Donnerstag, 25. Februar 2021
Das altbekannte Problem von Korrelation versus Kausalität: Vitamin D und COVID-19 ? Im Niemandsland der Evidenz
Dr. Laura Cabrera

Günstiger als die Produkte von "Big Pharma", und deshalb ein bewusst vorenthaltenes Wundermittel ? dieses Argument steckt hinter dem angeblich unterschätzten Vitamin D im Kampf gegen die Pandemie. Ein nüchterner Blick auf die Evidenz deckt einige Mängel auf.

Hinter der Debatte um die Anwendung von Vitamin D bei vielen Erkrankungen jenseits des manifesten Mangels steckt das altbekannte Problem von Korrelation versus Kausalität. Während diejenigen, die in dem Vitamin den Schlüssel zur Bekämpfung von COVID-19 sehen, die Kausalität als erwiesen erachten, sucht die evidenzbasierte Medizin nach diesem Beweis noch vergebens, heißt es in einem Ernährungsmedizin-Blog.

Vitamin-D-Mangel soll für SARS-CoV-2 anfälliger machen ?
Vitamin D leistet seine Arbeit im Kalzium- und Phosphat-Stoffwechsel und bei der Differenzierung hämatopoetischer Zellen. Auf die Zellen des Immunsystems hat Vitamin D vielfältige Auswirkungen: Es stimuliert die Bildung von antiviral wirksamen Peptiden und spielt eine zentrale Rolle bei der Hemmung überschießender Immunreaktionen, so Prof. Dr. Hans Biesalski von der Universität Hohenheim im NFS Journal.

Ein intaktes Immunsystem schützt bestmöglich vor allen Viren, welche die Atemwege befallen, nicht nur vor SARS-CoV-2. Ein direkter Zusammenhang zwischen einer Infektion mit dem Coronavirus und Vitamin D, der stärker ist als bei anderen Erregern, ist nicht nachgewiesen.


Schaut man sich nun den vermeintlichen Zusammenhang mit schweren Verläufen von COVID-19 an, wird der Sachverhalt etwas komplexer. So gibt es Studien, die nachweisen konnten, dass Patienten, die mit einer schweren COVID-19-Erkrankung intensivpflichtig wurden, oft einen zu niedrigen Vitamin-D-Serumspiegel hatten. Diese Ergebnisse überraschen allerdings wenig, und zwar aus 2 Gründen.

Patienten mit einem Risiko für einen kritischen COVID-19-Verlauf gehören auch zu den Menschen, die eher zu einem Vitamin-D-Mangel neigen, also ältere Menschen, Adipöse sowie Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2.

2 große Studien aus Großbritannien nutzten die Daten der UK Biobank, einem Register aus 502.624 Teilnehmern des mittleren und späten Erwachsenenalters. In beiden Studien verschwand der Zusammenhang zwischen dem Vitamin-D-Spiegel und einer schweren COVID-19-Erkrankung nach Berücksichtigung von Alter und Begleiterkrankungen [2,3].

Vitamin D sinkt bei schwerer Immunreaktion
Der 2. Grund: Vitamin D ist ein negatives Akute-Phase-Reagens. Bei einer schweren Reaktion des Immunsystems auf Gewebeschädigung sinkt der Vitamin-D-Spiegel drastisch ab. Keine klinische Studie kannte den Vitamin-D-Spiegel zum Zeitpunkt der Infektion. Meistens bestimmten die Forscher den Vitamin-D-Spiegel erst bei Aufnahme ins Krankenhaus bzw. auf die Intensivstation.

Hilft Vitamin D intensivpflichtigen COVID-19-Patienten?
Besonders kritisiert wird die Studie der spanischen Forscher um Marta Entrenas Castillo von der Universität Córdoba und ihren Kollegen [4]. Die Forscher untersuchten 76 Patienten, die mit einer schweren COVID-19-Erkrankung ins Krankenhaus eingeliefert wurden. Alle wurden mit Hydroxychloroquin und Azithromycin behandelt, was zum Zeitpunkt der Studie noch die Regel war. Die eine Patientengruppe erhielt dann zu 3 Zeitpunkten Vitamin D. Ein Placebo wurde hingegen nicht verabreicht.



Auf den ersten Blick sind die Ergebnisse erstaunlich. Die Hälfte der Kontrollgruppe musste im weiteren Verlauf auf die Intensivstation verlegt werden, aber nur 2% der Vitamin-D-Gruppe.

Auf den zweiten Blick jedoch hat die Studie weniger Aussagekraft als erhofft: Von den Patienten, die Vitamin D erhielten, hatten 6% Diabetes und 24 % einen Hypertonus ? in der Kontrollgruppe lagen die Anteile bei 19% und 58%. Diese Unterschiede waren beim Hypertonus statistisch signifikant, beim Diabetes grenzten sie an die Signifikanz.

Derzeit wurde noch keine randomisiert-kontrollierte Studie veröffentlicht, die den kausalen Zusammenhang zwischen einem Vitamin-D-Mangel und einer schweren COVID-19-Erkrankung herstellt. Ebenso wenig können Interventionsstudien mit Vitamin D im Pandemiekontext überzeugen.

Ein manifester Vitamin-D-Mangel, wie er in Risikogruppen besonders häufig vorkommt, sollte wie auch schon vor der Pandemie, ausgeglichen werden.

