Gesagt, getan, die Amerikanerin kam. Und nach kurzer Zeit erzählte sie meiner Freundin sehr konsterniert, sie wäre in übelst antisemitischer Art von drei arabisch aussehenden Jugendlichen angepöbelt worden, sie sollte sich verpissen und hätte in Kreuzberg nichts verloren.
Was war geschehen? Sie war, wie sie das aus Frisco gewohnt war herumflaniert und von den drei Jungs angemacht worden. Gekleidet in Schlangenlederstiefel, Minirock aus Latex, Zobelfelljacke, mit Krokotasche, Perlenkette und Ohrringen mit Brillianten. Meine Freundin erklärte ihr, dass hier die meisten arabischen Jugendlichen von der Stütze lebten, Häuser entmietet und luxussaniert werden und dass sie als Eindringling aus einer als feindlich angesehenen Luxuswelt wahrgenommen worden war, dass sie Jüdin sei stehe ja nicht in ihrem Gesicht. Sie wirkte wenig überzeugt.
Die Wahrheit liegt im Auge der Betrachtenden.
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Als Ex-Berliner (und quasi "Kenner" der Berliner Verhältnisse) sage ich dazu: Es gibt - leider - einen teils massiven Antisemitismus unter arabischen, teils auch türkkischen Menschen in Kreuzberg. Nazis machen in Kreuzberg keinen Stich, aber ich würde in Kreuzberg, zumal am Abend, niemals mit Kippa eine längere Strecke unterwegs sein.
Das ist zu riskant. Und zwar ganz objektiv. Objektiv gilt auch: Antisemitismus ist Teil der deutschen Gegenwart. Für das "Multikulti-Millieu" in Kreuzberg gilt das in besonderen Maß.
Ich tippe allerdings (das entspricht meinen Erfahrungen), dass die überwiegende Mehrheit arabischstämmiger Jugendlicher in Kreuzberg keine Antisemiten sind. Auf der persönlichen Ebene habe ich jedenfalls noch nie Probleme gehabt.
Aber solche Vorfälle: Die gibt es ganz regelmäßig. Und zwar ganz unabhängig vom Auge des Betrachters.
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Deine Freundin scheint zumindest extrem naiv zu sein. Es ist mir nicht erklärlich, wie man zu solch einem Statement kommen kann. Nazis haben da in der Tat keine Chance, aber erkennbare Juden auch nicht unbedingt.
Und die Geschichte mit Luxussanierung und Stütze ist ja sicher richtig, aber die schicke Frau fiel wohl eher dadurch auf, dass sie anders war, dem arabischen Frauenbild nicht entsprach, keine hörige Puppe ist. Bei den teuersten Autos, die in Kreuzberg oder Neukölln herumfahren, hat der durchschnittliche arabische Jugendliche nichts dagegen, der würde die Karre gerne selber fahren. Der Kreuzberger Türkenmittelstand fährt haufenweise schöne Autos. Es geht hier nicht um Verachtung von Luxus, sondern um Verachtung emanzipierter Lebensstile von Leuten, für die aus reaktionär-arabischer Sicht keine Emanzipation vorgesehen ist.
Den Entschuldigunsversuch deiner Freundin halte ich auch nicht für überzeugend. Was soll denn an übelster antisemitischer Anmache zu entschuldigen sein? Wem die Miete erhöht wird, darf antisemitisch sein? Wir sind nicht im Gazastreifen.
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@"Was soll denn an übelster antisemitischer Anmache zu entschuldigen sein?" ---- Der Punkt ist, dass die Anmacher keine Ahnung hatten, dass die Frau Jüdin ist, sie wusste aber, dass das Muslime und mutmaßlich Araber sind und nahm die Anmache daher als Antisemitismus wahr.
Der Logik nach müssten aber auch die Kübel- und Yuppies-verpisst-euch-Aktionen von Klasse gegen Klasse Antisemitismus sein.
Ich möchte jetzt bitte weder dem Antideutschtum das Wort reden noch bestreiten, dass die Jungs da möglicherweise antisemitische Klischees im Kopf haben, aber beim Zustandekommen der konkreten Situation spielte das keine Rolle.
Was übrigens auf diverse Bloggerkonflikte umstandslos zu übertragen wäre.
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Bonze: Eben nicht, würde ich sagen. Eine S-Klasse kostet ungleich mehr als die Krokotasche, das ist aber kein Problem. Es geht darum, dass diese Art von Luxus ein individuelles Bewusstsein dieser Frau ausdrückt, gegen das diese Leute sich aussprechen. Wenn ein Araber mit einem 1000-Euro-Anzug und einer Rolex daneben steht, fallen die Beschimpfungen aus, vermute ich. Nix Bonze.
Aber, wie gesagt: Das sind immer diese Geschichten, bei denen die Betroffenen sich nicht äußern. So wie über Lantzsch diskutiert wird ohne ihr Beisein (weil sie nie dabei ist) und über RS ohne deren Beisein.
Andererseits könnte man auch der Jüdin Naivität zusprechen. In San Francisco kann die auch nicht überall mit Krokotasche rumlaufen.
Ach, man sollte zu solch ungefähren Stories gar nichts sagen.
Das Rarmachen (das noch nebenbei) bietet die Möglichkeit einer Art Mythologisierung der Betroffenen. Sie sagen nichts und machen ihren Zustand bzw. ihre Außenwirkung interessanter. Zerreden kennt diese Gesellschaft mittlerweile zu gut, das ist anstrengend und langweilig zugleich.
