und dem Risiko für eine diabetische autonome Neuropathie gibt. Letztere fand sich gehäuft sowohl bei niedrigen als auch hohen Vitamin-D-Konzentrationen [6]. Daher sind weitere Studien mit größeren Fallzahlen nötig, die auch sorgfältig auf die erreichten Serumkonzentrationen eingehen.

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Donnerstag, 14. Januar 2021
COVID-19 forever durch SARS-CoV-2-Mutationen? „Wir werden die Impfstoffe sehr wahrscheinlich irgendwann aktualisieren müssen“
Dr. Edward C. Holmes


Wie lange werden uns die aktuellen Impfstoffe einen Ausweg aus der Pandemie bieten können? Brauchen wir schon wieder neue Vakzine, bevor eine COVID-19-Schutzimpfung überhaupt die breite Masse an Menschen erreicht hat?

Diese Fragen machen zum Beginn der Impfaktionen alle nervös – vor allem seit immer mehr Mutationen von SARS-CoV-2 auftauchen. Die ersten Tests bestätigen zwar, dass etwa der BioNTech/Pfizer Impfstoff auch gegen die Virusvariante aus Großbritannien wirksam ist .

Warum sich trotzdem die aktuellen Hoffnungen auf ein Ende der Corona-Plage in Luft auflösen könnten, auf was sich die Forschungsgemeinde einstellen muss, welche Vorkehrungen getroffen werden sollten, diskutiert der Editor-in-Chief von Medscape und einer der 10 meistzitierten Forscher in der Medizin, Prof. Dr. Eric J. Topol mit Prof. Dr. Edward C. Holmes. Der Evolutionsbiologe und Virologe ist Professor an der University of Sydney und National Health and Medical Research Council Australia Fellow. Seit 2014 hat er außerdem eine Gastprofessur am Chinese Center for Disease Control and Prevention in Peking, China, inne.


Wir bringen hier einen übersetzten und gekürzten Auszug eines Interviews, das auf Medscape.com veröffentlicht worden ist. Die englische Langversion des Videos und das englische Transkript finden Sie hier.

Topol: Wir haben jetzt ein neues Problem, und das, obwohl wir dieses Virus noch in keinem Land, in keinem Kontinent, tatsächlich im Griff haben. In Bezug auf die Variante B117, die im Moment vor allem im Vereinigten Königreich grassiert, habe ich gehört, dass es auch Fälle in Australien, in den Niederlanden, in Italien, in Dänemark (Anm.: und auch in Deutschland) gibt. Das Virus kommt herum. Sehr wahrscheinlich gibt es Länder, die keine Sequenzierung durchführen, die es aber auch schon haben. N501Y, eine wichtige Mutation beim Spike-Protein, zieht sich wie ein roter Faden um die Welt.

[Anmerkungen der Redaktion: Bei der N501Y-Mutation kommt es zum Austausch von Asparagin gegen Tyrosin an Position 501 der Aminosäuresequenz des Spikeproteins. Sie wurde unter anderem in den Varianten B.1.1.7 und 501.V2 nachgewiesen.]

Was denken Sie? Wie geht es jetzt weiter?

Holmes: Das ist im Moment die wichtigste Frage. Ich bin nicht direkt an den Arbeiten in Großbritannien beteiligt. Aufgrund der Daten, die ich gesehen habe, gibt es definitiv Grund zur Sorge.

Beginnen wir mit der Epidemiologie. Wie Sie bereits erwähnt haben, scheint sich diese Variante im Vereinigten Königreich sehr schnell zu vermehren. Das liegt nicht nur daran, dass der Süden Englands weniger Einschränkungen hatte, denn wenn dies der Fall wäre, würden alle Varianten häufiger auftreten. Es ist eine bestimmte Variante, eine Linie, die im Vergleich zu anderen zunimmt, und zwar ziemlich schnell. Gleiches scheint in Südafrika abzulaufen. Es ist eine andere Linie, aber das Virus hat mindestens eine identische Mutation. Das macht mir Sorgen.


Außerdem wird berichtet, dass Infizierte eine höhere Viruslast aufweisen, gemessen an niedrigeren durchschnittlichen Ct-Werten (cycle threshold) bei der Sequenzierung. Das heißt, es gibt im Köper mehr Viren, was die schnelle Zunahme der Infektionszahlen erklären würde.

Wenn man die Biologie betrachtet, weist das Virus, wie Sie bereits erwähnt haben, diese Mutation in Aminosäure 501 im Spike-Protein in der Rezeptorbindungsdomäne auf, die wir bereits als eine wirklich wichtige Stelle für die Infektion identifiziert haben.

Forscher haben gezeigt, dass diese Mutation für die Rezeptorbindung entscheidend ist. Das ist die gleiche Mutation, die auch in Südafrika vorkommt. Dies wäre die molekulare Erklärung für die höhere Reproduktionsrate und Viruslast. All diese Dinge greifen ineinander…

… Obwohl wir noch nicht alle biologischen Details dieses Virus kennen, ist es wichtig, jetzt zu handeln, um die Ausbreitung zu stoppen. Das hat die britische Regierung dazu gebracht, die strengen Maßnahmen zu verordnen.

Aber wir warten noch auf die vollständige funktionale Charakterisierung. Wir wollen genau wissen, was los ist. Ich denke, das Interessante an den Varianten aus Südafrika und Großbritannien ist, dass es nicht nur diese eine Mutation ist, also eine Veränderung der Aminosäure 501. Diese Linien weisen im Vergleich zu anderen eine große Anzahl von Veränderungen auf, was wirklich faszinierend ist.

Für deren Entstehung gibt es eine Hypothese, die sehr plausibel ist: Möglicherweise hat sich die Mutante in einem Menschen entwickelt, der immungeschwächt ist. Solche Patienten leiden viel länger an einer chronischen COVID-19-Infektion. Denn sie generieren nur ein partielle Immunantwort. Vielleicht hat sich die Virus-Variante dadurch auf ungewöhnliche Weise unter einem besonderen Selektionsdruck entwickelt. Das ist keineswegs bewiesen, aber es ist eine interessante Theorie.

Topol: Es gab einige Fälle von immungeschwächten Patienten, bei denen SARS-CoV-2 sich rasch veränderte, daher trifft das Ihren Punkt gut.

Die andere Frage, Eddie, ist, dass in den Vereinigten Staaten Rekonvaleszenz-Plasma ohne Evidenz bei Hunderttausenden von Menschen verwendet wird. Könnte das auch zu einer weiteren Evolution des Virus führen?

Holmes: Ich denke, das hängt von dem Anteil der Personen – in Relation zur Gesamtbevölkerung – ab, die mit dieser Therapie behandelt werden. Das ist eine Art Zahlenspiel. Es muss Selektionsdruck bestehen, damit sich das Virus weiterentwickelt. Wenn die meisten Menschen in der Bevölkerung Rekonvaleszenz-Plasma bekommen würden, entstünde ein hoher Selektionsdruck. Falls es nur ein kleiner Teil ist, denke ich nicht, dass es zu einer starken Selektion kommt.

Der Fall der B117-Variante könnte jedoch anders liegen, nämlich dass die Veränderung nur in einem Individuum auftrat. Der Patient hatte eine chronische Corona-Infektion mit einer hohen viralen Replikationsrate. Somit fand die Evolution in einer Person statt. Das ist der Grund, warum es so ungewöhnlich ist.

Wie Sie erwähnten, kennt man von einigen anderen immungeschwächten Patienten mit SARS-CoV-2-Infektion Mutationen, wie man sie auch bei Noro-- und Influenza-Virusinfektionen sieht. Ich habe dies auch bei meiner früheren Forschung beobachtet. Sicherlich eine sehr interessante Theorie.

Diese aktuelle Variante müssen wir auf jeden Fall engmaschig überwachen. Wir müssen mehr über deren biologische Eigenschaften erfahren und beobachten, wie die Impfstoffe damit umgehen. Das ist die Schlüsselfrage.

