Sonntag, 7. Dezember 2008
Cluster: Die neue Etappe des Kapitalismus cnt
Im neuesten Band der Materialien für einen neuen Antiimperialismus betätigen sich Detlef Hartmann und Gerald Geppert als Empiriker im Sinne der militanten Untersuchung.

http://www.labournet.de/diskussion/geschichte/birke.html


In diesem Fall bestand diese im Bezug auf die teilnehmende Beobachtung am Streik bei Gate Gourmet. Auch die Frage, was in der sehr viele Schlagworte unerklärt und in höchst dramatisierender Sprache vortragenden Einleitung mit sich selbst neu erfinden bzw. einem gesellschaftlichen Zwang dazu gemeint ist, wird noch viel klarer, sowohl bei neuen Eliten, die sich selbst neu erfinden und viel unhierarchischer und sympathischer wirken, in ihrem tatsächlichen Wirken aber nicht besser sind als die alten Mächtigen, als auch im Anpassungszwang bei den Unterworfenen, die in McKinsey-geschulten Programmen zur Verinnerlichung marktwirtschaftlichen Denkens, schlanker, von eigenverantwortlicher Arbeitsweise geprägter Betriebsstrukturen und Effizienzdenken bis in ihre Gefühlsökonomie hinein angehalten werden. Selbst das Burn-Out-Syndrom wird in therapeuthischen Modellen zur Arbeitseffiziensteigerung sozusagen nach vorne kuriert, um nur ja keine Ursachen außerhalb der Verarbeitungsweise der eigenen Persönlichkeit erkennbar werden zu lassen. Der Mobbing-Gegner hatte mit solchen Strukturen seine speziellen Erfahrungen gemacht.

http://che2001.blogger.de/stories/349727/

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Hier wird nun deutlich, dass diese nichts mit dem individuellen Verhalten einzelner Vorgesesetzter zu tun haben, sondern im System VW angelegt sind. Dies ist, getreu der Beratungsleistung McKinseys, ein System, das sich selbst transzendieren soll: Mit Autostadt und Auto 5000 macht der Konzern, der selber noch sehr keynesianisch-korporatistisch mit starker Stellung der IGM organisiert ist, sich selber neoliberale Konkurrenz und setzt die Belegschaftskerne unter Druck, das Ganze auch noch teilweise als public private partnership organisiert. Die clusterförmige Organisationsform des postmodernen Kapitalismus, ob in Wolfsburg, Los Angeles, Tel Aviv oder Bangalore überholt die alten Trennungen zwischen Zentrum und Peripherie. Es gibt ebenso die Erste Welt in der Dritten wie die Dritte in der Ersten. Mit Leiharbeit, 1-Euro-Jobs und konzerneigenen privaten Jobvermittlungen werden die working poor auch in der Umgebung traditioneller Hochlohnsektoren eingesetzt und als Spalter des Arbeiterzusammenhalts instrumentalisiert.

Schließlich wird dennoch eine Perspektive auf Widerstand durch Behauptung des Eigen-Sinns erkennbar. Ich möchte jetzt eng an Textauszügen arbeiten, allein schon um der Verständlichkeit willen.


„Nicht eiserner Rationalisierungszugriff charakterisiert exemplarisch die Mitarbeiter der neuen Spitzenunternehmen im Silicon Valley, sondern der sogenannte Googleness-Faktor: Spitzenabschluss einer Spitzenuniversität ja, Führungserfahrung ja, aber keine Grabenkämpfe, kein Machtgehabe. Die Google-Gründer möchten das Universitätsflair erhalten, das sie als Stanford-Zöglinge genossen haben: Die Unbeschwertheit, den Mut, Unerlaubtes zu denken, kindlich neugierig und schlecht angezogen zu sein. Die Spiegel-Berichterstatterin Michaela Schiessel jubelt in ihrem Artikel: „Vielleicht ist das ja das wahre Erfolgsgeheimnis der Firma Google: Alphamännchen müssen draußen bleiben.“