Vitamin D und ARDS

Schon vor der Pandemie war die Rolle von Vitamin D beim Acute Respiratory Distress Syndrome (ARDS) ein Gegenstand der Forschung. Eine viel zitierte Studie von einem Team um Rachel Dancer , University of Birmingham, untersuchte neben Lungenzellen in Kultur auch Patienten, die einer Ösophagektomie unterzogen wurden und einen Vitamin-D-Mangel aufwiesen. Diejenigen, die als Intervention Vitamin D erhielten, zeigten ein signifikant besseres Outcome.

Einige Jahre später versuchte eine groß angelegte randomisierte, kontrollierte Studie diesen Effekt zu bestätigen. Die VIOLET-Studie aus den USA musste jedoch frühzeitig beendet werden, weil das verabreichte Vitamin D bei den intensivpflichtigen Patienten keinen Vorteil erbrachte.

Dieser Artikel ist im Original erschienen auf Coliquio.de

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Covid Update 25.02.
Innerhalb der letzten 24 Stunden haben sich 11.869 Personen neu mit SARS-CoV-2 infiziert. Das sind 1.662 Fälle mehr als am Donnerstag vor einer Woche. Die Zahl der neu gemeldeten Todesfälle liegt niedriger als vor 7 Tagen, nämlich 385 versus 534. Trotz dieses unklaren Bildes gewinnt die Öffnungsdebatte weiter an Fahrt. Am 3. März wird Bundeskanzlerin Merkel (CDU) zusammen mit den Ministerpräsidenten der Länder über mögliche Lockerungen beraten. Welchen Weg sollte Deutschland einschlagen?

?ControlCOVID?: RKI-Leitfaden für mögliche Lockerungen
Gefragt sind evidenzbasierte Empfehlungen für Öffnungskonzepte. Deshalb hat das RKI ein Strategie-Papier auf der Grundlage wissenschaftlicher Veröffentlichungen herausgegeben. Bis zum Schutz weiter Teile der Bevölkerung durch Impfungen seien Maßnahmen erforderlich, um das Infektionsgeschehen in einen voraussichtlich kontrollierbaren Bereich zu senken ? inklusive effektiver Testung und Nachverfolgung von Kontakten, so die Autoren.

Sie nennen 4 Parameter, welche die Übertragung von SARS-CoV-2 beeinflussen:

Umweltfaktoren (Aufenthalt in geschlossenen Räumen oder im Freien, Belüftung, Alten-/Pflegeheime)

Kontaktmuster (Dauer der Exposition, Nähe zum Indexfall, Kontakthäufigkeit, Art der Aktivität, etwa Sport, Sprechen oder Singen, etc.)

Sozioökonomische Faktoren (Einkommen, Enge im Haushalt, Arbeitszeiten, Arbeitsbedingungen)

Faktor ?Wirt? (Alter, Vorerkrankungen, Immunschwäche, Infektiosität)

Anhand dieser Faktoren hat das RKI eine Toolbox mit 17 Bereichen des täglichen Lebens aufgebaut. Dazu zählen Kitas, Schulen, Betriebe, das häusliche Umfeld, Restaurants, Bars, kulturelle Einrichtungen, Kirchen und viele mehr. Für jedes Setting bewerten Epidemiologen das Infektionsrisiko, den Anteil an der weiteren Verbreitung von SARS-CoV-2, den direkten Einfluss auf Public Health sowie indirekte Effekte. Das bedeutet: Je nach Intensität des Infektionsgeschehens rät das RKI zu unterschiedlichen Einschränkungen in diesen 17 Bereichen.

Die Intensität wird anhand der 7-Tages-Inzidenz, der prozentualen Belegung von Intensivbetten mit COVID-19-Fällen, der wöchentlichen Inzidenz hospitalisierter COVID-19-Patienten über 60 und der prozentualen Kontaktverfolgung ermittelt. Hier gibt es neben der Basisstufe noch 3 weitere Stufen.

Um die Basisstufe mit maximal möglichen Lockerungen zu erreichen, sieht das Papier maximal 10 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und pro Woche, maximal 3% COVID-19-Patienten in Intensivbetten, maximal 3 Patienten über 60 pro 100.000 Personen und Woche sowie eine mindestens 90-prozentige Kontaktnachverfolgung vor. Derzeit befindet sich Deutschland aber noch in der höchsten Stufe im 4-stufigen Modell.

RKI-Befragung: Etwa 36,5 Millionen Menschen gehören zur Hochrisikogruppe
Besonders wichtig ist der Schutz vulnerabler Gruppen. Bislang gab es nur Spekulationen zu den tatsächlichen Zahlen, wer zu dieser Gruppe gehört. Jetzt liefern Auswertungen der RKI-Studie ?Gesundheit in Deutschland aktuell? (GEDA) 2019/2020-EHIS Details. Im Rahmen dieser bundesweiten Querschnittbefragung wurden zwischen April 2019 und Oktober 2020 rund 23.000 Personen ab 15 Jahren telefonisch interviewt. Epidemiologen erfassten außer dem Geburtsdatum noch diverse Vorerkrankungen.

Bei Berücksichtigung eines Alters über 65 Jahren, von Diabetes mellitus, chronischer Nierenerkrankungen und Adipositas mit einem Body Mass Index über 40 kg/m2 als Risikofaktoren, kommen die Autoren im Zuge ihrer Hochrechnung auf 21,6 Millionen Menschen in der Hochrisikogruppe für schweres COVID-19.

Im nächsten Schritt bezogen sie Hypertonie, die koronare Herzkrankheit bzw. Angina pectoris, Herzinfarkte, Schlaganfälle, Asthma bronchiale und chronische Bronchitis ein. Dies führte in Summe zu 36,5 Millionen Menschen mit erhöhtem Risiko.