Ich denke, diese Untersuchungen werden derzeit im Vereinigten Königreich durchgeführt, und ich drücke die Daumen, dass sich herausstellt, dass die Impfstoffe immer noch auf dem neuesten Stand sind. Wenn ja, können wir erleichtert aufatmen, denke ich.

Bedarf an Booster Shots in der Zukunft

Topol: Denken Sie, dass wir, selbst wenn die aktuellen Impfstoffe gut wirken, Booster-Shots mit Impfstoffen in Betracht ziehen müssen, die in den kommenden Jahren an weitere Veränderungen des Virus angepasst werden?

Holmes: Das ist eine gute Frage. Wir müssen über die Evolution in verschiedenen Phasen nachdenken. Während der 1. Phase, im Grunde den größten Teil des Jahres 2020, hatten Sie ein Virus, das sich in Populationen ausgebreitet hat, in denen es keine Immunität gab. Unter diesen Umständen gibt es keinerlei Druck auf die Immunselektion des Virus. Jede Virus-Linie kann überall einen anfälligen Wirt finden, der infiziert werden kann. Das Virus hat es einfach, sich zu verbreiten.

Wenn dann die Immunität in der Bevölkerung steigt, hoffentlich durch Impfung – obwohl einige Länder wie die Vereinigten Staaten und das Vereinigte Königreich sich wirklich bemühen, dies ohne Impfung zu erreichen –, wird dies die Situation verändern.

Sie werden sehen, dass sich das Virus vom jetzigen Typ wegentwickeln wird, da bin ich mir sicher. Im Moment entwickelt es sich etwas langsamer als einige RNA-Viren und vielleicht 3-mal langsamer als das Influenza-Virus. Die Evolutionsrate ist nicht abnormal niedrig, eher durchschnittlich. Aber niedriger als bei der Grippe.

Steigt die Immunität in der Bevölkerung, wird sich das Virus dem Immunsystem nach und nach entziehen. Das wird passieren, als unvermeidliche Folge der natürlichen Selektion, wie sie seit Jahrtausenden abläuft. Wir werden die Impfstoffe dann sehr wahrscheinlich irgendwann aktualisieren müssen. Das kann 2 Jahre dauern, oder auch 5, oder aber vielleicht auch nur ein Jahr. Ich weiß nicht, wie lange.

Für mich ist aber klar, dass der Druck der Immunselektion das Virus auf eine bestimmte Art und Weise vorantreiben wird. Sie werden wahrscheinlich eine direktere Evolution sehen als in der Vergangenheit, da es für das Virus dann schwieriger wird, einen anfälligen Wirt zu finden, weil zu viele Menschen immun gegen SARS-CoV-2 sind. Nur die stärkste Virus-Variante wird es schaffen, und deren „Fitness“ wird von einer bestimmten Antigen-Konfiguration bestimmt?


Die Zunahme der Immunität ändert den Selektionsdruck. Ich denke, die Infektionen werden auch saisonaler verlaufen. Zu Beginn musste das Virus keine saisonale Abhängigkeit aufweisen, da mit relativ großer Sicherheit viele Mensch zu jeder Zeit für jede mögliche Variante anfällig war. Wenn die Immunität steigt, und es in der Bevölkerung immer weniger anfällige Personen gibt, werden die optimalen Bedingungen für die Verbreitung wichtiger. Das Virus ändert sein Verhalten aufgrund der zunehmenden Immunität.

Topol: Dies ist ein zentraler Punkt, den Sie ansprechen. Die Evolution des Virus ist ein Wettlauf mit der Herdenimmunität, die natürlich durch die Vakzine unterstützt wird. Wir können nicht mit einem Ende der Pandemie rechnen, nur weil 80% der Welt geimpft sind. Handelt es sich bei COVID-19 um eine endemische Geschichte, würden Sie das so sagen?

Holmes: Ich würde darauf wetten, dass es sich bei SARS-CoV-2 um ein endemisches Atemwegsvirus handelt. Absolut. Selbst wenn wir das beste Impfstoff-Programm aller Zeiten mit großer Reichweite einführen, werden wir nicht alle parallel impfen können. Das Virus wird schnell genug evolvieren, um sich seine Verbreitung zu sichern und immer wieder anfällige Menschen zu infizieren. Ich denke, es wird endemisch. Absolut.

Topol: Nun, das ist aufregend, nicht wahr? Es ist interessant, mit einem führenden Evolutionsvirologen zu sprechen, weil man eine andere Perspektive bekommt. Damit beschäftigen Sie sich ja schon Ihr ganzes Leben lang, und Sie verstehen wirklich den Kontext dessen, was wir gerade in der Pandemie beobachten.

Holmes: Dazu gehört auch, Vergleiche mit der Evolution von anderen Viren zu ziehen. Ich arbeite an vielen verschiedenen Viren und beobachte ähnliche Muster. SARS-CoV-2 ist vergleichsweise zu anderen nicht besonders mysteriös. Kein magisches Virus. Es hat die typischen Eigenschaften von Atemwegsviren und unterliegt den gleichen Regeln der Epidemiologie und Evolution. Sie funktionieren ziemlich gut.

Ich kann nicht vorhersagen, welche Mutationen in welcher Reihenfolge oder zu welcher Zeit auftreten werden, aber ich denke, ich kann ziemlich sicher vorhersagen, dass sie sich entwickeln und der Immunität des Menschen entkommen werden, wie es auch sonst immer bei Viren der Fall ist. Ich denke, das ist eine ziemlich sichere Vorhersage.

Topol: Würden Sie sagen, wir hatten Glück, dass das Spike-Protein uns die Möglichkeit geboten hat, einen wirksamen Impfstoff zu entwickeln? Hätten Sie zum Beispiel die 95-prozentige Wirksamkeit von Impfstoffen vorhergesagt?

Holmes: Nein. Ich war optimistisch, dass wir einen Impfstoff bekommen würden. Ich dachte mehr an 60, vielleicht 70 Prozent Wirksamkeit – im Optimalfall. Sicher nicht 95 Prozent, was absolut spektakulär ist. Und sogar mehrere Impfstoffe erreichen diesen Wert. Vor einigen Monaten habe ich mit dem Wellcome Trust ein kleines Gedankenspiel unternommen, um herauszufinden, wie die Zukunft in 5 bis 10 Jahren aussehen könnte – im Hinblick auf Impfungen, Immunität und Virostatika.

Unser Best-Case-Szenario als Zukunftsperspektive war ein Impfstoff mit dieser hohen Wirksamkeit. Unser mittleres, wahrscheinlichstes Szenario war viel schlechter. Ich denke, mit den Impfungen haben wir eine sehr gute Ausgangsposition erlangt, in unglaublich hoher Geschwindigkeit. Die Forscher haben hier einen hervorragenden Job gemacht.

Das Interview wurde von Michael van den Heuvel aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.

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Donnerstag, 7. Januar 2021
Weiterer Impfstoff in der EU zugelassen; Wissenschaftler befürworten verzögerte 2. Impfung; Studie mit neuem Medikament
Michael van den Heuvel, Sonja Boehm, Dr. Thomas Kron

Lockdown mindestens bis Ende Januar

Weitere Zulassung eines SARS-CoV-2-Impfstoffs in der EU

Wissenschaftler befürworten Strategie mit verzögerter 2. Impfung

Erschweren neue SARS-CoV-2-Mutationen die Pandemie-Bekämpfung?

COVID-19-Therapie mit neuem Wirkstoff: Phase-2-Studie beginnt

Innerhalb der letzten 24 Stunden haben sich 26.391 Menschen mit SARS-CoV-2 infiziert und 1.070 sind aufgrund von COVID-19 gestorben, berichtet das RKI. Die 7-Tage-Inzidenz liegt mittlerweile bei 121,8 Fällen pro 100.000 Einwohner (Stand 7. Januar 2021, 07:00 Uhr).