Verfrühter Jubel. In der Transformation der innovativen Technologien und ihres Unterwerfungsmanagements haben sich periodisch immer neue Gestalten des Alphamännches hervorgebracht. Der Google-Typus ist nicht der alte servant of power der tayloristischen Stab-Linienhierarchien – Leittypus auch einer neuen Bürgerlichkeit. Google, Yahoo und ihre Konkurrenten stellen derzeit die Upstarts der neuen „social networks“ wie Flickr, Facebook, MYSpace, You Tube in ihren Dienst, deren kreative Innovateure diesem neuen Sozialtypus neue Gestalten und Gesichter geben. Ihr Charakter ist keine Maske. Sie sind die kreativen Unternehmer neuer Initiativen kapitalistischer Bemächtigung im Sinne Schumpeters. Wie sehr es neben Reich- und Herrentum auch der Drang zur Selbstverwirklichung ist, der sie treibt, enthüllt auch ein Bericht über die Eliten von Silicon Valley von Gary Rivlin, den die New York Times kürzlich im Rahmen ihrer Serie über das „Age of Riches, die Junior Mogule“ abdruckte. Nach dem Erfolg machen junge Unternehmer immer weiter, sagt er und zitiert einen am unteren rand der Milliardengrenze angekommenen Jungunternehmer: „Ich wüsste nicht, was ich machen sollte, wenn ich nicht Unternehmen gründen würde. Vielleicht würde ich daran denken, mir die Pulsadern aufzuschneiden.“ Dieser Typus bildet den hegemonialen Kern der „ganz kreativen Klasse“, die Holm Friebe und Sascha Lobo als führendes Element der prekarisierten Intelligenz ausmachen“

- Ob prekarisiert oder tatsächlich mächtig, ob idealtypisches Muster neben anderen, teils ähnlichen, teils alternierenden Möglichkeiten, die Betrachtung typisiert eine Art von Unternehmertum einschließlich einer sich in ihrem ideologischen Schlepptau befindlichen Boheme, die für das digital-neoliberal-deregulierte Zeitalter so archetypisch erscheint wie liberale Bourgeoisie und klassische Boheme sowie keynesianische, teils industrielle, teils bürokratische Elite und in gesellschaftlichen Nischen sich einrichtende Alternativszene für das bürgerliche Zeitalter und die Nachkriegsgesellschaft des wohlfahrtsstaatlichen Kapitalismus. Diese tatsächlichen und vermeintlichen Eliten korrespondieren und wechselwirken mit einem veränderten Proletariat. Längst befasst sich eine Flut von Coaching-Literatur damit, wie Arbeitnehmer dazu gebracht werden können, sich zu „optimieren“ und, selbst angesichts persönlicher Lebenskrisen im Zusammenhang mit Überlastung das für den Job optimale Maximum aus sich herauszuholen, ja, Burnoutsyndrome als Herausforderungen zu betrachten. Das betrifft nicht etwa nur, wie in den Diskussionen zum Burnout in den Achtzigern Manager und Führungskräfte, sondern abhängig Beschäftigte bis zum HartzIV-Empfänger. „Die Komponente der geistigen Erschöpfung bezieht sich vor allem auf eine negative Einstellung im Hinblick auf das Selbst, die Arbeit und das Leben im Allgemeinen. Darunter fällt auch die Tendenz zur Dehumanisierung. Das Bild des idealen Arbeitnehmers mutierte vom angepassten Befehlsausführer hin zum unternehmerisch Mitdenkenden, Verantwortung übernehmenden Quasi-Unternehmer. … Orientiert an diesem Bericht aus der kapitalistischen Propagandaproduktion… bleibt es ein „Defekt“ der Seele unter den nur oberflächlich kritisierten Diktaten postmoderner Selbstoptimierungszwänge. Der Angriffscharakter wird ausgeblendet, der Antagonismus (der Klassenverhältnisse, Anm. d,. Verf) gerät nicht in den Blick und damit auch nicht der unergründliche Rückraum für die Herausbildung neuer Formen des widerständischen Selbst. Meditation, Qigong und Yoga, richtiges Atmen etc. gehören mit zur Rezeptur. Der Bezugsrahmen der wissensökonomischen Offensive leuchtet auch darin auf, dass der "Vertrag mit sich selbst analog einer persönlichen Zielvereinbarung nach dem Management-by-Objectives-Modell" wie im Produktionsbereich und im HartzIV-Fallmanagement zu den Techniken therapeuthischer Selbsteinspeisungspraktiken gezählt werden. Neben und auch angeregt durch Microsoft haben eine reihe weiterer Unternehmen Work-Life-Balance-Coaching in ihre Personalmanagementprogramme aufgenommen.... Der innerbetriebliche Drucl, sich den Coachingprogrammen zu unterwerfen, erschließt dem Wissensmanagement neue Felder - Ressourcen und Labore in einem. hierin berühren und verweben sie sich mit den Strategien der Arbeitsressourcenerschließung im HartzIV-Fallmanagement. In dieser Zuspitzung inmitten der Krankheitssymptomatik der Selbstunterwerfungskrisewird gleichwohl deutlich, was die Geschichte der Klassenauseinandersetzungen - auch im Spiegel ihrer Arbeitspsychologie und Philosophie - imer wieder und nunmehr auf neuem historischen Niveau zeigt: Das Selbst ist nicht operationalisierbar, es sperrt sich in immer neuen Ausdrucksformen gegen die Strategien inwertsetzender Gewalt und Zugriffe."

