Sonntag, 12. September 2010
Debatten in seltsamen Zeiten, Teil 2
Da saß ich in dieser türkischen Kneipe und bekam den Nebentisch mit, lauter große, kräftige deutsche Männer um die 30 und eine Frau dazu. Und ich traute meine Ohren nicht:

"Ja, der Sarrazin, der liegt natürlich völlig daneben. Es gibt kein jüdisches Gen." "Das ist ja der Wahnsinn, dass die Nazis wegen dieses Irrglaubens 6 Millionen Leute umgebracht haben. "Ja genau, da hätte es ausgereicht, in einem schnellen gezielten Schlag die wirklichen Manipulateure unter den Juden auszuschalten, und das hätte dann nur ein paar hundert Leute getroffen. " "Berlusconi macht ja genau das Gleiche, ohne das da Sanktionen gegen Italien verhängt werden. "Das liegt daran, dass er keine Hakenkreuz-Symbolik verwendet." "Das ist eigentlich ein harmloses buddhistische Symbol."

Es reicht. Bisher habe ich bei solchen verbalen Äußerungen den Leuten immer meine Meinung gesagt, aber heute bin ich der einzige Gast außer ihnen, und sie sind deutlich in der Überzahl. Es ist mir noch nie passiert, dass ich zu so etwas schweige. Ich gehe.

Wo leben wir?

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Wird jetzt Sarrazin zum Kult Star? Sarrazin und Che im Konterfei T-Shirt
Hier mal was lustiges. Ist doch EGAL aber bitte mit Meinungsfreiheit. Habe hier die t-hirts gefunden mit Sarrazin im Konterfei vom Che. Ich habe mal selbst etwas im Web gestöbert und ich muß sagen dies sind definitiv die besten Sarrazin t-shirts. Hier habe ich den Facebook Eintrag gefunden bei denen das Original Sarrazin Kult Shirt angeboten wird. Das t-shirt mit mein Volk finde ich am besten. (Ist nur meine Meinung) Auf der Facebook Fan Seite von Sarra-Friedmann kann man als Fan sogar die t-shirts gewinnen. http://www.facebook.com/pages/Sarra-Friedmann/154282397931517?v=app_4949752878 Wem Sie nicht gefallen auch Egal, man muß ja nicht der gleichen Meinung sein.

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Das wird jetzt nur wegen seiner Bizarrität nicht gelöscht, aber ansonsten bist Du hier unerwünscht.

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Mal ernsthaft, da dürftest Du wahrscheinlich den ganz normalen deutschen Durchschnitt erwischt haben - mich wundert, daß Du überrascht bist. Kommst Du nie aus Deinem jeweiligen Milieu heraus?

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Ich bewege mich in höchst unterschiedlichen Milieus. Neben den Flüchtlings/Migranten- und Solikreisen und der linken Szene sind das akademische Zirkel, ebenso aber auch ein Arbeitermilieu, in dem alle in der IG Metall und ziemlich bodenständig klassenbewusst sind (und zugleich stolz auf ihren Betrieb), außerdem Programmierer- Ingenieurs- und Werbeagenturkreise, schließlich Bergsteiger- und Erwachsenenbildungsmilieus, schließlich noch Journaille.

Und nein, niemand von denen würde sowas wie da oben anders als bizarr finden.

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Daß das alles aber eher linke Milieus sind, ist Dir schon einmal aufgefallen? Ich kenne Deinen konkreten Umgang nicht, habe aber den starken Eindruck, daß die Milieus, die Du als "höchst unterschiedlich" bezeichnest, in Wirklichkeit zumindest in Bezug auf die politische Haltung ziemlich homogen sind. OK, wenn man da nie herauskommt, dann wird einen das oben angedeutete Erlebnis wahrscheinlich tatsächlich erschüttern - leider dürfte es für einen erheblichen Teil der deutschen Bevölkerung repräsentativ sein.