Lockdown mindestens bis Ende Januar
Auf die hohen Zahlen haben Vertreter von Bund und Ländern reagiert. Alle bisherigen Regeln zur Pandemie-Bekämpfung gelten mindestens bis 31. Januar weiter. Restaurants, Kultur- und Freizeit-Einrichtungen bleiben zu. Betriebskantinen sollen soweit möglich ebenfalls geschlossen werden. Und private Zusammenkünfte werden auf eine weitere nicht im Haushalt lebende Person eingeschränkt – ohne Sonderregelungen für Kinder. Davor durften sich bis zu 5 Personen aus 2 Haushalten treffen, mit Ausnahmen für Kinder und Jugendliche unter 14 Jahren. Schulen und Kitas schränken ihren Betrieb wie bisher ein oder öffnen nach den Ferien erst einmal nicht.

Bei einer 7-Tages-Inzidenz von mehr als 200 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner ist vorgesehen, den Bewegungsradius auf 15 Kilometer um den jeweiligen Wohnort einzuschränken. Welche triftigen Gründe als Ausnahmen gelten, ist noch unklar. Arztbesuche oder Wege zur Arbeit will Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) generell ermöglichen. Wie es weitergeht, werden Politiker am 25. Januar beratschlagen.

Auch der schleppende Start der Impfungen war Thema des Gesprächs. Noch im Januar sollen Risikogruppen weitere Angebote für Impfungen erhalten. Merkel und ihre Kollegen der Länder wollen zudem versuchen, in Absprache mit Herstellern die Produktionskapazitäten auszuweiten. Details sind noch unbekannt. Zusätzliche Kapazitäten kommen von Moderna, dessen Impfstoff eine EU-Zulassungsempfehlung erhalten hat.

Weitere Zulassung eines SARS-CoV-2-Impfstoffs in der EU
Die Europäische Arzneimittelagentur EMA hat am gestrigen 6. Dezember 2021 empfohlen, eine bedingte Genehmigung für den Impfstoff mRNA-1273 von Moderna auszusprechen, und zwar für Personen ab 18 Jahren.

„Dieser Impfstoff bietet uns ein weiteres Instrument zur Überwindung des aktuellen Notfalls“, so Emer Cooke, Executive Director der EMA. „Wie bei allen Zulassungen werden wir die Daten zur Sicherheit und Wirksamkeit des Impfstoffs weiterhin überwachen, um einen kontinuierlichen Schutz der EU-Öffentlichkeit zu gewährleisten.“

Grundlage der Bewertung ist eine randomisierte, verblindete, klinische Studie mit rund 30.000 Probanden. Die Hälfte erhielt den Impfstoff und die Hälfte Scheininjektionen. Die Wirksamkeit wurde bei rund 28.000 Personen im Alter von 18 bis 94 Jahren berechnet, die keine Anzeichen einer früheren Infektion hatten.

Die Studie zeigte eine Verringerung der Anzahl symptomatischer COVID-19-Fälle bei Personen, die den Impfstoff erhielten, um 94,1% (11 Erkrankungen unter 14.134 Personen). In der Kontrollgruppe waren es 185 Erkrankungsfälle unter 14.073 Personen. Bei Teilnehmern mit einem Risiko für schweres COVID-19, einschließlich Patienten mit chronischen Lungenerkrankungen, Herzerkrankungen, starkem Übergewicht, Lebererkrankungen, Diabetes oder HIV-Infektionen, betrug die Wirksamkeit 90,9%.

Die Geimpften erhielten im Abstand von 28 Tagen je 1 Dosis. Die meisten Nebenwirkungen waren leicht oder mäßig und besserten sich innerhalb weniger Tage nach der Impfung. Dazu zählten Schmerzen und Schwellungen an der Injektionsstelle, Müdigkeit, Schüttelfrost, Fieber, geschwollene oder empfindliche Lymphknoten unter dem Arm, Kopfschmerzen, Muskel- und Gelenkschmerzen, Übelkeit und Erbrechen.

Wissenschaftler befürworten Strategie mit verzögerter 2. Impfung
Trotz der neuen Zulassung wird es in den nächsten Monaten zu geringe Mengen für alle Impfwilligen geben. Großbritannien plant deshalb, möglichst vielen Menschen die 1. Impfung zu geben und die 2. Dosis zeitlich stark verzögert zu applizieren (Medscape hat hier im Blog berichtet).

Zu dieser Strategie sind in den Annals of Internal Medicine 3 Beiträge erschienen. Dr. Ashleigh R. Tuite von der University of Toronto und Kollegen haben versucht, den Effekt alternativer Strategien der Dosisverteilung mathematisch zu simulieren.

Bei der festen Strategie soll die 2. Impfung innerhalb von 3 Wochen verabreicht werden. Eine hypothetische flexible Strategie sieht vor, bei 10% aller Personen die 2. Dosis innerhalb von 3 Wochen und bei 90% innerhalb von 6 Wochen nach der 1. Impfung zu verabreichen. Damit bekämen in kürzerer Zeit mehr Bürger die 1. Dosis.

Als Wirksamkeit nennen die Autoren für die Biontech-Vakzine 52,4% nach der 1. und 94,8% nach der 2. Dosis. Durch die flexible Strategie ließen sich laut Simulation zusätzlich 23% bis 29% aller COVID-19-Fälle vermeiden, vorausgesetzt, die Liefermenge bleibt konstant.

Ein Team um Dr. A. David Paltiel, Yale School of Public Health, New Haven, ging der Frage nach, wie die beiden Parameter Wirksamkeit eines Impfstoffs und Geschwindigkeit von Impfkampagnen die Erfolge beeinflussen. Ihr Ergebnis: Einzeldosis-Impfungen mit einer Wirksamkeit von 55% bringen einen größeren Nutzen für die Bevölkerung als ein Impfstoff mit der Wirksamkeit von 95% bei 2 Dosen. Diese Zahlen basieren ebenfalls auf der Wirksamkeit der Vakzine von Biontech.

Der 3. Artikel, ein Meinungsbeitrag, wurde von Dr. Ruanne V. Barnabas, University of Washington, und Kollegen veröffentlicht. Die Autoren sprechen sich trotz der geringeren Wirksamkeit für Einzelimpfungen aus – und zwar aus 4 Gründen:

Ein höherer Anteil der Bevölkerung wird geschützt.

Die größere Zahl an Impfungen wird als gerechter empfunden.

Es treten weniger Nebenwirkungen auf.

Die Pandemie könnte schneller bekämpft werden als bei der Gabe von 2 Dosen.

Wie bewerten deutsche Experten die Sachlage? „In der aktuellen Diskussion um die SARS-CoV-2-Impfstrategie möchte die Deutsche Gesellschaft für Immunologie darauf hinweisen, dass bereits die 1. Impfung ab Tag 14 einen beträchtlichen Schutz vor schweren Krankheitsverläufen bieten kann“, heißt es in einer Pressemeldung. „Auf eine 2. Impfung darf nicht verzichtet werden, sie kann aber auch später als an Tag 21 (BNT162b2; Biontech/Pfizer) bzw. Tag 28 (mRNA-1273; Moderna) erfolgen.

Immunologen fordern jetzt weitere Studiendaten. Laut dpa halten es allerdings Berater der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nur im Ausnahmefall für vertretbar, die 2. Dosis der Biontech-Vakzine bis zu 6 Wochen nach der 1. Impfung zu verabreichen.

Erschweren neue SARS-CoV-2-Mutationen die Pandemie-Bekämpfung?
Viel Kopfzerbrechen bereiten Epidemiologen auch die neuen SARS-CoV-2-Varianten VOC 2020/12/01 (B.1.1.7) aus Großbritannien und 501.V2 aus Südafrika (Medscape hat hier ebenfalls im Blog berichtet).

„Wir befinden uns in der winterlichen Blütezeit respiratorischer Erkrankungen und nun sattelt noch diese Variante drauf“, kommentiert Prof. Dr. Friedemann Weber vom Institut für Virologie der Universität Gießen. Bisher wurde die neue Variante B.1.1.7 kaum in Deutschland nachgewiesen, doch Weber vermutet, weil bei uns kaum auf Varianten getestet wird: „Die Dunkelziffer dürfte hoch sein.“ Nach jetzigem Stand führt die Variante nicht zu schwereren Verläufen, hat aber einen um 0,4 bis 0,7 höheren R-Wert – und breitet sich damit sehr viel schneller aus.