Am Beispiel des Streiks bei Gate Gourmet umreisst Hartmann dann,wie sich einerseits die McKinsey-induzierten Anpassungs- und Selbsterziehungzwänge anfühlen und wie gerade diese Zwänge zur Reibungsfläche wurden, an der der Widerstand etflammte: "Ob man das glaubt oder nicht: wir haben uns während des Streiks öfter darüber unterhalten: Ich kriege diesen Virus nicht raus. Wenn ich in meiner Küche einen Kaffee koche, dann überlege ich mir schon, welche Wege kann ich sparen, oder welche Sachen kann ich gleich mitnehmen, damit ich nicht dreimal laufe. Das Unterbewusstsein ist soweit festgenagelt, dass du dir jeden einzelnen weg überlegst: Was kannst du damit verbinden, wie kannst du noch optimaler deinen tag durchziehen und das im privaten Bereich - soweit sind wir!....Mit demStreik haben die Arbeiterinnen die Reißleine gezogen. Es ging auch , aber nicht allein um die Löhne. MENSCHENWÜRDE war ein Wort, das fast auf allen Transparenten stand. Im Laufe der Zeit wurden Beziehungen zu den Arbeiter/innen, die gegen Gate Gourmet auf dem Londoner Flughafen Heathrow streikten geknüpft, gegenseitige Besuche organisiert. es wurden Zugänge zu anderen Bereichen gesucht, in denen McKinsey ähnliche rationalisierungsstrategien verfolgt, wie zum Beispiel in Krankenhäusern. Es war der Streik selbst, in dem die Arbeter/innen ihre Menschenwürde zurückeroberten, ihre sozialen Zusammenhänge, ihr individuelles und kollektives Selbst wiederherstellten....Für kurze Zeit gewann das Gestalt, was Walter Benjamin in dem Satz ausdrückte: das Subjekt historischer Erkenntnis ist die kämpfende, unterdrückte Klasse selbst. Es wurde deutlich, dass es keine Wissenschaftlichkeit, kein Gegenstandswissen zu diesen Prozessen geben kann, sondern das die einzige Wissenschaftlichkeit das im Kampf entwickelteGegenwissen ist, das erst die Bedeutung der neuen sozialtechnischen Strategien als Strategien des sozialen Kriegs offenlegt. Es verweist die Wissenschaftlichkeit der Beratungsunternehmen, der Arbeitswissenschaften und -soziologie in den Bereich der Kriegswissenschaften. Es gibt keine idealtypik, keine Paradigmen, diese stellen nur die wechselnde Leitbegrifflichkeit an den beweglichen Fronten der auseinandersetzungen dar. WISSEN ist das aus den Auseinandersetzungen hiermit gewonnene GEGENWISSEN. Es ist das Wissen nicht des Getriebes, sondern des Sands."

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Das Sich selbst neu erfinden des Arbeitsdrills
Ich habe beide Bücher nicht gelesen, das macht Stellungnahmen immer so herrlich bar jeder Ahnung- aber seitwann hält das Historiker der Uni Göttingen auf? ;)

Wir sind dabei zu erleben, wie sich der Kapitalismus neu erfindet.

Eine Reihe von "alten" Gegensätzen, die auch in der triple oppression Theorie noch greifen, gibt es so nicht mehr bzw. sie lösen sich gerade auf. Du führst ja selbst die 1-Euro-Jobs, die Prekarisierung von Arbeit und den Zwang zur Selbstvermarktung an. Da ist dann nicht mehr wichtig, ob du schwarz oder weiss, Mann oder Frau bist und wo du wohnst, sondern wie gut du dich vermarkten kannst, wie gut deine Arbeitskraft wie auch immer sie aussieht nachgefragt wird und wie du diese Nachfrage ausnutzt.
Wenn du nicht mehr funktionierst bist du uninteressant und fällst hinten runter.

Natürlich gibt es regionale Unterschiede- es bleibt ein Unterschied ob du in der BRD oder in Timbuktu wohnst, ob du immerhin Hartz IV beantragen kannst oder ob es dem Staat scheißegal ist, ob es dich gibt oder ob du verhungerst. Gleichzeitig müssen wir uns langsam mal dran gewöhnen, dass nicht jeder in Afrika vom Hungertod bedroht ist und nicht jedes indische Kind Teppiche von Hand knüpft, sondern dass es auch dort recht finanzkräftige Eliten gibt, die global mitspielen.

