Dienstag, 21. Dezember 2010
Dreierlei Neue Rechte und das Spiel mit der "Political Correctness"
Die klassische Neue Rechte, also die politische Richtung, die sich selber so nennt und in den Gesellschaftswissenschaften mit diesem Begriff beschlagwortet wird, startete in den 1970ern als Gegenprojekt zur 68er-Bewegung mit dem erklärten Ziel, politische Begriffe und Denkstrukturen so zu besetzen, dass emanzipatorische, linke und liberale Positionen nicht mehr formulierbar sind. Es ging denen (Allen voran Alain de Benoists Nouvelle École, wo auch die Le Pens ihre Wurzeln haben, in Deutschland das Studienzentrum Weikersheim und Zeitschriften wie Mut, Criticon, Nation und Europa, später die Junge Freiheit) explizit um einen Kampf um Diskurshegemonie, dabei ganz direkt an Gramsci anknüpfend. Antonio Gramsci, zeitweise italienischer KP-Vorsitzender und einer der originellsten marxistischen Denker seiner Zeit hatte den Siegeszug des Faschismus als eine ganz besondere Form des Bonapartismus erklärt. Demzufolge war es zu einem kulturellen Vakuum zwischen Bourgeoisie und Proletariat gekommen. Einerseits war die kulturelle Hegemonie des Bürgertums durch die Kultur der Arbeiterbewegung und durch die künstlerische Moderne aufgehoben worden, andererseits waren die Gegenkulturen nicht stark genug gewesen, um selber eine Hegemonie herzustellen, zumal speziell in Italien radikale Künstlerbewegungen, z.B. die Futuristen, eher ein Bündnis mit den Faschisten eingingen (es wäre zu überlegen, welche Rolle hier in Deutschland das Wechselverhältnis zwischen einem Teil der Naturalisten und Expressionisten und den Nazis spielte). Die Faschisten konnten so, Elemente der ästhetischen Avantgarde und linker Mobilisierungsformen übernehmend, die Dominanz der Bourgeoisie auf gewalttätige Weise, in einer antiliberalen Form bürgerlicher Herrschaft und gestützt auf eine Führungsschicht aus Abenteurern außerhalb der traditionellen Eliten wiederherstellen. Und genau daran knüpft die Neue Rechte an: Eroberung des intellektuellen Diskurses von rechts.



Explizit sagen, was sie selber politisch wollen tun sie eher selten, aber das liegt so zwischen CDU-Vertriebenen-Kalte-Krieger-Flügel und echten Nazis.

Extrem wirksam (ich würde auch würgsam sagen) wurde das am Beispiel des Ethnopluralismus: Alte NS-Rassentheoretiker wie Mühlmann und Thurnwald retteten die Rassenlehren in die Nachkriegszeit, indem sie nicht mehr von "höheren" und "niederen" "Rassen" ausgingen, sondern Unterschiedlichkeit ethnischer Gruppen bei Gleichwertigkeit behaupteten, die aber Vermischung als unerwünschenswert behaupteten. Dieses Modell speist heute sowohl die Ideen der Gesellschaft für Bedrohte Völker als auch eines Teils der Grünen.


Jüngere, neokonservative, marktradikale oder christlich-rassistisch-homophobe Strömungen haben mit denen inhaltlich nichts zu tun. Wert- und normkonservative Wirtschaftsliberale mit so einem latent homophoben, latent frauenfeindlichen, latent rassistischen und explizit antiislamischen Wohlstandsrassismus hie und rabiate halb evangelikale und halb katholisch-klerikalfaschistische xenophobe Schreihhälse da benutzen aber eine Diskursstrategie exakt analog der klassischen Neuen Rechten - Begriffe umdefinieren, Linken und Linksliberalen ihre Kernbegriffe wegnehmen und das unter der Behauptung einer ganz furchtbaren linken Diskurs- und Kulturdominanz, die man heroisch bekämpfen würde.

In den Usa wurde so etwas strategisch von evangelikalen, rechtsradikalen und neokonservativen Netzwerken gegen Political Correctness und Affirmative Actions in Frontstellung gebracht. Unter Political Correctness ist ursprünglich die Gleichbehandlung bzw. Anti-Diskriminierung marginalisierter Gruppen zu verstehen, sei es im Rahmen von Sprachregelungen ("Native Americans" und First Nations" statt "Red Indians", "Afro Americans" statt "Negros", "People of Colour" statt "Negros", "Latinos", "Gooks" und "Chicanos" usw.), sei es in Form von Antidiskriminierungsgesetzen, die Passfotos und Angaben über die Religionszugehörigkeit in Bewerbungsunterlagen verbieten, damit Qualifikation und nicht Hautfarbe, religiöse Präferenzen oder Schönheitsvorstellungen der EntscheiderInnen über eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch entscheidet. Affirmative Actions beinhalten Quotenregelungen für Frauen, Behinderte und Minderheitsangehörige sowie Mitspracherechte dieser Gruppen. Der Dreh der US-Rechten bestand nun darin, diese gegen Diskriminierung gerichteten Maßnahmen/Techniken/Praktiken dahingehend umzudrehen, indem eine "Meinungsdiktatur" gegenüber den WASPs (White Anglo-Saxon-Protestants) behauptet wurde. Bewusst "Negro", "Bitch" oder "Chic" zu sagen wurde als heroischer Akt des Wahrheitsagens verkauift - man wird das ja wohl noch mal ausdrücken dürfen. Dies wurde im Wesentlichen vom rechten Flügel der Republikaner, rechtspopulistischen und neonazistischen Frontmännern wie Pat Buchanan und Robert Duke und den evangelikalen Glaubensfaschisten der Moral Majority unter der und gegen die Präsidentschaft Bill Clintons praktiziert - George W. Bush surfte auf dieser Welle. Das, was Blogs wie PI, Gegenstimme, Kewil, Eigentümlich frei etc. pp. betreiben ist eine hundertprozentige Kopie von Blogs US-amerikanischer Rechtsextremer.

