Donnerstag, 24. Januar 2013
Zur Sprachdebatte - der ehrliche Brief eines afrodeutschen Kindes
Ohne weiteren Kommentar, einfach gut:


http://www.publikative.org/2013/01/23/neunjahrige-schreibt-brief-an-zeit/

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Gut??!

Mir persönlich liegt Sprachdogmatismus fern. Insofern verstehe ich diejenigen, welche die "schönen" (??), "alten" Begriffe in den Kinderbüchern unbedingt stehen lassen wollen, weil ihnen ansonsten "die Kindheit geraubt" werde, schon einmal garnicht.

Dass soviel Tumbheit es noch ins Fäule-Ton schafft, lässt tief blicken, und überdies auf einen erstaunlichen Verkalkungsgrad der betreffenden Autoren schließen. "Hauptsache, Debatte" - scheinen ein paar Chefreds zu glauben.

Begriffe wandeln sich eben. Punkt.

Wenn sich eine wichtige Gruppe in unserer Gesellschaft durch diese Begriffe verletzt bzw. herabgesetzt fühlt, dann nimmt man halt bessere Worte dafür.

Aber wehleidiges Herumkrakeelen von bestimmten Betroffenen finde ich nichtsdestotrotz ebenfalls etwas peinlich.
Katharina ergänzt: “Ich sehe es nicht ein, dass mir als Mutter jetzt quasi diktiert wird, ich solle meiner Tochter ‘erklären’, dass solche Wörter früher ‘normal’ waren – und sie sich bitte schön nicht verletzt fühlen soll.”

Sorry, bitte: Was ist das denn für ein Schwachsinn?! Niemand "diktiert" dieser Mutter, wie und auf welche Weiese sie ihrem Kind etwas erklären möchte. Tatsächlich ist der Hinweis auf einen gewandelten Sprachgebrauch nicht besonders fern liegend. Wenn eine Mutter sich zutiefst angegriffen zu fühlen meint, weil sie ab und an ihrem Kind etwas erklären muss - ähem: Sorry, das ist dann doch ziemlich überkandidelt.
An dieser Empathie fehlt es – wie bei ähnlich gelagerten Debatten – in Deutschland leider an allen Ecken und Enden. Was antisemitisch, rassistisch, sexistisch ist, bestimmen der Stammtisch und die graumelierten Herren an den Sturmgeschützen der Demokratie – auf keinen Fall aber die Betroffenen...

Jetzt wird es noch dämlicher:

Diese Dame sieht es wohl als Ausdruck ihrer besonderen "Empathie" an (die sie ja allgemein und von der ganzen Welt infordert), wenn sie die Journalisten beim SpOn zu Stammtischdeppen (doch genau, das meint sie) erklärt, die allesamt "graumelierte herren" darstellen würden, welche einen Scheiß auf die Auffassungen von Betroffenen geben.

Lachhaft. So etwas kann ich nicht ernst nehmen. Die Beschäftigten beim SpOn sehen jedenfalls nicht wie gleichgeschaltete Automaten aus, und wenn "Katharina" deren Kleidungsstil auch beklagenswert findet (warum eigentlich), ist mir das schon einmal piep-egal. Der argumentative Wert derartiger Schmähformeln geht exakt gegen Null. Genau genommen, sogar noch etwas weiter, gerade, wenn man für sich bzw. fürs eigene Kind Empathie einfordert.

Nee, "gut" war an diesem Kommentar nicht gerade viel. Außer halt - und das ist auch das einzige, was ich nachvollziehen kann: dass sie halt Begriffe wie "Neger" oder "Negerlein" in frisch gedruckten Kinderbüchern nicht lesen möchte.

Im Übrigen halte ich es für einen Irrglauben, dass Betroffenenvertreter automatisch bei allen sie betreffenden Fragen Definitionsmacht haben sollten. Dabei wird nämlich einerseits ausgeblendet, dass es unter Betroffenen durchaus (i.d.R. sogar) unterschiedliche Auffassungen gibt. Andererseits halte ich es für reichlich respektlos, allen "Nichtbetroffenen" implizit das Maul zu verbieten. Man entkommt dem notwendigen Kampf der Argumente nun einmal nicht, indem man die eigene Position zur "Betroffenensicht" erklärt. Das Verordnen von Sichtweisen und Positionen von oben herab (bzw. seitens besonders aktivistischer Betroffenen) kann den Prozess von Kommunikation und Verständigung nicht sinnvoll ersetzen. Das klappt höchstens in der ach-so-tollen Welt bestimmter, radikaler Subkulturen. Aber selbst dort nicht mal besonders toll.