In höchst unorthodoxen Momenten frage ich mich, ob die Abschaffung der Sklaverei wirklich ein so großer Fortschritt war. Skandal ?;)
Sieh es mal so: ich (Kapitalist) zahle dir (arbeitsausgebeuteter Armer Schlucker) 1,10 Euro pro Stunde und lasse dich mal 3 Stunden am Tag, mal 6 Stunden oder auch mal 14 Stunden oder auch mal gar nicht arbeiten. Davon musst du nun zurechtkommen oder dich an die staatlichen Auffangsysteme wenden. Dort wirst du dann wirklich durch die Maschine gedreht. Völlig normal und Realität in der BRD. Wenn du dich weigerst, springt der Staat als Sanktionierer ein und hilft mir, dich entweder auf Linie zu bringen oder ich such mir mit Staates Hilfe jemanden Neuen. Alles ganz legal.
Ich Kapitalist habe aber, im Gegensatz zur Sklaverei, keine Anfangsinvestition, die mich vielleicht dazu bringen könnte, vorsichtig mit meiner Ware Arbeiter umzugehen. "Der war teuer, der muss ne Weile halten".
Von deinen paar Euro musst du dann dich ernähren und kleiden und unterbringen- wie du das machst ist absolut nicht mein Problem.
Klar, Arbeiter können nicht verkauft werden, du kannst sie nicht zu Tode prügeln etc. Will ich gar nicht ableugnen und Sklaverei ist inhuman und unter aller Sau und ein Tritt in die Idee der Gleichheit aller der ich mit Begeisterung anhänge. Aber ich weiss manchmal nicht, ob die einfache Abschaffung wirklich der große Fortschritt war oder nur eine Variation des gleichen Musters.

Leiharbeit trägt aber schon Züge von Menschenhandel. Der Vorteil für den Mieter ist, dass er die Ware Arbeitskraft von der Vermittlungsagentur gemietet hat. Wenn der eingeplante Arbeiter wegfällt kommt ein anderer. Dabei entsteht natürlich Anonymität und die ist für das Funktionieren dieses Systems wichtig. Wie soll ich mich denn mit dem Kumpel von Nebenan solidarisieren, wenn ich ihn nicht mal kenne?
Hier kommt auch die Funktion der virtual reality dazu: wenn ich mich nach der Schicht zu Hause ins Internet logge und unter meinem Nick online losballere, dann weiss mein Nachbar mit etwas Pech nicht mal, dass wir gerade zusammen etwas tun, sondern kennt nur den Nick- ich kann ebensogut in Los Angeles sitzen wie im Nebenzimmer.

Ich halte, wie ich es Dir glaube ich auch schon schrieb, den gegenwärtigen Sozialabbau eher für eine Sozialdisziplinierung im Foucaultschen Sinne. Im Zentrum steht denke ich gar nicht der Abbau von Sozialleitungen und mal ehrlich- der Hartz IV Satz reicht, es ist nicht doll, aber man kann zurecht kommen. Der Arbeitslose in der BRD hat immer noch mehr als viele Menschen je haben werden und Diskussionen, ob Hartz IV Kinder nun umsonst Schulbus fahren dürfen oder nicht haben für viele Menschen, die jeden Tag mehrere Kilometer laufen um Wasser zu holen, bestimmt etwas ungeheuer Erheiterndes. Das Kind kann umsonst 12 Jahre zur Schule gehen Wir reden dummerweise von einer Welt, wo mancherorts die Grundschule schon nur für ein Kind aus der Familie leistbar ist. Das müssen wir dabei immer im Kopf behalten. Wie gesagt, es gibt Leute, die schätzen sich glücklich, wenn ihr Kind jeden Tag mehrere Kilometer zur Schule laufen kann um zu lernen.
Um zurückzukommen: es geht eigentlich um Sozialdisziplinierung. Es geht darum, wie du auch schon anführst, dass Menschen dazu gebracht werden, die Verwertungs- und Effizienzlogik soweit zu verinnerlichen, dass sie sie umsetzen, ohne zu denken. denn nur dann werden sie sie auch am Arbeitsplatz umsetzen.