Das hat Folgen: Großbritannien befindet sich in einem verschärften Lockdown, und Premierminister Boris Johnson hat alle Bürger aufgefordert, zu Hause zu bleiben. Die Zahl an stationären COVID-19-Patienten ist in der letzten Woche um ein Drittel auf fast 27.000 gestiegen. Das sind 40% mehr als beim Höchststand im April 2020. Und am 29. Dezember wurden mehr als 80.000 Menschen positiv auf SARS-CoV-2 getestet, ein neuer Rekord. Die Zahl der Todesfälle ist um 20% gestiegen, verglichen mit der Woche davor.

„Wir müssen besser bei den Maßnahmen werden, um das Virus zu kontrollieren. Falls nicht, werden wir mehr Corona-Fälle sehen“, befürchtet Dr. Adam Lauring, Forscher an der University of Michigan.


Bleibt als Frage, ob Europa durch Lockerungen im Sommer eine Chance verpasst hat. „Die Entstehung solcher Varianten resultiert daraus, dass so viel Virus unterwegs ist“, erklärt Weber. „Mutanten werden immer eher aus Ländern mit hohen Fallzahlen kommen.“ Er weist in dem Zusammenhang darauf hin, wie wichtig Impfungen sind. Experten rechnen in Kürze mit Daten zur Wirksamkeit von Vakzinen bei neuen Varianten.

COVID-19-Therapie mit neuem Wirkstoff: Phase-2-Studie beginnt
Zwar stehen derzeit vor allem Impfstoffe im Rampenlicht der Öffentlichkeit. Dennoch untersuchen Forscher neue Wirkstoffe auf ihr therapeutisches Potenzial bei COVID-19. Atriva Therapeutics hat jetzt vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) grünes Licht für eine randomisierte, Placebo-kontrollierte Phase-2-Studie bekommen.

Ziel von RESPIRE ist, die Wirksamkeit, Sicherheit und Pharmakokinetik von ATR-002 bei Patienten mit mittelschwerem bis schwerem COVID-19, aber ohne Beatmung zu untersuchen. Beim Molekül handelt es sich um eine niedermolekulare Verbindung in oraler Galenik. Sie hemmt MEK, einen Faktor in der menschlichen Wirtszelle, der für die Replikation diverser RNA-Viren erforderlich ist. Zusätzlich hat ATR-002 immunmodulatorische Effekte, die zu einer verminderten Zytokin- bzw. Chemokin-Freisetzung führt – und möglicherweise einen Zytokin-Sturm verhindert.

An der der Charité – Universitätsmedizin Berlin und an weiteren Studienzentren sollen jetzt 220 Patienten rekrutiert werden. Primärer Endpunkt der Studie ist der Nachweis der Wirksamkeit von ATR-002 versus Standardbehandlung plus Placebo. Die sekundären Endpunkte umfassen verschiedene klinische Vitalparameter und Scores. Alle Patienten werden 90 Tage lang nachbeobachtet.

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Montag, 4. Januar 2021
Verlängerung des harten Lockdowns recht wahrscheinlich
Die Infektionszahlen seien „weiter besorgniserregend hoch“, und die Auswirkungen der Feiertage seien noch unklar, so Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU). Heute beraten alle Kultusminister der Länder über das weitere Vorgehen.

Es gilt als wahrscheinlich, dass es bei Schulen noch keine Rückkehr zum Regelbetrieb geben wird. „Wir müssen volle Klassen bei diesem hohen Infektionsgeschehen vermeiden“, so Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbands. Er plädiert bei Grundschülern für Wechselunterricht mit Abstandsregelungen und für Distanzunterricht bei höheren Jahrgängen.

Am kommenden Dienstag tauscht sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Ministerpräsidenten der Länder aus. Im Vorfeld zeichnet sich bereits ab, dass der harte Lockdown verlängert wird. Zunächst sollten alle Einschränkungen nur bis zum 10. Januar gelten.

Nun bestätigt auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU): Im Zweifel solle der Lockdown länger gehen, damit er nachhaltiger wirkt. „Gerade die hohe Zahl der Patienten auf den Intensivstationen zeigt, dass es eine Überlastung des Gesundheitswesens weiterhin unbedingt zu vermeiden gilt“, so der Minister.

Spahn zu Mitarbeitern im Gesundheitswesen: „Gebot der Vernunft, sich impfen zu lassen“
Spahn forderte am Wochenende auch alle Ärzte und Pflegekräfte auf, sich impfen zu lassen: „Es ist ein Gebot der Vernunft und der Solidarität, dass diejenigen, die im Gesundheitswesen arbeiten, sich ebenfalls impfen lassen, zu ihrem eigenen Schutz und dem Schutz der ihnen anvertrauten Patienten“, erklärte Spahn. Er reagierte damit auf Umfragen, nach denen Impfskepsis gegen die neuen Corona-Impfstoffe bei Mitarbeitern im Gesundheitswesen verbreitet ist.

Spahn sagte, er setze dabei auf gute Argumente. Einen Impfzwang schließt er aus. Das wäre laut Dr. Johanna Wenckebach vom Hugo-Sinzheimer-Instituts für Arbeits- und Sozialrecht (HSI) juristisch ohnehin nicht möglich: „Der mit einer Impfung verbundene Eingriff in die körperliche Unversehrtheit der Beschäftigten ist dafür zu schwerwiegend.“

Verzögerte Impfung – eine Strategie bei knappen Ressourcen?
Aber selbst Impfwillige haben es schwer, denn noch gibt es zu wenige Impfstoffdosen. Von den Publikumsmedien wird zum Teil ein „Impfstoff-Desaster“ durch die Politik bemängelt. In Großbritannien ist neben dem BioNTech-Impfstoff inzwischen, wie berichtet, auch eine Vakzine von AstraZeneca und von der Universität Oxford zugelassen. Dort gilt die Empfehlung, zunächst möglichst vielen Menschen die 1. Impfdosis zu verabreichen, die schon einen gewissen Schutz bietet, und die 2. Dosis dann zeitverzögert zu applizieren.

Einige deutsche Experten sehen dies als gangbaren Weg auch bei uns. „Angesichts der aktuellen Impfstoffknappheit und der sehr hohen Infektions- und Hospitalisierungszahlen halte ich … eine Strategie, bei der möglichst viele Menschen frühzeitig geimpft werden, für effektiver, also ohne Impfstoffdosen für die 2. Impfung zurückzuhalten“, erklärt auch Prof. Dr. Leif-Erik Sander von der Charité – Universitätsmedizin Berlin.

Und weiter: „Die Inkaufnahme eines eventuell verlängerten Intervalls bis zur 2. Impfung ist zumindest für die mRNA-Impfstoffe – von BioNTech/Pfizer und Moderna – aus meiner Sicht unbedenklich, da die Impfungen in den Studien schon etwa 10 Tage nach der 1. Injektion einen sehr hohen Schutz gegen COVID-19 zeigten.“ Seiner Meinung nach könne man die Booster-Impfung problemlos etwas verzögern.

Doch es gibt auch andere Stimmen: „Wir sind an die Zulassungsvorgabe gebunden, und die sieht vor, dass die 2. Dosis nach 3 Wochen erfolgt“, gibt Prof. Dr. Peter Kremsner von der Eberhard Karls Universität Tübingen zu bedenken. Doch auch er sagt: „Grundsätzlich ist der britische Ansatz sehr sinnvoll. Wie bei anderen Impfungen kann man die 2. Dosis wahrscheinlich gut auch nach 2 bis 3 Monaten geben, da schon die 1. Dosis scheinbar eine hohe Wirksamkeit erzielt.“ Wie der Spiegel berichtet, will Gesundheitsminister Spahn nun prüfen lassen, ob diese Strategie auch in Deutschland möglich ist.