Bei der Analyse zeigten sich auch soziodemographische und regionale Unterschiede. In der Hochrisikogruppe waren mehr Menschen mit geringer Bildung (49,2%) als mit mittlerem (21,9%) oder hohem Bildungslevel (23,9%). Personen, die eher an schwerem COVID-19 erkranken, lebten zudem mit höherer Wahrscheinlichkeit im Osten Deutschlands oder im Saarland.

Zi-Simulation: Bis Ende Juli alle Erwachsenen in Deutschland geimpft?
Risikogruppen erhalten je nach Alter oder Vorerkrankungen vorrangig Impfangebote. Für sie hat die STIKO Priorisierungen der Gruppen 1 bis 4 vorgesehen. Bislang haben 4,1% aller Einwohner die 1. und 2,2% die 2. Dosis bekommen. Über den weiteren Verlauf von Impfkampagnen wird rege spekuliert.

Um verschiedene Szenarien zu simulieren, hat das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) ein Online-Tool bereitgestellt. Läuft alles nach Plan, könnten alle Erwachsenen bis Ende Juli 2021 geimpft worden sein, so das Ergebnis.

Die Zi-Experten arbeiten mit mehreren Annahmen. Für das 2. Quartal 2021 haben BioNTech und Pfizer 40,2 Millionen Dosen ihrer Vakzine in Aussicht gestellt. Das Bundesministerium für Gesundheit rechnet mit 6,4 Millionen Einheiten des Moderna-Impfstoffes beziehungsweise 16,9 Millionen Dosen von Astra-Zeneca. Im Raum stehen auch weitere EMA-Zulassungen für die Impfstoffe von Johnson & Johnson sowie von Curevac mit geschätzten Volumina von 10,1 bzw. 3,5 Millionen Dosen.

Das Szenario sieht vor, Bürger über Impfzentren, aber auch über niedergelassene Kollegen zu versorgen. 50.000 aller 75.000 Arztpraxen könnten täglich jeweils 20 Impfstoffdosen verabreichen, was rechnerisch bis zu 5 Millionen Impfungen pro Woche ergibt. Hinzu kommen 433 Impfzentren mit rund 140.000 Impfungen pro Tag. Die Länder sehen die maximale Tageskapazität von Impfzentren derzeit bei rund 340.000 Dosen. Sie schätzen, dass diese im März auf über 550.000 gesteigert werden könnte.

?Schafft die Politik die notwendigen Rahmenbedingungen für das Impfen in Arztpraxen, könnten Anfang Mai bereits 35 Millionen Deutsche mindestens eine Erstimpfung erhalten haben?, schreibt das Zi in einer Pressemeldung. ?Eine Erstimpfung der erwachsenen Bevölkerung könnte günstigstenfalls schon in der ersten Julihälfte, die vollständige Immunisierung Anfang August abgeschlossen sein, wenn weitere Impfstoffe kurzfristig zugelassen und alle verfügbaren Impfdosen schnellstmöglich verimpft werden.?

Update vom 23. Februar 2021
5 Theorien warum weltweit die Infektionszahlen sinken

Aktualisierte S3-Leitlinie ?Stationäre Therapie bei COVID-19?

Deutlich reduzierte Übertragungsrate bei Biontech-Impfstoff?

Häufig kardiale Schäden nach schwerem COVID-19-Verlauf

5 Theorien warum weltweit die Infektionszahlen sinken
Quasi weltweit scheinen derzeit die Fallzahlen von SARS-CoV-2-Infektionen zu sinken ? und die Ursache sind nicht weniger Tests, konstatiert Dr. Paul E. Sax, Editor bei NEJM Journal Watch Infectious Diseases in einem lesenswerten Blog. Er nennt 5 mögliche Gründe dafür ? oder eigentlich 6.

Tatsächlich nehmen die Infektionszahlen ab, schreibt Sax, und zwar in Stadt und Land, in Gegenden, wo bereits viel geimpft wird und solchen mit wenigen Impfungen, in Nord- und Südamerika, Europa, Afrika und Asien ? sogar in Ländern mit der Variante B.1.1.7.

Theorie 1: Saisonalität. Eine attraktive Hypothese, meint Sax, denn Coronavirus-Infektionen ? auch vor SARS-CoV-2 ? zeigten definitiv ein saisonales Muster, so wie viele Viruserkrankungen. ?Jeder Kinderarzt wird Ihnen das bestätigen.? Natürlich grenze der Begriff der Saisonalität nicht den genauen Zeitpunkt ein: ?Denken Sie an die Grippe, bei der wir manchmal eine frühe, manchmal eine späte saisonale Spitze im Winter haben.? Doch das Problem mit dieser Theorie sei, dass auf der südlichen Hemisphäre die Jahreszeiten umgekehrt sind. Und dass in vielen südlichen US-Bundesstaaten die Fallzahlen im Sommer angestiegen waren.

Theorie 2: Herdenimmunität. In den USA haben derzeit fast 28 Millionen Menschen eine bestätigte COVID-19-Diagnose erhalten ? diese Meldungen an die CDC spiegeln aber nur einen Bruchteil der wirklichen Fälle wider. Denn viele verlaufen mild oder gar asymptomatisch. Die CDC schätze, dass nur eine von 4,6 Infektionen gemeldet werde. Sax: ?Das könnte uns bis zur Hälfte der US-Bevölkerung bringen, die einen gewissen Grad an natürlicher Immunität gegen die Infektion hat.?

