Samstag, 11. Dezember 2010
Wie deutsch bist DU?
Anliegend die Antwort der Landesregierung auf eine Anfrage der Bündnisgrünen zur Frage, warum einer mit einem Deutschen verheirateten Aserbaidschanerin das Visum unter Hinweis auf den Migrationshintergrund ihres Ehemanns verweigert werden darf. Treffend hier der in der ANA-ZAR 4/2010 veröffentlichte Standpunkt, den ich nachfolgend wiedergebe:

Kümmel-Deutsche

Es gibt mehrere Sorten von Deutschen. Urdeutsche und Volksdeutsche (diese sogar in zwei Formen, nämlich mit und ohne deutsche Staatsangehörigkeit). Außerdem Neu-Deutsche, also Eingebürgerte. Die können ihre Staatsangehörigkeit sogar mit
der Einbürgerungsurkunde beweisen. Sind das aber auch echte Deutsche?

Geht es nach BMI und manchem Gericht, haben sie weniger Rechte. Das absolute Recht eines Staatsbürgers, im Land seiner Staatsangehörigkeit zu leben, wird bei ihnen relativiert, wenn Sie einen ausländischen Ehepartner haben. Dann soll es trotz Art. 6 GG zumutbar sein, dass der Neu-Deutsche sich mit dem ausländischen Partner dahin begibt, wo der Pfeffer wächst. So die »Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Aufenthaltsgesetz« (Nr. 28.1.1.0). Das VG Schleswig sann sogar jüngst einem deutschen Mann an, seine Arbeit hier aufzugeben und in den Kosovo zu gehen, wenn er unbedingt mit der schwangeren Ehefrau zusammen sein will. Diese wollte gern ihr deutsches Kind in Deutschland bekommen, sprach aber noch kein Deutsch. Zurück, marsch, marsch, sagten da die norddeutschen Verwaltungsrichter.

Muss man sich empören? Ja! Allerdings muss man auch sagen: Die Hüter der Verfassung in Karlsruhe haben schon 2006 mit zweierlei Maß gemessen. Damals ging es um einen eingebürgerten ehemaligen Türken, der das gemacht hatte, was seinerzeit jeder hier lebende Deutsche ohne Nachteil durfte. Er hatte zusätzlich eine fremde Staatsangehörigkeit angenommen. Dies hielt das BVerfG beim Neu-Deutschen für missbilligenswert und versagte ihm Schutz vor Entzug seiner deutschen Staatsangehörigkeit.

Freedom dies inch by inch. Das scheint bei uns vergessen zu werden. Wie sonst ist es zu erklären, dass man in Karlsruhe auch gegen ein bisschen Androhung von Folter im Fall Gäfgen nichts erinnern wollte? Oder wie, dass das Bundesverfassungsgericht 70 Jahre nach Vollstreckung der nachträglich eingeführten Todesstrafe an Marinus van der Lubbe nichts daran auszusetzen hatte, dass der Grundsatz »keine Strafe ohne Gesetz« bei der Sicherungsverwahrung verletzt wurde? In diesen Fällen musste Karlsruhe erst durch den EGMR an die Unverbrüchlichkeit der Menschenrechte erinnert werden.
Mit der Geschichte ist es ähnlich wie mit der Freiheit. Jahr für Jahr gerät sie etwas mehr in Vergessenheit. Zunächst sind Opfer ein paar Straftäter oder »Kümmel-Deutsche«. Welche Gruppe kommt danach?

RA Rainer M. Hofmann, Aachen

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