Neue SARS-CoV-2-Variante: Was Forscher bislang wissen
Immer mehr Bedenken kommen auch auf, was die neuen Varianten des Coronavirus VOC 2020/12/01 (B.1.1.7) aus Großbritannien und 501.V2 aus Südafrika betrifft. Beide Mutationen sind mittlerweile noch in einigen anderen Ländern (auch in Deutschland) nachgewiesen worden.

Doch sprechen beide Varianten wohl auf die entwickelten Impfstoffe an – auch wenn sie wohl deutlich ansteckender geworden sind: „Selbst wenn eine Mutation vorhanden ist, verhindert dies nicht die Erkennung durch das Immunsystem“, sagt Prof. Dr. Richard Neher vom Biozentrum der Universität Basel. Einzelne Mutationen reichten nicht aus, um der komplexen Immunantwort zu entgehen. Prof. Dr. Thomas Mertens, Vorsitzender der Ständigen Impfkommission, hofft, dass es bereits Anfang Januar explizite Daten dazu geben wird, inwieweit der BioNTech-Impfstoff auch gegen neue Varianten von SARS-CoV-2 schützt.

Relativ klar scheint zu sein, dass die mutierten Erreger höhere virulent sind. Auf Twitter veröffentlichte Prof. Dr. Nick Davies von der London School of Hygiene & Tropical Medicine erste Analysen. Demnach ist die britische Variante um mindestens 50% ansteckender, verglichen mit derzeit zirkulierenden Viren.

Und laut Einschätzungen des Imperial College London beträgt der Unterschied beim R-Wert immerhin 0,4 bis 0,7. Derzeit liegt die Reproduktionszahl in UK zwischen 1,4 und 1,8. Was den klinischen Verlauf angeht, hat die Mutation wohl keine Auswirkung. Die Gesundheitsbehörde Public Health England hat derzeit keine Hinweise, dass VOC 2020/12/01 zu einem schwereren klinischen Verlauf führt. Zu 501.V2 gibt es kaum Details.

Hypertonie eigenständiger Risikofaktor für schweres COVID-19
Bei welchen Personen die momentan zirkulierenden Varianten schweres COVID-19 auslösen, ist immer noch ein Thema in der Forschung. Wissenschaftler der Charité - Universitätsmedizin Berlin fanden jetzt heraus, dass die arterielle Hypertonie ein eigenständiger Risikofaktor ist – und es sich nicht, wie vermutet, nur um einen Effekt des höheren Alters handelt.

In ihre Analyse nahmen die Autoren klinische Daten von 144 Patienten mit COVID-19 auf. Hinzu kamen nasopharyngale Abstriche von insgesamt 48 Personen mit und ohne COVID-19. Dabei zeigten sich in Immunzellen von Personen mit COVID-19 und arterieller Hypertonie stärkere entzündliche Reaktionen als in Zellen von Patienten ohne Bluthochdruck. Klinisch war eine arterielle Hypertonie mit einer langsameren viralen Clearance und einer höheren Anfälligkeit für schwere Atemwegsinfektionen assoziiert.

Erhielten die Bluthochdruck-Patienten jedoch ACE-Hemmer und sprachen darauf an, ließ sich dadurch das Risiko für schwere COVID-19-Erkrankungen fast auf den Wert von Patienten ohne Bluthochdruck senken. Angiotensin-Rezeptor-Blocker (ARB) zeigten schwächere Effekte und beeinflussten vor allem die virale Clearance nicht.

Die Studie zeige den positiven Effekt einer medikamentöse Blutdrucktherapie, kommentiert Prof. Dr. Ulrich Wenzel vom UKE Hamburg. „Das unterstreicht, wie wichtig es ist, Bluthochdruck in den Griff zu bekommen.“ Wenzel und seine Kollegen bewerten dementsprechend während der SARS-CoV-2-Pandemie ACE-Hemmer als bessere Blutdrucktherapie, falls es individuell keine Kontraindikationen gibt.

Update 30. Dezember 2020
Mehr als 60.000 Bundesbürger bereits geimpft

Wieler: AHA-L-Regeln bleiben nach wie vor sehr wichtig

Chichutek: Nutzen überwiegt Risiken weit – jüngere Erwachsene etwas heftigere Nebenwirkungen

UK lässt Oxford/AstraZeneca-Vakzine zu, EMA-Zulassung im Januar „unwahrscheinlich“

In Großbritannien sollen möglichst viele zunächst die 1. Dosis erhalten

Studie: Re-Infektionsrisiko gering – unter 1.177 Seropositiven nur 2 Re-Infektionen

Das RKI meldet am 30. Dezember 2020 mit 1.129 einen neuen Höchstwert an Todesfällen im Zusammenhang mit COVID-19 und bundesweit 22.459 Neuinfektionen. Die Zahlen hat Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in Berlin in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Prof. Dr. Lothar Wieler, dem Chef des RKI, und Prof. Dr. Klaus Chichutek, dem Präsidenten des Paul-Ehrlich-Instituts, vorgestellt. Erstmals ist damit die Marke von 1.000 täglichen Sterbefällen an COVID-19 überschritten worden.


Mehr als 60.000 Bundesbürger bereits geimpft
„Diese Zahlen belegen, wie brutal dieses Virus immer noch zuschlägt“, sagte Spahn. „Die Zahlen zeigen auch, dass wir von einer Normalität noch sehr weit entfernt sind. Ich sehe daher nicht, wie wir in den Modus vor dem Lockdown zurückkehren können.“ Er bezeichnete den Impfstart als „gelungen“ – „Die größte Impfkampagne unserer Geschichte ist erfolgreich angelaufen“ – auch wenn es hier und da noch „ruckelt“. Mehr als 60.000 Bundesbürger seien bereits geimpft worden.

Es handle sich um einen „nationalen Kraftakt“. Spahn erwartet die Zulassung des 2. Impfstoffes, der mRNA-Vakzine des Unternehmens Moderna, für Anfang Januar. Dann erwarte er 1,5 bis 2 Millionen Impfstoffdosen zusätzlich. Der Impfstoff sei überall derzeit „knapp“; er bat um Geduld, bis sich die Situation in den kommenden Monaten entzerrt habe. Biontech werde demnächst eine weitere Betriebsstätte bei Marburg in Betrieb nehmen.

Wieler: AHA-L-Regeln bleiben nach wie vor sehr wichtig
RKI-Chef Wieler räumte ein, der Höchstwert bei den Sterbefällen am heutigen Tag sei möglicherweise auch durch verzögerte Meldungen über die Feiertage bedingt. Er mahnte nochmals die Bevölkerung, sich an die AHA-L-Regeln zu halten – und bei Anzeichen einer Erkältung mindestens 5 Tage zu Hause zu bleiben. Das Virus sei nach wie vor in Deutschland in allen Alters- und Risikopopulationen verbreitet – „auch junge Menschen können schwer erkranken“.

Immer mehr Kliniken seien an den Kapazitätsgrenzen. 5.600 Menschen würden derzeit in Deutschland intensivmedizinisch behandelt – auch dies sei ein neuer Höchststand. Die derzeitigen gemeldeten Infektionszahlen unterschätzten wahrscheinlich die tatsächliche Verbreitung, da über die Feiertage weniger getestet werde und einige Gesundheitsämter keine Fälle weiter meldeten.

Chichutek: Nutzen überwiegt Risiken weit – jüngere Erwachsene etwas heftigere Nebenwirkungen
PEI-Präsident Chichutek betonte, der Impfstoff zeige eine „ganz hervorragende Wirkung“ darin, COVID-19-Erkrankungen zu verhindern und sei dabei „sicher“. Er sei „gut verträglich“, der Nutzen überwiege die Risiken weit. Auch wenn es Einzelberichte zu anaphylaktischen Reaktionen auf den Impfstoff gebe, bestehe doch im Allgemeinen kein größeres Problem für Allergiker.

