Mittwoch, 20. Januar 2010
Landkreis Göttingen mal wieder rechtsaußen
Presseerklärung Anwaltskanzlei Waldmann-Stocker & Coll. vom 15.01.2010

Der Landkreis Göttingen zerstört Integrationsleistungen und will
Bleibeberechtigte „kalt abschieben“

Während angesichts aufgenommener Abschiebungen von Roma in den Kosovo
die Proteste wachsen, verweigert der Landkreis Göttingen
Bleibeberechtigten die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen, weil sie –
trotz jahrelanger entsprechender Bemühungen – keine Heimatreisepässe
beschaffen können.

Ein Ehepaar Mitte Dreißig, Ashkali aus dem Kosovo, ist vor elf Jahren
mit zwei Kleinkindern aus dem Krieg im Kosovo nach Deutschland geflohen.
Zur Familie gehören inzwischen vier Kinder im Alter von vier bis
sechzehn Jahren, die sich ebenso gut in die deutsche Gesellschaft
integriert haben wie ihre Eltern.

Die Familie hat sich in Deutschland trotz ständiger Unsicherheit
angesichts ihres Duldungsbesitzes hervorragend integriert, die
Familienmitglieder sprechen sehr gut deutsch, haben viele Freundschaften
mit Deutschen geschlossen und haben sich auch wirtschaftlich integriert,
obwohl der Familienvater über Jahre hinweg immer wieder darum kämpfen
mussten, zumindest zeitweise Beschäftigungserlaubnisse zu erhalten.

Der Familienvater arbeitet seit mehreren Jahren sehr erfolgreich als
Eisenflechter, er ist inzwischen seit längerer Zeit als Vorarbeiter
tätig ist derzeit mit dem Bau einer ICE-Trasse beschäftigt. Durch sein
Einkommen kann er den Lebensunterhalt seiner sechsköpfigen Familie
weitgehend sichern.

Sämtliche Voraussetzungen für die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen
nach der Altfallregelung in § 104a AufenthG sowie deren Verlängerung
über den 31.12.2009 hinaus liegen vor – mit Ausnahme des „Passbesitzes“.

Die Familie hat jedoch sämtliche vorhandenen Identitätsnachweise, u. a.
einen noch vom damaligen Jugoslawien ausgestellten Personalausweis des
Familien-vaters, nach der Einreise bei der Ausländerbehörde vorgelegt.

Die Standesamtsregister für die Familie sind im Kosovo infolge der
Bombardierung vernichtet worden, die kosovarische Botschaft in Berlin
kann immer noch keine Reisepässe ausstellen und kann auch nicht bei der
Wiederherstellung von Eintragungen in kosovarische Standesamtsregister
behilflich sein.

Die Familie hat nachweislich u. a. unter Einschaltung von Rechtsanwälten
im Kosovo alles versucht, um von Deutschland aus eine nachträgliche
Registrierung zum Zwecke der Ausstellung von Reisepässen zu ermöglichen,
ohne persönliche Anwesenheit im Kosovo kann jedoch nichts erreicht werden.

Während zahlreiche andere Ausländerbehörden in ganz Deutschland
Kosovaren, die keine Reisepässe beschaffen können trotz entsprechender
Bemühungen, Ausweisersatzpapiere ausstellen und Aufenthaltserlaubnisse
erteilen, weigert sich der Landkreis Göttingen mit der wenig
nachvollziehbaren Begründung, die Identität der Familie sei nicht
nachgewiesen, schließlich existiere der jugoslawische Staat nicht mehr.

Es ist also erforderlich, dass die Familie zur Eintragung in die
Standesamtsregister und Passbeschaffung persönlich in den Kosovo reist,
wozu die Familie auch seit langer Zeit bereit ist.

Der Landkreis Göttingen weigert sich jedoch, wie andere Behörden zu
diesem Zwecke einen Reisepass für Ausländer nebst Aufenthaltserlaubnis
zum Zwecke einer problemlosen Reise und Rückkehr auszustellen.

Angeboten wird lediglich eine Zusicherung einer Zustimmung zur
Wiedereinreise im Rahmen eines Visumsverfahrens, was einer kalten
Abschiebung gleich käme, da dieses Vorgehen zum Verlust der
Voraussetzungen für die Erteilung einer Auf-enthaltserlaubnis führen würde.

Durch die Ausreise würden jedoch die Voraussetzungen für die Erteilung
einer Aufenthaltserlaubnis nach der Altfallregelung wegfallen aus zwei
Gründen:

Zunächst ist der durchgängige Besitz einer Duldung oder
Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen Voraussetzung für die
Altfallregelung, während des Aufenthalts im Kosovo ohne Besitz einer
Aufenthaltserlaubnis würde diese Voraussetzung jedoch wegfallen.

Darüber hinaus ist nahezu sicher, dass der Kindsvater seine
Arbeitsstelle verlieren würde, weil das Visumsverfahren zur
Wiedereinreise erfahrungsgemäß lange dauert und der Arbeitgeber so lange
nicht auf seinen Vorarbeiter verzichten kann.
Wäre der Familienvater im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, könnte er
die Formalien binnen wenigen Tagen erledigen und dann den Reisepass nach
Deutsch-land schicken lassen.

Aufgrund dessen hat das Verwaltungsgericht Göttingen mit Urteil vom
24.11.2009, Aktenzeichen 4 A 92/09, auch deutlich gemacht, dass der
Familie Aufenthaltserlaubnisse nach der Altfallregelung und ein
Ausweisersatz zu erteilen sind.

Die Beschaffung kosovarischer Reisepässe sei derzeit unzumutbar, da die
kosovarische Auslandsvertretung in Deutschland noch keine Reisepässe
ausstellen könne und die Kläger alles Zumutbare versucht hätten, um
Reisepässe zu erhalten. Eine Reise in den Kosovo sei ohne Besitz einer
Aufenthaltserlaubnis ebenfalls unzumutbar, da er seinen Arbeitsplatz
verlieren würde angesichts der zeitlich nicht genau bestimmbaren und
unsicheren Rückkehr im Falle eines erforderlichen Visumsverfahrens und
er eine Anspruchsvoraussetzung der Altfallregelung, nämlich den
ununterbrochenen Besitz einer Duldung oder Aufenthaltserlaubnis,
ebenfalls verlieren würde.

Gegen dieses Urteil hat der Landkreis Göttingen vor Weihnachten beim
Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht Berufung eingelegt.

Die Familie ist derzeit nur im Besitz einer für einen Monat erteilten
Duldung.

Durch sein skandalöses Vorgehen gefährdet der Landkreis Göttingen die
Integration und weitere Zukunft der Familie, die sich sehr gut
integriert hat und die seit elf Jahren bzw. seit Geburt in Deutschland lebt.

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