Sonntag, 5. Oktober 2008
Das ungleichzeitige Lebensgefühl der Achtziger
Im Spiegel-Online-Magazin “eines tages. Wie wir wurden, was wir sind” beschreibt der ehemalige Tempo!-Redakteur Thomas Huetlin das Lebensgefühl junger Leute in den 1980ern und wie er diese Zeit wahrgenommen hat. Ich muss sagen, dass es mich etwas erstaunt und befremdet. “Nicht Rainer Langhans und John Lennon gingen uns auf die Nerven, sondern deren Epigonen. Gestalten, die ihre K-Gruppen-Dogmen über die oft funkelnden Gedanken der sechziger Jahre betonierten. Die mit mantrahaft wiederholten Theorien die Welt totdiskutierten - wohlig resigniert ahnend, dass jenes System, das ihnen den Rotwein und den muffigen Parka finanzierte, am Ende doch nicht zu besiegen sein würde. die reale Welt der Achtziger erschien erstarrt. … War es da nicht viel interessanter, die Wirklichkeit als spiel zu betrachten, das sich immer neu kombinieren ließ? War es nicht inspirierender, die Realität als eine Möglichkeit von vielen zu deuten? War der Baukasten des “Anything goes” nicht die beste Waffe gegen den erstarrten Mainstream?”

Ich habe den Eindruck, wir lebten in verschiedenen Welten. Denn ich bin wenige Jahre jünger als Huetlin, aber ich hatte diese Zeit ganz anders erlebt. Für uns waren die 68er erst unerreichtes Vorbild, dann Leute, die uns nicht konsequent genug waren, die wir überholen und übertreffen wollten. In meiner unmittelbaren Umgebung gab es davon nicht allzuviele. Unsere Lehrer waren überwiegend im Muff der Adenauer-Ära aufgewachsen und bemüht, uns zu “westlichen Werten” zu erziehen, zu denen auch Starfighter, Kommunistenhatz und Elitedünkel gehörten (”Als Gymnasiasten müsse Sie nicht Maschine schreiben können, sondern sie werden später eine Sekretärin haben. Wenn das nicht der Fall sein wird, sind sie auf der falschen Schule”.). Das, was ich von den Linken mitbekam, waren Spontis, Autonome, Feministinnen, Ökos und Punks, K-Grüppler gab es schon 1977 nicht mehr. Die trugen auch keinen Parka, sondern schwarze Lederjacken, Afghan-Kammgarn (”Teppichjacken”) oder Selbstgehäkeltes. Ich empfand die Zeit auch nicht als erstarrt, sondern als extrem dynamisch: Revolutionen im Iran und in Nicaragua, Bürgerkriege im Libanon und El Salvador, Hausbesetzungen und “Swinging Cities” mit Dauerpartystimmung in den Kiezen (wenn die Staatsmacht nicht gerade räumte), Lockerbie, Bomben über Libyen, Vernichtungskrieg in Kurdistan-Irak, Wackersdorf, Faschoaufmärsche, Kampagnen gegen Unterbringung von Flüchtlingen in Wohnheimen und Einkaufsgutscheine, Umsonst&Draußen-Konzerte, viel guter Sex, darunter viele One-Night-Stands, ständige peinliche Entgleisungen Kohls, Medien wie Titanic, Tempo, Hier&Jetzt die sich genau daran abarbeiteten und eine Anti-Establishment-Haltung als Frage des guten Tons kultivierten. Für mich waren die 80er eine Art Fortsetzung der Woodstock-bis-Ölkrise-Zeit mit anderen (und teils weitaus schrilleren) Mitteln.

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Da muss ich dir beipflichten - bin auch Jahrgang 1967 und so ab 1981 der Punk-Szene verpflichtet gewesen... allerdings hate ich auch das für einen Westdeutschen eher seltene Privileg, mehrmals in der DDR (sehr geilen) Urlaub gemacht zu haben ; )

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Mehr davon.
Ich bin schon seit längerer Zeit fleißiger Leser deiner Seite und kann nur hoffen, dass du in nächster Zeit öftermal subjektive Retrospektiven von "Damals" bloggst. Bin leider nur wenige Wochen älter als die wiedervereinigte Bundesrepublik und kenne die 80er im Allgemeinen und die Autonomen, Spontis und Hausbesetzer im Konkreten nur aus Büchern und Geschichten angegrauter Herren und Damen aus hiesigen linken Zentren.

Was du schreibst, ist nicht nur unterhaltsam und mitunter spannend geschrieben, sondern enthält auch eine gewisse Substanz, die dich von vielen altlinken Nostalgikern unterscheidet, so dass ich es trotz punktuell unterschiedlichen politischen Ansichten (Antiamerikanismus und Palästinasolidarität finde ich persönlich ziemlich regressiv und bah) nicht bereue, che2001 gebookmarkt zu haben ;-)

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Klar, sollste kriegen
werde in nächster Zeit eh etwas "subjektiver".

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Wir hatten die Debatte
über die sehr unterschiedliche subjektive Wahrnehmung dieser Zeiten ja schon mehrfach. Ich habe Teile der Linken von damals als extrem dogmatisch und völlig spaßbefreit in Erinnerung, wovon ich allenfalls Anarcho-Punks und Teile der Autonomen ausnehmen würde. Aber die Leute, die am Institut für politische Wissenschaften in Heidelberg Mitte der 80er u.a. Trotzkistenzirkel bildeten und hauptsächlich damit beschäftigt waren Abweichler in den eigenen Reihen aus- und niederzumachen, die waren zum Teil echt nicht mehr von dieser Welt.

