Mittwoch, 29. April 2009
Kürzlich auf dem Amt
Ich besuchte eine Infoveranstaltung der Arbeitsagentur zu Jobalternativen und hörte sieben Mal in Folge die Formulierung "sich selbst neu erfinden". In keinem einzigen Fall hatte das etwas mit Kreativität oder Selbstbestimmung zu tun.

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Muss es auch nicht.

"Flexibilität" und "Mobilität" haben auch Doppelbedeutungen in diesem Kontext.

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Die antiken Römer fragten gerne und oft: Quo vadis? Ich finde die Frage hochinteressant - wohin etwas führt und für wen es geschieht.

Die rechts"liberalen" Blogger können uns bei der Gelegenheit gerne mal davon überzeugen, ob sie sich diese Fragen auch stellen. Ob sie das "Sich-selbst-neu-Erfinden" gerne im Sinne einer übergeordneten, quasi-göttlichen Marktnotwendigkeit verstehen. Tja, und dort, wo der Markt erkennbar nicht funktioniert: Normalerweise sind die Rechts"liberalen" und Neoconnards die allerersten, welche "Anreize" (gemeint: Zwang) im Umgang mit sozial niedriger Gestellten für hocherfreulich halten.

Inklusive der Folgen - und der Ent-Individualisierung beispielsweise in der Formulierung des Sich-Selbst-Neu-Erfindens.

(Ich selbst halte ausgesprochen wenig von der Redensart des "Sich-selbst-neu-erfinden" - oft ist damit etwas Hysterisches, etwas Narzisstisches, etwas Unauthentisches, etwas Verlogenes oder gar etwas Fremdbestimmtes gemeint. Ich habe das, sorry, bislang noch nicht anders erlebt und bislang waren mir fast alle Menschen unsympathisch, die vom "sich-selbst-neu-erfinden" sprachen. Kurzum: Ich tue mich damit schwer. Sehr schwer. Positiv formuliert: Ich finde es gut, wenn sich Leute selbst treu bleiben, sehr gerne auch inklusive leichter Verrücktheiten.)

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Ich bin zwar ein äußerst liberaler Blogger aber ich will mich einmal der Frage stellen:

"Die antiken Römer fragten gerne und oft: Quo vadis? Ich finde die Frage hochinteressant - wohin etwas führt und für wen es geschieht." ?

Kann es sein, daß Du *quo vadis* und *cui bono* mit einander verwechselst ?

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Solange er nicht "vade retro" oder "suum quique" schreibt funktioniert es doch. Tel Aviv, so ist das Leben;-)

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Ach ja, der Dean: kaum vier Jahre nach den Wahlkampfdiskussionen des Jahres 2005 hat er immer noch nichts dazugelernt. Im zweiten Absatz kommen schon die Rechtsliberalen und die Neoconnards vor. Was für eine bestechende Argumentation: Wenn der rechtsliberale Neoconnard von Anreiz spricht, dann meint er Zwang. Wer sich selbst neu erfindet, ist hysterisch, narzisstisch und fremdbestimmt.

Im Grunde ist ja die Frage »Quo vadis?« (wörtlich genommen) nicht falsch: wenn eine Partnerin oder ein guter Freund dem Sich-selbst-neu-Erfinder diese Frage stellt. Aber wenn der gute Freund ein Liberaler ist, dann kommt natürlich die Fremdbestimmung ins Spiel.

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"Lernen lernen"
erinnert mich fatal an die Phrase "Lernen lernen", die vor ca. 12 Jahren von Bertelsmannstiftung und ERT propagiert wurde

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@ Eure Immanenz, der Herold

Zu deiner Frage: Nein.

So, und nun würde ich mal gerne sehen, wie der "äußerst liberale" Herold sich - wie angekündigt - der Frage stellt.

Mit einer Gegenfrage? Das wäre erbärmlich.

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P.S.

Bildungsfernsehen, selbstgemacht: hier zur Immanenz.

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»Lernen lernen« kann genauso wie »sich selbst erfinden« eine Phrase oder eine sinnvolle Methode sein. Aber wir sind doch alle lange genug auf der Welt, um zu wissen, dass die Lobbyisten und PR-Manager dieser Welt jeden Begriff kaputtkriegen.

