Dienstag, 1. August 2017
Yallah Almaniya, Yallah Avrupa!
hier ein Hinweis zu einer Ausstellung, an der wir derzeit noch arbeiten. Wir freuen uns über gezielte Verbreitung.

Wir möchten auf die neu entstandene Wanderausstellung Yallah!? Über die Balkanroute aufmerksam machen. Holt sie in eure Stadt!

Worum geht es?
Nach und nach rücken der Sommer 2015, der „March of Hope“ von Budapest nach Österreich und die „Willkommen!“ rufenden Menschen an deutschen Bahnhöfen immer weiter in die Ferne. Während 2015 die geöffneten Grenzen die Stimmung elektrisiert haben, ist die heutige Debatte zum Thema Flucht immer öfter dominiert von Diskussionen über Grenzsicherung, Terror und rassistischen Perspektiven.
Dem entgegen soll mit dieser Ausstellung der "lange Sommer der Migration" 2015 und die Öffnung eines Korridors durch Süd-Osteuropa als relevantes politisches und historisches Ereignis festgehalten und gut aufgearbeitet einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden. Die Ausstellung rückt zwei Jahre später Geflüchtete als Hauptakteur_innen wieder in den Vordergrund und zeigt mit zahlreichen Audio- und Videoaufnahmen und Kunstwerken ihre Sichtweisen auf Migration und Europa.

Wer spricht?
Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen die Perspektiven von Geflüchteten. Die präsentierten Audio-, Video- und Fotoaufnahmen wurden während zahlreicher Gespräche und Interviews in Nordgriechenland, Serbien oder in Deutschland aufgenommen. Entstanden sind die Materialien während Fahrten auf die sogenannte Balkanroute, bei denen die Macher_innen der Ausstellung auf unterschiedliche Weise Geflüchtete solidarisch unterstützt haben. Während der Gespräche auf der Route wurde deutlich, dass die Stimmen von Refugees in Deutschland mehr Gehör finden müssen.

In der Ausstellung kommen Künstler_innen mit Fluchterfahrung durch ihre eigenen Werke zu Wort.

Die Ausstellung ist in einer Zusammenarbeit von mehreren Personen entstanden, die auf der Route Geflüchtete unterstützt haben und in politischen, kritisch-akademischen und künstlerischen Kontexten engagiert sind. Die Entwicklung und Umsetzung der Ausstellung fand in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung und dem Institut für Kulturanthropologie/ Europäische Ethnologie der Georg-August Universität Göttingen statt.


Die Ausstellung in deiner Stadt?

Die Ausstellung ist als Wanderausstellung konzipiert und soll in verschiedenen Städten zu sehen sein. Dafür suchen wir Träger_innen vor Ort. Bei Interesse schreibt uns an: ausstellung@yallah-balkanroute.eu

Organisatorische Fragen, wie Dauer der Ausstellung, Auf- und Abbau etc. können mit uns individuell besprochen werden. Wir würden uns begleitend zur Ausstellung über rahmende Veranstaltungen freuen. Dafür können wir bei Bedarf mit Ideen, Materialien (Filme) und Kontakten zu möglichen Referent_innen unterstützend zur Seite stehen. Wir können keine Transportkosten, Raummiete u.ä. übernehmen, bei Bedarf aber beratend zu Finanzierungsfragen zur Seite stehen.

Aus was besteht die Ausstellung?

(Stand Juli 2017: Änderungen sind noch möglich, da wir aktuell mit der Umsetzung beschäftigt sind.)

- 12 im Raum freistehende, beidseitig bedrucke Infotafeln mit Texten, Fotos, Grafiken, Video und Audiostationen in den Maßen 110 x 95 x 3 cm, dazugehörige Füße aus Stahl. Die Sprache der Ausstellung ist deutsch, Audio-, Gedicht und Videobeiträge sind im Original mit Untertitel.
- 1 Aufsteller mit beidseitig bedrucktem Banner in den Maßen 150 x 200 cm
- ca. 15 auf Karton aufgezogene Fotos, die frei im Raum stehen
- ein Sockel 85 x 40 x 40 cm
- 4 Hocker
- 12 Tablet-Computer
- 16 mp3-Player
- Kopfhörer
- 2 x kleine Audioboxen
- Verteilerdosen, Aufladekabel

Was wird benötigt um die Ausstellung zu zeigen?

1. Ein Raum/Ort mit einer Fläche von ca: 80-100 qm mit regulärer Stromversorgung und im besten Fall W-Lan
2. Transport (je nach Anfahrtsweg)
3. Auf- und Abbau zeitlich und personell einplanen
4. Ggf. Verlängerungskabel und Licht
5. Aufsicht und Betreuung
6. Eröffnung, begleitende Veranstaltung(en)
7. Dauer pro Ort: mindestens 2 Wochen

Bei Interesse können wir gerne einen Grundriss und Aufbauplan schicken.