Ich habe in den 80ern auch viel Aufbruch verspürt, aber mehr im Gesellschaftlichen und Popkulturellen als im dezidiert politischen Bereich.

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"Anarcho-Punks und Teile der Autonomen" waren neben vereinzelten KBlern und MGlern und überwiegend gemiedenen Spartaken und SHBlern (ach ja, und Antiimps, aber die sind ein Kapitel für sich) ja auch schon alle Linken, die ich so mitbekam. Echt, es gab tatsächlich Trotzkisten?

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Dem Vernehmen nach
sogar mehrere Zirkel, die sich jeweils als Vertreter der reinen Lehre sahen und die anderen als Verräter. Da ich als gelegentlicher Krawattenträger aber eh unter Fascho-Verdacht stand, bin ich da nie so richtig nah dran gekommen an diese Kreise.

Davon abgesehen gab es sowohl bei den Politologen als auch bei den Literaturwissenschaftlern einen gewissen Mindestprozentsatz an von Moskau ferngesteuerten Idioten, die wirklich nervten mit ihrer dogmatischen Borniertheit. Ich könnte nicht mit Sicherheit sagen, ob es zu der Zeit noch Aktivitäten expliziter K-Gruppen gab, aber deren muffiger Spirit lebte noch eine ganze Weile fort.

Das waren jedenfalls auch die Kreise, die sich immer (zu Unrecht) beklagten, die Studis seien so unpolitisch geworden und die Demo gehöre leider gar nicht mehr zur studentischen Kultur wie zu ihren Zeiten. Ich behaupte, wir waren nicht weniger politisch als die Studierenden 10 oder 15 Jahre früher, aber wir hatten halt schon einen etwas anderen Politikbegriff - einen, der nicht nur auf Klassenkampf beruhte, sondern auch popkulturelle Zusammenhänge reflektierte. Man könnte sehr vereinfacht sagen, die Trennlinie verlief zwischen denen, die Spex auch als politische Lektüre verstanden und denen, die eher in einfacher gestrickten Ausbeutungs-Dimensionen dachten.

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"einen etwas anderen Politikbegriff - einen, der nicht nur auf Klassenkampf beruhte, sondern auch popkulturelle Zusammenhänge reflektierte." --- einen anderen habe ich nicht mehr kennengelernt, abgesehen davon, dass es sehr augenfällig war, wie unterschiedlich die Herangehensweisen von Bürger- und Arbeiterkindern und MigrantInnen waren. Und zeitweise waren Sexismus und Patriarchat, aber auch Repression sehr viel wichtigere Themen als die Klassenfrage. Marx haben wir erst 1989 gelesen, als man nach dem Zusammenbruch der DDR das Gefühl hatte, mit Adorno, Autonomie und den ganzen Popkultur-Diskursen nicht mehr weiterzukommen .


Wobei die linke Szene, in der ich mich bewegte, immer in Teilen auch die Szene iranischer und kurdischer Ex-Guerrilleros war, das waren dann noch einmal sehr spezielle Kreise.

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Ich wollte es nicht unbedingt so verstanden wissen, als habe sich damals bei den Linken in meinem Sichtfeld alles nur um Klassenkampf gedreht, und andere Themen wie Feminismus, Dritte Welt etc. hätten gar nicht stattgefunden. Kann man so natürlich nicht sagen. Aber das meiste, was an meine Ohren drang, war ziemlich klar klassisch marxistisch geprägt, aber z.T. mit eklatanten Defiziten in Sachen kritischer Theorie behaftet. Viel Luft wurde darüber hinaus auch immer darauf verschwendet, sich mit den Profs und Dozenten anzulegen und die Lehrinhalte im großen Stil zu problematisieren, das war manchmal so absurd, dass es schon fast an Slapstick grenzte.

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Also "klassisch marxistisch" war in meinem Umfeld eher die Ausnahme, und Anlegen mit Profs und Dozenten gab es gar nicht. Dafür standen direkte Auseinandersetzungen mit Neonazis und praktische Flüchtlingssoliaktionen (z.B. Gutscheinumtausch, Geschenke in Wohnheimen verteilen,Aufbau einer Unterstützungs-Infrastruktur) und die Anti-AKW-Geschichten ziemlich im Vordergrund.

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Tja, da siehste mal,
da liegen wirklich Welten dazwischen. Anti-AKW-Aktivismus mag ansatzweise noch eine Schnittmenge gewesen sein, aber größtenteils beschränkten sich die klassisch-linken Kreise in meinem Sichtfeld auf Hirnfickereien Rumtheoretisieren und Abweichlerjagd. Vor diesem Hintergrund kann ich auch zum Teil nachvollziehen, wie Leute wie Lebemann oder der Herold zu ihren Abwehrreflexen kommen.

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In meinen Kreisen waren das auch nicht unbedingt Akademiker. Also, das auch, aber auch viele sich autonom organisierenden Langzeitarbeitslosen mit Arbeiterfamilienhintergrund z. B.

Und die Praxis ging so weit, dass man Anfang der 90er Hilfsgüter in den Nordirak schmuggelte.