Dieser Ganze "Freu dich, den Negern geht's schlimmer"-Exkurs soll nicht davon ablenken, dass hier in der BRD das Klima rauer geworden ist, dass zB Studiengebühren Studis zwingen, sich den Stoff in Rekordzeit reinzupauken und einfach keine Zeit bleibt, mal ein bisschen herumzuexperimentieren oder Inhalte zu hinterfragen. Oder dass Menschen sich gezwungen sehen, jeden Job anzunehmen, egal ob er ihren Qualifikationen entspricht oder nicht. Oder das Kinder aus der Unterschicht abgehängt werden, weil sich ihre Eltern 1000 Dinge nicht leisten können.
Stimmt alles! Und wird auch abgelehnt, und zwar vehement! Aber dabei dürfen wir das Große Ganze nicht aus den Augen verlieren.

Um zurückzukommen: es geht eigentlich um Sozialdisziplinierung. Es geht darum, wie du auch schon anführst, dass Menschen dazu gebracht werden, die Verwertungs- und Effizienzlogik soweit zu verinnerlichen, dass sie sie umsetzen, ohne zu denken. Denn nur dann werden sie sie auch am Arbeitsplatz umsetzen. Die große Frage bleibt dabei: warum machen Leute da mit?

Die Antwort darauf ist schwierig. ich denke, dass es einerseits mit der Angst, den eigenen Wohlstand (relativ gesehen) zu verlieren zu tun hat. Dazu kommt die Hoffnung auf Aufstieg, es wird ja suggeriert, dass jeder mit ein bisschen Köpfchen und einer guten Idee und Eigeninitiative es schaffen kann. Da spielen dann die Coaching-Programme die du anführst eine Rolle, aber auch diverse Weichspüler im Fernsehen zur besten Sendezeit. Und der ganz große Faktor Normalität. Es ist einfach Normalzustand und Menschen nehmen es hin, weil es einfach so ist.

Dazu kommt der Fürsorgegedanke: die armen Kinder von HartzIV-Empfängern kriegen zu Hause nix zu beissen, also muss die Schulspeisung her, hat auch den Vorteil, dass diese Kinder dann länger in der Schule sein können. Das allein ist schon diffamierend genug weil es unterstellt, dass eine Gruppe Eltern, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Situation definiert wird, nicht imstande bzw bereit ist, ihre Kinder vernünftig zu versorgen. Ich les gelegentlich auch Zeitung und weiss, dass es Kinder gibt, die vernachlässigt, misshandelt und/oder vergewaltigt werden. Der Punkt auf den ich hinaus will ist, dass es eine Tendenz gibt, diesen Generalverdacht auf alle Eltern auszuweiten.
Kleines Beispiel: unser Sohn ist jetzt 4, und er muss nächsten Frühling zum Sprachtest. Ziel des Unternehmens ist es, dass geschaut wird, ob er Deutsch kann und wenn nicht kommt er, noch vor Beginn der Schulpflicht, in Förderklassen. Ich persönlich halte ja schon die allgemeine Schulpflicht für ein äußerst hinterfragenswertes Unterfangen. Über den soziadisziplinierenden Faktor von Schule ist ja genug geschireben worden, also schenke ich mir jetzt das Foucault-Referat. Und er spricht Deutsch. Jedenfalls gehen Forderungen, gerade aus linkeren Parteien (über Links und Parteien kann man streiten), nach Ganztagsbeschulung, GanztagskiTa, Verpflichtendem Kindergarten etc in die gleiche Richtung.
Ausserdem haben sie den Vorteil, Arbeitskräfte auf den Markt zu drängen, da das betreuende Elternteil dann ja "frei" ist. Wenn ich für jedesmal, dass ich gehört habe "dann kannst du ja auch wieder arbeiten gehen, wäre doch schön" einen Euro bekäme müsste ich nie wieder arbeiten :) Ich werde regelmässig bemitleidet weil ich ja keinen Betreuungsplatz für N. habe. Wenn ich dann sage "wir wollten auch keinen" sehen mich auch wildfremde Leute an als ob ich wahnsinnig sei. Zurück zum Punkt: die zusätzlichen Arbeitskräfte werden gebraucht um, ganz im Sinne des klassischen Kapitalismus und der Regulation des Preises über Angebot und Nachfrage, den Preis für Arbeit niedrig zu halten. Denn sonst könnten ja Arbeiter auf den Gedanken kommen "wenn der mich feuert such ich mir was anderes." und das wäre der Todesstoss für die mechanismen des modernen Arbeitsmarktes und seiner Zwänge. Oder für Niedriglöhne.
Plus das Beschulung etc den grossen Vorteil haben, dass man die Lütten schon früh indoktrinieren kann.

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