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Jetzt aber noch ein Wort zum Artikel: warum tust Du Dir solche Veranstaltungen an? Zum Mitzählen? Und was hast Du dort als
Agnostiker Skeptischer Philobuddhist Schrägdenker Antira libertär autonom Bekennender Gutmensch Diskordier Politischer Nichteuklidianer Marxunorthodoxer Alpinist Hedonist
anderes erwartet?

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@ Stefanolix
Im Grunde ist ja die Frage »Quo vadis?« (wörtlich genommen) nicht falsch: wenn eine Partnerin oder ein guter Freund dem Sich-selbst-neu-Erfinder diese Frage stellt. Aber wenn der gute Freund ein Liberaler ist, dann kommt natürlich die Fremdbestimmung ins Spiel.
Gut erkannt, Stefanolix.

Die Fremdbestimmung kommt hier in Gestalt eines schiefen und "deregulierten" Marktgeschehen ins Spiel, und ganz besonders dort, wo Märkte in allzu starken Maß oder sogar vorrangig Machtstrukturen sowie ungerechte/chancenungleiche Wohlstands- und Privilegienverteilungen repräsentieren - und eben nicht Unterschiede im Leistungsvermögen oder in der Leistungsbereitschaft.

(Nebenbei: Insofern ist die "Leistungsträger"-Propaganda der Rechts"liberalen" besonders widerlich)

An Stelle eines als Ideal gedachten fairen "Tauschens" unter Gleichgestellten treten faktisch Macht- und Zwangsmechanismen, welche durch das "freie" Marktgeschehen in ihrer Wirkungsmacht sogar noch verstärkt werden.

In einer von Rechts"liberalen" gefeierten, ausgesprochen un-egalitären kapitalistischen Gesellschaft wird, zum Beispiel, das "Sich-selbst-neu-Erfinden" im massiv chancenbehinderten Prekariat zu einem vorrangig fremdbestimmten Akt. Es ist oft genug ein vergebliches Bemühen - ja, führt sogar regelmäßig (!) zu einem entindividualisierenden Unterordnen unter einem ungerechten (und von Rechs"liberalen" vergötzten) und übermächtigen Marktgeschehen. Der prekär Lebende "darf" in einem ungerecht konstitutierten Kapitalismus immer wieder neue Anläufe unternehmen - und endet, oft genug, dann als 50-Jähriger im "Sich-selbst-neu-erfinden" als Flaschensammler - oder, anderes Beispiel, als 400-Euro-Jobberin, die in eine brutale Ausbeutung "einwilligt", um damit die Studiengebühren ihrer Kinder zu finanzieren.

Sie können mir folgen, Stefanolix? Sie sehen das Problem?

Eben nicht. Q.e.d.

P.S.
Wenn ich "2005" bin, so sind Deine rechts"liberalen" Freunde 1930. Bestenfalls.

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"An Stelle eines als Ideal gedachten fairen "Tauschens" unter Gleichgestellten treten faktisch Macht- und Zwangsmechanismen, welche durch das "freie" Marktgeschehen in ihrer Wirkungsmacht sogar noch verstärkt werden"

Schön auf den Punkt gebracht.

Wenn das mit dem "frei" alles so wäre, ja dann... dann hätte ich damit keine Probleme. Wenn dann, und wenn nicht, dann nicht (sagte mein Logikprof immer, er hielt das wohl für ein Bonmot allererster Güte)

Dinge haben Konsequenzen- wenn sie die Jobberin weigert, müssen ihre Kinder "nebenbei" (noch) mehr arbeiten, dann dauert das Studium länger und ab 4 Semestern Überziehung des "Studienguthabens" wird das idR teuer. Das heisst dann noch mehr arbeiten, wenn man weiterstudieren will, also noch weniger Zeit ins Lernen stecken. HippHipp Hurra.

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Ich besuchte eine Infoveranstaltung der Arbeitsagentur zu Jobalternativen und hörte sieben Mal in Folge die Formulierung "sich selbst neu erfinden".

was glaubst du, wie oft sich der referent schon selbst erfunden hat.

konzertredner im auftrag der bundesagentur, nicht übermässig prickelnd.