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Ich war in den 90ern mit einem ostdeutschen Kommilitonen bei einer Diskussionsveranstaltung mit Gysi bei der eine Menge Ü35 Chef-Theoretiker waren, die Ansätze von sozialistischen Denkern diskutieren wollten, die uns völlig unbekannt waren.
Gysi wurde zunehmend genervt.
In Santiago um die Jahrtausendwende ist mir linke Theorie eher in Form von Leuten mit offensichtlichen Drogenproblemen begegnet, die bei mir eine Art Imperialismussteuer erbetteln wollten.
Oder Lehrer, die beim Grillabend in der Provinz mit Ellbogen auf dem Tisch essend meinten, dass in diesem Land Kultur fehlt. Letztere waren total in Ordnung.

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Solche "Cheftheoretiker" habe ich bis auf 2, 3 Einzelpersonen nie kennengelernt. Und ein Großteil von dem, was ich so als linke Szene erlebt habe waren eher Kampfsportler, Kletterer oder sonstwie stark körperorientierte Menschen, die sozial in der klassischen Öko-Alternativszene verortet waren, aber eine Spur wilder als der peacige Mainstream dieses Spektrums.

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Allerdings fallen mir dazu Geschwister Reg und die Volksfront von Judäa ein.

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irgendwie waren die 1980er eine Übergangsperiode, die als solche aber erst bemerkt wurde, als sie vorbei war ... ansonsten zu viele Popper damals ...

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Schön war
auf jeden Fall, dass sich gut und böse bzw. schwarz und weiß (oder schwarz und rot :-) noch so trefflich voneinander unterschieden. Staat, Bullen und Spießer waren Scheiße, Popper und Nazis waren richtig Scheiße und gehörten umgescheppert, Metalheadz waren so ein Mittelding: zwar öde aber trinkfest und so weit ganz lustig. Bei uns in der Provinz gab es - dem Himmel sei Dank - keine so großartigen Unterschiede zwischen linken Gruppierungen. Im Zweifel ging es immer gegen die doofen (s.o.).

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früher war alles besser
heute steht die scheiße auf der demo u.u. neben dir und du merkst es noch nichtmal sofort. weil sie zur tarnung "lederhandschuhe in der arschtasche" und eine "hassi" trägt. :-)

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Gmar chatima tova!
Mene tekel Ofarsim.
Birnat Binasdat Gweandarkan!

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oh, ich vergaß: die "böseswort" macht dabei auch ein wichtiges gesicht".

ha.ha.ha.

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1980
Was Du nur immer mit den mg'lern hast, Che: die gehören in eine politische Debatte ebenso wie Scientology in eine Debatte über Religion...

... ansonsten... find ich mich auch wieder... die One-Night-Stands sind mir in bester Erinnerung geblieben :D

Und, ach ja, erste Erfahrung mit politischer Korrektheit: wg. Flohbefall hatte ich mir die Haare abrasiert (den schönen Iro). Was zu Fiesematenten ("Glatzensau, dir geben wirs!!!") führte. Musste erst einen Zeitungsausschnitt von mir als Cheffe des örtlichen Anti-Strauss-Komitees, den ich immer mitführte, vorzeigen, bevor die von mir abliessen...

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Auha! Was die MG angeht: Die war bei uns im Norden, meist ohne unter ihrem echten Namen aufzutreten zeitweise höchst präsent. Das, was es so an linker Szene zwischen unserem Spektrum (also dem, was von Gewaltfreier Aktion/Graswurzelrevolution über Frauen/Lesbengruppen und diverse Anarchozirkel bis zu den Autonomen reichte) und den Grünen einerseits und Spartaken andererseits gab, waren meist sich eher elitär gebende, meist sehr moralisch auftretende Kleingrupen, bei
denen praktisch immer entweder KBler oder Ex-BWKLer oder eben MGler die grauen Eminenzen bildeten, oder solche Leute in Mischung. Gruppenauflösungen hingen dann, wenn nicht gerade irgendwelche Liebschaften in die Brüche gingen, meist mit ideologischen Unterschieden zwischen diesen Fraktionen zusammen. Diese Grüppchen waren ihrerseits fast immer in größere Bündnisse eingebunden, so wie in Göttingen ja etwa die Klammer Antifa von den Schwarzvermummten bis zum DGB alles zusammenbrachte.

Etwas ganz Anderes war dann die offen auftretende MG, die wir auch als politisches Pendant von Jehovas Zeugen wahrnahmen.



Was die unbedachte Glatzenhatz angeht: An so etwas kann ich mich auch erinnern, als 1982 bei einer Aktion gegen Neonazis ein Punk in Tarnhose irrtümlich der Gegenseite zusortiert wurde und erst im letzten Moment klarmachen konnte, wohin er gehörte. Aber den Begriff "politisch korrekt" gab es damals dafür noch nicht. Ich habe den jedenfalls mit durchaus positiver Sinngebung, kurz darauf dann aber auch repressiven Moralismus kritisierend son nach 1992 kennnengelernt. Bei uns sagte man aber eher "Moralspackentum".

