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Dienstag, 28. Januar 2020
Noch einmal Grundsätzliches zum Thema "Ökonomie der Endlösung" und zu Götz Aly
che2001, 20:15h
Die „Ökonomie der Endlösung“ hängt nicht in erster Linie oder hauptsächlich mit Profiten des Kapitals durch Arisierung und Zwangsarbeit zusammen, sondern ist ein Großprojekt einer ökonomischen Inwertsetzung des zurückgebliebenen Osteuropas durch die Nazis. Polen sei rückständig gewesen, habe sich deswegen der Logik kapitalistischer Ausbeutung und Durchdringung entzogen. Der Vernichtungskrieg der Deutschen im Osten, inklusive Judenvernichtung, erscheint bei Heim und Aly als notwendiger Schritt auf dem Weg zu einer großangelegten Modernisierung und Strukturreform , der Massenmord die Beseitigung eines vorher genau errechneten Bevölkerungsüberschusses. Wobei die deportierten Juden aus den von den Nazis beherrschten Teilen Gesamteuropas da sozusagen dazukamen, ihre Ermordung war beschlossen, aber nicht der alleinge Kern des Gesamtprogramms.
„Völkermord war hier eine Form, die soziale Frage zu lösen“, indem man die Bevölkerungsteile eliminierte, die die Nationalökonomie belasteten.
Damit erscheint die Ökonomie der Endlösung als etwas, das durchaus nicht nur auf das singuläre Ereignis der Shoah zu beziehen ist, sondern als etwas das mit Kontinuitäten in Vergangenheit und Zukunft verbunden ist.
Bezogen auf die Vergangenheit: Schon die "Euthanasie" spielte sich ab vor dem Hintergrund eines rassenhygienischen Diskurses der bis in den Ersten Weltkrieg reichte. Die Tatsache, dass in den Heil- und Pflegeanstalten die Mehrzahl der InsassInnen an Grippe gestorben oder verhungert war führte im Nachhinein dazu, dass Berechnungen angestellt wurden wieviele man hätte retten können wenn man die Unheilbaren getötet hätte. 1920 erschien dann Bindings und Hoches programmatische Schrift "Die Freigabe der Tötung lebensunwerten Lebens, ihr Maß und ihre Form", das den weiteren Diskurs eintaktete.
Das Buch wurde zum Bestseller. Paranoide Vorstellungen von "Keimvergiftungen" bestimmten medizinische Diskurse, und es gab Plakate die zeigten wie "Geisteskranke" auf einem Joch saßen das deutsche Arbeiter trugen. Sogar die Innere Mission warb mit solchen Darstellungen für die Zwangssterilisierung von Anstaltsinsassen.
So waren es die Wehrlosesten der Wehrlosen, an denen der erste Massenmord verübt wurde. In sehr detailreichen Studien arbeiteten Aly, Heim, Roth, Hartmann, Ebbinghaus, Rössler und Schleiermacher heraus dass die Methoden der Begutachtung und Aussonderung der Opfer, orientiert am Vorbild der Triage in der Militär- und Katastrophenmedizin auf die Gefangenen in den KZs und die Behandlung ganzer Bevölkerungsgruppen übertragen wurden. Nach den Juden und den Sinti und Roma sollte die ländliche Armutsbevölkerung Polens und Weißrusslands dran sein.
An dieser Stelle möchte ich etwas zu den AutorInnen sagen. Während heute der Name Götz Aly prominent ist aber fast nur mit seinen Aussagen nach 2000 verbunden wird bewegte er sich damals im redaktionellen Umfeld der Schriftenreihe "Autonomie Neue Folge", des in den 1980ern wichtigsten Theorieorgans der westdeutschen Autonomen (heute "Materialien für einen neuen Antiimperialismus"), den Namen kannten eigentlich nur HistorkerInnen und Angehörige der autonomen Szene, und die Studien zur NS-Massenvernichtung und Gesundheitspolitik wurden von einem größeren Kollektiv getragen, siehe die oben genannten Namen. Ich selbst gehörte in meiner Studienzeit zum redaktionellen Umfeld der Materialien für einen neuen Antiimperialismus, bin daher also vielleicht gut geeignet das Weltbild dieser Gruppe darzustellen.
Der theoretische Ansatz bewegt sich innerhalb des politischen Theoriehorizonts der Autonomen (wobei die wenigsten Linken die sich heute so nennen davon eine Ahnung haben dürften, but sorry, wir waren das Original). Inhaltlich bedeutet dies eine sehr stark an aktuelle Klassenkämpfe angelehnte Marx-Interpretation, die auf den italienischen Operaismus zurückgeht in Verbindung mit Foucaults Dispositiven der Macht.
