Freitag, 1. Juli 2011
Rassistischer deutscher Alltag in der Darstellenden Kunst
Türkin nimmt Deutschen unbezahlten Praktikumsplatz weg!

Das internationale Festival Theaterformen im weltoffenen Hannover und Franz Kafka in der
Ausländerbehörde

Diese Tage läuft in Hannover das Festival Theaterformen. Ein reichhaltiges Programm von
internationalen Gruppen präsentiert seine Stücke. Die über Niedersachsen hinausweisende Begegnung
wird gar mit Stipendien unterstützt, die 12 Theaterschaffenden aus Ländern wie Irak und Iran die
beobachtende Teilnahme ermöglicht. Auch zwischen Istanbul und Hannover sind die Kontakte
entwickelt. Der folgende Text handelt von dem an deutschen Behörden gescheiterten Versuch einer
jungen türkischen Dramaturgin aus Istanbul ein Praktikum zur Vorbereitung des Festivals in Hannover
zu machen. Der Text handelt von Erfahrungen mit deutschen Behörden, die sich über mehr als 7 Monate
hinzogen. Es geht um das fehlende Zusammenspiel zwischen Istanbuler Gerneralkonsulat,
Ausländerbehörden in Bremen, Hessen und Hannover, sowie der Bundesagentur für Arbeit. Es geht um
Frustration und Willkür. Nicht zuletzt geht es um Beschämung, die deutsche Staatsbürger überkommen
muss, wenn sie um diese Verhältnisse wissen.
Die türkische Dramaturgin Emine Ö. ist in der Nesin-Stiftung bei Istanbul aufgewachsen. Aziz Nesin
war ein türkischer Schriftsteller, Satiriker und Theaterautor, dessen Staatskritik und beißender Humor ihm viele Gerichtsverfahren eingebracht haben.

Der Atheist gründete Ende der 1970er Jahre eine
Stiftung bei Istanbul für Kinder aus benachteiligten Familien, um diesen eine angemessene Bildung zu
ermöglichen und die Rahmenbedingungen für das Heranwachsen kritikfähiger Menschen zu schaffen.
Die Stiftung und der Schriftsteller sind eine wichtige Referenz für eine linksliberale Öffentlichkeit in
der Türkei aber auch in Deutschland. Das ganze Jahr über sind internationale Helfer in der Stiftung zu
Gast, die z.B. einen europäischen Freiwilligendienst leisten - langjährig haben deutsche
Zivildienstleistende dort die Möglichkeit genutzt ihren Dienst im Ausland zu versehen. In Deutschland
gibt es einen Förderverein der Nesin-Stiftung (FOENES e.V.), der auch eine Zeitschrift herausgibt.
Gegenwärtig leitet der Sohn des Schriftstellers, der Mathematikprofessor Ali Nesin, die Geschicke der
Stiftung. Zuletzt im Oktober 2010 hat er einen öffentlichen Brief geschrieben. Er bedauerte eine
Einladung, die ihn als Vertreter der Stiftung an die Universität Essen bat, ablehnen zu müssen. Die
Prozedur der Visabeantragung mit den deutschen Behörden hat er als Schikane abgelehnt und sich
geweigert unter diesen Bedingungen nach Deutschland zu kommen – nicht seine erste Konsequenz in
diesem Kontext.

