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Sonntag, 8. Mai 2011
Geleitwort zum 08. Mai
che2001, 18:34h
Der Tag der Befreiung vom Faschismus ist heute 66 geworden. Die deutsche Nachkriegszeit ist selber ins Rentenalter gekommen. Und statt dem üblichen "Nie Wieder!" möchte ich daher diese Zeit einmal selbst betrachten, hat sie sich doch sehr gewandelt. Während heute die Generation derjenigen, die den Nationalsozialismus noch aktiv miterlebt hat allmählich im Altersheim angelangt ist oder langsam ausstirbt war das in meiner Kindheit noch die Mehrzahl aller Erwachsenen, und für aufmüpfiges Benehmen, aber auch Unordentlichkeit oder Langhaarigkeit musste man sich alle Nasen lang "Ihr gehört ins Lager" oder "Unter dem Führer hätte es so etwas wie Dich nicht gegeben" anhören. Tatsächlich ist meine Selbstwahrnehmung durch so etwas noch geprägt, einschließlich einer verinnerlichten Vernichtungsdrohung, wenn man nicht funktioniert wie man soll und einer Haltung zur Arbeit, die mehr etwas mit symbolischen Unterwerfungsakten als mit tatsächlicher Effizienz zu tun hat.
Meine Kindheit kannte auch noch nicht geräumte Trümmer, Kriegsruinen, die überall herumstanden (konnte man herrliche Abenteuerspiele drin machen, durfte sich aber nicht erwischen lassen. Uns wurde da mal ein Lagerfeuer zum Verhängnis. Toll auch Schnitzeljagd im Bunker) und ganz generell dreckige, nach Russ und Kohle stinkende Städte. Die heutigen aufwändig restaurierten Fassaden die ganze Stadtbezirke prägen sind ja fast samt und sonders ein Produkt der 1990er. Der Zweite Weltkrieg war in meiner Kindheit jedenfalls noch sehr präsent. Ich erinnere mich an eine große Familienfeier bei meiner Lieblingstante, die in einer Traumvilla lebte (mit eigenem Antikenzimmer u.a. mit einem Schwert aus der Bronzezeit, das sie aus dem Iran mitgebracht hatte). Zu der tollen durchsichtigen Glaskuppel meinte das sei keine reine Freude, im Kriegsfall müsste man die abdunkeln, damit kein Bomber nachts das Licht sähe, und ein Onkel erzählte, dass er zwei Weltkriege mitgemacht hätte. In der Schule fanden regelmäßig Luftschutzübungen statt, und wir lernten noch den Unterschied zwischen allgemeinem Fliegeralarm und ABC-Alarm.
Die Bonner Republik, der rheinische Kapitalismus fiel schon in verschiedene historische Phasen - die Ära Adenauer, geprägt von wirtschaftlicher Prosperität direkt aus dem Nachkriegselend heraus und preußischer Repressivität sowie rückwärtsgewandter Sexualmoral, eine Art elektrifiziertes Biedermeier, die Zwischenzeit unter Ehrhardt und Brandt/Kiesinger, eine ambivalente Phase, in der mein Vater seine geistigen, politischen und lebensweltlichen Wurzeln hat, die Revolte 1967-69 und die Ära Brandt, eine Reformphase mit hochfliegenden Hoffnungen und heute nicht mehr vorstellbarem Zukunftsoptimismus, aber auch Repression, Berufsverboten, Terror und Terroristenhatz, schließlich die bürokratische Konsolidierungsphase unter Schmidt (übrigens die Zeit, in der es den meisten Sozialstaat gab), dann die Wende unter Kohl und bis zum Zusammenbruch der DDR die peinlichste Phase der westdeutschen Geschichte, deren Chronistin die "Titanic" wurde.
Die Berliner Republik, das Deutschland im globalisierten Turbokapitalismus lässt sich auch problemlos in drei Phasen einteilen, die Ära Kohl, die Ära Schröder und die Ära danach, wobei 1993 noch einmal eine besondere Zäsur darstellte. In diesem Jahr wurde der Rassismus der Straße, der sich bis dahin in fremdenfeindlichen Pogromen geäußert hatte, gegen die sich in Form von Lichterketten und Straßenfesten ein letztes Mal das linksliberal-basisdemokratische Lager massenweise mobilisierte Regierungspolitik: Mit der Abschaffung des einklagbaren Asylrechts und einer folgenden Reihe rassistischer Sondergesetze wurden die Grundlagen einer sozialen Segregation geschaffen, die den Sozialstaat nicht, wie die Neoliberalen es gewollt hatten, abschaffte, sondern ihn aushöhlte und deformierte, indem sie bestimmte Gruppen ausschloss. HartzIV ist nichts Anderes als die Anwendung der Logik des Ausländerleistungsgesetzes auf langzeitarbeitslose Deutsche. Und die Dumpfspacken, die damals "Ausländer raus" gefordert hatten haben bis heute nicht gemerkt, dass sie sich da gerade von ihrer eigenen Zukunft entsolidarisierten. Der Gleichheitsgrundsatz, der einmal Grundlage des westdeutschen Sozialstaats gewesen war ist längst einer versteckten sozialen Apartheid gewichen.