Der Operaismus knüpfte ursprünglich an Klassenkämpfen in Italien an, insbesondere an einer Welle wilder Streiks Anfang der 1970er z.B. bei FIAT in Turin, die sich von Arbeitskämpfen wie sie in Deutschland üblich sind total unterschieden: Es ging nicht um Lohnerhöhung, Partizipation und Mitbestimmung, sondern um einen Streik gegen die entfremdete Arbeit selber. In Interviews erklärten ArbeiterInnen, sie würden die monotone Fabrikarbeit, besonders den Akkord, als eine körperliche Gewalt wahrnehmen, die ihnen aufgezwungen würde und gegen die sie sich nun wehren würden.
Diese Wahrnehmung wurde zum perspektivischen Fluchtpunkt nicht nur des Operaismus und der Autonomen, sondern einer ganzen Richtung sozialhistorischer Forschung. Zu nennen wären hier neben der Hamburger Stiftung für Sozialforschung und Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts die Geschichtswerkstätten, das frühere Göttinger Max-Planck-Institut für Geschichte und die britischen Forscher E.P. Thompson und James Mason.
Der Begriff des Klassenkampfs erfuhr hier eine Ausweitung. Als Klassenkämpfe werden nicht mehr nur Streiks, sonstige Arbeitskämpfe und Aufstände begriffen, sondern auch Dinge wie krankfeiern, Werksabotage und Diebstahl am Arbeitsplatz, alles Akte der "moralischen Ökonomie", mit denen sich das entfremdete Individuum schadlos hält.
https://www.dampfboot-verlag.de/shop/artikel/eigen-sinn
https://www.faz.net/aktuell/karriere-hochschule/zum-tod-von-alf-luedtke-forschung-zum-eigensinn-16025810.html
Und zum anderen wurde auch der Blick auf die Herrschaftstechniken ausgeweitet. Es findet nicht nur eine Auseinandersetzung Proletariat vs. Bourgeoisie statt sondern zunehmend Mensch vs. Maschine.
https://www.zvab.com/buch-suchen/textsuche/detlef-hartmann-leben-als-sabotage/
In diesem Kontext wurden "Euthanasie", Zwangsarbeit, KZs, Shoah und Vernichtungskrieg als eine extreme Verschärfung und Zuspitzung bürgerlicher Herrschaftstechniken angesehen, bei der eine negative Bevölkerungspolitik und eine Vernichtung der "überflüssigen Esser" im Mittelpunkt steht.
Dies endet nicht mit dem Untergang des NS. Entwicklungspolitische Programme die Kreditvergabe an Streichung von Brotpreissubventionen knüpfen oder der Versuch, in den 60er und 70er Jahren Armut in Entwicklungsländern durch negative Eugenik in Form von Massensterilisierungen zu bekämpfen, werden von den Materialien für einen neuen Antiimperialismus (neuer Antiimperialismus deshalb, weil er nicht mehr dem stalinistisch geprägten Befreiungsnationalismus und Antiamerikanismus des kommunistischen Internationalismus folgt sondern sich mit der Analyse von Herrschaftspraktiken in dem oben genannten Sinne beschäftigt) als Fortsetzung der Vernichtung der überflüssigen Esser mit anderen Mitteln betrachtet.
Und ebenso werden Konflikte wie der erste Golfkrieg Iran-Irak, der Jugoslawische Bürgerkrieg und der Bürgerkrieg in Ruanda als moderne Vernichtungskriege angesehen, bei denen wiederum die soziale und /oder ethnische Neuzusammensetzung der Bevölkerung durch Vernichtung unerwünschter Gruppen zu den Kriegszielen gehört.
Wichtig ist, und das ist sehr entscheidend, dass keine dieser Betrachtungsweisen monokausal oder monolithisch ist. Unterhält man sich mit Leuten aus der alten Autonomie-Redaktion bekommt man ständig den Ausdruck "Fluchtpunkt" zu hören. Es geht hier vielmehr um eine Betrachtungsperspektive von Herrschaftstechniken als um eine Ursachenerklärung.
So wird denn auch nicht bestritten, dass Hitlers Antisemitismus und die Wannsee-Konferenz den Grund für das Mordprogramm geliefert haben. Es geht bei der Ökonomie der Endlösung vielmehr darum, was NS-Technokraten an eigenen Zielen verfolgt haben (hier stellten Heim und Aly den "Ideologen" wie Hitler, Himmler Heydrich und Co. die namentlich weit unbekannteren Planer, Rassenhygieniker, Ökonomen usw. gegenüber, deren Verbrecherbiografien Teil ihrer Forschungen sind). Und eben darum dass die Herrschaftstechniken als solche - Selektion sozialer Gruppen oder ganzer Bevölkerungen nach dem Muster der Triage, Vernichtung "überflüssiger Esser", negative Eugenik und negative Bevölkerungspoilitik - mit dem Ende des NS nicht verschwunden sind sondern weltweit weiter Anwendung finden.
