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Montag, 13. Oktober 2008
Fundsache, aktualisiert
che2001, 02:22h
Dies hier ist ein Artikel, den ich anlässlich der letzten Phase des Jugoslawienkriegs 1999 schrieb und den ich auch heute noch (oder wieder) interessant finde, weil er einige Mechanismen offenlegt. Wohl gemerkt: Stand 1999.
KRIEGen sie den Balkan?
Im Krieg zwischen der NATO und der Bundesrepublik Jugoslawien geht es nicht um das Schicksal der Kosovaren.
Spätestens seit bekannt wurde, daß das Abkommen von Rambouillet eine Zusatzklausel enthielt, die für Jugoslawien von Vornherein unannehmbar war, weil sie Hoheitsrechte für die NATO-Truppen in Jugoslawien vorsah und auf die faktische Besetzung des ganzen Landes, nicht nur des Kosova, hinauslief, erscheint diese Tatsache offensichtlich. Getragen von einer Welle der Sympathie und des Mitleids für die (Kosova-albanischen) Opfer von Vertreibung und Greueltaten serbischer Milizen, haben in den letzten Wochen viele Deutsche enorme Summen für Angehörige einer Volksgruppe gespendet, die vom deutschen Alltagsrassismus sonst als Volk von Autodieben, Zuhältern und Waffenschiebern und somit als schlichtweg der letzte Dreck angesehen wurden. Diese Hilfsbereitschaft besagt aber nicht, daß Rassismus bei Deutschen schnell heilbar oder zumindest von Mitleid überlagert ist, sondern wohl viel eher, wie sehr das öffentliche Bewußtsein durch Medien gesteuert wird. Die ausführlichen Fernsehbilder vom Elend der Flüchtlinge gehen unter die Haut, und genau das sollen sie auch. Gleichzeitig lenkt die Ausschließlichkeit, mit der zur Zeit vom Flüchtlingsschicksal auf dem Balkan berichtet wird, von vergleichbaren Tragödien in Kurdistan, Niger, Äthiopien/Eritrea, Afghanistan und so weiter und so weiter ab. Die Tatsache, daß Teile dieses Planeten ein großes Schlachthaus sind und daß Völkermord seit Jahrzehnten ständig irgendwo stattfindet, im Weltmaßstab betrachet zum Alltag gehört, verschließt sich dem betrachtenden Auge. Dieser Ausschließlichkeit der öffentlichen Wahrnehmung entspricht das Handeln der bombenden NATO: Würde sie ihren eigenen, im Übrigen völkerrechtswidrigen Grundsatz wahrnehmen und Menschenrechte rigoros mit Gewalt durchsetzen, so müßte sie längst gegen ihr - am Luftkrieg gegen Jugoslawien beteiligtes - Mitgliedsland Türkei Krieg führen, das seit den Siebziger Jahren mit der kurdischen Bevölkerung das Gleiche macht wie die serbischen Chauvinisten mit den Kosovaren. Krieg führen müßte die NATO ebenso gegen China, Indonesien oder Brasilien, wo Indianervölker ausgerottet und Straßenkinder von paramilitärischen Banden abgeschlachtet werden und gegen zahlreiche andere Staaten. Ein General der Bundeswehr meinte sogar, nach der Logik dieses Krieges müßte die NATO eigentlich Großbritannien bombardieren, um es für anhaltende Menschenrechtsverletzungen in Nordirland zu bestrafen. Eines aber ist sicher: Das Schicksal notleidender Menschen hat Militärstrategen in der Vergangenheit nie interessiert - warum sollte jetzt plötzlich etwas der Fall sein, daß in der ganzen Menschheitsgeschichte bislang keine Rolle gespielt hat?
cui bono - wem nutzt es?