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Die benannten Ingenieurskreise bewegen sich schonmal zwischen hochtechnischen Projektmanagern (politisch völlig dispers), apolitischen Technokraten und Bauingenieuren in mittelständischem Umfeld (überwiegend CDU und sehr gewerkschaftsfeindlich, meist in Unternehmen ohne Betriebsrat, in einem Fall hat man Gesellen, die einen gründen wollten, gewaltsam aus dem Unternehmen entfernt). Werbeagenturkreise reichen von weitgehend links bis klassischen Yuppies. Dass akademische Zirkel überwiegend links sind halte ich auch für ein Gerücht, das reicht in meinem Kontaktfeld von Linksintellektuellen bis alten Burschenschaftern. Also - ich bin links, aber mein Bekanntenkreis in seiner Gesamtheit sicherlich nicht. Was die Linken in meinem Kontaktkreis angeht, reicht das von "Arbeit ist Scheiße"-Punks über alternative Selbstverwirklicher (Buchladen, Ökoladen, Elektrowerkstatt mit umweltfreundlichen Produkten, Naturheilpraxis) bis hin zu klassisch gewerkschaftlichen Facharbeitern und von den Standpunkten her von Anarchos über MLer bis zu Feministinnen, Radikakökologen und Sozis. Die würden teilweise untereinander nicht miteinander reden. So viel zur Homogenität.

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So viel Transparenz!
So, und jetzt würde mich mal interessieren, wie sich der Bekanntenkreis von Jopa_neu zusammensetzt - beruflich und politisch.

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So etwas wie dieser lombol tauchte 2005, unmittelbar nachdem Don die Fotos vom Nockherbergtreffen veröffentlich hatte hier schonmal auf mit Merkel- und Bush-T-Shirts, und zwar zeitgleich mit Meldungen von Gegenstimme-Leuten.

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Die Unterschiede zwischen den einzelnen linken Grüppchen mögen für Dich ja enorm sein, aber aus eher nicht-linker Perspektive wirken die ziemlich homogen. ;-)

Wenn ich an Berufsgruppen / Milieus denke, bei denen ich aus gewisser Lebenserfahrung heraus eher solche / ähnliche Sprüche wie oben erwarten würde, fielen mir u.A. ein (ohne Rangfolge):

- diverse kleinbürgerliche kaufmännische Milieus
- LKW-Fahrer
- Soldaten
- Kleinunternehmer
- Landarbeiter
- Bauern
- Seeleute

+ eine Anzahl weiterer Milieus, die zumindest teilweise in Grundzügen ähnlich denken, aber sich besser artikulieren können, etwa bestimmte Kreise mittelständischer Unternehmer.

(Dies soll keine Aussage über einzelne Mitglieder der jeweiligen Gruppen darstellen.)

Es ist ja kein Vorwurf, aber: Ich sehe in Deinem Umfeld zwar eine Reihe deutlich linker Grüppchen, aber keine deutlich rechten und damit eben doch zu einem strukturell linken Umfeld - was dann ja auch zu Deiner Reaktion auf die Beiträge von Nebentisch führte.

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Was ist an Bauingenieuren, die dem Rauswurf von Gesellen, weil diese einen Betriebsrat gründen wollen zustimmen oder an Burschenschaftern strukturell links? Was haben die mit Anarchos gemein? Kleinunternehmer sind Werbe/PR-Leute und Alternativladenbesitzer auch. Soldaten und Seeleute können weltanschaulich alles Mögliche sein, das ist völlig unspezifisch. Mein Guter, das ist Wischi-Waschi.

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"Was ist an (...) Burschenschaftern strukturell links? Was haben die mit Anarchos gemein? "

Wann hast du dich das letzte Mal mit einem unterhalten? Ich bin zwar nicht mit einem DB-ler verbandelt (Gott bewahre!), aber das letzte Mal, dass ich jemanden aus der Bande traf, rief der zum Verprügeln von schikanösen Stadtverwaltungsmuckeln auf, mindestens aber zum Verwüsten der Büros derselbigen.
Das könnte er mit Anarchos gemein haben.

In der BRD gibt es eine Tendenz, dass man ab links der Mitte eher der Bundeswehr fernbleibt. Soldatenräte sind Mangelware beim Bund, oder?