BTW Es gab mal eine Zeit da diskutierten Linke über Themen wie dieses und nicht über befindlichkeitenorientiertes Privilegienchecking.
„Völkermord war hier eine Form, die soziale Frage zu lösen“, indem man die Bevölkerungsteile eliminierte, die die Nationalökonomie belasteten.
Damit erscheint die Ökonomie der Endlösung als etwas, das durchaus nicht nur auf das singuläre Ereignis der Shoah zu beziehen ist, sondern als etwas das mit Kontinuitäten in Vergangenheit und Zukunft verbunden ist.
Bezogen auf die Vergangenheit: Schon die "Euthanasie" spielte sich ab vor dem Hintergrund eines rassenhygienischen Diskurses der bis in den Ersten Weltkrieg reichte. Die Tatsache, dass in den Heil- und Pflegeanstalten die Mehrzahl der InsassInnen an Grippe gestorben oder verhungert war führte im Nachhinein dazu, dass Berechnungen angestellt wurden wieviele man hätte retten können wenn man die Unheilbaren getötet hätte. 1920 erschien dann Bindings und Hoches programmatische Schrift "Die Freigabe der Tötung lebensunwerten Lebens, ihr Maß und ihre Form", das den weiteren Diskurs eintaktete.
Das Buch wurde zum Bestseller. Paranoide Vorstellungen von "Keimvergiftungen" bestimmten medizinische Diskurse, und es gab Plakate die zeigten wie "Geisteskranke" auf einem Joch saßen das deutsche Arbeiter trugen. Sogar die Innere Mission warb mit solchen Darstellungen für die Zwangssterilisierung von Anstaltsinsassen.
So waren es die Wehrlosesten der Wehrlosen, an denen der erste Massenmord verübt wurde. In sehr detailreichen Studien arbeiteten Aly, Heim, Roth, Hartmann, Ebbinghaus, Rössler und Schleiermacher heraus dass die Methoden der Begutachtung und Aussonderung der Opfer, orientiert am Vorbild der Triage in der Militär- und Katastrophenmedizin auf die Gefangenen in den KZs und die Behandlung ganzer Bevölkerungsgruppen übertragen wurden. Nach den Juden und den Sinti und Roma sollte die ländliche Armutsbevölkerung Polens und Weißrusslands dran sein.
An dieser Stelle möchte ich etwas zu den AutorInnen sagen. Während heute der Name Götz Aly prominent ist aber fast nur mit seinen Aussagen nach 2000 verbunden wird bewegte er sich damals im redaktionellen Umfeld der Schriftenreihe "Autonomie Neue Folge", des in den 1980ern wichtigsten Theorieorgans der westdeutschen Autonomen (heute "Materialien für einen neuen Antiimperialismus"), den Namen kannten eigentlich nur HistorkerInnen und Angehörige der autonomen Szene, und die Studien zur NS-Massenvernichtung und Gesundheitspolitik wurden von einem größeren Kollektiv getragen, siehe die oben genannten Namen. Ich selbst gehörte in meiner Studienzeit zum redaktionellen Umfeld der Materialien für einen neuen Antiimperialismus, bin daher also vielleicht gut geeignet das Weltbild dieser Gruppe darzustellen.
Der theoretische Ansatz bewegt sich innerhalb des politischen Theoriehorizonts der Autonomen (wobei die wenigsten Linken die sich heute so nennen davon eine Ahnung haben dürften, but sorry, wir waren das Original). Inhaltlich bedeutet dies eine sehr stark an aktuelle Klassenkämpfe angelehnte Marx-Interpretation, die auf den italienischen Operaismus zurückgeht in Verbindung mit Foucaults Dispositiven der Macht.
Der Operaismus knüpfte ursprünglich an Klassenkämpfen in Italien an, insbesondere an einer Welle wilder Streiks Anfang der 1970er z.B. bei FIAT in Turin, die sich von Arbeitskämpfen wie sie in Deutschland üblich sind total unterschieden: Es ging nicht um Lohnerhöhung, Partizipation und Mitbestimmung, sondern um einen Streik gegen die entfremdete Arbeit selber. In Interviews erklärten ArbeiterInnen, sie würden die monotone Fabrikarbeit, besonders den Akkord, als eine körperliche Gewalt wahrnehmen, die ihnen aufgezwungen würde und gegen die sie sich nun wehren würden.