Kriege haben, die ganz offen als Raubzüge geführten militärischen Unternehmungen der Antike und der Frühzeit ausgenommen, die Besonderheit, daß ihre ideologische Rechtfertigung mit den tatsächlichen Motiven nichts zu tun hat. Beim zweiten Golfkrieg ging es nicht um das Selbstbestimmungsrecht von Kuwait, sondern um die strategische Kontrolle des Mittleren Ostens, die den USA englitten war, die Umverteilung ganzer Bevölkerungsgruppen - Millionen WanderarbeiterInnen aus Ägypten, dem Yemen und Asien wurden aus Kuwait und Irak vertrieben, was es dem Irak ermöglichte, seine eigene soziale Bombe, bestehend aus einem Massenheer arbeitsloser Frontheimkehrer des ersten Golfkrieges, zu entschärfen - und die Ölinteressen der westlichen Mächte. Beim Falkland/Malvinenkrieg ging es nicht um die nationale Zugehörigkeit einer kleinen Fischer- und Schafzüchtergemeinde auf einem Steinhaufen im Südatlantik, die ohnehin auf dem argentinischen Festland einzukaufen und auszugehen pflegte, sondern um die strategische Kontrolle des Kap Hoorn, das im Ernstfall für die sowjetische Flotte gesperrt werden sollte, um Bodenschätze im Südatlantik, den Zugang zur Antarktis und schließlich auch darum, die dritt- bis viertstärkste Marine der Welt mal so richtig im Einsatz zu testen.
Und schließlich war auch die Befreiung Europas vom Nationalsozialismus zwar das Produkt des Zweiten Weltkriegs, aber er wurde nicht deswegen geführt. Den Verbrechen des Nationalsozialismus in den ersten sechs Jahren seiner Herrschaft hatten die USA und Großbritannien mit schulterzuckender Gleichgültigkeit gegenübergestanden, die Tschechoslowakei hatten sie den Nazis und Spanien den Franquisten geopfert, und die Sowjetunion war sich nicht für den Hitler-Stalin Pakt zu schade, während im Reich Tausende KommunistInnen gequält und ermordet wurden.
Der Konflikt im ehemaligen Jugoslawien zeigte sich in der Vergangenheit als eine Gemengelage sehr unterschiedlicher Interessen, die eine unheilvolle Mischung ergaben. Der kroatische und slowenische Separatismus wurde getragen von einer Entsolidarisierung mit den armen Bundesstaaten Bosnien-Herzegowina, Montenegro und Mazedonien, welche die regionalen Oberschichten der sich abspaltenden Staaten nicht länger subventionieren wollten. Es ging darum, ohne den Ballast der ärmsten Regionen Europas auf die EU zuzuwachsen, ein Vorhaben, dem die BRD mit der schnellen Anerkennung Sloweniens und Kroatiens entgegenkam. Es zahlte sich aus: Schlüsselbereiche der slowenischen und kroatischen Wirtschaft gehören heute deutschen Konzernen, so ist praktisch die gesamte Stromversorgung Kroatiens Eigentum von Siemens. Der im Verlauf des Krieges hochgepuschte ethnische Haß entlud sich in bestialischen Grausamkeiten auf beiden Seiten, zunächst ohne daß die NATO oder Westeuropa einen Handlungsbedarf gesehen hätten. Die blutigen Schlachten von Vukovar und Vinkovci wurden hingenommen; während Vukovar Haus für Haus zerschossen wurde, interessierten sich die Westmächte USA und BRD gerade für Somalia, wo deutsche UN-Truppen bald darauf ihre ersten Fronterfahrungen sammelten. Der mit einem Totenschädel in der Hand vor den Kameras der Weltöffentlichkeit posierende serbische Ultra-Nationalist Capitan Dragan wurde nicht als Menschenschlächter, sondern eher als bizarrer Exot wahrgenommen. Erst als im Zuge des Bosnien-Krieges die „ethnischen Säuberungen“ ganzer Regionen zu einem enormen Zustrom von Flüchtlingen nach Westeuropa, besonders nach Deutschland, führten, obwohl man dort doch gerade das einklagbare Asylrecht abgeschafft hatte, entdeckten nach dem französischen General Morillon auch Kohl und Clinton Handlungsbedarf. Schließlich