Theorie 3: Verhalten. Inzwischen sei viel klarer, dass das Meiden von Menschenansammlungen und schlecht belüfteten Innenräumen sowie das Tragen von Masken das Infektionsrisiko verringerten. Fallen die Zahlen, weil sich die Menschen in ihrem Verhalten daran anpassen? Die Hypothese hänge auch mit der Herdenimmunität zusammen, erläutert Sax: Menschen, die am wenigsten wahrscheinlich die Ratschläge zur Infektionskontrolle befolgen ? oder aufgrund ihrer Arbeits- oder Wohnsituation nicht in der Lage sind, sie zu befolgen ? hatten bereits COVID-19 und sind daher immun. Die anderen, die noch nicht infiziert sind, bleiben weiterhin in Deckung und warten, bis ein Impfstoff verfügbar ist.

Theorie 4: Impfstoffe. ?Die Welt impft wie verrückt, die Nachfrage sprengt alle Erwartungen?, meint Sax. Und fast überall erhalten diejenigen Menschen zuerst den Impfstoff, die am ehesten symptomatisch oder schwer erkranken. Zudem deute vieles darauf hin, dass die Impfstoffe nicht nur die Krankheit, sondern auch die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung reduzierten ? so verringerten sie die Infektionen insgesamt. Das Impfen finde zwar noch nicht umfassend genug statt, um den Rückgang der Fallzahlen allein zu erklären, könne aber dazu beitragen ? und spiele in Israel sicher eine Rolle.

Theorie 5: Das Virus. ?Vielleicht tut uns das Virus den Gefallen, und wird mit der Zeit weniger virulent?, meint Sax. Vielleicht verursachten auch einige neue Varianten (wenn schon nicht B.1.1.7 dann andere vielleicht) auch weniger schwere Krankheiten. Wenn man die Perspektive des Virus einnehme, dann sei es für den Erreger ja durchaus evolutionär vorteilhaft, eher milde Erkrankungen zu verursachen, da ihm dies mehr Chancen gebe, sein genetisches Material an andere empfängliche Wirte zu verbreiten.

Und dann Punkt 6: ein Gemisch aus all dem. Dies, meint Sax, ?bringt uns zu der wahrscheinlichsten Erklärung für den Rückgang der Fälle: Es könnten alle der oben genannten Erklärungen sein, in verschiedenen Anteilen und unterschiedlich in verschiedenen Regionen ? plus Dinge, die niemand in Betracht gezogen hat.?

Er warnt mit einem Zitat von Henry L. Menken, einem bekannten US-amerikanischen Schriftsteller und Journalisten deutscher Herkunft, davor, zu sehr auf eine alleinige Erklärung zu setzen. Mencken schrieb: ?Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, direkt und plausibel ist ? und falsch.?

Es gebe schon Stimmen, die den Rückgang einer um sich greifenden Herdenimmunität zuschrieben, so Sax. Doch: ?Wir können zwar hoffen, dass die optimistischen Vorhersagen zutreffen, das wünschen wir uns alle. Aber wenn es eine Sache gibt, die uns die Pandemie mit dieser neuen Krankheit lehrt, dann ist es, dass es eine Menge gibt, was wir nicht wissen.?

Aktualisierte S3-Leitlinie ?Stationäre Therapie bei COVID-19?
Unter der Federführung von 3 Fachgesellschaften der Intensiv- und Notfallmediziner sowie der Pneumologen sind die Empfehlungen zur stationären Therapie von Patienten mit COVID-19 nun aktualisiert worden. Insgesamt waren an der Leitlinie, deren Klassifikation nun auf S3 erhöht wurde (also auf mehr Evidenz basiert) 14 verschiedene medizinische Fachgesellschaften beteiligt.

Die aktualisierte Leitlinie umfasst Empfehlungen über den gesamten Verlauf der stationären Behandlung von COVID-19 ? von der Aufnahme und Diagnostik über die Therapie bis hin zum weiteren Krankheitsverlauf und ist damit fächerübergreifend. Der Koordinator der Leitlinie Prof. Dr. Stefan Kluge verweist darauf, dass ?derzeit täglich hunderte neue wissenschaftliche Arbeiten zu COVID-19 publiziert werden?. Die vorliegende Leitlinie beziehe alle neuen und gesicherten Erkenntnisse mit ein.

Die medikamentöse Therapie hat in der aktualisierten Leitlinie einen besonderen Stellenwert. Sie enthält neue Empfehlungen zu zahlreichen Medikamenten. Doch: ?Eine klinische Wirksamkeit bei moderater bis schwerer COVID-19-Erkrankung hospitalisierter Patienten ist weiterhin mit ausreichender Sicherheit nur für Dexamethason nachgewiesen?, räumt PD Dr. Christoph Spinner, Vertreter der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie, ein.

Andere Medikamente, die antiviral oder immunmodulatorisch wirken, können laut den Autoren derzeit außerhalb klinischer Studien und entsprechend qualifizierter klinischer Einrichtungen, nicht regelhaft zum Einsatz empfohlen werden, da hier noch die Evidenz fehle. Die S3-Leitlinie können Interessierte auf der Website der AWMF abrufen.