Einen kommunistischen LKW-Fahrer habe ich noch nicht getroffen und es gibt wahrscheinlich Gründe, dass es in Deutschland keine Transportarbeiter-Gewerkschaft gibt, die Rabatz schlägt.
Fahrer hingegen habe ich viele getroffen- 3 Jahre in einer Spedition zu arbeiten hilft ungemein, ebenso Fahrer in der Familie zu haben.
Die sind zwar meist eher undogmatisch, was die ethnische Herkunft ihrer Kollegen angeht (auch wenn ausländische Spediteure ihrem Boss natürlich die Fahrten wegnehmen und "die Ausländer" ja "für'n Appel und 'n Ei" arbeiten, aber "die armen Schweine" müssen ja auch "sehen, wie sie durchkommen"), aber ansonsten nationalkonservativ. Meist wissen sie, dass sie ausser "trucken" nichts finden und dementsprechend hoch ist die Konformität gegenüber dem Arbeitgeber, da klar ist, wer bei Spedition X rausfliegt weil er aufmuckt, auch bei Spediteur Y nichts Neues findet.
Klar wird sich unter Kollegen beim Feierabend-Bier beschwert und gemeckert, aber "da kann man nichts machen, mit uns kleinen Leuten können die da oben machen was sie wollen".
Und deswegen sind die Arbeitsbedingungen in dem Bereich so, wie sie sind: hundsmiserabel.
Wer sich nicht mal dann wehrt, wenn sein Boss ihm sagt "Du, es ist Sommerflaute, da verdiene ich 30% weniger als sonst, deswegen zahle ich dir jetzt auch 30% weniger"... fällt Dir dazu noch was ein? Mir nicht.

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@"Wann hast du dich das letzte Mal mit einem unterhalten? " 2009. Was die Leute nicht mit Anarchos gemein haben ist eine elitäre Weltsicht zu der es mitunter, nicht unbedingt überwiegend zum Beispiel gehört, sozial unter ihnen stehenden Leuten ein richtig hartes Leben zu wünschen unter vormodernen materiellen Bedingungen und ein ausgeprägter Nationalismus, der weniger etwas mit gängigem Dumpfdeutschtum zu tun hat als damit, Arndt, Fichte und Nietzsche gut zu finden und sich an der Herrlichkeit von Architektur wie Kölner Dom, Hermannsdenkmal und Völkerschlachtsdenkmal aufzugeilen.

@""Du, es ist Sommerflaute, da verdiene ich 30% weniger als sonst, deswegen zahle ich dir jetzt auch 30% weniger"... fällt Dir dazu noch was ein? Mir nicht." Ist in der Baubranche, die ich ja kenne, nicht anders. Da werden in schneereichen Wintern Bauhandwerker für drei Monate entlassen, um sie dann wieder einzustellen, und sie müssen sich verpflichten, nicht woanders anzuheuern. Tun die alle. Und ganz generell habe ich ja mitbekommen, wie Mittelständler auf die Wirtschaftskrise reagierten: Ein Großteil der mir bekannten Unternehmen hat praktisch die ganze Belegschaft auf Kurzarbeit gesetzt. Nicht unbedingt, weil die Auftragslage wirklich mau war, sondern weil die Wirtschaftskrise die Rahmenbedingungen hergab. Kurzarbeit heißt nicht, dass die Leute weniger arbeiteten, sondern dass sie vielleicht drei statt fünf Tage in der Woche arbeiteten, an diesen dann statt acht aber zwölf oder dreizehn Stunden - mit Lohn für acht Stunden an drei Tagen und Verdienstausgleich von der Arbeitsagentur. Gängige Praxis. Allgemein üblich. Normale Arbeitnehmermentalität, sich das gefallen zu lassen. Manche Firmen haben sich so über das gesamte Jahr 2009 gesundgestoßen. Da muckt nicht einer auf, auch nicht Ingenieure, die im JUZI oder Schlachthof verkehren.