Getrennt davon, aber parallel dazu hat sich innerhalb der westdeutschen Linken eine fatale Entwicklung vollzogen. Ausgehend von Fragen des persönlichen Lebensstils wie partiellem Konsumverzicht, ökologisch bewusstem Verhalten, Antisexismus oder Vegetarismus sind Teile der linksalternativen Szene hierzulande in den späten 1980ern und seither mehr und mehr einem rigiden und sehr formalisierten moralischen Rigorismus verfallen, der umso stärker wurde, je mehr die Linke realer politischer Einflussmöglichkeiten beraubt wurde - die tadellose eigene Haltung als Politikersatz und die moralische Verdammung von Leuten aus den eigenen Reihen, die dieser nicht entsprachen. In den 1990ern begannen Leute wie der Satiriker Wiglaf Droste oder der Essayist Henryk M. Broder, diese moralisch-repressive politische Korrektheit von Teilen der westdeutschen Linken auf das Heftigste polemisch anzugreifen - bis zum offenen Spott über Mißbrauchsopfer, Flüchtlinge, Schwule oder letztendlich alle, die außerhalb des bürgerlich-weißen-heterosexuellen Mainstreams stehen. Und mittlerweile habe ich den Eindruck, dass diese Art von Anti-PC-Tum (um Mistverständnisse zu vermeiden: Ich verstehe mich bezüglich der repressiven Szene-Moral selber als explizit Non-PC) nahtlos an den neurechten Anti-PC-ismus andockt, selbst wenn seine VertreterInnen das gar nicht merken und heftigst bestreiten würden.

Das hat einen komischen Dreh, um mit R.A. Wilson zu sprechen: Binnenerfahrungen einer kleinen radikalen Minderheit werden plötzlich als wirkungsmächtiger gesellschaftlicher Mainstream umgedeutet, von dem man sich befreien müsste. So instrumentalisiert man dann auch Linke für im Kern hartrechte Positionen.

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Bravo!
Das ist auf den Punkt gebracht unsere gesamte Kritik an dem Gesamtkomplex, gegen den wir seit Jahren anschreiben. Das hätte 2005 formuliert werden müssen.

Nochmal: Bravo!

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Ich bin etwas neidisch
Auf diese knappe und treffende Darstellung der etwas verworrene und verwirrende Thema "Taktiken der Neuen Rechten" nebst "Political Correctness" / "Anti-PC".
Gratuliere!

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Ich finde den auch prima, wie drüben schon geschrieben. Hervorragend auf den Punkt gebracht. Eine Art Grundlagentext.

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Niemand kann das besser als unser Sektenbeauftragter.

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Dabei war das erst der erste Streich. Heute abend kommt noch mehr. Ein Blog nebenan wurde aber auch sehr viel Sinn geschrieben.



http://netbitch1.twoday.net/stories/11503818/

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Oh ja, Danke, Netbitch! Da ich mir erst noch mal eine neue e-mail-Adresse zulegen muss, bevor ich das hinkriege, bei Dir zu kommentieren, eben hier!

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Find ich weitgehend gut, den Text.
Nur ein paar kleinliche Anmerkungen.
Latino ist kein negativ gefärbter Begriff. Negativ wär etwa Sudaca. Der US-hondurensische Komiker Carlos Mencia benutzte das Wort "Beaner" (ähnlich wie Bohnenfresser). Weiss aber nicht wie weit das verbreitet ist.
Die Übersetzung von "People of Colour" "Gente de Color" ist mir nur aus Kuba bekannt, nämlich als Gruppen-Bezeichnung für Mulatten und Schwarzafrikaner.
Für Indianer setzt sich First Nations bzw. Pueblos Originarios immer mehr durch. Das aktuelle staatliche Schulbuch der 1. Klasse der Republik Chile für das was früher bei mir Sachkunde hiess verwendet durchweg "Pueblos Originarios" (wie First Nations) als Sammelbegriff für Aymara, Mapuche, Alakalufes, Diaguita, Yagán, Rapa nui, etc. und das ist auch gut so.

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Ergänzend hierzu die Meinung von Monoma:


http://autismuskritik.twoday.net/stories/zwischendurch-kurz-zur-blogroll

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