Deutlich reduzierte Übertragungsrate bei Biontech-Impfstoff?
Etwas Hoffnung nähren Daten aus Israel: Laut einem Manuskript des israelischen Gesundheitsministeriums hemmt der mRNA-Impfstoff von Biontech/Pfizer womöglich die Übertragung des Virus. Medienberichten zufolge soll er die Virus-Übertragung zu knapp 90% verhindern. Ausgewertet wurden Daten von rund 1,8 Millionen Geimpften. Die Daten müssen allerdings sehr zurückhaltend bewertet werden, da es nur ein Bericht ist und keine Studie, die bereits vollständig in einer Fachzeitschrift mit unabhängiger wissenschaftlicher Begutachtung (Peer Review) erschienen ist. Inhalte des Manuskripts waren allerdings bereits letzten Donnerstag auf dem israelischen Internetportal ynet publiziert worden.

Häufig kardiale Schäden nach schwerem COVID-19-Verlauf
Etwa die Hälfte der Patienten, die mit einem schweren COVID-19-Verlauf ins Krankenhaus eingeliefert wurden und bei der Entlassung erhöhte Troponin-Werte aufwiesen, hatten kernspintomographische Hinweise auf kardiale Schäden. Dies zeigen laut einer aktuellen Studie MRT-Untersuchungen, die mindestens einen Monat nach der Entlassung der Patienten aus dem Krankenhaus durchgeführt wurden ( European Heart Journal ).

Studienleiterin Prof. Dr. Marianna Fontana, Kardiologin am University College London (UK): ?Erhöhte Troponin-Werte sind bei COVID-19-Patienten mit einem schlechteren Outcome verbunden.? Patienten mit einem schweren COVID-19-Verlauf hätten oft schon vorbestehende kardiovaskulär relevante Gesundheitsprobleme wie Diabetes, erhöhten Blutdruck und Fettleibigkeit. Bei einem schweren COVID-19-Verlauf könne jedoch auch das Herz direkt betroffen sein.

Die Forscher untersuchten 148 COVID-19-Patienten (Durchschnittsalter 64 Jahre, Männer-Anteil 70%), die bis Juni 2020 aus 6 Krankenhäusern entlassen wurden. Die sich erholenden COVID-19-Patienten waren zuvor sehr krank; alle benötigten einen Krankenhausaufenthalt und alle hatten erhöhte Troponin-Werte; etwa jeder 3. Patient habe beatmet werden müssen, erklärt Fontana.

Bei den MRT-Untersuchungen 1 oder 2 Monate nach der Entlassung fanden die Wissenschaftler laut der Kardiologin ?Hinweise auf hohe Raten von Herzmuskelverletzungen. Einige dieser Schäden hätten vielleicht schon vor der Infektionskrankheit bestanden; einige seien jedoch neu gewesen und wahrscheinlich durch COVID-19 verursacht worden.

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Mit T-Killerzellen gegen Covid
ttps://www.spektrum.de/news/covid-19-retten-uns-die-t-zellen/1836607?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE

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Neue Studie aus Sambia: Überraschend viele Gestorbene mit SARS-CoV-2 infiziert ? auch Jüngere und sogar Kinder
Ute Eppinger, Medscape


Die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie in Afrika wurden bislang wohl stark unterschätzt. Eine Analyse aus Sambia, publiziert im British Medical Journal, hat jetzt ergeben, dass dort deutlich mehr Menschen an COVID-19 gestorben sind als bislang vermutet ? demnach könnten zwischen 15 und 20% aller untersuchten Todesfälle auf das Virus zurückgehen [1].

Ein internationales Forscherteam um den Epidemiologen Prof. Dr. Lawrence Mwananyanda von der Universität Boston hatte zwischen Juni und September 2020 PCR-Tests an 364 Verstorbenen in Lusaka, Sambia, durchgeführt. 70 von 364 (19%) waren mit SARS-CoV2 infiziert. Damit ist die Zahl der positiven Befunde ?viel höher als die offiziellen Berichte vermuten lassen und stehen im Widerspruch zu der weit verbreiteten Ansicht, dass COVID-19 Afrika weitgehend übersprungen hat und kaum Auswirkungen hatte?, schreiben die Forscher.

Nur weil so wenig getestet wurde, wurde von nur wenigen Fällen berichtet ? nicht, weil es tatsächlich nur wenige Fälle gab. Prof. Dr. Lawrence Mwananyanda und Kollegen
Ihre Daten zeigen auch, dass Menschen allen Alters an COVID-19 starben, auch unerwartet viele Kinder (7). Das Durchschnittsalter zum Zeitpunkt des Todes lag bei 48 Jahren, und 70% der an COVID-19 Gestorbenen waren Männer.

Das wahre Ausmaß der Pandemie auf Afrika muss gesehen werden
Die meisten Todesfälle bei Menschen mit COVID-19 (73%) traten zuhause auf, und keiner dieser Patienten war vor seinem Tod auf das Virus getestet worden. Von den 19 Personen, die im Krankenhaus starben, wurden nur 6 vor dem Tod auf SARS-CoV-2 getestet.

Von 52 Verstorbenen lagen Angaben zu Symptomen vor, davon wiesen 44 typische Symptome auf (Husten, Fieber, Kurzatmigkeit); doch auch von ihnen wurden nur 5 vor ihrem Tod getestet. COVID-19 wurde bei 7 Kindern identifiziert, von denen nur eines vor dem Tod getestet worden war.

76% der Verstorbenen waren unter 60 Jahre alt. Die 5 häufigsten Komorbiditäten waren:

Tuberkulose (31%),

Bluthochdruck (27%),

HIV/AIDS (23%),

Alkoholmissbrauch (17%) und

Diabetes (13%).