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"...und sich an der Herrlichkeit von Architektur wie Kölner Dom, Hermannsdenkmal und Völkerschlachtsdenkmal aufzugeilen"

Äh, eher nicht. Konkret fand er das Herrmansdenkaml von "ausgesuchter Scheusslichkeit" als es um Germanophilie ging.
Und als Elite fühlt sich so ziemlich jeder, inklusive des Kegelclubs Bottrop, wenn er grad die Ruhrpottmeisterschaften gewonnen hat.
Und eine Reihe uns persönlich bekannter Linker pflegte einen eher avantgardistischen Habitus, den man getrost als elitär bezeichnen darf.

Gothik zu mögen ist auch noch nicht rechts. Ich stand mal (damals...) mit einer M-lerin in einer Kathedrale und die Gute konnte sich kaum losreissen.

(...) mit Lohn für acht Stunden an drei Tagen und Verdienstausgleich von der Arbeitsagentur".

Che, das magische Wort lautet "Verdienstausgleich". Den kriegen die Jungs (und das vereinzelte Mädel) nämlich nicht.

Das mag zwar "normal" sein, aber klassisch "links" wär eher:
"Mann der Arbeit aufgewacht
und erkenne deine Macht!
Aölle Räder stehen still
wenn dein starker Arm es will!"

oder auf neudeutsch:
"Hör mal zu, Cheffe. Wenn du nur 2/3 zahlst, fahr ich ich nur 2/3. Lad' deinen Scheiss doch allein ab!"
Das klappt aber nur, wenn alle mitziehen. Und da Kollege Fahrer weiss, dass ihn zwar alle beim Bier für den Auftritt bewundern, aber deswegen noch lange nicht mitziehen, und deswegen hält Kollege schön die Klappe.

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Ich habe auch nicht behauptet, dass die Vorliebe für bestimmte Architekturen rechts wäre, aber die Mischung machts. Man könnte auch sagen, die Theweleit-Struktur. Zu übelst ausbeuterischen Bedingungen habe ich selber auch schon gearbeitet, by the way. Im Übrigen war die Ausgangsfrage die, ob mein Bekanntenkreis in seiner Gesamtzusammensetzung strukturell links wäre und die Normalbevölkerung an sich und als solche auf Sarrazin-T-Shirts im Che-Guevara-Design abfahren würde.

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Che, wie strukturell links ist eine Bevölkerung, die das hinnimmt, was die deutsche egelmässig schluckt?

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Die Frage müsstest Du jopa neu stellen, zwischen uns ist es keine Frage. Bzw, der meint ja wohl, dass Sarrazin-T-Shirts toll finden der Mainstream wäre.


Btw Von meinem Vater darauf angesprochen, was sie denn zu der Sarrazin-Debatte sagen würde fragte die Altenpflegerin meiner Mutter, was das denn sei. Als er zurückfragte, ob sie kein Fernsehen schaute, sagte sie, doch, natürlich, ausschließlich Arztserien.

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"Ich habe auch nicht behauptet, dass die Vorliebe für bestimmte Architekturen rechts wäre"

Das würde ich so allgemein aber durchaus behaupten.

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Che:
den Integrationsverweigerer-Diskurs führt meiner Wahrnehmung nach vor allen Dingen "Der Spiegel" in bester "Das Boot ist voll"-Tradition.
Dessen Leserschaft verortet sich linksbürgerlich, genau wie Sarrazin.

Fest steht jedenfalls, dass die Debatte und auch Herr S. aus B., seines Zeichens ab demnächst arbeitslos, nicht vom rechten Rand kommen und durchaus eine signifikante Anzahl Anhänger haben. Mainstream oder nicht... weiss ich nicht.

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@Genova, bezogen auf das Völkerschlachtdenkmal würden wir uns wohl einig;-)

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Nachdem jetzt sogar ich dank "Wiki-Wunder" weiss, wie das Völkerschlachtsdenkmal bei Leipzig aussieht (ja, schon mal gesehen, aber kein konkretes Bild vor Augen gehabt)

UND

meinem geliebten Ehemann gestern nach Blut&Gedärmen war und wir deswegen auf den Tolkienschen Pelennor-Feldern weilten

muss ich sagen, das Ding könnte auch in Minas Tirith stehen. Bisschen zu klotzig, aber das sind Details

Was schliesse ich nun in Bezug auf die Herren Tolkien und/oder Jackson?
Und auf Leute, die den Film und seine Optik klasse finden?