Was ich hingegen, im klaren Gegensatz zum "Definitionsmacht"-Ansatz gut finde: Auf Betroffene besonders zu achten und ihre Anliegen/Ansichten sichtbarer zu machen. Aber eben nicht im Sinne dogmatischer Absolutheitsansprüche! Gesellschaft, und schon garnicht diejenige die ich anstrebe, funktioniert so nicht.

Nebenbei: Wenn ich als definitorischer Pock nun finde, dass "PoC" oder "WoC" problematische und oft sogar kontraproduktive Begrifflichkeiten darstellen:

Welche Betroffenensicht hat dann Vorrang?

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Mit "gut" war ausschließlich der Brief der Neunjährigen gemeint, nichts sonst. Was den Rest des Themas angeht findet sich hierzu ja hier ein eigener Blogeintrag. Et cetera carthaginem: Seit Monaten warte ich auf die Beantwortung meiner Mails.

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Schöner Beitrag, danke
Das ist genau das, was in der Debatte fehlt. Alte weiße Männer diskutieren und entscheiden, die Betroffenen werden ausgeblendet, es geht immer nur um das Abendland und seine Befindlichkeit, und die kam mit Rassismus ja schon immer gut zurecht. Zensur, literaturtheoretische Erwägungen etc. Was ist dieser Debatte aufgefahren wird, ist heftig. Es sind alles unbewusste Abwehrreaktionen von Leuten mit schlechtem Gewissen, das sie aber nach außen als rationales, gutes verkaufen.

Das heißt ja nicht, dass es unter Betroffenen nicht auch Wichtigtuer gibt. Dieses "PoC" halte ich auch für relativ absurd, zumal in einer Zeit, in der "Neger" offenbar noch gesellschaftsfähig ist, auch in der "Zeit".

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Die Bundeswehr wird künftig vor allem in Afrika 'unsere Freiheit verteidigen'. Noch äußert sich die Bundesregierung zurückhaltend, was Mali angeht - und läßt derweil die Medien und deren Kommentatoren vorpreschen. Witzeleien über Westerwelles Initiativen wechseln sich ab mit Horrorgemälden der Al Qaeda und jenen Flüchtlingsströmen, die Europa drohen, sollten die afrikanischen Hot Spots nicht befriedet werden. Man wird uns zunehmend mit Bildern von barbarischen Akten und rückständigen Zivilisationen überfluten. (Barbarei ist übrigens auch so ein Wort, wenn man es richtig bedenkt.) Die Stammtische werden es zu kommentieren wissen, derweil unsere Bildungspolitik es darauf anzulegen scheint, eine neue Generation 'hervorragendes Soldatenmaterial' heranzuzüchten. Unterm Strich geht es z.Z. natürlich darum, Frankreichs Uranminen in Afrika vor unerwünschtem Zugriff zu schützen. Ferner vielleicht auch um den Erhalt unserer Giftmülldeponien in Nigeria.

Inzwischen baut und bauscht die Presse Widersprüchlichkeiten in unserem Verhältnis zu Afrikanern auf. Man muß schon um die Ecke denken, um zu erkennen, wie heikel und fragwürdig es ist, auf diesen Zug aufzuspringen, um mitzudiskutieren.

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Das war der beste Kommentar, den ich zu der Thematik bloggosphärenweit gelesen habe, danke sehr dafür? Magst Du zu den Mülldeponien in Nigeria noch etwas schreiben, davon weiß ich wenig...?

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Und Dean, ich weiß eigentlich nicht, wieso Du mit so viel Häme auf diese Frau draufhaust, haufenweise "lachhaft", "dämlich", "Piep-egal". Zumindest lieferst Du hier gerade keinen Nachweis von Empathie, sondern für den Diskussionsstil, der Dir schon mehrere Kräche eingebracht hatte. Kommt es zum Konflikt zwischen einer schwarzen Frau und ihrem Kind und einer etablierten Mainstream-Media-Redaktion wegen der Verwendung des Wortes "Neger" ist voraussehbar, auf wessen Seite Du Dich schlägst.