?Es ist entscheidend, das tatsächliche Ausmaß der Pandemie auf Afrika zu verstehen?, schreiben Mwananyanda und Kollegen. ?Die meisten Patienten starben zuhause, und nur wenige, die in der Klinik starben, wurden überhaupt getestet ? obwohl sie typische Symptome zeigten. Nur weil so wenig getestet wurde, wurde von nur wenigen Fällen berichtet ? nicht, weil es tatsächlich nur wenige Fälle gab?, stellen sie klar.

Wenn unsere Daten verallgemeinerbar sind, dann wurde der Einfluss von COVID-19 in Afrika bislang massiv unterschätzt. Prof. Dr. Lawrence Mwananyanda und Kollegen

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Die ersten 3 Monate Pandemie in China: Gesamtsterberate war nicht erhöht ? weniger Unfälle und andere Erkrankungen
Maren Schenk, Medscape


Die Gesamtzahl der Todesfälle ist in China ? außerhalb der Stadt Wuhan ? während der ersten 3 Monate des COVID-19-Ausbruchs nicht gestiegen. Denn ein geringer Anstieg der Todesfälle durch COVID-19 wurde durch weniger Sterbefälle an anderen Ursachen mehr als ausgeglichen.

Dies zeigt eine neue Studie, an der Forscher der Universität Oxford und des chinesischen Zentrums für Krankheitskontrolle und -prävention (China CDC) beteiligt waren. Die Autoren haben die Veränderung der Gesamt- und ursachenspezifischen Todesraten während der ersten 3 Monate des COVID-19-Ausbruchs Anfang 2020 untersucht. Die Ergebnisse sind in BMJ veröffentlicht [1].

Bekanntlich wurden die ersten Erkrankungen an COVID-19 Mitte Dezember 2019 in der Stadt Wuhan in der Provinz Hubei gemeldet. Zeitgleich mit den Feierlichkeiten zum chinesischen Neujahrsfest im Januar 2020 verbreitete sich das Virus schnell in ganz China. Dies führte zu einer landesweiten Abriegelung am 23. Januar 2020, die bis Anfang April dauerte.

Die Studie analysierte Daten aus offiziellen chinesischen Sterberegistern für den Zeitraum vom 1. Januar bis 31. März 2020 und verglich diese mit dem gleichen Zeitraum der vorangegangenen 5 Jahre. Die Forscher führten getrennte Analysen durch für die Stadt Wuhan, das Epizentrum der Pandemie, und für andere Orte in China.

Gesamt-Todesrate in Wuhan erhöht, außerhalb eher erniedrigt
Die Gesamt-Todesrate in der Stadt Wuhan war um 56% höher als normalerweise zu erwarten wäre (1.147 zu 735 pro 100.000). Dies war vor allem auf einen 8-fachen Anstieg der Todesfälle durch Lungenentzündung zurückzuführen, von denen die meisten mit COVID-19 zusammenhingen.

Auch die Todesfälle durch bestimmte andere Krankheiten nahmen in der Stadt Wuhan leicht zu, darunter Herz-Kreislauf-Erkrankungen (29% Anstieg: 408 vs. 316 pro 100.000) und Diabetes (83% Anstieg: 46 vs. 25 pro 100.000).

Insgesamt gab es in der Stadt Wuhan im Zeitraum Januar bis März 2020 etwa 6.000 zusätzliche Todesfälle (4.573 durch Lungenentzündung) im Vergleich zur erwarteten Rate auf Basis der vorangegangenen 5 Jahre. Die überzähligen Todesfälle traten gehäuft auf in Bezirken in der City (im Vergleich zu vorstädtischen Bezirken), bei Erwachsenen über 70 Jahren und bei Männern.

Außerhalb der Stadt Wuhan stieg die Gesamtsterblichkeitsrate nicht an und war sogar etwas niedriger als erwartet (675 vs. 715 pro 100.000). Dies war auf weniger Todesfälle durch nicht-COVID-19-bedingte Lungenentzündungen (47% weniger), chronische Atemwegserkrankungen (18% weniger) und Unfälle im Straßenverkehr (23% weniger) zurückzuführen, die alle zeitlich eng mit der Abriegelung zusammenfielen.

Dr. Jiangmei Liu, ein Studienautor am China CDC, sagt: ?Dies war die erste landesweite Studie in China, die systematisch die übermäßige Sterblichkeit während des COVID-19-Ausbruchs untersuchte, nicht nur durch Lungenentzündung, sondern auch durch eine Reihe von anderen Erkrankungen in verschiedenen Regionen Chinas.?

Die Forscher verwendeten offizielle Aufzeichnungen aus dem landesweit repräsentativen Disease Surveillance Point (DSP)-System des chinesischen CDC. Es deckt mehr als 300 Millionen Menschen aus 605 städtischen Bezirken und ländlichen Landkreisen ab, was mehr als 20% der Gesamtbevölkerung Chinas entspricht.

Abriegelung hatte weitere Vorteile
Prof. Dr. Maigeng Zhou, leitender Autor der Studie am China CDC in Beijing, sagte: ?Die Daten zeigen, dass es in diesen ersten 3 Monaten des COVID-19-Ausbruchs völlig unterschiedliche Situationen in der Stadt Wuhan und im restlichen China gab. Innerhalb der Stadt Wuhan gab es auch große Unterschiede in der Schwere des Ausbruchs zwischen zentralen und vorstädtischen Bezirken.?