Deutschland hat schengenweit die höchste prozentuale Ablehnung türkischer Visaersuche.
Zuletzt konnte man die Stimmen entnervter türkischer Geschäftsleute im Rahmen der Cebit
Computermesse in Hannover vernehmen, die sich den Prozeduren stellen mussten. Dabei ist nicht zu
vergessen: für Deutsche genügt der Personalausweis zur Türkeireise und automatisch wird ein 3-
Monatsvisum erteilt. Es zu verlängern ist in der Regel überhaupt kein Problem bzw. allein durch Aus2
und erneute Einreise möglich. Die Rechtslage und Frage, ob überhaupt ein Visum für türkische
Staatsbürger notwendig ist, ist dabei durchaus umstritten. Urteile des Europäischen Gerichtshofes und zuletzt des Bayerischen Verwaltungsgerichtes im Februar 2011 deuten das Gegenteil. Die
Bundesregierung sieht auf wiederholte Anfragen im Bundestag jedoch regelmäßig "keinen
Handlungsbedarf" die Praxis anzupassen.
Ein kleiner Parforceritt um Franz Kafkas Schloss:
Die Dramaturgin Emine Ö. hatte in Hannover und darüber hinaus Unterstützerinnen, die vor Ort
Erkundigungen eingeholt haben, um das Visaverfahren erfolgreich zu betreiben.