Das ist erstmal nur ein Stück Monumentalarchitektur.

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Ah ja, und Albert Speers Pläne waren auch nur Monumentalarchitektur, türlich. Es sind nun wahrlich genug Bücher über nationalsozialistisches Bauen geschrieben wurde und in was für einer Tradition das nun wieder steht. Sehr parallel ist dann ja die Architektur des italienischen Faschismus und des Stalinismus. Dass die Sarrazin-Fans bürgerlicher Mainstream sind bestreitet ja auch niemand. Mir ging es tatsächlich darum, es bizarr zu finden, sich ein T-Shirt mit Sarrazin-Konterfei im Che-Guevara-Look anzuziehen. Und dieser lombol scheint mit ein alter Bekannter zu sein. Mit der gleichen reduzierten Sprache hatte jemand 2005 hier T-Shirts mit den Gesichtern von Merkel, Bush und Reagan feilgeboten, und zwar auf dem frühen Höhepunkt einer Auseinandersetzung mit Neocon- und Rechtsaußenbloggern.

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Che, schon mal das Denkmal bei Stalingrad gesehen?

Ja, ich weiss, Stalinismus.

Die kleine Gedenk-Plakette: "Hier starben soundsoviele Leute bei dem Versuch, die Deutschen dadran zu hindern, weiter hinten noch weiter rumzumassakrieren" in DIN A5 auf den kleinen Metallpfosten irgendwo in die Landschaft gestellt... wäre das besser? Klein, unauffällig und jederzeit zu übersehen? Oder noch besser: gar nicht mehr drüber reden?

Man kann übrigens einem Bauwerk von 1900undeinenKeks kaum vorwerfen, dass es aus dem NS stammt. Man KANN hingegen über Germanenkult wie er sich am Herrmannsklotz festmacht reden und wie der sich entwickelt hat und dann vielleicht auch mal über Germanophilie heute. Auch hier würde ich den Spiegel wieder an vorderster Front ausmachen.

T-Shirts? Ich sah letztens ein mit Reagan-Konterfei im Guevara-Stil. Pop-Kultur verändert sich eben und Protest ist schon lange nicht mehr ausschliesslich "links".

Der Monumentalismus ist eine kunstgeschichtliche Periode, die hatten sie alle immer mal wieder.
Ganz übler Fall: das Lincoln Memorial.

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Entscheidend ist aber in dem Zusammenhang, welche Kunst in totalitären Staaten verboten war und welche ausdrücklich propagiert wurde. Nazi-Deutschland war da besonders monumentalistisch und besonders spießig, Italien zum Beispiel mit seiner Propagierung des Futurismo näher an der künstlerischen Avantgarde. Natürlich gehören auch die Überphallusse der New Yorker Skyline in diesen Monumentalismus mit hinein.

Denkmale ohne Pathos gibt es selten, und wenn, dann als Mahnmale.

http://che2001.blogger.de/stories/599692/



Das Völkerschlacht-Denkmal ist da aber noch einmal etwas Besonderes. Es ist so angelegt, dass die BesucherInnen sich niedergedrückt, überwältigt, erschlagen fühlen sollen - OK, ist Abu Simbel auch, trotzdem wirkt Ramses nicht so niederdrückend wie die Wächterfiguren am Völkerschlachtdenkmal oder die Sitzriesen im Inneren. Diese, je 9 Meter hoch und 400 Tonnen schwer, sollten "Tapferkeit, Opferfreudigkeit, Volkskraft und Glaubensstärke" symbolisieren. Der Erzengel Michael hat Gesichtszüge wie später idealtypisierende Darstellungen von SS-Männern.