wurde der Frieden von Dayton herbeigebombt. Dabei ging es keineswegs darum, mit ausgewogener Gerechtigkeit zwei gleichermaßen unmenschliche Gegner zur Räson zu bringen. Vielmehr war „der Serbe“ für BRD und USA von Vornherein der Böse. Über serbische Greueltaten wurde denn auch ausführlichst in deutschen Medien berichtet, während Fotos, die in der britischen Presse die Runde machten und etwa muslimische Milizionäre beim Fußballspiel mit - serbischen - Menschenköpfen zeigten, in Deutschland unterschlagen wurden. Die Massenvergewaltigungen durch serbische Soldaten und das Massaker von Srebrenica durch die serbische Armee waren in deutschen Medien Thema, die größte Vertreibungsaktion des ganzen Krieges, den Rauswurf der Krajna-SerbInnen aus ihrer seit Jahrhunderten bewohnten Heimat durch die kroatische Armee, fand hingegen kaum und der Kampf deutscher Neonazis in den Reihen der faschistischen kroatischen HOS und der muslimischen Truppen in Bosnien praktisch keine Beachtung. Diese selektive Sicht der Dinge korrespondierte mit handfesten Interessen der deutschen Industrie: Serbien, mit einer weitgehend verstaatlichten Wirtschaft und einer ökonomischen Ausrichtung auf einen Balkan-Markt, zu dem auch Ungarn und Griechenland gehören, war wirtschaftlich völlig uninteressant, während sich Kroatien dem deutschen Kapital förmlich an den Hals warf. Und da aus serbischer Sicht die deutsch-kroatische Allianz wie eine Fortsetzung der Kooperation zwischen Nazis und faschistischer kroatischer Ustascha aus dem Zweiten Weltkrieg erschien (zugegeben eine sehr überzeichnete und simple Sicht der Dinge), mußte in der deutschen Öffentlichkeit alles getan werden, um diese Assoziation zu verdrängen. Diese Verdrängung ist umso wirksamer, wenn alle Gegner „des Serben“ als gut und die serbischen Verbrechen als schlimmer als die aller Anderen wahrgenommen werden. Eine ähnliche Dämonisierung kennen wir aus dem zweiten Golfkrieg hinsichtlich Saddam Husseins.
Während des Kroatien- und Bosnien-Krieges wurden im Kosova albanische Menschen von Angehörigen der dünnen serbischen Oberschicht, paramilitärischen Freizeitkriegern aus dem eigentlichen Serbien und serbischer Polizei drangsaliert, vertrieben und unterdrückt, wie dies im Übrigen schon seit 1980 der Fall ist. Solange der Westen Milosevic als Garanten des Bosnien-Friedens von Dayton benötigte, wurde davon nicht viel Aufhebens gemacht. Erst der Beginn des bewaffneten Kampfes der UCK rief den Westen auf den Plan. Wenn UCK,-Einheiten heute mit italienischen Regierungsbussen in voller Kampfmontur zum Einsatz gefahren werden, ist dies so, als ob etwa Rußland die PKK gegen die Türkei in Stellung bringen würde. Ironischerweise betrachtet die UCK zumindest in organisatorischer Hinsicht die PKK als ihr Vorbild - oder tat dies vor ihrer Unterstützung durch den Westen.
Worum geht es heute?
Hinter dem aktuellen Vorgehen der NATO dürfte ein ganzes Bündel von Interessen stecken. Erstens spielt eine Installierung der NATO als Weltpolizei eine Schlüsselrolle: ohne UN-Mandat, ohne an das Völkerrecht gebunden zu sein, soll sie die Möglichkeit haben, weltweit zu intervenieren, wo immer dies zweckmäßig erscheint. Die Tatsache, daß in den Verteidigungspolitischen Richtlinien der Bundeswehr von 1992 ausdrücklich die Kontrolle der internationalen Rohstoffwege genannt wird und daß seit einigen Jahren alle westlichen Marinen für entsprechende Einsätze ausgerüstet werden, zeigt, von wie langer Hand dies geplant wird. Der NATO käme damit eine Funktion zu, wie im Mittelalter dem kaiserlichen Heerbann - eine Streitmacht, die niemandem Verantwortung schuldet, die selbst das Gesetz ist.