Außerdem hatten sie eine kostenlose Unterkunft organisiert. Mit vier verschiedenen Mitarbeiterinnen von Ausländerbehörden
wurde dabei im Laufe der Monate gesprochen. Um es vorwegzunehmen: diese Gespräche entpuppten
sich im Nachhinein als wesentlich sinnfrei. Das Visum für das mehrmonatige Praktikum machte eine
Bürgschaft notwendig. Die Dramaturgin hatte vor kurzem ihr Studium in Istanbul beendet, verfügte
nicht über ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis, Grundbesitz, eigene Familie mit vielen Kindern
etc.pp. - alles Gründe, die deutsche Behörden eine "mangelnde Rückkehrbereitschaft" unterstellen
lassen. Lebensumstände, die deutschen Absolventen von künstlerischen oder geisteswissenschaftlichen
Studiengängen nicht unbekannt sein dürften. Ein als Lehrer arbeitendes Vorstandsmitglied von
FOENES e.V. in Bremen hat daraufhin bei den dortigen Ausländerbehörden die Bürgschaft gestellt. Er
würde geradestehen für alle Kosten im Fall von nicht durch Versicherung gedeckter Krankheit bis hin
zur womöglich nötigen Abschiebung. Die Behörden akzeptierten seine Unterlagen, die Bürgschaft
konnte mit dem Praktikumsvertrag in Istanbul beim Konsulat eingereicht werden. Für die Bürgschaft
wurde ein mit allerlei Sicherheitsmerkmalen versehenes Dokument ausgestellt, fälschungssicher, bei
den zuständigen Behörden einzureichen. Postwege und Wartezeiten zur nötigen persönlichen
Vorsprache bei beiden Behörden ermöglichten die Antragstellung Anfang Oktober 2010. Zuvor war
bereits ein Versuch den Antrag zu stellen gescheitert - der Vertrag wurde formal nicht akzeptiert. Ein im
Vorfeld mit der Hannöverschen Behörde geführtes Telefonat hatte nichts Erhellendes zu dessen
Formerfordernis zu Tage gebracht. Das Theater wartet (ursprünglich war an einen Beginn des
Praktikums im Oktober 2010 gedacht), die Unterstützerinnen warten, die Dramaturgin wartet. Nach über
zwei Monaten, Anfang Dezember, dann eine Nachfrage bei den Behörden in Hannover. Eine einsilbige
Sachbearbeiterin gibt leidlich Auskunft. Man habe die Unterlagen zur Prüfung der Bonität des Bremer
Bürgen von diesem noch mal direkt angefordert und dieser habe noch nicht reagiert. Selbst wenn die
Sachen da wären, könne sie absolut nicht sagen, wie lange es noch dauern würde. Zu diesem Zeitpunkt
sagt der Bürge, er habe die Unterlagen bereits direkt nach der Anfrage vor fast drei Wochen geschickt.
Kurz vor Weihnachten dann das Ablehnungsschreiben zum Visumsantrag. Gründe: Man habe entdeckt,
die Finanzkraft des Bürgen reiche nicht aus. Außerdem habe das Praktikum ja laut Vertrag formal schon
begonnen. - In Bremen die Bürgschaft zu stellen, war zuvor mit den Einkommensnachweisen kein
Problem gewesen. In den Telefonaten mit der Behörde in Hannover wurde deutlich kommuniziert, dass
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das Theater weiterhin ungeduldig wartet, deutlich in den Unterlagen angepriesene
Kontaktmöglichkeiten mit dem Theater blieben ungenutzt.
Es gibt gegen diese Art von Ablehnung keinerlei Rechtsmittel. Nach Auskunft einer
Sachbearbeiterin in Hannover ist das einzige Mittel die sogenannte Remonstration, der Versuch die
Ablehnungsgründe auszuräumen. Gesagt getan, noch war die Hoffnung nicht aufgegeben - auf in die
nächste Runde. Schnell hatte das Theater eine Zusatzerklärung zum Vertrag verfasst. Wir warten - sie
kann jederzeit mit dem Praktikum beginnen, am liebsten möglichst bald. Es gab erste Vorschläge, wo
sie konkret an Stücken mitwirken könne. Im Unterstützerinnenkreis ging die Überlegung, wer denn
überhaupt finanzstark genug sein könne, eine Einladung mit Bürgschaft auszusprechen, wenn es schon
ein Lehrer nicht ist – konkrete Summen nennt die Behörde nicht. Die Wahl fiel auf einen Pfarrer im
Ruhestand, dessen Bezüge in gegenwärtigen Zeiten doch eher an das letzte Jahrhundert gemahnen. Es
folgte ein Telefonat mit der für ihn zuständigen hessischen Ausländerbehörde, übrigens mit einer
türkeistämmigen Sachbearbeiterin. Sehr konstruktiv lösungsorientiert hört sie sich den Sachverhalt an,
telefoniert mit Hannover – ihr leuchtet ein, dass es höchste Zeit wäre, das Praktikum zu beginnen. Ihr
Vorschlag: Neue Bürgschaft (die mit dem Pfr. i.R. kein Problem sei) und Erklärung des Theaters in
Hannover direkt einreichen. Ein Anruf der Unterstützer bei der Behörde in Hannover. Die zuständige
Sachbearbeiterin dort lehnt die direkte Annahme von Unterlagen kategorisch ab, das würde so auf gar
keinen Fall gehen, würde sie einfach nicht annehmen. Die Unterlagen müssten wieder über das
Generalkonsulat in Istanbul eingereicht werden. Beschwichtigend, es sei ja auch kein Neu-Antrag