Von daher heute nicht "Nie wieder Krieg", sondern "endlich wieder Klassenkampf".
Meine Kindheit kannte auch noch nicht geräumte Trümmer, Kriegsruinen, die überall herumstanden (konnte man herrliche Abenteuerspiele drin machen, durfte sich aber nicht erwischen lassen. Uns wurde da mal ein Lagerfeuer zum Verhängnis. Toll auch Schnitzeljagd im Bunker) und ganz generell dreckige, nach Russ und Kohle stinkende Städte. Die heutigen aufwändig restaurierten Fassaden die ganze Stadtbezirke prägen sind ja fast samt und sonders ein Produkt der 1990er. Der Zweite Weltkrieg war in meiner Kindheit jedenfalls noch sehr präsent. Ich erinnere mich an eine große Familienfeier bei meiner Lieblingstante, die in einer Traumvilla lebte (mit eigenem Antikenzimmer u.a. mit einem Schwert aus der Bronzezeit, das sie aus dem Iran mitgebracht hatte). Zu der tollen durchsichtigen Glaskuppel meinte das sei keine reine Freude, im Kriegsfall müsste man die abdunkeln, damit kein Bomber nachts das Licht sähe, und ein Onkel erzählte, dass er zwei Weltkriege mitgemacht hätte. In der Schule fanden regelmäßig Luftschutzübungen statt, und wir lernten noch den Unterschied zwischen allgemeinem Fliegeralarm und ABC-Alarm.
Die Bonner Republik, der rheinische Kapitalismus fiel schon in verschiedene historische Phasen - die Ära Adenauer, geprägt von wirtschaftlicher Prosperität direkt aus dem Nachkriegselend heraus und preußischer Repressivität sowie rückwärtsgewandter Sexualmoral, eine Art elektrifiziertes Biedermeier, die Zwischenzeit unter Ehrhardt und Brandt/Kiesinger, eine ambivalente Phase, in der mein Vater seine geistigen, politischen und lebensweltlichen Wurzeln hat, die Revolte 1967-69 und die Ära Brandt, eine Reformphase mit hochfliegenden Hoffnungen und heute nicht mehr vorstellbarem Zukunftsoptimismus, aber auch Repression, Berufsverboten, Terror und Terroristenhatz, schließlich die bürokratische Konsolidierungsphase unter Schmidt (übrigens die Zeit, in der es den meisten Sozialstaat gab), dann die Wende unter Kohl und bis zum Zusammenbruch der DDR die peinlichste Phase der westdeutschen Geschichte, deren Chronistin die "Titanic" wurde.
Die Berliner Republik, das Deutschland im globalisierten Turbokapitalismus lässt sich auch problemlos in drei Phasen einteilen, die Ära Kohl, die Ära Schröder und die Ära danach, wobei 1993 noch einmal eine besondere Zäsur darstellte. In diesem Jahr wurde der Rassismus der Straße, der sich bis dahin in fremdenfeindlichen Pogromen geäußert hatte, gegen die sich in Form von Lichterketten und Straßenfesten ein letztes Mal das linksliberal-basisdemokratische Lager massenweise mobilisierte Regierungspolitik: Mit der Abschaffung des einklagbaren Asylrechts und einer folgenden Reihe rassistischer Sondergesetze wurden die Grundlagen einer sozialen Segregation geschaffen, die den Sozialstaat nicht, wie die Neoliberalen es gewollt hatten, abschaffte, sondern ihn aushöhlte und deformierte, indem sie bestimmte Gruppen ausschloss. HartzIV ist nichts Anderes als die Anwendung der Logik des Ausländerleistungsgesetzes auf langzeitarbeitslose Deutsche. Und die Dumpfspacken, die damals "Ausländer raus" gefordert hatten haben bis heute nicht gemerkt, dass sie sich da gerade von ihrer eigenen Zukunft entsolidarisierten. Der Gleichheitsgrundsatz, der einmal Grundlage des westdeutschen Sozialstaats gewesen war ist längst einer versteckten sozialen Apartheid gewichen.
Von daher heute nicht "Nie wieder Krieg", sondern "endlich wieder Klassenkampf".
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