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Sorry, Nigeria mit Ghana verwechselt: http://www.dradio.de/dlf/sendungen/hintergrundpolitik/1973857/

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Ach Du Scheiße, das ist ja wirklich erschütternd!
Dagegen sind ja die Bedingungen, die Friedrich Engels in "Zur Lage der Arbeiterklasse in England" beschrieben hatte geradezu heimelig.

Ich musste sofort an die Putumayo-Hölle denken und googelte den Begriff, landete dann aber bei einem Plattenlabel. Diese Kolonialgräuel scheinen nur in Papier überliefert zu sein

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Ich: der Prinzipienreiter
@ Che
Auf welche Seite ich mich schlage? Zunächst auf die Seite des Kindes, dem eine Zurückweisung via Sprache bitteschön erspart bleiben soll. Dann klar gegen einen Haufen Altherren-Ignoranten in den Fäuletönen, die Worte wie "Neger" oder "Negerlein" für sagenhaft erhaltenswert halten. Auch auf Seite des Grundanliegens dieser offenkundig etwas dämlich argumentierenden Frau.

Indes:

Ein überwiegend blöder Text mit blöden Argumenten bleibt ein blöder Text auch dann, wenn a) sein Anliegen grundsätzlich berechtigt ist und b) dieser Text von Wemauchimmer verfasst worden ist.

So wenig es mich bei der Kritik interessiert, dass irgendwelche "Autoritäten" Texte verfassen (außer: dass ihre Texte wohl eher Einfluss entfalten bzw. Ausdruck von Machtverhältnissen sind), so interessiert es mich bei einer Kritik genauso wenig, wenn echte oder vermeintliche Unterprivilegierte Texte verfassen (außer: dass ihre Texte/Anliegen eben sichtbarer gemacht werden sollen, quasi als Ausgleich für gesellschaftliche Minderprivilegierung bzw. dass deren Texte eben auch Ausdruck von Mindermachtverhältnissen bzw. Unterprivilegierung sind).

Es geht aber zu weit (auch wenn das in bestimmten Kreisen gerade Mode ist), wenn man sich selbst trotz erkennbaren Schwachsinns plötzlich "Fresse halten" verordnet oder sich sogar aus jeglichem Dialog und öffentlicher Kommunikation zurückzieht (bzw. euphemistisch formuliert in einer angeblichen ach-so-positiven einseitigen "Zuhörerhaltung", die einem von anderen zugewiesen wird) , nur weil man weiß, dass andere Leute auch mit gesellschaftlichen, politischen oder anderen schwer wiegenden Zurückweisungen und Problemen zu kämpfen haben. Rede und Gegenrede sind ein gutes Prinzip - und sollten frei sein, und auch weitgehend unabhängig von der vermuteten Position des/der Sprechenden.

Anders gesagt:

Dass ich aus Sicht irgendwelcher Wirrköpf_innen in erster Linie "weißer cissexueller heterosexueller Mann" bin (oder was auch immer), halte ich prinzipiell für absolut vernachlässigenswert. Es gibt überdies einen Haufen anderer Dinge, auf die es ankommt. Ich nehme mir das Recht zu denken, zu sprechen und zu kritisieren in jedem Falle heraus (als Unterschichtler übrigens sowieso) - und freue mich über jeden Menschen, egal welcher Herkunft/Sexualtität/Klassenzugehörigkeit der sich selbst dieses Recht auf Rede, Denken und Kritik genauso zuspricht!

Ich glaube nämlich tatsächlich: an die Gleichheit der Menschen.

In Bezug auf die großzügigen "Halts Maul!"-Angebote von Seiten von moralapostolischen Akademikern bzw. deren extremistisches Gefolge, welche Menschen in erster Linie und höchst einseitig nach Hautfarben sowie Sexualorientierungen in vermeintliche Überprivilegierungen einsortieren: bleibt mir leider nur Spott.

Ich bin ganz gewiss kein gutes Beispiel für "privilegiert".

Und du weißt Che, dass mein Spott nicht nur in Bezug auf polittheroretische Begründungen eine gewisse Berechtigung hat (bzw. halbwegs fundiert ist), sondern nicht zuletzt auch in den Verhältnissen fundiert wird, aus denen ich entstamme - und in denen ich mich befinde.

Ich lasse mir von niemanden den Mund verbieten. Und schon gar nicht von politischen Dogmatikern. Die müssen, so denke ich nun einmal, prinzipiell etwas vor den Karren bekommen.