Dann geht es offensichtlich auch darum, auszutesten, wieweit Rußland bereit ist mitzumachen, bzw. sich auf der Nase herumtanzen zu lassen. Jelzins bereits ausgesprochene Weltkriegsdrohungen, die scheinbar niemand ernstnimmt, haben zur größten Ost-West-Spannung seit der Kuba-Krise geführt, aber diese wird nicht wahrgenommen. In diesem Zusammenhang dürfte auch der Faktor „Rüstungsindustrie“ als Garant für wirtschaftlichen Aufschwung und Arbeitsplätze stehen. Ein Teil der im Kalten Krieg angehäuften Arsenale kann endlich verfeuert werden, die Auftragsbücher für neue Munition werden geschrieben. Das bankrotte Rußland wird trotz seiner Wirtschaftskrise angesichts der beeindruckenden Demonstration westlicher Firepower dazu genötigt, teure neue Waffensysteme, wie die Topol-Rakete und den MiG 142 - Jäger, zu bauen und damit einerseits noch abhängiger von westlichen Banken, während andererseits zumindest in kleinem Maße ein neues Wettrüsten inszeniert werden kann, daß der kriselnden Rüstungsindustrie des Westens Erholung bietet. Rüstungsgüter besitzen Eigenschaften, die für Industrieprodukte einmalig sind: Garantierte Abnahme, absolute Höchstpreise, absolute Qualität und regelmäßige Neubeschaffung. Der Wohlfahrtsstaat der siebziger Jahre basierte weitgehend auf dem Wettrüsten, wobei die Rüstungsindustrie über die mit ihr verschwisterten Sektoren - Stahl, Kohle, Logistik, Elektronik - als Konjunkturmotor fungierte. Nach Auskunft des früheren Bundesarbeitsministers Ehrenberg ist die erstaunliche Gesundung der US-Industrie unter Clinton nicht im Wesentlichen auf die Liberalisierung des Dienstleistungssektors zurückzuführen, sondern auf die dortige Ausweitung der andernorts heruntergeschraubten Luft- und Raumfahrtindustrie durch SDI-Forschung und bemannte Raumfahrt. Auch wenn in diesen Sektoren nicht sehr viele Menschen beschäftigt sind - die Zulieferindustrien ziehen sich quer durch die gesamte Ökonomie, und die Profite sind enorm. Die bisherige Wirtschaftsstrategie des Westens, namentlich der USA, lautet Sustainable Development, nachhaltige Entwicklung, was Schonung von Ressourcen, Kostensenkung, umweltfreundliche Produktionsweise und langfristige Investitionen beinhaltet. Bislang war diese Strategie nicht sehr erfolgreich. Einen Krieg dazu zu benutzen, die Voraussetzungen zum Anschieben eines neuen Konjunkturzyklus der alten Art zu schaffen, könnte als Überlegung durchaus eine Rolle spielen. Immerhin war das Wirtschaftswunder der Fünfziger Jahre ein direktes Ergebnis des Korea-Kriegs, der den größten Boom der Geschichte auslöste. Möglich wäre auch ein neues Modell, welches das Konzept der Nachhaltigkeit mit dem einer kontrollierten Ausweitung der Rüstungsproduktion verbindet.
Schließlich geht es zumindest insoweit um die Kosovaren, als daß diese im Rahmen der migrationsfeindlichen Abschottung der „Festung Europa“ nach Möglichkeit draußen gehalten bzw. nur kurzfristig in EU-Länder aufgenommen werden sollen. Dafür ist eine Umkehr ihrer Vertreibung notwendig, auch wenn diese durch die NATO-Bombenangriffe forciert wurde. Diese ist wahrscheinlich nur durch eine vollständige territoriale Kontrolle der NATO über Rest-Jugoslawien oder zumindest des Kosova mit Albanien, Mazedonien und Montenegro
möglich. Wenn die NATO-Strategen allerdings meinen, mit dem Krieg gegen Jugoslawien allen unbotmäßigen Regierungen auf der Welt nun zeigen zu können, wo der Hammer hängt, so könnte dieser Schuß ein Rohrkrepierer werden. Indien hat bereits die Zeichen der Zeit erkannt und in Absprache mit dem erklärten Gegner Pakistan(!) eine nukleare Mittelstreckenrakete getestet. Mittlerweile hat auch Pakistan nachgezogen. Jeder Staat der Dritten Welt, dessen Interessen denen der USA oder der EU zuwiderlaufen, wird danach streben, sich Nuklearwaffen oder zumindest größere Kulturen mit Pesterregern zuzulegen. Die neue Weltunordnung, die im Augenblick implementiert wird, kann grauenhafte Züge annehmen. Demgegenüber nahm sich der Kalte Krieg richtig gemütlich aus.