Diese Wahrnehmung wurde zum perspektivischen Fluchtpunkt nicht nur des Operaismus und der Autonomen, sondern einer ganzen Richtung sozialhistorischer Forschung. Zu nennen wären hier neben der Hamburger Stiftung für Sozialforschung und Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts die Geschichtswerkstätten, das frühere Göttinger Max-Planck-Institut für Geschichte und die britischen Forscher E.P. Thompson und James Mason.
Der Begriff des Klassenkampfs erfuhr hier eine Ausweitung. Als Klassenkämpfe werden nicht mehr nur Streiks, sonstige Arbeitskämpfe und Aufstände begriffen, sondern auch Dinge wie krankfeiern, Werksabotage und Diebstahl am Arbeitsplatz, alles Akte der "moralischen Ökonomie", mit denen sich das entfremdete Individuum schadlos hält.
https://www.dampfboot-verlag.de/shop/artikel/eigen-sinn
https://www.faz.net/aktuell/karriere-hochschule/zum-tod-von-alf-luedtke-forschung-zum-eigensinn-16025810.html
Und zum anderen wurde auch der Blick auf die Herrschaftstechniken ausgeweitet. Es findet nicht nur eine Auseinandersetzung Proletariat vs. Bourgeoisie statt sondern zunehmend Mensch vs. Maschine.
https://www.zvab.com/buch-suchen/textsuche/detlef-hartmann-leben-als-sabotage/
In diesem Kontext wurden "Euthanasie", Zwangsarbeit, KZs, Shoah und Vernichtungskrieg als eine extreme Verschärfung und Zuspitzung bürgerlicher Herrschaftstechniken angesehen, bei der eine negative Bevölkerungspolitik und eine Vernichtung der "überflüssigen Esser" im Mittelpunkt steht.
Dies endet nicht mit dem Untergang des NS. Entwicklungspolitische Programme die Kreditvergabe an Streichung von Brotpreissubventionen knüpfen oder der Versuch, in den 60er und 70er Jahren Armut in Entwicklungsländern durch negative Eugenik in Form von Massensterilisierungen zu bekämpfen, werden von den Materialien für einen neuen Antiimperialismus (neuer Antiimperialismus deshalb, weil er nicht mehr dem stalinistisch geprägten Befreiungsnationalismus und Antiamerikanismus des kommunistischen Internationalismus folgt sondern sich mit der Analyse von Herrschaftspraktiken in dem oben genannten Sinne beschäftigt) als Fortsetzung der Vernichtung der überflüssigen Esser mit anderen Mitteln betrachtet.
Und ebenso werden Konflikte wie der erste Golfkrieg Iran-Irak, der Jugoslawische Bürgerkrieg und der Bürgerkrieg in Ruanda als moderne Vernichtungskriege angesehen, bei denen wiederum die soziale und /oder ethnische Neuzusammensetzung der Bevölkerung durch Vernichtung unerwünschter Gruppen zu den Kriegszielen gehört.
Wichtig ist, und das ist sehr entscheidend, dass keine dieser Betrachtungsweisen monokausal oder monolithisch ist. Unterhält man sich mit Leuten aus der alten Autonomie-Redaktion bekommt man ständig den Ausdruck "Fluchtpunkt" zu hören. Es geht hier vielmehr um eine Betrachtungsperspektive von Herrschaftstechniken als um eine Ursachenerklärung.
So wird denn auch nicht bestritten, dass Hitlers Antisemitismus und die Wannsee-Konferenz den Grund für das Mordprogramm geliefert haben. Es geht bei der Ökonomie der Endlösung vielmehr darum, was NS-Technokraten an eigenen Zielen verfolgt haben (hier stellten Heim und Aly den "Ideologen" wie Hitler, Himmler Heydrich und Co. die namentlich weit unbekannteren Planer, Rassenhygieniker, Ökonomen usw. gegenüber, deren Verbrecherbiografien Teil ihrer Forschungen sind). Und eben darum dass die Herrschaftstechniken als solche - Selektion sozialer Gruppen oder ganzer Bevölkerungen nach dem Muster der Triage, Vernichtung "überflüssiger Esser", negative Eugenik und negative Bevölkerungspoilitik - mit dem Ende des NS nicht verschwunden sind sondern weltweit weiter Anwendung finden.
BTW Es gab mal eine Zeit da diskutierten Linke über Themen wie dieses und nicht über befindlichkeitenorientiertes Privilegienchecking.
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