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@lesa "(Antiamerikanismus und Palästinasolidarität finde ich persönlich ziemlich regressiv und bah) " --- Ja, das ist möglicherweise eine Altersfrage, dass Du das so siehst. "Antiamerikanismus" halte ich für einen ursprünglichen Kampfbegriff Kalter Krieger, der aus dem originären Zusammenhang gerissen heute ganz pauschal radikaleren Linken unterstellt wird. Oder ist es "antiamerikanisch", die Bush-Regierung zu kritisieren oder Kredit-Finanzierungs-und Termingeschäftsmodelle, die gerade die Hochfinanz weltweit (aber besonders in den USA und auch ganz massiv von diesen ausgehend) gegen die Wand gefahren haben?

Mein Vater war tatsächlich mal "Antiamerikanist". Dazu gehört so etwas wie die Überzeugung, die US-Amerikaner hätten keine Kultur, das christliche Abendland sei ihnen überlegen, man trinkt keine Cola und isst kein Fastfood usw. Wirklich, "Antiamerikanismus" ist ein ganz anderes, wertkonservatives Ticket.


Palästinasolidarität: Auch da ist fraglich, was genau man darunter versteht. Meine Solidarität gilt sozialen Bewegungen, nicht Nationalismen. In diesem Zusammenhang finde ich Projekte wie "Ferien vom Krieg", die palästinensisch-israelischen Nachbarschaftsprojekte unterstützenswert oder Ta Ayush. Mit was für einem Palästina sollte man denn solidarisch sein, wenn Fatah, Hamas und Djihad aufeinander schießen? Eine formelhafte "Solidarität mit Israel" führt ebenfalls nirgendwo hin, solange das eine emphatische Parole ist und nicht auf Frieden in Nahost, eine Zwei-Staaten-Lösung und ein Anknüpfen an der sozialen Frage in Israel und Palästina hinausläuft.


Stattdessen wird damit von Leuten, die sich als Linke ausgeben, verantwortungsloser Firlefanz getrieben, hierzu gleich mehr.

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Diesen «Antiamerikanismus»
trage ich bis heute tief in mir: «man trinkt keine Cola und isst kein Fastfood usw.» Das hat allerdings seine Ursachen darin, daß ich als Achtzehnjähiger die USA 1963/64 während eines etwa einjährigen Aufenthaltes erlebt habe, ja, erleben mußte. Die bereits zuvor (nicht nur von Deutschen) geprägte Formel, «die US-Amerikaner hätten keine Kultur, das christliche Abendland sei ihnen überlegen», sollte sich damit in meinem jungen Kopf festigen. Letzteres ist natürlich Schmonzes, aber ersteres bestätigt sich immer wieder. Wobei diese «Kulturlosigkeit» selbstverständlich ihre Ursache in der zweihundertjährigen Suche nach Identität, nach einer eigenen Kultur hat, die in diesem «american way of life» bzw. in der Breite der Gesellschaft aufging und deren wildeste Ausprägung und ins Europäische übergreifende wir zur Zeit zu spüren bekommen.

Aber inwieweit das Erwähnte «wertkonservativ» sein soll, das will sich mir nicht so recht erschließen. Wertkonservativ ist ein Begriff, den Anfang der Siebziger ein paar derer schöpften, die von sich (noch) nicht zu sagen wagten, die seien konservativ. Es waren diejenigen, die darüber nachgedacht und vielleicht mal etwas tiefer geschürft, die festgestellt hatten, daß konservativ unter Umständen auch das Konservieren = conservare und nicht das Zerstören von Werten meinen könnte, wie das während des deutschen Wirtschaftswunders, also zu Adenauers und dann Erhards Zeiten allüberall geschah. Es meint die Vorläufer des Andersgedachten, etwa die Äußerung einiger, es sei «im Grunde immer wieder dieselbe Frage, ob alles, was machbar ist, auch getan werden darf». Das waren Menschen, die sich nicht mehr den Wachstumsphrasen unterwerfen wollten, aus welcher politischen Ecke auch immer sie kamen. Es waren diejenigen, die sich des ideologischen Panzers entledigt oder ihn gar nicht erst übergezogen hatten. Personifiziert sähe ich diese Menschen in etwa in einem Gerhart Baum, in der nächsten Generation vielleicht Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Aber das sind lediglich Beispiele.

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"Wertkonservatismus" umfasst noch ein wenig mehr. Also erstmal gehört dazu das Erhalten von Werten, wie Du sie genannt hast, von Denkmal- über Umweltschutz bis zu kaufmännisch sauberen, traditionellen Formen des Umgangs mit Geschäftspartnern und auch z.B. überlieferten kulturellen Formen (wo der Wertkonservatismus dann mit dem Kulturkonservativsmus überlappt, dieser Abendland-Konservatismus war ja durchaus gegen die Popkultur gerichtet). Und dann grenzt der sich vom "Normkonservatismus" ab, worunter Festhalten an Hierarchien, formellen Umgangsformen, gesellschaftlichen Rollenmustern usw. zu verstehen ist. Leute wie Baum und Leutheusser-Schnarrenberger sind ordoliberal und wertkonservativ, Gustav Heinemann z.B. war wertkonservativ, kulturkonservativ und ursprünglich einmal gesamtdeutsch-neutralistisch.Die ursprünglichen Realo-Grünen waren kulturprogressiv, normprogressiv und wertkonservativ. Man kann dann auch noch strukturkonservativ sein und vor allem an Institutionen und Produktions/Reproiduktionsstrukturen festhalten, ohne dass dies mit Wertkonservatismus deckungsgleich wäre. Das würde ich zum Beispiel zur Linkspartei im Osten sagen, die dort an informellen Ex-DDR-Strukturen klebt.