KRIEGen sie den Balkan?
Im Krieg zwischen der NATO und der Bundesrepublik Jugoslawien geht es nicht um das Schicksal der Kosovaren.
Spätestens seit bekannt wurde, daß das Abkommen von Rambouillet eine Zusatzklausel enthielt, die für Jugoslawien von Vornherein unannehmbar war, weil sie Hoheitsrechte für die NATO-Truppen in Jugoslawien vorsah und auf die faktische Besetzung des ganzen Landes, nicht nur des Kosova, hinauslief, erscheint diese Tatsache offensichtlich. Getragen von einer Welle der Sympathie und des Mitleids für die (Kosova-albanischen) Opfer von Vertreibung und Greueltaten serbischer Milizen, haben in den letzten Wochen viele Deutsche enorme Summen für Angehörige einer Volksgruppe gespendet, die vom deutschen Alltagsrassismus sonst als Volk von Autodieben, Zuhältern und Waffenschiebern und somit als schlichtweg der letzte Dreck angesehen wurden. Diese Hilfsbereitschaft besagt aber nicht, daß Rassismus bei Deutschen schnell heilbar oder zumindest von Mitleid überlagert ist, sondern wohl viel eher, wie sehr das öffentliche Bewußtsein durch Medien gesteuert wird. Die ausführlichen Fernsehbilder vom Elend der Flüchtlinge gehen unter die Haut, und genau das sollen sie auch. Gleichzeitig lenkt die Ausschließlichkeit, mit der zur Zeit vom Flüchtlingsschicksal auf dem Balkan berichtet wird, von vergleichbaren Tragödien in Kurdistan, Niger, Äthiopien/Eritrea, Afghanistan und so weiter und so weiter ab. Die Tatsache, daß Teile dieses Planeten ein großes Schlachthaus sind und daß Völkermord seit Jahrzehnten ständig irgendwo stattfindet, im Weltmaßstab betrachet zum Alltag gehört, verschließt sich dem betrachtenden Auge. Dieser Ausschließlichkeit der öffentlichen Wahrnehmung entspricht das Handeln der bombenden NATO: Würde sie ihren eigenen, im Übrigen völkerrechtswidrigen Grundsatz wahrnehmen und Menschenrechte rigoros mit Gewalt durchsetzen, so müßte sie längst gegen ihr - am Luftkrieg gegen Jugoslawien beteiligtes - Mitgliedsland Türkei Krieg führen, das seit den Siebziger Jahren mit der kurdischen Bevölkerung das Gleiche macht wie die serbischen Chauvinisten mit den Kosovaren. Krieg führen müßte die NATO ebenso gegen China, Indonesien oder Brasilien, wo Indianervölker ausgerottet und Straßenkinder von paramilitärischen Banden abgeschlachtet werden und gegen zahlreiche andere Staaten. Ein General der Bundeswehr meinte sogar, nach der Logik dieses Krieges müßte die NATO eigentlich Großbritannien bombardieren, um es für anhaltende Menschenrechtsverletzungen in Nordirland zu bestrafen. Eines aber ist sicher: Das Schicksal notleidender Menschen hat Militärstrategen in der Vergangenheit nie interessiert - warum sollte jetzt plötzlich etwas der Fall sein, daß in der ganzen Menschheitsgeschichte bislang keine Rolle gespielt hat?
cui bono - wem nutzt es?