Die Daten zeigen, dass es in diesen ersten 3 Monaten des COVID-19-Ausbruchs völlig unterschiedliche Situationen in der Stadt Wuhan und im restlichen China gab. Prof. Dr. Maigeng Zhou
In der Stadt Wuhan gab es neben den überzähligen Todesfällen durch Lungenentzündung (meist im Zusammenhang mit COVID-19) etwa 1.400 zusätzliche Todesfälle durch verschiedene chronische Krankheiten. Untersucht man die Daten nach dem Ort dieser Todesfälle, so zeigt sich, dass die Zahl der Todesfälle im Krankenhaus deutlich abnahm, während die Zahl der Todesfälle, die außerhalb des Krankenhauses auftraten, zunahm.

Dies deutet darauf hin, dass der schwierige Zugang zu Krankenhausleistungen oder die mangelnde Bereitschaft, während des Ausbruchs medizinische Versorgung in Anspruch zu nehmen, ein Schlüsselfaktor für die Zunahme der Todesfälle durch nicht-Pneumonie-bedingte Krankheiten gewesen sein könnte.

Außerhalb der Stadt Wuhan wurde der geringe Anstieg der Todesfälle durch COVID-19-bedingte Lungenentzündung durch einen Rückgang der Todesfälle durch andere Arten von Lungenentzündung, chronischen Atemwegserkrankungen und Verkehrsunfällen mehr als ausgeglichen. Dies spiegelt den Erfolg der schnellen Kontrolle der Ausbreitung von SARS-CoV-2 wider, neben der angemessenen Aufrechterhaltung der Gesundheitssysteme während der landesweiten Abriegelung, meinen die Autoren.

Es scheint, dass die Abriegelung und die damit verbundenen Verhaltensänderungen ? unbeabsichtigte zusätzliche gesundheitliche Vorteile hatten, die über die Reduzierung der Ausbreitung von SARS-CoV-2 hinausgingen. Prof. Dr. Zhengming Chen
Prof. Dr. Zhengming Chen, Epidemiologie am Nuffield Department of Population Health der Universität Oxford und leitender Autor der Studie, sagte: ?Es scheint, dass die Abriegelung und die damit verbundenen Verhaltensänderungen ? wie das Tragen von Gesichtsmasken, erhöhte Hygiene, soziale Distanzierung und eingeschränkte Reisetätigkeit ? tatsächlich unbeabsichtigte zusätzliche gesundheitliche Vorteile hatten, die über die Reduzierung der Ausbreitung von SARS-CoV-2 hinausgingen.?

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Neue Varianten, einfachere Zulassungen: Die Chefs von BioNTech und PEI äußern sich zur Zukunft der Corona-Impfstoffe
Michael van den Heuvel, Medscape

Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 schützen zuverlässig vor COVID-19. Das zeigen Real-World-Daten aus Israel. Seit Anfang Februar sinkt die Zahl an Neuinfektionen vor allem bei Personen über 60 Jahren stark. Sie wurden ab Dezember 2020 als 1. Gruppe mit der mRNA-Vakzine von BioNTech/Pfizer geimpft. Doch die Mutationen des Coronavirus bereiten zunehmend Sorgen: Kleine, als Preprints veröffentlichte Studien zeigen eine schlechtere Wirksamkeit sowohl von mRNA- als auch Vektorvirus-Vakzinen gegen die Varianten.

Vor welchen Herausforderungen wir alle, und ganz besonders forschende Hersteller und Zulassungsbehörden, stehen, diskutierte ein hochkarätiges Expertengremium ? der Chef des für die Impfstoffe zuständigen Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) Prof. Dr. Klaus Cichutek, Prof. Dr. Uğur Sahin, Vorstandsvorsitzender von BioNTech, und die Infektiologin und Internistin Prof. Dr. Marylyn Addo vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf ? bei einem Press Briefing des Science Media Center Germany [1].

Wie schnell lassen sich Impfstoffe modifizieren?
Sahin betonte, dass es darauf ankommt, die neu zirkulierenden Varianten differenziert zu betrachten. ?Bei der britischen Variante B.1.1.7 sehen wir das Hauptrisiko in einer höheren Infektiosität, aber nicht in schlechter neutralisierenden Antikörpern?, erklärte er. ?Deshalb ist ein Lockdown die wichtigste Maßnahme, bis ausreichend viele Menschen geimpft worden sind.?

Etwas anders sieht Sahin die Lage bei der südafrikanischen Variante B.1.351. Hier gebe es zumindest Hinweise auf eine schlechtere Wirkung. Dennoch gibt Sahin zumindest für seinen mRNA-Impfstoff Entwarnung: ?Wir haben keine Real-World-Daten, wissen jedoch aus dem Labor, dass eine ausreichend starke neutralisierende Wirkung gegen die Variante auftritt?, so der Experte. Bei hohen Antikörper-Titern im Blut erwartet er bei der BioNTech-Vakzine deshalb auch Effekte gegen B.1.351.

Deshalb ist ein Lockdown die wichtigste Maßnahme, bis ausreichend viele Menschen geimpft worden sind. Prof. Dr. Uğur Sahin
Man teste ständig die Neutralisationsaktivität der Seren von Geimpften, die den BioNTech/Pfizer-Impfstoff in Studien erhalten hatten, gegen neue Virusvarianten. ?Wir haben noch keinen enormen Druck, den Impfstoff zu wechseln?, betonte Sahin.

