Freitag, 8. April 2016
Verfassungsbrüche durch Asyl-und Ausländergesetze
PRO ASYL, der Flüchtlingsrat Niedersachsen und der Exil e.V. Osnabrück
krisisieren, dass der Familiennachzug zu anerkannten Flüchtlingen in Deutschland
durch bürokratische Hürden auf die lange Bank geschoben oder ganz verhindert wird

Durch gezielte Maßnahmen verhindert die Bundesregierung, dass anerkannte
Flüchtlinge ihren Rechtsanspruch auf Familiennachzug einlösen können. Das ergibt
die Auswertung eines Projekts zum Familiennachzug, das PRO ASYL zusammen mit dem
Flüchtlingsrat Niedersachsen in Zusammenarbeit mit dem Exil e.V. Osnabrück
gestartet hat.

Der Familiennachzug von syrischen Flüchtlingen zu ihren in Deutschland
anerkannten Familienangehörigen wird von der Bundesregierung systematisch
untergraben und auf die lange Bank geschoben. Die Integration und der Neubeginn
in Deutschland könnte für syrische Schutzsuchende viel ungestörter verlaufen,
wenn diese sich nicht monate- oder jahrelang Sorgen um ihre Angehörigen in den
ausgebombten syrischen Städten oder in überfüllten Lagern in der Türkei machen
müssten.

Ein Blick auf die absoluten Zahlen beim Familiennachzug aus Syrien verdeutlicht
die Problematik der systematischen Verhinderung des Familiennachzugs: Seit 2011
bis Anfang 2016 wurde nach Zahlen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge
(BAMF) rund 230.000 Personen aus Syrien in Deutschland Schutz gewährt.[1] Allein
in den Jahren 2014 und 2015 wurde 127.000 Syrer*innen Schutz gewährt. Dagegen
wurden im Zeitraum Anfang 2014 bis Oktober 2015 nur 18.400 Visa für syrische
Staatsangehörige zum Familiennachzug zu Schutzberechtigten erteilt.

Eine Visumantragstellung ist aufgrund des Kriegs in Syrien nur in den
Nachbarländern möglich. Die Bearbeitung der Visumsanträge erfolgt sehr
schleppend und nur bei wenigen Auslandsvertretungen, die für die Betroffenen nur
schwer zu erreichen sind. Die für viele Flüchtlinge leichter erreichbare
deutsche Auslandsvertretung in Erbil/Nordirak stellt beispielsweise nur
Geschäftsvisa aus, keine Visa für den Familiennachzug. Familienangehörige warten
viele Monate oder sogar mehr als ein Jahr auf ihre Termine bei den deutschen
Außenvertretungen in der Türkei, in Jordanien und im Libanon. Allein in Beirut
beträgt die Wartezeit auf einen Termin mindestens 14 Monate. Dort gab es Ende
Dezember 2015 bereits 6.000 feststehende Termine für Anträge auf
Familienzusammenführung für insgesamt ca. 18.000 Personen.[2] Auch in der Türkei
beträgt die Wartezeit für einen Termin derzeit mindestens 14 Monate.

Als neueres Problem ist nun die Einführung der Visumspflicht für Syrer in der
Türkei hinzugekommen. Obwohl die Visumspflicht offiziell nur Syrer betrifft, die
über Drittländer in die Türkei einreisen, stecken Tausende von Flüchtlingen an
der syrisch-türkischen Grenze fest und werden nicht ins Land gelassen. Weil ein
Visum für die Türkei nicht oder nicht zeitnah beschafft werden kann, verfallen
Termine, auf die die Familienangehörigen monatelang gewartet haben.
Achselzuckend verweist die Bundesregierung auf Sicherheitsprobleme in der Türkei
und wäscht ihre Hände in Unschuld: So teilte das Auswärtige Amt in der
vergangenen Woche mit, dass die Bundesregierung sich – anders als im Libanon –
in der Türkei nicht in der Lage sehe, vom Auswärtigen Amt benannten
Einzelpersonen eine Einreise auch ohne Visum zu ermöglichen. Auch dies ist
offenkundig eine Folge des Deals der Europäischen Union mit der Türkei.

Mit ähnlichen Schwierigkeiten kämpfen Angehörige von Syrern, die Termine für die
Visumantragstellung zwecks Familienzusammenführung über die deutsche Botschaft
in Jordanien gebucht haben. Nach Jordanien kann die nachziehende Person nur
einreisen, wenn dem Antrag auf Einreise seitens des jordanischen
Innenministeriums zugestimmt wird. Eine solche Einreisegenehmigung wird in
etlichen Fällen verweigert. Nachdem das Sechs-Millionen-Einwohnerland Jordanien
bereits rund 1,2 Millionen syrische Flüchtlinge aufgenommen hat[3], müssen
Tausende von Flüchtlingen in der Wüste vor der Grenze verharren und sind
ausgesperrt.

PRO ASYL, der niedersächsische Flüchtlingsrat und der Exil e.V. Osnabrück fordern:

1. Das Auswärtige Amt soll endlich ernsthaft handeln und im Kontakt mit den
Ländern Türkei, Jordanien und Libanon dafür sorgen, dass Familienangehörige von
in Deutschland anerkannten Flüchtlingen schnell und unbürokratisch einen Termin
zur Vorsprache bei einer deutschen Auslandsvertretung erhalten.

2. Dringend erforderlich, aber bis heute nicht umgesetzt ist die Ausweitung
eines Pilotprojekts des AA für die Bearbeitung von
Familienzusammenführungsfällen in Berlin, das im letzten Jahr gestartet ist.
Wenn Familiennachzugsfälle von Syrern zentral in Berlin bearbeitet würden,
könnten Familiennachzugsanträge innerhalb von drei Monaten entschieden werden.

3. Auch sollte das AA es ermöglichen, dass Syrer in allen rund 30 Staaten,
in die sie visafrei einreisen können, Familiennachzugsanträge bei den dortigen
deutschen Vertretungen stellen können. Derzeit ist dies nach Kenntnis des
Flüchtlingsrats und PRO ASYL nur in deutschen Vertretungen in Indonesien und
Tansania möglich. Warum nicht in Kairo oder Teheran?

Die Schwierigkeiten bei der Visumserteilung könnten bewältigt werden, wenn der
politische Wille da ist, und wenn die hohen bürokratischen Hürden gezielt
abgebaut werden. Der Familiennachzug zu anerkannten Flüchtlingen ist eine der
wenigen legalen und ungefährlichen Einreisemöglichkeiten. Gerade im Hinblick auf
das EU-Türkei-Abkommen und die völlige Abschottung der Grenze zu Griechenland
sind hier schnell Verbesserungen erforderlich.

Anlage 1: Akute Probleme beim Familiennachzug für Angehörige anerkannter
syrischer Flüchtlinge in Deutschland

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