Kriege haben, die ganz offen als Raubzüge geführten militärischen Unternehmungen der Antike und der Frühzeit ausgenommen, die Besonderheit, daß ihre ideologische Rechtfertigung mit den tatsächlichen Motiven nichts zu tun hat. Beim zweiten Golfkrieg ging es nicht um das Selbstbestimmungsrecht von Kuwait, sondern um die strategische Kontrolle des Mittleren Ostens, die den USA englitten war, die Umverteilung ganzer Bevölkerungsgruppen - Millionen WanderarbeiterInnen aus Ägypten, dem Yemen und Asien wurden aus Kuwait und Irak vertrieben, was es dem Irak ermöglichte, seine eigene soziale Bombe, bestehend aus einem Massenheer arbeitsloser Frontheimkehrer des ersten Golfkrieges, zu entschärfen - und die Ölinteressen der westlichen Mächte. Beim Falkland/Malvinenkrieg ging es nicht um die nationale Zugehörigkeit einer kleinen Fischer- und Schafzüchtergemeinde auf einem Steinhaufen im Südatlantik, die ohnehin auf dem argentinischen Festland einzukaufen und auszugehen pflegte, sondern um die strategische Kontrolle des Kap Hoorn, das im Ernstfall für die sowjetische Flotte gesperrt werden sollte, um Bodenschätze im Südatlantik, den Zugang zur Antarktis und schließlich auch darum, die dritt- bis viertstärkste Marine der Welt mal so richtig im Einsatz zu testen.
Und schließlich war auch die Befreiung Europas vom Nationalsozialismus zwar das Produkt des Zweiten Weltkriegs, aber er wurde nicht deswegen geführt. Den Verbrechen des Nationalsozialismus in den ersten sechs Jahren seiner Herrschaft hatten die USA und Großbritannien mit schulterzuckender Gleichgültigkeit gegenübergestanden, die Tschechoslowakei hatten sie den Nazis und Spanien den Franquisten geopfert, und die Sowjetunion war sich nicht für den Hitler-Stalin Pakt zu schade, während im Reich Tausende KommunistInnen gequält und ermordet wurden.
Der Konflikt im ehemaligen Jugoslawien zeigte sich in der Vergangenheit als eine Gemengelage sehr unterschiedlicher Interessen, die eine unheilvolle Mischung ergaben. Der kroatische und slowenische Separatismus wurde getragen von einer Entsolidarisierung mit den armen Bundesstaaten Bosnien-Herzegowina, Montenegro und Mazedonien, welche die regionalen Oberschichten der sich abspaltenden Staaten nicht länger subventionieren wollten. Es ging darum, ohne den Ballast der ärmsten Regionen Europas auf die EU zuzuwachsen, ein Vorhaben, dem die BRD mit der schnellen Anerkennung Sloweniens und Kroatiens entgegenkam. Es zahlte sich aus: Schlüsselbereiche der slowenischen und kroatischen Wirtschaft gehören heute deutschen Konzernen, so ist praktisch die gesamte Stromversorgung Kroatiens Eigentum von Siemens. Der im Verlauf des Krieges hochgepuschte ethnische Haß entlud sich in bestialischen Grausamkeiten auf beiden Seiten, zunächst ohne daß die NATO oder Westeuropa einen Handlungsbedarf gesehen hätten. Die blutigen Schlachten von Vukovar und Vinkovci wurden hingenommen; während Vukovar Haus für Haus zerschossen wurde, interessierten sich die Westmächte USA und BRD gerade für Somalia, wo deutsche UN-Truppen bald darauf ihre ersten Fronterfahrungen sammelten. Der mit einem Totenschädel in der Hand vor den Kameras der Weltöffentlichkeit posierende serbische Ultra-Nationalist Capitan Dragan wurde nicht als Menschenschlächter, sondern eher als bizarrer Exot wahrgenommen. Erst als im Zuge des Bosnien-Krieges die „ethnischen Säuberungen“ ganzer Regionen zu einem enormen Zustrom von Flüchtlingen nach Westeuropa, besonders nach Deutschland, führten, obwohl man dort doch gerade das einklagbare Asylrecht abgeschafft hatte, entdeckten nach dem französischen General Morillon auch Kohl und Clinton Handlungsbedarf. Schließlich