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damals, als die vom amt zur agentur umfirmierten, wurde den dort tätigen der weg in die selbständigkeit eingeredet. für die waren dann auch so dinge wie der vermittlungsgutschein gedacht. diejenigen, die weiter agenten bleiben, lachen sich bis heute scheckig über ihre ehemals kollegen, die ihnen heute für ein nasenwasser (schwäbisch, etwas derber als das norddeutsche fürn appel und n ei) die drecksarbeit machen.

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Referent sprach nur davon, wie oft er sich selbst neu erfunden hatte, als Vorbild für das Auditorium.

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Dann war es also eher eine schlecht gemachte Präsentation als eine neoliberal erzwungene Zwangs-Neu-Erfindung?

Sicher würde es reichen, diese Wendung in einem Vortrag genau einmal zu bringen. Aber wenn sich jemand aus eigener Motivation heraus selbst verändert, dann ist dagegen erst mal nichts einzuwenden.

Ging mir ja auch schon so: vom Bürostuhlsitzer zum Marathonläufer ;-)

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Schlecht war die Präsentation nicht, und auf Deine Frage, warum ich dahin ging: Weil ich mich für bestimmte Jobs interessiere, was dann sehr wohl mit Freiwilligkeit zu tun hat. Der Referent war auch durchaus nett. Ich habe nur mitbekommen, wie bestimmte Phrasen von Arbeitsagentur-Leuten gebraucht werden und fand darin einen Sprachgebrauch wieder, der hier schon einmal Thema war: der Begriff Sich-neu-erfinden als Metapher für sich den Erfordernissen des Arbeitsmarkts optimal Anpassen, was die kreativen und subjektive Dimensionen, die der Begriff eigentlich enthält erschlägt. Und das scheint in der Joberater-Karrierecoach-Welt offensichtlich eine Standardfloskel zu sein.

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Neoliberalismus ist totalitär
In der Welt der vom Neoliberalismus direkt oder indirekt geprägten Karriereberater steht das "Sich-selbst-neu-Erfinden" nicht für eine intrinsische (also: wirklich selbst gewollte) Veränderung, sondern für ein nahezu totales Unterordnen des betroffenen Individuums unter die Erfordernisse externer Stellen.

Man erwartet vom Individuum, es möge sich doch bitte gefälligst neu erfinden - und zwar durchaus auf das Gründlichste, bis hin zum Habitus und zu jenen Attributen, die eigentlich als ureigene Ausdrucksform des Individuums gelten. Frisch umgemodelt, wird der "Sich-selbst-neu-Erfinder" zu einer Vermarktungsmaschine, er "netzwerkt" zielgerichtet und ordnet seine sozialen Beziehungen gemäß den (vermuteten) Erfordernissen ökonomischer Verwertung am Markt.

"Der" (zu stark von Ungleichheit und Unfairness bestimmte) Markt wird hier zu einer deutlich herrschaftsähnlichen Kollektiv-Instanz, dem sich das zu Gestaltung fähige, aber ökonomisch schwache (oder: geschwächte) Individuum (mitunter inklusive seiner sozialen Beziehungen!) durch ein "Sich-selbst-neu-erfinden" unterwirft.

Das "Sich-selbst-neu-erfinden" wird hier, liebe Rechts"liberalen", zur Ausdrucksform eines totalitären Mechanismus.

Ist es nun etwas klarer, Stefanolix?

Neoliberalismus ist totalitär - gezeigt an der Formation bzw. Deformation des Begriffes vom "Sich-selbst-neu-Erfinden".

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Aber Che -- das haben wir doch nun in den letzten zehn Jahren schon so oft gehabt: Begriffe werden immer wieder vereinnahmt und umgebogen. Du hast es an dem Beispiel des sich-selbst-Erfindens gezeigt, ich könnte einige Beispiele von »Buzzwords« aus der IT beisteuern. In vielen dieser Fälle wissen Fachleute und Verständige aber, dass in den Begriffen ein vernünftiger Kern steckt.

Ich denke, dass die fachliche und persönliche Weiterentwicklung und auch der eine oder andere Kurswechsel zum Leben dazugehören. Das habe ich selbst erlebt, das habe ich an vielen Leuten aus meiner Umgebung gesehen, das kann man in vielen Biographien bedeutender Menschen lesen.