Da ist einfach ein ganz starkes, Anti-autoritäres, egalitäres Moment in mir - eine prinzipielle Rebellenhaltung und Wehrhaftigkeit.

Die bekommt mir übrigens z.B. bei meinen Eineurojob, den ich seit Anfang dieser Woche angefangen habe, ganz ausgezeichnet: Wenn mir etwas nicht passt, dann sage ich das - und versuche die Verhältnisse zum Besseren zu bewegen bzw. meine Argumente vorzutragen.

Finde ich einfach ein gutes Prinzip.

Und kein "Ohg~tt, das darfst du doch nicht sagen" hält mich davon ab. Ich finde darüber hinaus, jeder einzelne Griff in öffentliche Mülleimer gibt mir ein Rederecht, jede mehrfach pro Woche stattfindende Containertour (ähem: diese Wochen gab es Flusskrebse und Riesengambas, über die sich meine Katze wegen Übermenge hermachen durfte) gibt, jede Beleidigung die ich mir von irgendwelchen vertrockneten, gutsituierten Bessermenschen abhole, gibt mir ein Recht auf freie Rede.

Finde ich wirklich wichtig: Das Recht auf freie Rede. Das Recht auf freie Kritik.

Dass das nun auf Seiten z.B. von radikalen Queerfeministas (sowie dem einem oder anderen verhaltensauffälligen "Filmemacher") gemäß neuester radikaler Politmode in Abrede gestellt wird, lässt imho tief blicken.

In einen Abgrund.

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Vielleicht sollte man mal zur Kenntnis nehmen, was Schwarze selber zu dieser Form von Antirassismus zu sagen haben, z.B. Adolph Reed von der Universität Pensylvania, “the smartest person of any race, class, or gender writing on race, class, and gender” (Katha Pollitt, Mother Jones)

http://www.sas.upenn.edu/polisci/people/standing-faculty/adolph-reed

Etwa dies:

“All too often, “racism” is the subject of sentences that imply intentional activity or is characterized as an autonomous “force.” In this kind of formulation, “racism,” a conceptual abstraction, is imagined as a material entity. Abstractions can be useful, but they shouldn’t be given independent life. I can appreciate such formulations as transient political rhetoric; hyperbolic claims made in order to draw attention and galvanize opinion against some particular injustice. But as the basis for social interpretation, and particularly interpretation directed toward strategic political action, they are useless. Their principal function is to feel good and tastily righteous in the mouths of those who propound them. People do things that reproduce patterns of racialized inequality, sometimes with self-consciously bigoted motives, sometimes not. Properly speaking, however, “racism” itself doesn’t do anything more than the Easter Bunny does. … My point is that it’s more effective politically to challenge the inequality and injustice directly and bypass the debate over whether it should be called “racism.”

Demnach wird also der Begriff “Rassismus” in einer mystifizierenden Art und Weise verwendet, und Rassismus wird implizit zum handelnden Subjekt, das unabhängig von den Individuen in irgendwelchen Strukturen sitzt und alles durchdringt.

„The contemporary discourse of “antiracism” is focused much more on taxonomy than politics. It emphasizes the name by which we should call some strains of inequality—whether they should be broadly recognized as evidence of “racism”— over specifying the mechanisms that produce them or even the steps that can be taken to combat them. And, no, neither “overcoming racism” nor “rejecting whiteness” qualifies as such a step any more than does waiting for the “revolution” or urging God’s heavenly intervention. If organizing a rally against racism seems at present to be a more substantive political act than attending a prayer vigil for world peace. … Properly speaking, however, “racism” itself doesn’t do anything more than the Easter Bunny does.”

Im gegenwärtigen antirassistischen Diskurs geht es also eher darum, zu bestimmen, ob Vorfall XY rassistisch ist und wenn ja warum, als darum konkrete politische Strategien zu entwickeln. „Den Rassismus zu überwinden“ ist eine ungefähr genauso konkrete Handlungsanweisung, wie auf die Revolution oder den Eingriff Gottes zu warten.

“My point is that it’s more effective politically to challenge the inequality and injustice directly and bypass the debate over whether it should be called “racism.”

Mein Reden. Als wenn es dadurch, dass man den Text irgendwelcher Kinderbücher ändert, weniger Rassismus gäbe.

Quelle für alle Zitate ist:
http://www.leftbusinessobserver.com/Antiracism.html
Höchst lesenswerter Artikel.

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