Freitag, 31. März 2023
Provisionsschmerz und andere Finanzmythen
Für einen radikalen Linken sehr ungewöhnlich und scheinbar widersinnig arbeite ich seit über einem Jahrzehnt als Selbstständiger in der Finanzbranche. Allerdings kann ich an meiner Tätigkeit nichts ehrenrühriges finden, Menschen ihre Vermögensverhältnisse neu zu ordnen, gegen Risiken abzusichern oder zum Eigenheim zu verhelfen sehe ich durchaus als soziale Aufgabe.

Je länger ich in der Branche bin, desto öfter habe ich mit Gerüchten, Mythen und Vorurteilen zu tun, die sich um Einkünfte und Geschäftsgebahren drehen. Einige davon greife ich hier heraus.

1) Die viel zu hohen Provisionen

VebraucherschützerInnen, aber auch die Grünen und in der Folge viele KundInnen sind der Auffassung, die Vermittlerprovisionen für Finanzprodukte seien viel zu hoch und gehörten gekürzt oder abgeschafft -letzteres liefe auf die Abschaffung eines kompletten Berufsstandes hinaus. Die Provisionen sind das einzige Einkommen, das ein freier Handelsvertreter oder ein Makler hat.

Hat der Kunde mit Angestellten zu tun kostet das mehr. Wir werden ja nur für Geschäftsabschlüsse bezahlt, kosten keine Arbeitszeitstunden (arbeite ich 12 Stunden am Tag und schließe in der Zeit keinen Vertrag ab bekomme ich keinen Cent), zahlen Rente und Krankenkassenbeiträge komplett selber, Miete für unser Büro, Lizenzgebühren für die Software, Fahrtkosten zu Kundenterminen und Steuern im Voraus. Billigere Arbeitskräfte als freie Handelsvertreter (eigentlich Scheinselbstständige) gibt es nicht. Bei Angestellten müssten Lohnnebenkosten, Sozialleistungen usw. auf den Produktpreis aufgeschlagen werden, entsprechend teurer werden dann die Fonds, Sparpläne, Versicherungen oder was auch immer.

Wenn ich etwa eine KFZ-oder Hausrat- Privathaftpflichtversicherung oder ähnliches abschließe, mache ich das in einem Telefongespräch oder Videoschalte mit einer Fernunterschrift des Kunden, oder, wenn das technisch nicht möglich ist, unterschreibe ich i.A. für den Kunden, denn was ich an Provision für solche Abschlüsse bekomme ist zumeist weniger als die Spritkosten für die Fahrt zum Kunden.

Wenn Autobauer so bezahlt würden wie wir gäbe es Lohn nur stückweise pro produziertes Auto, und zwar immer erst dann, wenn dieses verkauft und zugelassen ist.

2) Handelsvertreter führen ein Luxusleben

Es ist richtig, dass in der Branche als Leistungsanreize Incentives vergeben werden wie Kreuzfahrten oder Sachgeschenke und auf Firmenparties Leute wie Adel Tawil, Herbert Grönemeyer, Helene Fischer, Matthias Reim, Robby Williams oder die Toten Hosen aufspielen.

Das sind Leistungsanreize für Selbstständige. Bei Firmen mit Angestellten gäbe es stattdessen Bonuszahlungen oder Lohn/Gehaltserhöhungen. Habe noch nie gehört, das jemand Letzteres anrüchig findet, stattdessen wird dafür gestreikt.

3) Leute, die in der Finanzbranche arbeiten verdienen alle gut

Ich habe da einen jüngeren Kollegen, Berufsanfänger, der den absolut 150 prozentigen gibt ud ständig erzählt, man müsste alles exakt genauso machen wie von den Vorständen empfohlen, dann würde man richtig gut verdienen. Kürzlich kam ich überraschend dazu, wie der ein Gespräch mit El Jefe führte und erzählte, dass er seine Wohnung tageweise an Messegäste und Kongressbesucher vermiete und selber wieder bei seinen Eltern wohne, um irgendwie zurechtzukommen.

Ich komme zwar zurecht, im Falle größerer Stornos, an denen man nicht selbst schuld sein muss - ein Kunde stirbt oder wird arbeitslos, und dann platzt eine Baufinanzierung, und die Provision muss zurückgezahlt werden - musste ich aber schon wiederholt Kredite aufnehmen.

Unterm Strich ist unsereins vom Geldhaitum weit entfernt.

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