Chichutek verwies darauf, dass bereits nach der ersten Impfdosis ein „partieller“ Impfschutz bestehe, der komplette Schutz von 95% laut Studiendaten bestehe dann 2 Wochen nach der 2. Impfung.

Als Nebenwirkungen nannte er typische Impfreaktionen wie Druckschmerz, Kopfschmerzen, Unwohlsein, Muskel- und Gliederschmerzen, zum Teil auch Fieber. Diese seien in der Regel moderat und vorübergehend – sie fielen bei jüngeren Erwachsenen, die oft stärker reagieren, zum Teil etwas heftiger aus als bei den alljährlichen Influenza-Impfungen.

UK lässt Oxford/AstraZeneca-Vakzine zu, EMA-Zulassung im Januar „unwahrscheinlich“
Als 1. Regulierungsbehörde weltweit hat die britische MHRA den gemeinsam von der Universität Oxford und AstraZeneca entwickelten COVID-19-Impfstoff zugelassen. Die Impfungen damit sollen am 4. Januar beginnen. Damit ist in Großbritannien nun neben der mRNA-Vakzine von Pfizer/Biontech ein 2. alternativer Impfstoff verfügbar. Die Oxford/AstraZeneca-Vakzine nutzt Schimpansen-Adenovirus-Vektoren.


Prof. Dr. Andrew Pollard, Direktor der Oxford Vaccine Group, sagte: „Die Einschätzung der (britischen) Aufsichtsbehörde, dass dies ein sicherer und wirksamer Impfstoff ist, ist ein Meilenstein und eine Bestätigung der enormen Anstrengungen.“ Dies sehen andere Zulassungsbehörden jedoch anders: Wie Reuters berichtet, hält die EMA eine EU-Zulassung des AstraZeneca-Impfstoffes noch im Januar für „unwahrscheinlich“. Das Unternehmen habe bei der EMA die Zulassung noch nicht beantragt.

In Großbritannien sollen möglichst viele zunächst die 1. Dosis erhalten
In UK hat der Gemeinsame Ausschuss für Impfung und Immunisierung (JCVI) angekündigt, bei beiden nun verfügbaren Impfstoffen zunächst die Verabreichung der 1. Dosis zu priorisieren. Aufgrund der „vorliegenden Evidenz“ hält es der JCVI für besser, zunächst an möglichst viele Personen in den Risikogruppen die 1. Dosis zu verabreichen, anstatt die erforderlichen 2 Dosen in so kurzer Zeit wie möglich bereitzustellen. Es heißt jedoch: „Jeder erhält weiterhin seine zweite Dosis und dies innerhalb von 12 Wochen nach der ersten.“ Die 2. Dosis sei vor allem „wichtig für einen längerfristigen Schutz“.

Die Ergebnisse der Phase-3-Studie mit der Vakzine waren am 8. Dezember im Lancet veröffentlicht worden. Sie hatten für einige Irritationen gesorgt: Gepoolt hatte der Oxford-Impfstoff ChAdOx1 nCoV-19, auch bekannt als AZD1222, einen 70,4%igen Schutz gegen SARS-CoV-2 gezeigt.

Gepoolt worden waren dabei die Daten aus 2 Gruppen: Bei Teilnehmern, die wie geplant 2 Standarddosen erhalten hatten, betrug die Wirksamkeit gegen COVID-19 nur 62,1%; dagegen lag sie bei Teilnehmern, die (wohl irrtümlich) eine 1. niedrigere Dosis gefolgt von der Standarddosis erhalten hatten, bei 90,0%. Welches Dosierungsschema nun für die Impfungen ab dem 4. Januar empfohlen wird, will die MHRA erst später bekannt geben.

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Montag, 28. Dezember 2020
Von selbstgenäht bis High-Tech-Elektronik – wie gut ist Ihre Maske?
Während Multifunktionstücher, Schals und einfache Stoffmasken nur einen geringen Effekt haben, sind Stoffmasken mit mehreren Schichten bereits recht effektiv und chirurgische Masken bereits hochwirksam. Studien legen nahe, dass Masketragen insgesamt sogar effektiver ist als ein Lockdown.

https://www.nature.com/articles/s41591-020-0843-2#Sec2


FFP2- Masken und KN 95 - Masken filtern wie der Name sagt 95 Prozent der eingeatmeten Partikel. Nanofilter- und Nanosilbermasken versprechen laut Herstellerangaben sogar noch mehr, da Nanofasern so feinmaschig sind dass sie Viren nicht mehr hindurchlassen, zumindest Viren in der Größe von CV2. Allerdings gibt es Befürchtungen, dass Nanosilberpartikel aus der Maske in die Atemwege gelangen und dort selber Gesundheitsschäden verursachen könnten. Hierbei muss zwischen drei Maskentypen unterschieden werden: Nanofiltermasken aus Nanofasergewebe, Nanosilbermasken aus Mikrofasern mit Nanosilber- oder Silbernitratbedampfung und Nanosilberfiltermasken aus einem Nanosilbergewebe mit Stoffschichten darüber und darunter.



Diese Masken gelten nicht bei uns als Medizinprodukte, da sie in Europa bisher nicht getestet und zertifiziert wurden, wohl aber in Südkorea, wo die Technologie herkommt.


FFP2- und 3-Masken mit Ausatemventil schützen nur den Träger.

Inzwischen sind auch noch Masken mit einer aktiven elektrischen Ladung auf dem Markt, deren Effektivität im oberen Bereich liegen dürfte.

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Mit viel grünem Tee und Wasserlinsen-Shake: „Grüne” Mittelmeerkost in Studie kardiovaskulär besonders wirksam
Antje Sieb, Medscape


Eine Mittelmeerdiät mit weniger Fleisch, aber mit täglichem Wasserlinsen-Shake und mit viel grünem Tee, kann einige Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei übergewichtigen Männern möglicherweise stärker verringern als übliche mediterrane Diäten [1]. Das schreiben Wissenschaftler um Dr. Gal Tsaban von der Ben-Gurion University of the Negev, Israel, nach Auswertung der randomisierte DIRECT-PLUS-Studie.

Man hat in der Studiengruppe viele verschieden Veränderungen in der Ernährungsqualität, man kann das nicht auf ein Element zurückführen, das lässt das Studiendesign nicht zu. Dr. Stefan Kabisch
Man könne daraus nicht ableiten, dass Wasserlinsen ein neues Superfood darstellten, meint Dr. Stefan Kabisch vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIfE) in Potsdam-Rehbrücke: „Man hat in der Studiengruppe viele verschieden Veränderungen in der Ernährungsqualität, man kann das nicht auf ein Element zurückführen, das lässt das Studiendesign nicht zu.”

Studie mit rund 300 Teilnehmern
Zu den Details: Die Wissenschaftler hatten ihre knapp 300 Teilnehmer, die durchschnittlich um die 50 Jahre alt waren, in 3 Gruppen eingeteilt. Sie sollten sich 6 Monate lang nach unterschiedlichen Regeln ernähren und zusätzlich Sport treiben.

Eine Gruppe, die sogenannte HDG-Gruppe (healthy diet guidance), bekam nur Tipps zur gesunden Ernährung.

Die beiden Mittelmeerkost-Gruppen mussten ein tägliches Kalorien-Limit einhalten. Sie erhielten spezielle Mahlzeiten und Rezepte nach Regeln der Mittelmeerdiät und zusätzlich täglich Walnüsse.

Die Gruppe mit „grüner” Mittelmeerkost hatte zusätzlich die Anweisung, mehrere Tassen grünen Tee am Tag zu trinken und ihren Fleischverzehr noch stärker zu reduzieren. Als Ausgleich erhielten Teilnehmer proteinreiche Shakes aus Wasserlinsen (Wolffia globosa).