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Da ich meinen Beitrag nachts um halb zwei unter Wein- und Marihuanaeinfluß verfasst habe, kann man tatsächlich nur sehr schwer nachvollziehen, was ich mit den beiden Schlagwörtern "Palästinasolidarität" und "Antiamerikanismus" gemeint habe.

Meine linkspolitische Sozialisation ist vermutlich relativ stereotypisch abgelaufen, was konkret bedeutet, dass ich als gutsituiertes Lehrerkind durch meinen älteren Bruder zum Punk kam, dort einige Zeit verweilte, um schließlich im autonomen Zentrum meiner Stadt zu landen. Mit 16 kamen dann die Kontakte außerhalb meiner damaligen sozialen Peripherie, die ersten Demos und die Erkenntnis, dass das an meine Wand gekritzelte "Intifada" vielleicht doch nicht so cool ist. Mittlerweile gehöre ich zu der ambivalenten Sorte von selbsterklärten Antifaschisten, die einerseits mit Israelfahnen auf Demos (hängt von der Thematik ab) gehen und Adorno+Grigat im Regal stehen haben, aber sich andererseits auch explizit im libertären Autonomenspektrum (was auch immer das heißen mag) verorten.

Ich denke, dass der Nahostkonflikt nicht mit allgemeingültigen Aussagen erklärbar ist und man die jeweilige Situation reflektiert betrachten muss. So kann eine israelische Militäraktion nicht ohne Beachtung des Hintergrundes (beispielsweise Entführung israelischer Soldaten durch islamistische Terroristen) verurteilt werden kann, während es andersrum natürlich auch falsch ist sich aufgrund der reaktionäre Beschaffenheit ALLER wirklich einflußreichen Organisationen in Palästina einseitig mit Israel zu solidarisieren, hauptsache die "Antisemiten kriegen Bomben auf den Kopf".

Kritik an Israel ist natürlich - wie an jedem anderen Staat - vollkommen legitim, solange sie das Existenzrecht nicht in Frage stellt. Dieses ist für mich axiomisch die Folgerung aus der Shoah.

Demzufolge kann ich Leuten, die von Solidarität mit dem palästinensischen Volk (wobei das Wort 'Volk' generell sehr eklig ist, wobei du/ihr vermutlich eine andere Konnotation davon habt) und einem Selbstbestimmungsrecht der Völker schwadronieren, eher wenig abgewinnen, was aber nicht auf dich gemünzt ist, da ich von dir noch nie etwas konkretes über den Nahostkonflikt gelesen habe.

Schwierige Sache, zu deren Erschließung ich mit diesem Text vermutlich nicht grade beigetragen habe ;)

Unter Antiamerikanismus verstehe ich Ressentiments gegenüber Amerikanern und den USA, die als Brutstätte eines "Raubtierkapitalismus" und kulturloser Idioten verklärt wird. Ob es um den Irakkrieg geht, der ja nur aus ölgierigen Gründen betrieben wurde, während die Deutschen aus Liebe zur Menschheit Krieg führen (Wo waren die friedensbewegten Menschen von 2003 auf den Demos gegen den Afghanistaneinsatz oder Jugoslawienkrieg?)

Kein Mensch der Welt würde sich selber als "Antiiraner" bezeichnen, während die USA ständiges Ziel politischer Anfeindungen ist.

Tschuldigung, dass das alles wieder so unkonkret und oberflächlich gehalten ist, aber ich sitze grade mit meinem auf einem Baugerüst und müsste eigentlich tatkräftig beim Umbau mithelfen, was mich in meiner Kreativität und Argumentation ein wenig einschränkt ;)

Vielleicht kann ich mich demnächst ein wenig verständlicher artikulieren.

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Ach und bevor man mir wegen der Aussagen, dass ich eine einseitige Solidarisierung im Nahostkonflikt ablehne und trotzdem mit Israelfahne rumrenne, Dialektik vorwirft:
Ich verwende diese Nationalstaatsfahne mit der Intention zu provozieren, da keine Fahne der Welt mehr Leute in Rage bringen kann als ein blauweißes Winkelelement. Ob Nazis, die eine 'deutsche Intifada' proklamieren, der Rentner, der skeptisch vom Balkon guckt oder der antizionistische Aktivist: in meinen Augen setzt die Israelfahne genau diesen Leuten das Zeichen, dass Israel eben "als letztes abgeschafft" werden sollte.

"Israel bis zum Kommunismus"
(Parolen am Ende von Texten gehören einfach dazu) ;-)

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@"(Wo waren die friedensbewegten Menschen von 2003 auf den Demos gegen den Afghanistaneinsatz oder Jugoslawienkrieg?)" --- Natürlich auf der Straße, gegen den Jugoslawienkrieg,wo dennsonst, was mich angeht: Noch bei jedem Krieg, seit Vietnam, damals noch als Kleinkind. 1999 mit der Parole "raus aus der NATO, rein ins Vergnügen", und das ging ja damals so weit, dass man sich mit Grünen-Mitgliedern nicht mehr an einen Tisch setzte.



Meine GenossInnen waren 1991/92 im Nordirak, um den KurdInnen aus Deutschland geschmuggelte Hilfsgüter in die Hand zu drücken, und man mietete einen Jeep mit 12,7mm Druschka, um vor Saddams Schergen sicher zu sein. Als sich z.B. US-Militär nicht im Mindesten für das Leiden der KurdInnen interessierte.

