Sonntag, 13. Mai 2018
Unterwegs mit Papa
Kürzlich war ich mit meinem Vater im Auto unterwegs und erlebte ein etwas sonderbares Gespräch. Wie immer wenn es nicht um die Familie geht ging es in dem Gespräch um Politik und Gesellschaft. Zunächst um Trump, wo wir im Großen Ganzen der gleichen Meinung waren, mit dem profunden Unterschied allerdings dass seine Trump-Kritik mit einem allgemeinen Antiamerikanismus gekoppelt ist. Das ist im Grunde noch der Antiamerikanismus der es den Amis verübelt dass sie den Zweiten Weltkrieg gewonnen haben, weil man das aber so nicht sagen kann stattdessen die Höhe der deutschen Hochkultur der Billigkeit der Plastikamis und der Brutalität ihres way of Business entgegenstellt. Um Missverständnisse zu vermeiden: Mein Vater vertritt kein rechtsradikales oder revisionistisches Gedankengut, sein Antiamerikanismus ist nur durch einen Zeithorizont geprägt in dem die beschriebene Konstruktion eine Rolle spielte. Von Trump kam er dann über die Brücke dass es keine Moral mehr gäbe zu einem völlig anderen Thema. Er erzählte im Radio ein Interview mit einer deutschen Rapperin gehört zu haben die sagte dass sie mit Deutschland erst ihren Frieden schließen würde wenn niemand mehr daran Anstoß nehmen würde wenn eine deutsche Lesbe mit ihrer schwarzen muslimischen Kopftuch tragenden Freundin öffentlich rumknutschen würde, sondern dies als selbstverständlich angesehen wird. Sosehr ich diesen Standpunkt nachvollziehe und mitvertrete, es zeigt einmal wieder auf was heute unter einem linken Diskurs verstanden wird: Die Rechte und Interessen sehr spezifischer marginalisierter Gruppen werden in den Mittelpunkt gerückt, die Frage des Klassenkampfs aber oder der Alternativen zum Bestehenden oder des Widerstands bleibt völlig außen vor.

Darum freliich ging es Vater nicht. Er wetterte dass er weder etwas gegen Lesben noch gegen Muslimas noch gegen Geflüchtete habe, aber es gäbe nun mal klare Grenzen und die seien einzuhalten. Erst dachte ich an den Witz mit dem schwarzen schwulen Juden dem gesagt würde mit diesen Identitäten übertreibe er nun aber, aber Mehrfachdiskriminierung hatte Vater damit nicht im Auge, dass dies der Plot des Interviews war hatte er gar nicht gemerkt.

Ich vermeinte nun "Gleis 7 abfahren" zu hören, verstand also überhaupt nicht mehr, worauf er hinaus wollte. Daher fragte ich es ihn und er erwiderte, dass Knutschen in der Öffentlichkeit doch nun gegen jeden moralischen Konsens in dieser Gesellschaft verstieße.

Eingedenk der Tatsache dass man auf den Parties meiner Jugend, um von der Tanzfläche zur Getränkeausgabe oder den Toiletten zu gelangen über die aufeinanderliegenden Pärchen hinwegsteigen musste und sich später auf Geburtstags- und Afterworkparties unter ähnlichen Settings einige schöne erotische Erfahrungen sich für mich begaben hatten wollte ich ihm davon gerade erzählen, als die Verkehrssituation - die Straßenverkehrs- nicht die Geschlechtsverkehrssituation - leider für einen längeren Zeitraum meine volle Aufmerksamkeit verlangte. Die Gelegenheit den Faden wiederaufzunehmen ergab sich dann nicht mehr. Nun ist meine Vater für seine Generation ungewöhnlich offen und kommunikativ. Für bestimmte Inhalte und Diskurse aber definitiv völlig unerreichbar.

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