Montag, 3. Oktober 2016
Anschein und Praxis
Als jemand, der ein gemeinnütziges Ehrenamt ausübt besitze ich einen Sonderparkausweis, der mich berechtigt, im Halteverbot, in Fußgängerzonen, in Ladezonen und auf Anwohnerparkplätzen zu parken. Auf einem solchen, genauer: Einem, der von mehreren Praxen und Firmen aber auch von Anwohnern benutzt wird parkte ich kürzlich ein. Da kam eine Frau auf mich zu, etwas abgerissen aussehend, in St. Pauli-Fan-Kluft mit einer Handtasche aus schwarzem Latex die den Jolly Roger zeigte. Die wies mich darauf hin dass mensch da anders einparken sollte als ich das tat. Ich positionierte mein Auto also um, das passte ihr aber immer noch nicht, sie verlangte, dass ich das Fahrzeug quasi zentimetergenau neben den Zaun stelle. Da erwiderte ich, für so etwas hätte ich jetzt keine Zeit und was das denn solle. Es entspann sich eine Diskussion darüber wieso ich denn hier parke und ich verwies auf meine Sonderparkgenehmigung. Ohne weitere Worte ging die Frau. Als ich später zurückkam fand sich an meinem Scheibenwischer ein ausgedruckter Text, dass mein Auto kostenpflichtig abgeschleppt würde, meine Nummer notiert sei und mensch sich vorbehalte gegen mich Strafanzeige wegen Hausfriedensbruch zu erstatten. Du meine Fresse! Ein absolutes Alternativszene-Outfit, Gesetzlosen-Symbolik mit der sie sich dekoriert, aber den Superpreußen heraushängen lassen! Armes Deutschland. Kein Wunder, dass es so ist wie es ist.

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Die Nonkonformistenuniformträger sind oft die größten Spießer die es gibt. Beim alten GÖ-Uni-Parkplatz mit seiner Parkanarchie bekämen die wohl einen Herzkasper;-)

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Was netbitch sagt. Passt übrigens auch zu Deiner Frage von neulich, wo es darum ging, wie eine so und so gestylte Frau denn beruflich/sozial einzuordnen sei. Finde ich sehr schwierig, denn ich habe den Eindruck, am Outfit alleine kann man immer weniger festmachen. Max Goldt schrieb mal sinngemäß, die meisten Leute würden halt kaufen, was die Fußgängerzonen so hergeben, ohne sich darüber Gedanken zu machen, was für ein statement ihre Klamotten abgeben.

So gesehen bürgt halt auch St.Pauli-Fankluft erst mal nicht für eine gesellschaftspolitisch fortschrittsorientierte Persönlichkeit.

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Ja, und ich bin Oldschool
Das Problem ist, dass Symbole entweder gar nichts mehr besagen (was schon Adorno kommen sah) oder für andere Leute sehr viel. Siehe der alte Momo-Konflikt, wo der ständig Assoziationen/symbolische Zusammenhänge im hier von mir und Anderen Formulierten las, die außer ihm und Loellie sonst niemand überhaupt wahrnahm. Und für mich gehören bestimmte Tattoos und Outfits halt automatisch in einen subkulturellen Zusammenhang, den es früher auch mal gab, der aber heute vielleicht gar nicht mehr besteht.


So Anfang der Achtziger war ein Nasenpiercing noch die klare Ansage: "Ich schnupfe Kokain." Und ein schwarzweißes Palituch, Hein-Gericke-Jacke und Bundeswehrstiefel "Ich gehöre zur autonomen Szene, schwarzer Block".

Es ist noch nicht lange her, da waren Tattoos ein Ausschlussgrund für die Verbeamtung. Bewerber für den Polizeidienst wurden sogar körperlich gemustert, Tätowierte nicht zugelassen. Inzwischen habe ich einen stark tätowierten Staatsanwalt kennengelernt.

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Es ist nie verkehrt ein Uboot bei der Staatsanwaltschaft zu haben;-)


Ernsthaft, ich these mal dass im Zeitalter von Aids und glatten Lebensläufen Körperkunst wie Tattoos und Piercings deswegen so inflationär vorkommen weil sexuelle Promiskuität und echte Abenteuer viel zu gefährlich sind um gelebt zu werden. Beschränkt sich halt alles auf die Selbtinszenierung. Passt übrigens wunderschön zu den Hartmannschen Sentenzen vom sich periodisch selbst neu erfinden wobei auch dieses von außen vorgefertigt wird, es sich also um ein Simulacrum handelt.

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