Kuration und Realisierung:
Wesam Alfarawti, Mira Lou Braun, Petja Dimitrova, Luise Marbach, Svenja Schurade

In Kooperation mit: Falken Göttingen, Institut für angewandte Kulturforschung e.V., Institut für Kulturanthropologie/ Europäische Ethnologie der Georg-August Universität Göttingen, Medico international, Moving Europe, Netzwerk Konkrete Solidarität e.V., Rosa Luxemburg Stiftung

Unterstützt durch: Allgemeiner Studierendenausschuss der Georg-August-Universität Göttingen, Amadeu Antonio Stiftung, Bildung trifft Entwicklung, Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit, Engagement Global, Genration3 , Gleichstellungsbüro der Philosophischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen, Solidaritätsfonds der Hans Böckler Stiftung

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Was heißt hier eigentlich autonom - Mal ein Paar Dinge zum Selbstverständnis
Von der politisch-theoretischen Selbsteinordnung bin ich seit so dreißig Jahren sattelfest und sehe keine Gründe, das grundsätzlich zu ändern. Das ist bei mir so eine Verbindung aus Postoperaismus, Kritischer Theorie und bestimmten Anwendungen des französischen Poststrukturalismus, um das an Zeitschriften und Autoren festzumachen: Materialien für einen Neuen Antiimperialismus, Adorno, ganz bestimmte Ansätze von Foucault und seinem Antipoden Baudrillard sowie Bourdieu.


Wenn ich Postoperaismus schreibe meine ich damit nicht den Operaismus in der Tradition der italienischen Autonomen der 1960er und 70er Jahre, sondern einen Theorie- und Diskussionsstrang rund um die Zeitschriften bzw. Publikationsreihen "Autonomie Neue Folge. Materialien gegen die Fabrikgesellschaft", "Materialien für einen Neuen Antiimperialismus", "Wildcat" und "Zirkular". In einem weiteren Sinne zählen auch noch die "Arranca!" und "Subversion" dazu. Inhaltlich bedeutet dies eine sehr unmittelbare, nicht durch den Arbeiterbewegungsmarxismus, Leninismus, Revisionismus, Histomat oder Diamat vermittelte Anwendung der Kritik der politischen Ökonomie auf aktuelle politische Prozesse und soziale Auseinandersetzungen in Verbindung mit einer sehr weit gefassten Anwendung der Dependenztheorie. Sehr weit gefasst heißt dass es hier nicht nur um gesellschaftliche Prozesse in lateinamerikanischen oder allgemeiner trikontinentalen Gesellschaften und deren Eingebundenheit in globale Machtstrukturen geht sondern dass die Dependenztheorie zur Matrix wurde mit der auch ganz andere gesellschaftliche Prozesse analysiert werden.

So sieht ein postoperaistischer Ansatz etwa Geschlechterverhältnisse aus dem spezifischen Blickwinkel des Neuen Antiimperialismus. Die sexuelle Revolution der 1960er/70er war demzufolge ein subversives Aufbrechen repressiver Gesellschaftsstrukturen und Beginn eines kollektiven Emanzipationsprozesses, die erotische Aufladung von Werbung und Illustriertentitelbildern mit nackten Frauenkörpern und zeitgleiche Entstehung einer Sex- und Pornoindustrie der Gegenschlag des Systems: Die Kolonisierung erwachter erotischer Bedürfnisse durch die Inwertsetzungsmechanismen kapitalistischer Produktivität. Demzufolge wurden dann auch Antipornokampagnen und Aktionen wie z.B. Entglasungen von Aktfotoausstellungen oder Brandanschläge auf Sexshops als eine besondere Form von antikolonialen Befreiungskämpfen angesehen (Nein, genau so würde das niemand formulieren. Ich schematisiere hier bewusst nach dem Motto "Vereinfachungen und Übertreibungen machen anschaulich"). Und genau an dieser Stelle hört mein Verständnis auf. Aus teilweise brillianten Analysen wurde entweder keine Praxis abgeleitet oder rein destruktive Mini-Aufstände oder aber die Begründung von Mitmachen in Neuen Sozialen Bewegungen, das auch ohne den Neuen Antiimperialismus als Begründungszusammenhang auskommen würde.


So sehr ich den Neuen Antiimperialismus in der Theorie also vertrete - es gingen ja auch respektable Ansätze in der Geschichtswissenschaft daraus hervor - eine politische Praxis folgt für mich nicht daraus. Bzw. die politische Praxis der Autonomen, etwa aus dem Materialien-Ansatz eine grundsätzliche Antihaltung gegen jedwede kapitalistische Inwertsetzung abzuleiten und das dann so umzusetzen, dass gegen Gentrifizierung die Erhaltung der Ghettos mit allen Eigenschaften der Ghettoisierung - die Erhaltung von SO36, Schanze oder den Kiezen von Neukölln mit allen dortigen Armutsproblemen - zu verteidigen wäre, weil die urbane Armut Substrat für politischen Widerstand wäre halte ich für verfehlt bis absurd. Bollemärkte plündern und brandschatzen ist kein Angriff auf den Kapitalismus an sich. "Leben als Sabotage" reflektiert eine Widerstandsperspektive, die es so heute nicht mehr gibt. In der theoretischen Erfassung des globalen Kapitalismus finde ich den postoperaistischen (oder postautonomen) Ansatz weiterhin sehr richtig. Als politische Zielbestimmung taugt er nichts mehr. Und es müsste dringend ein Denken her, das der Linken wieder eine Handlungsperspektive aufzeigt.

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