wurde der Frieden von Dayton herbeigebombt. Dabei ging es keineswegs darum, mit ausgewogener Gerechtigkeit zwei gleichermaßen unmenschliche Gegner zur Räson zu bringen. Vielmehr war „der Serbe“ für BRD und USA von Vornherein der Böse. Über serbische Greueltaten wurde denn auch ausführlichst in deutschen Medien berichtet, während Fotos, die in der britischen Presse die Runde machten und etwa muslimische Milizionäre beim Fußballspiel mit - serbischen - Menschenköpfen zeigten, in Deutschland unterschlagen wurden. Die Massenvergewaltigungen durch serbische Soldaten und das Massaker von Srebrenica durch die serbische Armee waren in deutschen Medien Thema, die größte Vertreibungsaktion des ganzen Krieges, den Rauswurf der Krajna-SerbInnen aus ihrer seit Jahrhunderten bewohnten Heimat durch die kroatische Armee, fand hingegen kaum und der Kampf deutscher Neonazis in den Reihen der faschistischen kroatischen HOS und der muslimischen Truppen in Bosnien praktisch keine Beachtung. Diese selektive Sicht der Dinge korrespondierte mit handfesten Interessen der deutschen Industrie: Serbien, mit einer weitgehend verstaatlichten Wirtschaft und einer ökonomischen Ausrichtung auf einen Balkan-Markt, zu dem auch Ungarn und Griechenland gehören, war wirtschaftlich völlig uninteressant, während sich Kroatien dem deutschen Kapital förmlich an den Hals warf. Und da aus serbischer Sicht die deutsch-kroatische Allianz wie eine Fortsetzung der Kooperation zwischen Nazis und faschistischer kroatischer Ustascha aus dem Zweiten Weltkrieg erschien (zugegeben eine sehr überzeichnete und simple Sicht der Dinge), mußte in der deutschen Öffentlichkeit alles getan werden, um diese Assoziation zu verdrängen. Diese Verdrängung ist umso wirksamer, wenn alle Gegner „des Serben“ als gut und die serbischen Verbrechen als schlimmer als die aller Anderen wahrgenommen werden. Eine ähnliche Dämonisierung kennen wir aus dem zweiten Golfkrieg hinsichtlich Saddam Husseins.
Während des Kroatien- und Bosnien-Krieges wurden im Kosova albanische Menschen von Angehörigen der dünnen serbischen Oberschicht, paramilitärischen Freizeitkriegern aus dem eigentlichen Serbien und serbischer Polizei drangsaliert, vertrieben und unterdrückt, wie dies im Übrigen schon seit 1980 der Fall ist. Solange der Westen Milosevic als Garanten des Bosnien-Friedens von Dayton benötigte, wurde davon nicht viel Aufhebens gemacht. Erst der Beginn des bewaffneten Kampfes der UCK rief den Westen auf den Plan. Wenn UCK,-Einheiten heute mit italienischen Regierungsbussen in voller Kampfmontur zum Einsatz gefahren werden, ist dies so, als ob etwa Rußland die PKK gegen die Türkei in Stellung bringen würde. Ironischerweise betrachtet die UCK zumindest in organisatorischer Hinsicht die PKK als ihr Vorbild - oder tat dies vor ihrer Unterstützung durch den Westen.
Worum geht es heute?
Hinter dem aktuellen Vorgehen der NATO dürfte ein ganzes Bündel von Interessen stecken. Erstens spielt eine Installierung der NATO als Weltpolizei eine Schlüsselrolle: ohne UN-Mandat, ohne an das Völkerrecht gebunden zu sein, soll sie die Möglichkeit haben, weltweit zu intervenieren, wo immer dies zweckmäßig erscheint. Die Tatsache, daß in den Verteidigungspolitischen Richtlinien der Bundeswehr von 1992 ausdrücklich die Kontrolle der internationalen Rohstoffwege genannt wird und daß seit einigen Jahren alle westlichen Marinen für entsprechende Einsätze ausgerüstet werden, zeigt, von wie langer Hand dies geplant wird. Der NATO käme damit eine Funktion zu, wie im Mittelalter dem kaiserlichen Heerbann - eine Streitmacht, die niemandem Verantwortung schuldet, die selbst das Gesetz ist.