Zum Thema Israel-Palästina Blick nach vorn ins Jahr 1988, seitdem hat die Vernunft immer nur abgenommen:

http://che2001.blogger.de/stories/386740/

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@"Ich verwende diese Nationalstaatsfahne mit der Intention zu provozieren, da keine Fahne der Welt mehr Leute in Rage bringen kann als ein blauweißes Winkelelement." --- Hmm, für mich ist das eher eine Fahne, hinter der man eher mit moralisch betroffenem Gesichtsausduck am 8. Mai oder Volkstrauertag hinterhertrottet und keine Provokation.

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Mit den friedensbewegten Deutschen, die 2003 laut "Ami go Home" brüllten, aber 1999 zuhause blieben, meinte ich dich garnicht, sondern weite Teile der Bevölkerung, die sich scheinbar nur für Antikriegsprotest gegen Uncle Sam hinter dem Gasofen hervorlocken lassen.
Dir nehme ich dein Engagement für Frieden und "das Bessere" schon ab, habe hier eigentlich auch noch nichts dummdeutsch-antiamerikanisches gelesen, von daher war mein Auswurf letztens wohl auch falsch ;-)

Zu den Soliaktionen mit Kurd_innen im Irak würde ich beizeiten gerne mal mehr aus deiner Feder lesen, klingt interessant.

Und wieso werden Israelfahnen am 8.Mai oder Volkstrauertag gehisst, dass man betreten hinterhertrotten muss? (Außer von vielen Antideutschen, die diese Fahne ja leider so gut wie überall hissen und im Zweifelsfall auch eine über dem Bett hängen haben)

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@"Und wieso werden Israelfahnen am 8.Mai oder Volkstrauertag gehisst, dass man betreten hinterhertrotten muss?"--War mal so in den 80ern, meist noch mit blau-weißer Sträflingskleidung.

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Nur erst mal informatorisch: Ist mit "MG" die "Marxistische Gruppe" gemeint, die dann in "AK München" umfirmierte? -

Das hier hat mir nicht gut gefallen:

"Unter Antiamerikanismus verstehe ich Ressentiments gegenüber Amerikanern und den USA, die als Brutstätte eines "Raubtierkapitalismus" und kulturloser Idioten verklärt wird. Ob es um den Irakkrieg geht, der ja nur aus ölgierigen Gründen betrieben wurde, während die Deutschen aus Liebe zur Menschheit Krieg führen …"

Weil D Krieg führt und wir sind hier in D und wir sind Deutsche, dann dürfen Kriegsmotive nicht mehr analysiert werden, oder wie soll ich das verstehen?

Nun zum "Antiamerikanismus". Ich habe nicht nur bei Dir, lesa, sondern bei all den "Antiamerikanismus!"-Krakeelern den Eindruck, sie haben den deutschen Antiamerikanismus der 50er und 60er Jahre erlebt, wurden dann in Stasis versetzt und haben dadurch die letzten 40 Jahre verpennt. Antiamerikanismus in D in einer gesellschaftlich relevanten Breite existiert seither nicht mehr, was die Krakeeler, angeblich Freunde der USA, so zu stören scheint, das sie sich den Antiamerikanismus herbeihalluzinieren. Da meine ich nun, dass die USA auf solche Freunde gut verzichten können, die geradezu begierig darauf sind, dass es möglichst viele Feinde der USA gibt.

Die Einwände gegen den Irakkrieg waren niemals, dass er in kulturloser, sondern dass er in völkerrechtswidriger Weise stattfindet, begründet mit Lügen, die keine kurzen sondern überhaupt keine Beine hatten. Das richtet sich auch nicht gegen "die USA", wie Du es gerne hättest, sondern gegen die Bush-Administration. Ich schätze meine Freiheit, die persönliche wie die unternehmerische sehr, aber ich möchte nicht, dass sie in Abu Ghraib, in Guantanamo und "am Hindukusch" (Struck) verteidigt wird.

Seinerzeit in Nürnberg bestand noch Konsens darüber, dass es gerecht sei, wenn die Verantwortlichen für Angriffskriege die letzten zwei Minuten ihres Lebens mit den Beinen in der Luft zappeln. –

Ich komme nun zur Problematik des standardisierten Normsprechs:

"Kritik an Israel ist natürlich - wie an jedem anderen Staat - vollkommen legitim, solange sie das Existenzrecht nicht in Frage stellt. Dieses ist für mich axiomisch die Folgerung aus der Shoah."

Man hätte auch "axiomatisch" sagen können, aber bitte, die Rechtschreibreform läßt das wohl auch zu, vielleicht, egal.
Es ist ein Streit in der Welt zwischen Frau Galinski und Henryk Megaphon Broder. Die G. macht dabei eine denkbar schlechte Figur. Rhetorisch liegt sie auf der Nullinie, und mit dem Vergleich von Shoa und israelischer Pali-Mißhandlung am Rande des noch Gesprächsfähigen. Aber wie so oft finden wir auch hier den Fall, dass eine nicht gar zu intellekte Person ihre Restintelligenz auf einen Punkt konzentriert und den entscheidenden richtigen Gedanken zu formulieren weiß. Die G. sagte, ich zitiere aus dem Gedächtnis: 'Es wird immer gesagt, Kritik an Israel ist legitim, aber wehe, wenn man es macht.'