Der avantgardische Habitus unserer GenossInnen und ebenso Bildungsbürgerlichkeit sind auch noch mal was Anderes als eine Haltung, die ich bei Burschenschaftern im früheren Kollegenkreis beobachten konnte. Was die da vertreten ist Herablassung gegenüber "Philistern", also NichtakademikerInnen, und ein ganz massiver Paternalismus gegenüber z.B. Sekretärinnen. Glaub mir, das kennst Du aus unsere gemeinsamen früheren Bekanntenkreis nicht. Das ist so die Haltung von Männern, die eine hübsche Deutschtürkin Akten hereinschleppen sehen, und dann sagt der Eine zu zwei Anderen im "Prost!"-Tonfall: "Meine Herren, ich wette, die ist rasiert!".

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Ein "Philister" ist das Synonym für "Alten Herren". es kann auch Nicht-Akademiker bedeuten wie man mir aus dem Hintergrund versíchert.

Der Drachentöter aus der Böttcherstrasse ist viel dichter am SS-Mann dran als das Völkerschlachtsdenkmal.

Abu Simbel drückt auch ganz schön nieder (Versicherung aus kundiger Quelle). Und das sollte einschüchtern. Nicht dich heute, sondern die zeitgenössischen Nubier.

"Der Erzengel Michael hat Gesichtszüge wie später idealtypisierende Darstellungen von SS-Männern"

Wenden wir mal Ockham an:
SS-Statuen werden nach Besuch bei Leipzig heroisch-germanisierend gestaltet

oder

mit einer magischen Wasserschale steht der Erbauer um 1900 da und erahnt, wie der NS mal aussehen würde.

Ja, völkisches Gedankengut spielt spielt beim Völkerschlachtsdenkmal auch eine Rolle und die "Erzfeindschaft" am Rhein ist dafür, ebenso wie beim Herrmannsklotz, der Schlüssel.
Aber: es macht keinen Spass, sich erobern zu lassen, nicht mal von Napoleon.

Paternalismus:
unterhalt' dich mal mit meinem Mann über einen bestimmten Kollegen (PDS), dessen Verhalten gegenüber Frauen in Führungspositionen UND untergebenem Personal so was von paternalistisch ist, dass es jeder Verbindung reichen würde.

PS: Bemerkungen über Frauen dieser Art sind nicht auf bestimmte Kreise beschränkt, sondern genau so unter Malochern anzutreffen.

PPS: ich habe mir grad ein Bild des Goldenen Tors von Konstantinopel um 850 n. Chr. angesehen. Je´tzt fühle ich mich niedergedrückt.

PPPS: schon mal gehört, wie ein haufen KFZ-Mechniker über "sesselpupsende Akademiker, die den ganzen Tag auf ihrem breiten Arsch sitzen und dumm grinsen" (Zitat) geredet hat? Die fühlen sich auch als Elite, denn diese ganzen Hirnakrobaten können ja "im richtigen Leben" nix. Das zählt auch für Tagesmütter, die Kinder von Akademikerinnen hüten. Das die Mütter dabei nicht den ganzen tag Ohrenklingeln hatten wundert mich. Man/frau ost halt stolz auf seine praktischen Fähigkeiten und versichert sich selbst in der egenen Peergroup, das sman wesentlich mehr draufhat als "die anderen".

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Das habe ich bei VW am Band auch gehört, wie sich da Arbeiter über uns Werksstudenten unterhalten haben. Also viele warebn ja echte Kumpel, aber da waren auch üble Fleiß-und-Geschicklichkeitssfetischisten dabei mit Sprüchen wie "das wollen Studierte sein und können noch nichtmal einen Engländer richtig halten". Das führt aber alles vom Thema dieses Threads her gründlich weg.

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Der Salonmarxologe erklärt
Das „War schon immer so“-Argument und die Anekdote „Wie mich Abu Simbel erschlug“ sind, wie jegliches Einziehen der historischen Differenz, falsch. Daß altägyptische und faschistische Herrschaftsarchitektur jedesmal Herrschaftsarchitektur ist, führt zu einer sozusagen optischen Täuschung, der man nicht aufsitzen darf.