PEI-Präsident Cichutek sieht perspektivisch Gefahren für die Effektivität von Impfstoffen, falls Mutationen im Bereich des Spike-Proteins auftreten. Dann sei ein ?Immune Escape? möglich. Als Beispiel nannte er E484K: eine Veränderung, welche man in der südafrikanischen Variante nachgewiesen habe. ?Weitere Mutationen im Laufe der Evolution von SARS-CoV-2 halte ich für denkbar?, so der Experte. Einen genauen Zeitpunkt, wann die Zeit reif für veränderte Impfstoffe sei, könne er aber nicht nennen.

Doch die Forschung ist bereit. Auf einen möglichen Zeitplan für modifizierte Vakzine angesprochen, gibt sich die Hamburger Infektiologin Addo optimistisch. Sie arbeitet selbst u.a. an Vektorvirus-basierten Impfstoffen. Mit Impfstoff-Plattformen auf Basis von mRNA oder Vektorviren habe man gute Tools in der Hand, um rasch auf Mutationen reagieren zu können, sagte Addo.

"2 bis 3 Monate sind eine realistische Timeline, um eine Vakzine anzupassen.? Sie veranschlagt 6 Wochen für molekularbiologische Arbeiten und weitere 6 Wochen für die Kultur der Impfviren. Bei mRNA-basierten Plattformen seien sogar kürzere Zeiträume denkbar.

Neue Zulassungsmechanismen in Sicht
Doch wie sollen die veränderten Impfstoffe dann zugelassen werden? Natürlich sei es dann wichtig, nicht nochmals Zeit mit klinischen Studien der Phasen 1 bis 3 zu verlieren, betonte Addo.

Doch das wird laut Cichutek wohl auch nicht erforderlich sein; es gebe bereits Gespräche mit der Europäischen Kommission. ?Die Idee ist, dass Firmen keine Neuzulassung einreichen, sondern ihre Zulassung über eine sogenannte Typ-II-Variation erhalten?, erklärte der PEI-Präsident. Darunter versteht man laut EMA eine ?wesentliche Änderung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen, die erhebliche Auswirkungen auf die Qualität, Sicherheit oder Wirksamkeit eines Arzneimittels haben kann?, jedoch ?keine Änderung des Wirkstoffs, seiner Stärke oder des Verabreichungsweges?. Variationen vom Typ II bedürfen lediglich einer formellen Genehmigung. Details bereitet die EMA gerade vor.

Cichutek versicherte: ?Kleinere Studien reichen dafür aus.? Wichtig sei jedoch zu zeigen, dass eine neue Vakzine dann auch gegen die ursprünglich zirkulierenden Varianten wirksam sei. ?Die Titer neutralisierender Antikörper könnten hier Anhaltspunkte liefern?, meinte der PEI-Präsident.

Bis wann solche Änderungen eingeführt sein könnten, lasse sich aber derzeit noch nicht sagen. Ob Entscheidungen auf deutscher oder europäischer Ebene fielen, sei letztlich Sache der Politik. ?Bisher hatten wir immer EMA-Zulassungen?, so Cichutek.

Neue Impfstrategien in der Diskussion
Ärzten rät der PEI-Chef, sich strikt an Zulassungen und an STIKO-Empfehlungen zu halten. ?Dazu zählt auch die Maßgabe, beide Impfungen mit dem gleichen Impfstoff durchzuführen.?

Mittelfristig hält Cichutek aber das ?Prime-Boost-Konzept? für eine denkbare Option: Personen erhalten nach der üblichen Impfung mit 2 Dosen in zeitlichem Abstand eine andere Vakzine. Damit will man bessere Immunreaktionen auslösen. Auch in Deutschland ist wohl eine Studie zu diesem neuen Prinzip geplant. ?Wir haben dazu eine Institution wissenschaftlich beraten?, so Cichutek. Details dürfe er nicht nennen.

Sahin bewertet die neue Impfstrategie ebenfalls positiv: ?Wir haben keine Hinweise, dass mRNA-Impfstoffe nicht zum Boostern anderer Impfstoffe verwendet werden könnten.? Zwar hätten viele Menschen Antikörper gegen PEG, aber das scheine bei der Immunreaktion egal zu sein. Polyethylenglykole (PEG) sind Hilfsstoffe in Vakzinen.

Als weiteren Vorteil sieht der BioNTech-Chef, dass bei der mRNA-Technologie die Proteine als Antigene nicht im Impfstoff seien, sondern erst in den Zellen entstehen. Es gebe also keine sofortige Reaktion gegen die Proteine beim Impfen. An der generellen Strategie, Impfstoffe mit Gensequenzen des Spike-Proteins zu entwickeln, wird er festhalten: ?Spike ist das einzige Protein, welches die Aufnahme des Virus in Zellen bedingt.?

Spike ist das einzige Protein, welches die Aufnahme des Virus in Zellen bedingt. Prof. Dr. Uğur Sahin

Und was ist mit der Möglichkeit, einen Impfstoff gegen viele unterschiedliche Varianten zu kreieren? Sahin brachte dieses Konzept einer universellen Impfung gegen diverse Varianten von SARS-CoV-2 zur Sprache ? eine Idee, die schon lange bei Influenza-Impfungen diskutiert wird: ?Das ist sinnvoll, wenn man bestimmte Epitope hat, die hoch konserviert sind.? Sprich: In diesen Regionen treten kaum Mutationen auf. Das Spike-Protein gilt als möglicher Kandidat. Jedoch gibt es Addo zufolge derzeit keine konkreten Entwicklungsprogramme.

Die Experten sind sich darin einig, dass derzeit die Priorität ist, vor allem möglichst große Mengen an Impfstoffen zu produzieren ? und neue Varianten engmaschig zu überwachen.

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