Genau so ist es nämlich. Der Trick besteht darin, jegliche Kritik an den Haupt- und Staatsaktionen des Staates Israel als Angriff auf dessen Existenzrecht umzudeuten, und auch aus diesem Grund solltest Du, lesa, Dir mal die hier gerade vor wenigen Tagen von Che veröffentlichten Statements von Avnery reinziehen, und im übrigen so einen sprechblasenkäsigen Vollshit wie "Kritik an Israel ist natürlich - wie an jedem anderen Staat - vollkommen legitim, solange sie das Existenzrecht nicht in Frage stellt. Dieses ist für mich axiomisch die Folgerung aus der Shoah" einfach mal lassen in Ansehung der Tatsache, dass wir uns hier nicht die Hose mit der Beißzange anziehen.

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Ja
>>Ist mit "MG" die "Marxistische Gruppe" gemeint, die dann in "AK München" umfirmierte?<<
Ja!
Ansonsten danke ich für Ihren Rundumschlag!

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Die hier gemeinte MG=Marxistische Gruppe firmierte nicht in AK München um, sondern eine ihre Sektionen hieß lange vor meiner Wahrnehmung dieses Ladens so. Ich habe die MG ausschließlich in Bremen und Göttingen kennengelernt, vorzugsweise nach 1990 und vorzugsweise in Form von aus ihren formellen Strukturen aus- und in andere linke Gruppen eingetretenen Einzelpersonen.

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@"da keine Fahne der Welt mehr Leute in Rage bringen kann als ein blauweißes Winkelelement." --- Das war in den 90ern noch die rot-gelb-grüne kurdische Trikolore, deren Zeigen in Deutschland unter Strafe steht. Eine Journalisten-Kollegin hatte mal ihre helle Freude, als sie mit einem Taschenkalender in diesen Farben auf dem Tisch einen Innenminister interviewte ;-)

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"firmierte nicht in AK München um, sondern eine ihre Sektionen hieß lange vor meiner Wahrnehmung dieses Ladens so." Stimmt; ich hatte da was durcheinandergebracht, ist schon so lange her.

Ich lernte die MG über die MSZ "Marxistische Studentenzeitung" kennen, deren analytische Qualität und sarkastischer Humor unerreicht war. (Später gab's dann wohl Humorverbot von oben.) Den Slogan "Gegen die Kosten der Freiheit" halte ich bis heute für intelligent subversiv. Gerade in diesen Tagen scheint er brennend aktuell.

Als in der Reihe "Resultate der Arbeitskonferenz" die Marx-Interpretation erschien, stellten wir fest, dass das mit unseren Ergebnissen weitgehend übereinstimmte. Wer sich heute für die Marxsche Theorie interessiert, dem kann ich das nur empfehlen.
Jene Übereinstimmung rettete uns zu unserer Überraschung jedoch nicht davor, von der MG als Gegner identifiziert zu werden, da in deren Wahrnehmung unsere bloße Existenz den Alleinvertretungsanspruch der MG bestritt.

Sie forderten uns zu einer uni-öffentlichen Diskussionsveranstaltung auf, wobei sie ihren Kräften vor Ort nicht vertrauten und einen Mann mit stark bayrischem Akzent aus dem fernen Bremen anreisen ließen. Wegen der weitgehenden Übereinstimmung in der Sache hatte der vorweg schlechte Karten, indem wir immer mal wieder aus den "Resultaten" zitierten. Er machte sich dann an Begriffen fest, die nicht zum aktiven Wortschatz der MG gehörten, etwa Kapital als "Realabstraktion". Möglichweise war es die Wirkung des fortlaufend genossenen Bieres, die ihn den fatalen Satz sagen ließen, ich solle doch nach draußen schauen; was da zu sehen wäre, sei alles Kapital. Damit hatte er sich selber mattgesetzt, denn Antwort 1 lautet, dass da nur Bäume zu sehen sind, und Antwort 2 dass Marx seine Begriffe nicht durch eine Fabrikbesichtigung gefunden hat.

Nach dem Mauerfall lösten sie sich auf und begründeten das damit. Die Begründung verstand kein Mensch. Später hörte ich, die Auflösung wäre auch so gekommen. Ein paar Unentwegte machen den Verlag Gegenstandpunkt.

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Stimmt, bei Veranstaltungen der MG sprachen die wichtigsten Redner immer mit süddeutschem Akzent. In meinem Dunstkreis gab es eine Gruppe, die von MGlern unterwandert werden sollte, allerdings nicht von Kadern, sondern "Kandidaten" und "Aspiranten" der MG (so hießen bei denen, die noch keine Vollmitglieder waren, und die Teilnehmer von Schulungen ohne Mitgliederstatus, die zum regelmäßigen Stammtisch eingeladen wurden). Problem war nur, dass diese Gruppe schon von der Z-Fraktion des KB infiltriert war. Aus der Unterwanderung wurde eine Synthese, später, als sie längst in keiner festen Politgruppe mehr aktiv waren, aber in informellen Diskussionszirkeln und einer Redaktionsgruppe noch immer wirkten waren das dann herrlich undogmatische und humorvolle, zugleich aber marxologisch hochgebildete Diskussionspartner.