Ursache der Gesundheitsvorteile unklar
Nach 6 Monaten zeigten sich deutliche Unterschiede beim Gewichtverlust. Während Teilnehmer der HDG-Gruppe ohne Kalorieneinschränkung im Schnitt 1,5 kg abgenommen hatten, waren es in der Mittelmeerkost-Gruppe 5,4 kg und in der Gruppe mit grüner Mittelmeerdiät 6,2 kg. Auch die Reduktion des Bauchumfangs war in beiden Mittelmeerkost-Gruppen mit 8,6 und 6,8 cm jeweils größer als in der HDG-Gruppe, deren Mitglieder im Schnitt nur 4,1 cm verloren.

Blutdruck und Blutwerte wie LDL, Nüchtern-Insulin oder C-reaktives Protein stellten sich besonders in der „grünen” Gruppe nach 6 Monaten signifikant vorteilhafter dar als in der HDG-Gruppe. Die Unterschiede zwischen der „grünen” und der normalen Mittelmeerkostgruppe waren allerdings nur in wenigen Punkten signifikant.

Was genau die Verbesserung bewirkt hat, ist allerdings schwierig zu sagen, da sich die Teilnehmer in der „grünen” Mittelmeerkostgruppe einerseits in mehreren Aspekten anders ernährt, aber auch mehr Gewicht verloren hatten. „Wenn ich einerseits die Qualität und andererseits die Quantität der Ernährung ändere, dann kann das dazu führen, dass ich eine Gewichtsreduktion habe, die alle anderen Effekte stark überstrahlt“, erläutert Kabitsch.

Wenn ich einerseits die Qualität und andererseits die Quantität der Ernährung ändere, dann kann das dazu führen, dass ich eine Gewichtsreduktion habe, die alle anderen Effekte stark überstrahlt. Dr. Stefan Kabisch

Zusätzlich zu Wasserlinsenshakes und grünem Tee hatte die „grüne” Mittelmeergruppe im Laufe der 6 Studienmonate auch mehr Fisch und weniger Fleisch gegessen. Ihre Ernährung hatte sich also in diversen Punkten verändert.

Studie unter besonderen Bedingungen
Ungewöhnlich an der Studie ist das Setting, in der sie stattfindet: Wissenschaftler hatten Angestellte eines Kernforschungszentrums in der Negev-Wüste rekrutiert. Die isolierte Lage der Einrichtung habe Vorteile, erklärt Prof. Dr. Matthias Blüher von der Universität Leipzig, der ebenfalls an der Studie beteiligt war. „Die Teilnehmer wurden zwar nicht kontrolliert ernährt, aber man konnte besser überprüfen, was tatsächlich gegessen wurde.”

Ein Teil der Mahlzeiten für die Mittelmeerkost-Gruppen wurde komplett zur Verfügung gestellt. Doch dieses Vorgehen habe auch einen Nachteil, erklärt Kabisch. Denn es handele sich um ein „künstliches Design“ das sich auf „frei lebende“ Menschen nicht so gut übertragen lasse.

Die Rekrutierung von Probanden im Kernforschungszentrum erklärt auch ein weiteres Detail. Während bei Ernährungsstudien oft Frauen in der Überzahl sind, nahmen an der vorliegenden Studie zu 88% Männer teil, weil sie an diesem Arbeitsplatz deutlich stärker vertreten waren. Die Ergebnisse ließen sich daher auch nicht unbedingt auf Frauen übertragen, schreiben die Autoren.

Sie vermuten für Männer allerdings, dass eine Mittelmeerkost mit Fleischreduktion und dafür mehr pflanzlichem Protein kardiovaskuläre Risikofaktoren zusätzlich verbessern könnte. Kabisch ist allerdings skeptisch, ob die Studie diese Schlüsse tatsächlich zulässt. Es sei z. B. unklar, welche Ergebnisse auf einzelne Ernährungsfaktoren und welche auf den erreichten Gewichtsverlust zurückzuführen seien.

Interessant könne in diesem Zusammenhang eine Weiterbeobachtung der Teilnehmer sein, sagt der Berliner Wissenschaftler: „Dann wird es spannend, bei welchem Gewicht landen die Teilnehmer am Ende der Beobachtungsphase, und gibt es dann noch Unterschiede im Stoffwechsel.” Da die DIRECT-PLUS Studie insgesamt über eine Laufzeit von 18 Monaten geplant ist, könnte sie diese Fragen möglicherweise beantworten.

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Dienstag, 22. Dezember 2020
Scientific Community richtet Appell an die Politik zur Corona-Eindämmung
https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/id_89149358/appell-mit-drosten-und-wieler-hunderte-wissenschaftler-liefern-politik-plan-aus-der-corona-krise.html?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE



Die Einstellung der normalen Produktion, ein Lockdown von Industrie und Verwaltung wäre ja schätzungsweise der schnellste Weg, die Sache in den Griff zu bekommen. Genau das wagt keine Regierung. Wie auch, die politische Elite ist ein ausführendes Organ der herrschenden Klasse, die weitgehend identisch mit dem Großkapital ist.

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Donnerstag, 17. Dezember 2020
Zink, Melatonin oder Vitamin C? Keine Experimente bei COVID-19-Therapie! Warum Ärzte auf klinischen Studien bestehen sollten
Prof. Dr. F. Perry Wilson

Zink, Melatonin oder Vitamin C: Selbst mit harmlosen Molekülen sollte man bei COVID-19 nicht experimentieren. Ein US-Kollege plädiert für klinische Studien.

Das Transkript des Originalvideos wurde übersetzt und aus Gründen der besseren Lesbarkeit redigiert.

Willkommen bei Impact Factor, Ihrem wöchentlichen Kommentar zu einer neuen medizinischen Studie. Ich bin Dr. F. Perry Wilson von der Yale School of Medicine.

Die Dinge werden hier in New Haven etwas düster. Obwohl mein Krankenhaus mit 450 (Stand Nov. 2020) stationären COVID-19-positiven Patienten noch nicht den Peak erreicht hat, den wir im April gesehen hatten, haben wir einen ziemlich dramatischen Anstieg erlebt.

Ich habe mich um Patienten in der Nierensprechstunde und als behandelnder Arzt für Innere Medizin gekümmert, und ein Typ von Fragen taucht immer wieder auf: „Doc, warum können Sie mir nicht das Medikament XY geben?“

Was dieses Medikament XY sein soll, hängt sehr stark vom Patienten ab. Manche wünschen sich eine der bekannten COVID-19-Behandlungen, Dexamethason oder Remedesivir. Bei den meisten wird der „Platzhalter“ jedoch durch etwas ersetzt, über das viel in den Nachrichten berichtet wurde: Hydroxychloroquin, Vitamin D, Vitamin C, Zink oder Melatonin.

Das sind für mich dann schwierige Fragen. Normalerweise sprechen wir in der Medizin bei Therapien über Risiken versus Nutzen, aber COVID-19 erschwert die Rechnung. Die Ergebnisse zu Medikamenten sind schlecht, und wir haben wirklich noch keine Behandlungen mit durchschlagendem Erfolg.

Vieles spricht für ein Recht auf Experimente, also der Gedanke, dass es uns erlaubt sein sollte, nicht zugelassene Medikamente auszuprobieren, wenn die Situation schlimm ist , etwa wie bei Krebs im Endstadium. Denn was würde es schaden?

Fairerweise muss man sagen: Viele der Behandlungen, nach denen die Menschen für COVID-19 fragen, sind risikoarm. Obwohl ich einen Vortrag über das Risiko einer Oxalose durch eine Vitamin-C-Vergiftung halte, kann ich nicht sagen, dass ich auch nur einen einzigen Fall gesehen hätte.

Dennoch zögere ich, meinen Patienten eines dieser Medikamente zu geben, weil es –wie ich hier mehrfach diskutiert habe – keine stichhaltigen Beweise für die Wirksamkeit gibt. Also keine guten, randomisierten Studien, die mir zeigen, dass dieses Zeug tatsächlich wirkt. Dennoch fand ich es schwierig, meine Argumentation zu erklären, bis ich mich an die Pascalsche Wette erinnerte.