Dann geht es offensichtlich auch darum, auszutesten, wieweit Rußland bereit ist mitzumachen, bzw. sich auf der Nase herumtanzen zu lassen. Jelzins bereits ausgesprochene Weltkriegsdrohungen, die scheinbar niemand ernstnimmt, haben zur größten Ost-West-Spannung seit der Kuba-Krise geführt, aber diese wird nicht wahrgenommen. In diesem Zusammenhang dürfte auch der Faktor „Rüstungsindustrie“ als Garant für wirtschaftlichen Aufschwung und Arbeitsplätze stehen. Ein Teil der im Kalten Krieg angehäuften Arsenale kann endlich verfeuert werden, die Auftragsbücher für neue Munition werden geschrieben. Das bankrotte Rußland wird trotz seiner Wirtschaftskrise angesichts der beeindruckenden Demonstration westlicher Firepower dazu genötigt, teure neue Waffensysteme, wie die Topol-Rakete und den MiG 142 - Jäger, zu bauen und damit einerseits noch abhängiger von westlichen Banken, während andererseits zumindest in kleinem Maße ein neues Wettrüsten inszeniert werden kann, daß der kriselnden Rüstungsindustrie des Westens Erholung bietet. Rüstungsgüter besitzen Eigenschaften, die für Industrieprodukte einmalig sind: Garantierte Abnahme, absolute Höchstpreise, absolute Qualität und regelmäßige Neubeschaffung. Der Wohlfahrtsstaat der siebziger Jahre basierte weitgehend auf dem Wettrüsten, wobei die Rüstungsindustrie über die mit ihr verschwisterten Sektoren - Stahl, Kohle, Logistik, Elektronik - als Konjunkturmotor fungierte. Nach Auskunft des früheren Bundesarbeitsministers Ehrenberg ist die erstaunliche Gesundung der US-Industrie unter Clinton nicht im Wesentlichen auf die Liberalisierung des Dienstleistungssektors zurückzuführen, sondern auf die dortige Ausweitung der andernorts heruntergeschraubten Luft- und Raumfahrtindustrie durch SDI-Forschung und bemannte Raumfahrt. Auch wenn in diesen Sektoren nicht sehr viele Menschen beschäftigt sind - die Zulieferindustrien ziehen sich quer durch die gesamte Ökonomie, und die Profite sind enorm. Die bisherige Wirtschaftsstrategie des Westens, namentlich der USA, lautet Sustainable Development, nachhaltige Entwicklung, was Schonung von Ressourcen, Kostensenkung, umweltfreundliche Produktionsweise und langfristige Investitionen beinhaltet. Bislang war diese Strategie nicht sehr erfolgreich. Einen Krieg dazu zu benutzen, die Voraussetzungen zum Anschieben eines neuen Konjunkturzyklus der alten Art zu schaffen, könnte als Überlegung durchaus eine Rolle spielen. Immerhin war das Wirtschaftswunder der Fünfziger Jahre ein direktes Ergebnis des Korea-Kriegs, der den größten Boom der Geschichte auslöste. Möglich wäre auch ein neues Modell, welches das Konzept der Nachhaltigkeit mit dem einer kontrollierten Ausweitung der Rüstungsproduktion verbindet.
Schließlich geht es zumindest insoweit um die Kosovaren, als daß diese im Rahmen der migrationsfeindlichen Abschottung der „Festung Europa“ nach Möglichkeit draußen gehalten bzw. nur kurzfristig in EU-Länder aufgenommen werden sollen. Dafür ist eine Umkehr ihrer Vertreibung notwendig, auch wenn diese durch die NATO-Bombenangriffe forciert wurde. Diese ist wahrscheinlich nur durch eine vollständige territoriale Kontrolle der NATO über Rest-Jugoslawien oder zumindest des Kosova mit Albanien, Mazedonien und Montenegro
möglich. Wenn die NATO-Strategen allerdings meinen, mit dem Krieg gegen Jugoslawien allen unbotmäßigen Regierungen auf der Welt nun zeigen zu können, wo der Hammer hängt, so könnte dieser Schuß ein Rohrkrepierer werden. Indien hat bereits die Zeichen der Zeit erkannt und in Absprache mit dem erklärten Gegner Pakistan(!) eine nukleare Mittelstreckenrakete getestet. Mittlerweile hat auch Pakistan nachgezogen. Jeder Staat der Dritten Welt, dessen Interessen denen der USA oder der EU zuwiderlaufen, wird danach streben, sich Nuklearwaffen oder zumindest größere Kulturen mit Pesterregern zuzulegen. Die neue Weltunordnung, die im Augenblick implementiert wird, kann grauenhafte Züge annehmen. Demgegenüber nahm sich der Kalte Krieg richtig gemütlich aus.
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