Ob das „automatische Subjekt“ (kap. Produktionsverhältnisse) die auf Wissenschaft und Technik beruhende Produktion (entfesselte Produktivkräfte) kommandiert, oder ob in einem vorkapitalistischen unentwickelten Verhältnis eine Verallgemeinerung in Freiheit nicht möglich ist, da wegen noch schwächelnder Produktivkräfte „nur der Mangel verallgemeinert und die alte Scheiße wieder hergestellt würde“ (Marx) – dies macht den Unterschied.
Vorkapitalistisch hat Herrschaft ihr Moment der Rationalität an der notwendigen Organisation des Mangels. Dieses Moment entfällt mit der bürgerlichen Entfesselung der Produktivkräfte. Kapitalistische Herrschaft ist so widerwärtig, weil sie so überflüssig ist.

Das affiziert die ästhetische Erscheinungsweise von Herrschaft selbst. Abu Simbel ist Funktionalität für den Herrscher, der beeindrucken möchte, aber es geht in dieser Funktionalität nicht auf: Das Bauwerk reflektiert, was die Gattungskräfte, deren gesellschaftliche Kombination, der Barbarei des Naturzustands schon abgerungen haben. Daran hat Abu Simbel seine Würde, die sich dem Betrachter mitteilt.

Wilhelm Zwo- und Nazi-Architektur sind solcher Grandiosität nicht mehr fähig. Ihr gigantomanisches Gebrüll übertäubt die Absenz jeder vernünftigen Begründung von Herrschaft. Herrschaft will nur noch einschüchtern, da sie außer Einschüchterung nichts mehr zu bieten hat. Wie irre gebärdet sich Herrschaft, da sie durch ihre Überflüssigkeit irre wurde an sich selbst.
Daher sind ihre Werke ohne Maß, und ihre Skulpturen geschlagen mit Lächerlichkeit.

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Großartig formuliert, ein echter Nörgler. Hinzu kommt: Die Architektur des Völkerschlachtdenkmals wie auch die des NS, des Faschismus und des Stalinismus lassen sich kunsthistorisch nur als Angriff auf die Klassische Moderne verstehen. Die spätwilhelminische Großkotz-Architektur richtete sich gegen Jungendstil und Art Déco, NS-Baustil und faschistischer Neo-Neoklassizismus gegen Bauhausstil, Sozialistischer Realismus gegen die als "Formalismus" gebranntmarkte künstlerische Avantgarde in Form von Bauhaus, Art Déco, Konstruktivismus und Surrealismus. Es waren totalitäre Niedermachprogramme gegen das, was im Zeitgeist als progressiv galt.

Herr der Ringe ist Fantasy, die nichts mit realhistorischen Baustilen zu schaffen hat.

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Faszinierend, was man mit ein paar Beiträgen hier so auslöst... ;-)

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Che:
au revoir, mon ami vieux.

Der SS-ologe rät dazu, sich mit Worpswede und dem Haus Atlantis zu beschäftigen.

Inhalt und Form sind 2 Ebeben, die häufig, aber nicht zwangsläufig miteinander verknüpft sind.

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Ich wüsste nicht, wieso die Böttcherstraße hierzu im Widerspruch stehen sollte, das Marinehrenmal von Laboe und das Tannenbergdenkmal gehören auch in dieselbe Ecke. Dass der NS nun speziell den Expressionismus vereinnahmt hat (während Surrealismus, Dadaismus, Bauhaus, episches Theater, Konstruktivismus als "entartet" galten) ist ja nun altbekannt.

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@Jopa neu: Ich wollte gar nicht, dass die Debatte in diese Richtung geht. Von Dir würde ich gerne lesen, ob denn nun stockkonservative Bauingenieure oder alte Burschenschafter in meinem Bekanntenkreis Bestandteile eines strukturell linken Umfelds sind und wie Dein eigener Bekanntenkreis so zusammengesetzt ist.