Viele von Ihnen kennen diese Idee. Hier ist eine kurze Zusammenfassung:

Mitte des 17. Jahrhunderts argumentierte Blaise Pascal (1623-1662), dass der vernünftige Mensch sich dafür entscheiden sollte, an Gott zu glauben.


Das funktioniert folgendermaßen: Wenn Gott existiert, sollten Sie an ihn glauben. Denn wenn Sie das nicht tun, befinden Sie sich bildlich gesprochen in einer Welt des Schmerzes. Und wenn Sie es tun, erhalten Sie eine unendlich große Belohnung, was immer das auch sein mag.

Wenn er nicht existiert, ist es eigentlich egal, ob Sie auf die eine oder die andere Weise glauben. Aber die Spieltheorie spricht eindeutig für den Glauben. Ähnlich verhält es sich, wenn wir beispielsweise über Melatonin sprechen.


Es kann sein, dass die Therapie nicht funktioniert. In diesem Fall ist der Schaden durch die Einnahme ziemlich gering: Man wird ein wenig schläfrig. Aber wenn es funktioniert, kann es Ihr Leben retten. Alles, was durch den Glauben an Melatonin – oder Zink oder was auch immer – verschwendet wird, sind die Kosten für die Tablette und einige leichte Nebenwirkungen, vielleicht gelegentlich eine Anaphylaxie. Warum sollte man sie also nicht verwenden?

Natürlich gibt es, seit Pascal seine berühmte Wette abgeschlossen hat, viele Leute, die Gegenargumente vorgebracht haben. Und diese Gegenargumente lassen sich direkt auf die medizinische Praxis im Zeitalter von COVID-19 übertragen. Begleiten Sie mich bei meinen Gedanken:

Zu den klassischen Widerlegungen gehört das Argument aus inkonsistenten Offenbarungen. Einfach ausgedrückt: Was ist, wenn man den falschen Gott wählt? Vielleicht sind Sie schlechter dran, wenn Sie Pascals Gott anbeten, wenn in Wirklichkeit Odin hinter all dem steckt. Und wäre er mit einem Atheisten einverstanden? Oder ziemlich verärgert darüber, dass Sie einen anderen Gott anbeten.


Für COVID-19 ist die Analogie klar. Was ist, wenn Sie das falsche Medikament wählen? Was wäre, wenn Sie Zeit damit verschwenden, jemanden mit Melatonin zu behandeln, obwohl eigentlich Zink die Wunderwaffe ist?

Sicher, wir könnten Patienten mit Therapien zuschütten, wie Trump im Walter Reed-Hospital. Aber was wäre, wenn bestimmte Medikamente eine entgegengesetzte Wirkung haben und sich Effekte aufheben? Wir wissen es einfach nicht.


Die Pascalsche Wette funktioniert, wenn es nur die Möglichkeit eines einzigen Gottes gibt. In der Medizin funktioniert sie nur, wenn man nur an ein Medikament denkt. Wenn mein Patient Hydroxychloroquin wünscht, könnte ich ihm das dank Pascal geben, aber ich könnte dasselbe für den Patienten tun, der nach Vitamin D fragt. Und für den Patienten, der nach Zink fragt, und für den Patienten, der nach einem Cocktail aus all dem oben genannten fragt.

Wie entscheiden wir? Natürlich sind wir in einer viel besseren Situation als Pascal es damals war. Pascals Gott lässt sich bekanntlich nicht gerne testen, aber Medikamente müssen nicht im guten Glauben eingenommen werden. Wir können rigoros klinische Studien durchführen und quasi herausfinden, ob – im übertragenen Sinne – der Gott im Himmel existiert.

Ich bin mir nicht sicher, ob diese Erklärung deutlich macht, warum Ärzte wie ich – die, um korrekt zu sein, klinische Studien durchführen – so besessen davon sind. Die Pascalsche Wette ist ein vernünftiges Argument, das man bei jedem einzelnen Medikament verwenden kann. Das Problem ist, dass sie mit allen Medikamenten funktioniert, was seine Argumentation als Entscheidungshilfe wirklich ziemlich nutzlos macht. Gott sei Dank haben wir bessere Werkzeuge, mit denen wir die Wahrheit herausfinden können. Man nennt sie randomisierte klinische Studien.


Prof. Dr. F. Perry Wilson ist Direktor des Clinical and Translational Research Accelerator von Yale. Seine Arbeit zur Wissenschaftskommunikation ist in der Huffington Post, auf NPR und hier auf Medscape zu finden. Er twittert @fperrywilson und hat unter www.methodsman.com weitere Projekte seiner Arbeit zusammengestellt.

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Kontrolle der Corona-Pandemie: Immer mehr virologische Evidenz spricht für Schulschließungen
Michael van den Heuvel, Medscape

Weltweit versuchen Regierungen, die SARS-CoV-2-Pandemie mit nicht-pharmakologischen Maßnahmen zu kontrollieren. Was die Einschränkungen im Alltagsleben wirklich bringen, ist allerdings wenig untersucht. Deshalb haben Jan M. Brauner, Mediziner und Doktorand an der University of Oxford und Kollegen Effekte unterschiedlicher Strategien simuliert

Eine zentrale Erkenntnis: Die Schließung von Schulen oder Hochschulen leistet einen wichtigen Beitrag, um die Pandemie zu kontrollieren. Was Ihre Forschungsergebnisse unterstützt: In vielen Ländern – auch in Deutschland – ist die Prävalenz von SARS-CoV-2-Infektionen gerade bei Kindern und Jugendlichen, verglichen mit anderen Altersgruppen, hoch.

„Starker Effekt von Schulschließungen“, kommentiert dementsprechend auch Prof. Dr. Christian Drosten von der Charité-Universitätsmedizin auf seinem Twitter-Account. Räumt aber auch ein: „Klar: Es gibt andere Studien, die keine Effekte von Schulschließungen finden.“

Starker Effekt von Schulschließungen. Prof. Dr. Christian Drosten
Was ist neu an der Studie von Brauner und Kollegen? Zwar belegen Daten der Spanischen Grippe 1918-1919, dass Schulschließungen und andere nicht-pharmazeutischen Maßnahmen die weitere Ausbreitung gestoppt haben. Allerdings lassen sich Influenzaviren und SARS-CoV-2 nicht unbedingt vergleichen. Bei der Spanischen Grippe folgte die Mortalität einer U- bzw. W-förmigen Kurve mit Maxima bei Kindern unter 1 Jahr, bei jungen Erwachsenen zwischen 25 und 35 Jahren (nur 1918) sowie bei älteren Menschen ab 65. Solche Altersmuster zeigt SARS-CoV-2 aber nicht. Hier steigt das Risiko für eine schwere Erkrankung proportional zum Alter.

Daten der 1. Pandemiewelle für Simulation genutzt
Um hier für mehr Klarheit zu sorgen, haben Brauner und Kollegen Informationen der 1. Pandemiewelle zwischen Januar und Ende Mai 2020 ausgewertet. Die Daten kamen aus mehreren europäischen Ländern. Sie arbeiteten mit einem mathematischen Modell, das nicht-pharmazeutische Maßnahmen mit nationalen Fall- und Todeszahlen verknüpft. Die Ergebnisse ihrer Simulation geben wieder, wie sich die Netto-Reproduktionszahl Rt zu einem bestimmten Zeitpunkt (t) durch Interventionen verändert:

Beschränkung von Versammlungen auf maximal 1.000 Personen: 23% (95% KI: 0 bis 40%)

Beschränkung von Versammlungen auf maximal 100 Personen: 34% (95% KI: 12 bis 52%)

Beschränkung von Versammlungen auf maximal 10 Personen: 42% (95% KI: 17 bis 60%)

Schließung einiger risikoreicher Geschäfte: 18% (95% KI: -8 bis 40%)

Schließung der meisten Geschäfte: 27% (95% KI: -3 bis 49%)

Schließung von Schulen und Universitäten: 38% (95% KI: 16 bis 54%);

Aufenthalt zu Hause: Effekt zusätzlich zu allen anderen Maßnahmen 13% (95% KI: -5 bis 31%)

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