Ich behaupte: in jeder Gesellschaft und jeder Gemeinschaft gibt es mehr oder minder erfolgreiche (Selbst)Vermarktungsmaschinen. Die gab es in der DDR, die gibt es heute in der Wirtschaft und in allen Parteien, die gibt es unter Feministinnen und Autonomen, die gibt es in jedem virtuellen und realen Netzwerk.

Und bevor jemand voreilig widerspricht: Selbstvermarktung muss nicht unbedingt etwas mit Geld zu tun haben. Es kann auch um knappe Ressourcen wie Zeit, Aufmerksamkeit, Zuwendung, Zustimmung, Wählerstimmen, oder Ruhm gehen.

Weil es in jeder menschlichen Gemeinschaft immer knappe Ressourcen und deshalb immer Märkte gibt, wird es auch immer Menschen geben, die als (Selbst)Vermarktungsmaschinen auffallen. Dabei haben »Markt« und »Selbstvermarktung« nicht unbedingt etwas mit materiellen Gütern oder Geld zu tun.

Von einem totalitären Mechanismus kann überhaupt keine Rede sein. Die Motivation zum Verändern, zum Handeln und zum Vermarkten liegt in jedem Menschen -- aber das Können und das Wollen sind eben unterschiedlich stark ausgeprägt.

Wenn es irgendwo eine solche neoliberale Weltverschwörung gäbe, die jedem Menschen das »Selbstvermarkten« aufzwingen will, dann wäre sie selbstverständlich zum Scheitern verurteilt. Aber diese neoliberale Weltverschwörung gibt es nicht.

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Es gab auch keine keynesianische Weltverschwörung und dennoch machten alle in Keynes.

Der einzig richtige Gedanke, den der Neoliberalismus je hatte, war, darauf hinzuweisen, dass der als unendlich imaginierte Staatskredit keine gute Idee ist.
Nun stellt sich in der Finanzkrise aber heraus, dass der als unendlich imaginierte Privatkredit auch keine gute Idee ist.
Und nachdem man dem Staatskredit abschwor, soll er nun wieder – unendlicher denn je – die Rettung sein.
Das Problem ist: Außer Staats- und Privatkredit gibt es keine weitere Option.
Blöd, gell?

Die Ursache des Problems besteht darin, dass die auf Technik und Wissenschaft beruhende Produktion einen immer größeren technologischen Produktionsanteil erzeugt. Das heißt, der Kredit als Vorgriff auf zukünftige Wertschöpfung gewinnt stetig mehr Relevanz, weil auf Grund des stetig erhöhten technologischen Produktionsanteils die Vorauskosten immer höher werden, die anfallen, will man einen Wertschöpfungsprozeß überhaupt in Gang bringen. Das bedeutet wiederum, dass das Verhältnis von Vorauskosten zu Verwertung sich immer weiter verschlechtert.

Auch blöd: Daran kann man nicht drehen, weil hinter einen einmal erreichten Stand der Entwicklung der Produktivkräfte nicht mehr zurückgegangen werden kann.

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@Außer Staats- und Privatkredit gibt es keine weitere Option. Es gibt da schon eine Option: Alle Verhältnisse umzustoßen, in denen .... ist. Wenn ich mir anschaue, dass in Island kürzlich 70% der erwachsenen Bevölkerung gegen die bestehenden Verhältnisse auf die Straße gegangen ist oder, Che hatte das dankenswerter Weise fortlaufend dokumentiert und war dafür sehr wenig verstanden worden, in immer mehr Ländern in den letzten Monaten es zu Aufständen kam, dann stellt sich schon noch die Frage, ob es nicht ganz anders kommen kann. Meine Fresse: Zum ersten Mal seit Baaders Zeiten wird in breiter Öffentlichkeit die Frage aufgeworfen, ob es hierzulande echte Aufstände geben könnte. Und die gesellschaftskritischen Kräfte, deren Aufgabe es wäre, genau das voranzutreiben, sagen immerfort: Nein, das wird nicht passieren. Pennt ihr, Leute? Auf Maidemos fordern bisher kreuzbrave Gewernerschaftler "Generalstreik". Wann gab es das zuletzt?! Wann, wenn nicht jetzt, wer, wenn nicht wir?

Fuego y bandera por qualquir Estado!

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Nicht jetzt.

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