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Fahnen, die Leute in Rage bringen
Das ist ja sehr von Zeit-und Ortsumständen abhängig. Im 18. Jahrhundert war das wohl in erster Linie eine schwarze Fahne mit weißem Totenschädel und gekreuzten Beinknochen oder Entermessern. Dieselbe Fahne ist heute in Hamburg St.Pauli eher Mainstream, da wären blau-weiße Winkelemente aber eine echte Provokation. Wohl gemerkt: Nicht mit Davidsstern, sondern die bayerischen Landesfarben. Israelflagge in Deutschland Provokation? Das wäre vor 65 Jahren so gewesen, heute nicht.

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Anders im Iran
Wo mehr noch als die Israelfahne, die dort problematisch genug ist, vor allem aber eine Alkoholfahne die Sittenwächter in extatische Verzückung versetzt.

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Wunderbarer Einwurf!

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"Weil D Krieg führt und wir sind hier in D und wir sind Deutsche, dann dürfen Kriegsmotive nicht mehr analysiert werden, oder wie soll ich das verstehen?"
Nein, aber der platte Spruch "Krieg für Öl", der für die meisten Pazifisten genug Analyse darstellt, ist schlichtweg falsch. Ich möchte der US-Regierung sicherlich keine antifaschistische Intention bescheinigen, aber eine Friedensbewegung, die permanent Bush als den neuen Hitler verkaufen will und es schafft das Thema Hussein komplett zu umschiffen, ist nichts als antiamerikanisches Pack.

Ich habe den Antiamerikanismus der 50er Jahre nicht erlebt, sondern bezog mich in meinen obigen Äußerungen auf meine persönlichen Erfahrungen in der Schule und Verwandtschaft. Dort sind die Amerikaner überwiegend fette Nihilisten, die den ganzen Tag Burger fressen und lustige Justizurteile zu Stande bringen.

"Die waren nie auf dem Mond. Die leben dahinter."
Auch ein schönes Ressentiment. Die Amis wissen garnichts von der Welt und fragen deutsche Touristen, ob Hitler noch an der Macht ist.

Das spiegelt sich alles auch in diversen Verschwörungstheorien um 9/11 wieder oder irrsinnigen Gleichsetzungen wie

"Seinerzeit in Nürnberg bestand noch Konsens darüber, dass es gerecht sei, wenn die Verantwortlichen für Angriffskriege die letzten zwei Minuten ihres Lebens mit den Beinen in der Luft zappeln."

"Rhetorisch liegt sie auf der Nullinie, und mit dem Vergleich von Shoa und israelischer Pali-Mißhandlung am Rande des noch Gesprächsfähigen."
Jetzt nicht wirklich oder?

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Unsereins hatte seinerzeit, anlässlich des 2. Golfkriegs, also des von 1991 eine sehr umfängliche Analyse der ökonomischen Hintergründe und Interessenlagen dieses Krieges aufgestellt.
Stichworte Recycling des Petrodollars, Nichtdemobilisierbarkeit der irakischen Armee, Krieg als Sozialpolitik im Sinne von Beschäftigungsprogramm einerseits und Vernichtung überflüssiger Esser andererseits etc.
Dazu ist damals auch ein Sonderheft der Interim erschienen, das im gut sortierten linken Archiv noch erhältlich sein müsste.

Ansonsten will ich auch nicht alles dreimal schreiben, also lege ich mal ein paar Links:

http://www.materialien.org/

http://www.materialien.org/texte/index.html


@eine Friedensbewegung, die permanent Bush als den neuen Hitler verkaufen will und es schafft das Thema Hussein komplett zu umschiffen, ist nichts als antiamerikanisches Pack. --- Von einer solchen Friedensbewegung habe ich ehrlich gesagt nichts mitbekommen. Ich würde ja eher sagen, dass es in Deutschland eigentlich gar keine friedensbewegung mehr gibt, die letzte starke mobilisierte gegen den Golfkrieg von 1991, dann gab es jeweils ein kurzes Aufflammen von Protesten gegen den NATO-Krieg gegen Jugoslawien 1999 und gegen den Irak-Krieg 2003, aber das dauerte jeweils ein paar Wochen, und ich würde so etwas nicht mehr als "Bewegung" bezeichnen. Nach dem 09.11. habe ich einige furchtbare Panne-Reaktionen bei Linken erlebt, sogar einen Autonomen, der meinte, na immerhin, einen solchen Anschlag wie den auf die Twin Towers habe die Linke nie hinbekommen, Respekt. Als er angeschrien wurde, wie unmenschlich eine solche Aussage sei, meinte er, das Ganze sei so schrecklich, da könne er nur noch zynisch drüber reden, ohne durchzudrehen. manche Leute gehen schon komisch mit ihren kognitiven Dissonanzen um.

Ansonsten habe ich wohl allenthalben erlebt, dass Saddam 12 Jahre lang unentwegt als neuer Hitler hingestellt wurde (dem aber Deutschland, als er tatsächlich als Völkermörder handelte, das Gas geliefert hatte), aber Bush? Kriegsverbrecher, Entdemokratisierer, Sozialabbauer, all das, aber neuer Hitler? Never heared. Und auch die Anti-Ami-Vorurteile, die du da beschreibst habe ich nicht erlebt. Meine eigenen Erfahrungen mit US-Amerikanern sind sehr ambivalent, aber das sind ja wahrscheinlich Erfahrungen mit dem Menschen als Solchem immer ;-)

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