Dienstag, 3. Oktober 2023
Das Asylbewerberleistungsgesetz - Rassismus im Sozialstaat
Das ist echt massivstes déjà vu: jetzt kommen wieder Vorschläge aus der Politik, die Versorgung von Asylsuchenden und Geflüchteten allgemein von Bargeld auf Sachleistungen umzustellen. Begründet wird dies damit, dass die Geflüchteten dann keine Gelegenheit hätten, Geld an ihre Verwandten in der Heimat zu überweisen, was für viele der Grund wäre, überhaupt nach Deutschland zu kommen.

Tatsächlich gibt es höchst umfangreiche Transferleistungen von in Deutschland lebenden MigrantInnen in ihre jeweiligen Heimatländer, ganze Familien werden auf diese Weise versorgt. Ich lernte mal eine Kambodschanerin kennen, die Monat für Monat bis zu einem Drittel ihres Nettoeinkommens via Western Union - dieses Unternehmen lebt von den Auslandsüberweisungen von MigrantInnen - an ihre in Vietnam lebende Familie (die haben es nur über eine Grenze geschafft) überweist.

Die Frau ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU Braunschweig und verdient ausreichend.

Asylsuchende erhalten 410 Euro Gesamtleistung bei Unterbringung in einer Wohnung und 369 Euro bei Unterbringung in Sammelunterkunft. Demgegenüber beträgt das Bürgergeld, früher Hartz4 bzw. Sozialhilfe 502 Euro. 502 Euro sind amtlicherserseits erklärt das absolute Existenzminimum, die Geldsumme, die für ein menschenwürdiges Leben benötigt wird.

Und Leute wie Privatflugzeugvielflieger Merz schwadronieren davon, dass diese Leute Geld in ihre Heimatländer überweisen würden.

Geflüchteten wird also das benötigte Minimum für ein menschenwürdiges Leben vorenthalten, was ich für verfassungswidrig halte. Begründet wird dies ganz offen damit, Leute davon abzuhalten, nach Deutschland zu kommen.

Ich bin kein Freund einer zahlenmäßig unbegrenzten Zuwanderung und der Meinung, Fluchtursachen müssten in den Herkunftsländern gelöst werden, aber die Vorenthaltung von Grundrechten und materiellen Ansprüchen zur Existenzsicherung ist eigentlich weder legitimier- noch verhandelbar. Aber wahrscheinlich betrachtet der Gesetzgeber Geflüchtete eben nicht als so richtige Vollwertmenschen wie weiße Mitteleuropäer, sondern als Batschaken, Kapalken, Kuffnucken oder Bimbos, deren Menschsein eben nicht das Niveau eines 1A Whities erreicht.


Wenn das jetzt wieder losgeht mit den Sachleistungen ist ja auch schon klar, wie darauf zu antworten ist. Ich selbst gehöre ja zu den Leuten, die in den Neunzigern in Niedersachsen das Sachleistungssystem zum Zusammenbruch gebracht haben. Wir hatten damals in den Flüchtlingsunterkünften und den Flüchtlingsberatungsstellen Einkaufsgutscheine in Bargeld umngetauscht und selber damit eingekauft. Fast die gesamten Neunziger Jahre hindurch saß ich in meiner Mittagspause mit einem Büchertisch im Foyer der Göttinger Mensa und verkaufte Wertgutscheine - neben dem Warenangebot des Roten Buchladens. In der linken und linksliberalen Szene wurde es geradezu chic, mit den Dingern einzukaufen, man erkannte einander, wer dazu gehört.

Diese Gutscheine ermöglichten nur den Einkauf von Nahrungsmitteln, alkoholische Getränke, Tabakprodukte und Bekleidung konnten damit nicht eingekauft werden.

Wir gingen also organisiert in Supermärkte und füllten die Einkaufswagen gerammelt voll mit allerlei Waren, außer Grundnahrungsmitteln auch Wodkaflaschen, Bierkästen und jede Menge leicht verderbliche Waren wie Speiseeis (während des Einkaufs schrieben wir mit dem Edding auf alle möglichen Waren "Luxusartikel. Nicht an Flüchtlinge abgeben"), um dann an allen Kassen gleichzeitig damit anzukommen und Storno auszulösen, begleitet von Presse und Fernsehen, die das fotografierten und filmten. Nach einer Welle solcher Aktionen reagierten die Marktbetreiber alle dergestalt, dass sie entweder keine Gutscheine mehr akzeptierten oder auch Alkohol und Zigaretten auf die Gutscheine herausgaben. Eine niedersächsische Kommune nach der anderen gab die Gutscheinregelung auf.

Und Leute wie ich stehen schon in den Startlöchern, diesen Kampf nach bewährtem Muster wieder aufzunehmen. Macht ja auch Spaß.

Fußnote: Die Essenpakete, die es statt Gutscheine in manchen Kommunen gab (mit Feinheiten wie Schweinefleisch für Muslime) wurden von Unternehmen wie Accor und Sodexo hergestellt, heute wirtschaftsmächtige Hotelbetreiber und Dienstleister, die damals damit überhaupt erst in den deutschen Markt hereinkamen und von Kulturmäzen und Menschenfreund Peter Dussmann. An diesen Unternehmen lässt sich übrigens gut die Entwicklung und Ausbreitung des Neoliberalismus studieren, sie stehen für Outsourcing früher einmal staatlicher Leistungen.

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