sondern eine Fortführung. Das ginge wohl schneller, aber wie schnell, könne sie auch nicht sagen. Die
Unterlagen werden nach Istanbul geschickt, ein Termin beim Konsulat verabredet, Mitte Januar 2011
sind sie eingereicht. Etwas später ein entnervter Anruf eines Konsulatsmitarbeiters bei der Istanbuler
Dramaturgin. Man habe hier jetzt zwei Anträge, was man denn nun um Himmels willen tun solle? Sie
erklärt den Stand, ihr Anliegen, fragt, ob er das denn nicht wisse. Er grübelt, rät dazu die eine Akte zu
schließen und einen Neu-Antrag zu machen, das halte er für das sinnvollste. Anfang April in Hannover.
Ein Unterstützer ruft bei der Ausländerbehörde an. Die zuständige Sachbearbeiterin hatte Anfang März
von dem hessischen Bürgen die Nachweise zur Bonität verlangt, die dieser schon in der hessischen
Ausländerbehörde vorgelegt hatte. Er schickte sie sofort mit Einschreiben, in der vergeblichen Hoffnung
das Verfahren zu beschleunigen. Nun, Anfang April, die nächste gestresste Sachbearbeiterin telefonisch
in Hannover. Sie klagt, so viele Kollegen seien krank, ja, irgendwo liege die Akte hier, aber sie würde
sie jetzt auf gar keinen Fall suchen. Wie lange es noch dauere könne sie absolut nicht sagen. Mitte April
dann die zweite Ablehnung im Versuch für das Praktikum ein Visum zu bekommen. Der Bürge scheint
solvent genug zu sein und wird nicht bemängelt. Im zweiten Versuch ist es jetzt, nach fast 8 Monaten,
zur Prüfung des Arbeitsverhältnisses durch die Bundesagentur für Arbeit gekommen - und diese fiel
negativ aus. Verfolgt man die zitierten Paragraphen bleibt nur der Schluss, dass die Dramaturgin in
unzulässiger Weise vorrangig zu behandelnden deutschen Praktikanten einen unbezahlten
Praktikumsplatz weggenommen hätte – was es zu verhindern galt.
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Das Festival findet im Augenblick statt, es wurden monatelang Papiere zwischen Bremen,
Hannover, Hessen und Istanbul hin und her bewegt. Dem Anschein einer möglichen Bewilligung nach,
wurden Lebensperspektiven ausgerichtet auf einen längeren Deutschlandaufenthalt. Dem Anschein nach
hilflosen Sachbearbeitern wurde ein weiterer Fall auf ihren Stapel gelegt. Kurz vor der Frist, die
Deutschen immerhin die Möglichkeit einer Untätigkeitsklage gegen die Behörde eröffnet, kam die
unausweichliche Bewegung in die Sache. Mit einem Ergebnis, das im Prinzip von Anfang an fest stand
und diesen Verwaltungszirkus in das Reich des Wahnsinns verweist. Dieser Behördenmarathon war
absolut sinnfrei, aber sagt vielleicht einiges aus über die Logiken von Bürokratie und ihrer Funktion der
Verschleierung von Verantwortung in demokratischen Gesellschaften. Am Ende waren es dann immer
die anderen, die nicht wollten. Man kann dann, am Ende, um einiges schlauer oder bitterer, noch mal
versuchen mit der zuständigen Behörde in Hannover zu sprechen – wie in diesem Fall geschehen. Mit
Rücksicht auf und in Erinnerung an die Sachbearbeiter am besten gleich einige Etagen höher. Was man
dann erleben darf ist ein ruhiges, diplomatisches Gespräch. Es sei doch alles nach Vorschrift verlaufen.
Ja, wahrscheinlich hätte hier der Einzelfall nicht genug Berücksichtigung gefunden und man sei sehr
interessiert die Abläufe zu verbessern.
Der hier vorgestellte Fall ist sicher noch als privilegiert zu betrachten in deutsch-türkischen
Verhältnissen und massenhaften Fällen, die noch viel drastischer vom deutschen Grenzregime betroffen
sind. Festzustellen ist, in den bürokratisch geregelten deutsch-türkischen Realitäten herrscht ein
Generalmisstrauen und wer nicht über eine dicke Geldbörse verfügt, braucht erst gar nicht anzutreten.
Internationale Beziehungspflege in Deutschland ist eine Frage der Geldbörse und Schichtzugehörigkeit.
Manchmal anscheinend auch eine des Wohnortes in Deutschland. Wer dennoch versucht sein sollte, sich
in einer solchen Angelegenheit zu engagieren: Die Lektüre von Franz Kafkas Schloss oder der
Kurzgeschichte von Aziz Nesin „Ein Verrückter auf dem Dach“ ist als Vorbereitung dringend zu
empfehlen.
Unterstützerinnen und Unterstützer von Emine Ö.

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In ewigem Gedenken an H.P. Lovecraft und R.A. Wilson
http://www.youtube.com/watch?v=e5wO_JoaOKg


http://www.youtube.com/watch?v=e5wO_JoaOKg


wobei es allerdings eigentlich nicht "Kutulu Fatagen", sondern "Chtulhu Fatghnnn" heißen müsste, was keine menschliche Zunge korrekt aussprechen kann. Dazu müsste man schon der dämonischen Mundart sicher sein;-)

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