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Es mag in Deinem Umfeld auch "stockkonservative Bauingenieure oder alte Burschenschafter" (was eigentlich noch nicht einmal viel aussagt) geben, aber genau so, wie eine Schwalbe noch keinen Sommer macht, und ich davon ausgehe, daß diese Personengruppen Dein Umfeld nicht dominieren, wirkt die Beschreibung Deines Umfeldes auf mich strukturell links. Ich kenne auch genau 2 klassische Arbeiter und IG-Metall-Mitglieder, was aber nichts daran ändert, daß mein Umfeld sicherlich (bedingt auch durch berufliche und sonstige Umstände) "rechter" ist als Deines, wobei ich da nicht von einem "Bekanntenkreis" sprechen würde, sondern von den Leuten, denen ich so unter verschiedensten Umständen im Laufe des Tages halt begegne - und die mich in Summe deutlich weniger überrascht auf Situationen wie den Auslöser Deines Beitrages reagieren lassen.

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Es ist vielleicht auch eine Alters- und Sozialisationsfrage: Von denen in meinem Umfeld, die konservativ sind, würde niemand überhaupt ein poppig aufgemachtes Motto-T-Shirt mit politischer Aussage anziehen. Weil sie dafür schon rein habituell zu konservativ sind. Da ist schwarzer Markenanzug angesagt oder in der Freizeit Loden. Vom politischen Weltbild ist in meinem Kontaktkreis alles außer Rechtsradikalen und islamischen Fundamentalisten vertreten, mit einem deutlichen Übergewicht gemäßigt linker Positionen. Insofern bin ich als radikal Linker in meinem eigenen Umfeld ein Außenseiter, was früher einmal anders war.

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Marineehrenmal Laboe
Da ich den Großteil meiner Jugend im 2km entfernten Nachbardorf von Laboe verlebt habe, kenne ich dieses Ehrenmal natürlich aus eigener Anschauung. Architektur hin oder her, es bietet einen weiten Ausblick über die Kieler Förde, gerade bei der Regatta der Kieler Woche. Natürlich hatten wir als Kinder auch Flummis dabei, um sie von oben runterzuwerfen, allerdings immer auf Nimmerwiedersehen. Auch das U-Boot, daß an seinem Fuße wie ein Fisch auf dem Trockenen zur Besichtigung im Strandsand liegt, fanden wir "cool". Die Wandelhalle unter dem Ehrenmal, kühl, Schiffsmodelle, endlose Tafeln der auf See Gefallenen, "Deutscher, entblöße Dein Haupt"...nun ja, von den Toten nur Gutes, und schon uns als Kindern wurde dadurch der Wahnsinn der Weltkriege bewußt gemacht, was der Intention der Erbauer dieses Ehrenmals eher widersprochen haben dürfte. Für Laboe ist es eine Sehenwürdigkeit, eine Touristenattraktion. Soll man sie abreißen, weil sie aus den falschen Gründen gebaut wurde?

Wenn ich heute durch Kiel gehe, fallen mir am meisten die fehlenden Flakbunker auf, die während meiner Kindheit noch überall zu sehen waren. Ähnlich wie der Kaiserbahnhof in Potsdam mit seinen jedenfalls bis 1994 nie beseitigten Beschußschäden.
Die wirklichen Zeugnisse des Krieges werden aus dem Bewußtsein der Öffentlichkeit getilgt.

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Geschichte abreißen? Niemals!
Um Clios Willen, ich bin grundsätzlich dagegen, Erinnerungsarchitektur abzureißen. Was ich sagen wollte ist auch nur, in welchem historischen Kontext nun speziell die wilhelminische, nationalsozialistische, faschistische und stalinistische Kolossalarchitektur steht und dass deren ästhetische Formensprache nicht einfach nur "kolossal" ist, sondern ihre Spezifika haben, die etwas mit Ablehnung der Formensprache und auch der inneren Prinzipien der Klassischen Moderne zu tun haben. Zum Beispiel Stahlbetonkonstruktionen mit Fassaden aus rotem Backstein, die an die Backsteingotik des Nordens erinnern sollen, dabei aber schwungvolle und bombastische Formen haben, die nur mit Stahlbeton möglich sind. Das ist glatte Lüge, die Ideologie wird quasi zum Prinzip der Baukunst. Bauhaus mit Sichtbetonflächen oder Glasfassaden und Reduktion auf die geometrischen Grundformen ist das genaue Gegenteil.

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