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Dass das sexistisch war, darüber brauchen wir nicht zu streiten, und ich maße mir auch nicht an, einer Jüdin darüber etwas erzählen zu wollen, was Antisemitismus ist und was nicht, trotzdem gibt es Grauzonen, und gerade die finde ich interessant.
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Welches Geschlecht oder Religion der- oder diejenige dann dazu mit sich herumträgt ist eher sekundär. Ist aber natürlich ganz praktisch um eine Opferkarte auszuspielen.
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(und ja: genau sowas kann passieren, in Berlin, wenn ein paar verblödete, mit Testosteron übersättigte arabische Jugendliche auf ihre Weise rumprollen, ihre Männlichkeit damit beweisen bzw. ihr "Revier verteidigen" - nur eben, dass der Hass auf Juden nicht zu entschuldigen ist, auch nicht mit Krokoledertaschen usw.)
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Kann man das am Verhalten ablesen?
Antisemitismus schließ ich mal aus, aber ich würde eher noch Genovas Einschätzung zustimmen.....
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Bekenne mich schuldig. Mein ich ganz ernst.
Antideutschtum ist bullshit, aber ich kann nicht verleugnen, dass gewisse Argumente aus der Richtung was bei mir zum Klingen bringen.
Vorgeschichte:
Mein Bruder hat die Hauptschule besucht. Ein Großteil seiner Freunde waren Türken. Heute ist er Antisemit und ich glaube einfach nicht, dass es da keinen Zusammenhang gibt. Natürlich wird sowas begünstigt von urdeutschen antisemitischen Strukturen, auch aus der Familie. O-Ton meines Vaters: "Naja, die Juden waren schon immer hinter dem Geld her."
Aber in die Kerbe schlägt ein Israeli, den ich kenne genauso. Das macht es nicht besser, aber die Schiene ist nochmal was anderes als religiös eingefärbter Antisemitismus Richtung "Teufelsanbeter, Kindesmörder"... Mein Bruder hat sich auf dem Level prima mit meinem Cousin unterhalten können, der mittlerweile zum waschechten Neo-Nazi mutiert ist.
Der Exkurs hatte nichts mit dem Thema zu tun, sorry. Denn eigentlich glaub ich ja bei der geschilderten Situation tatsächlich nicht an Antisemitismus, aber hauptsächlich, weil das "jüdisch sein" ja nicht sichtbar ist.
Aber ein Großteil der Deklassierten (egal übrigens ob arabisch- türkischstämmig oder nicht) verharrt doch leider in sexistischen Strukturen und rennt nicht zum Antifa-Treffen. Deshalb befürchte ich eher diesen Hintergrund, ich mag mich irren. Es wäre wünschenswert, dass ich mich irre.
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Aber da waren bei mir vermutlich tatsächlich islamophobe Reflexe im Spiel. Ich muss dringend mehr linke Muslims kennenlernen im Real Life. Aber da muss ich allgemein mehr Linke kennenlernen. ;-)
Zu der SA-Geschichte:
Die Amis sind echt krass in ihrer "Freie-Meinungsäußerungs-Schiene"! Das der so zur Schule gehen darf. Aber da gilt das brennende Kreuz ja auch z.T. als Meinungsäußerung, oder?
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http://www.amazon.de/%C2%BBEin-nasser-besser-trockener-Jude%C2%AB/dp/3423247975
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Das viele Amis denken, dass die Deutschen alle mit Scheitel rumrennen und den ganzen Tag Kraftwerk und Rammstein hören, hab ich auch mal vernommen. Die Bösen im ersten "Stirb Langsam" sind im Original auch Deutsche, glaub ich.
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Dazu müsste man vielleicht auch im Detail wissen, wie die verbale Auseinandersetzung vor sich ging, also, was genau gesagt wurde.
Vielleicht war es ja wirklich so, dass die Dame als "antisemitisch" bereits empfand, dass sie überhaupt beschimpft wurde.
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Auch die Beschäftigung mit "Critical Whiteness" hilft da wenig.
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Im übrigen, da ja manche sich fragen, wie man Jüdinnen von Nicht-Jüdinnen unterscheiden kann: Wie sehen arabische Migranten aus? Ich dachte immer, Araber sehen aus wie Juden, und benehmen sich auch so, z.B. schächten sie auf entsetzliche Weise ihr Vieh.
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Inhalte sehr analog zu dem sind was hier abgeht: Es dreht sich nicht um Antisemitismus. Eine vorurteilsgeladene Amifrau hat etwas falsch interpretiert. Und dann gehen Reaktionen ab, die alle Beteiligten erstmal in den dumpfen Islamhasserblock schicken. Die schönen Schlenker, in die der Beitrag sonst noch hätte führen können wurden nicht beachtet. Schönen Gruß
Lady Shalimar
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So dumm dürfen nicht mal Amis sein.
Netbitch,
von Islamhasserei hat hier niemand geredet, ich sehe auch keinen dumpfen Islamhasserblock. Der von che geschilderte Sachverhalt war folgender:
"die Amerikanerin kam. Und nach kurzer Zeit erzählte sie meiner Freundin sehr konsterniert, sie wäre in übelst antisemitischer Art von drei arabisch aussehenden Jugendlichen angepöbelt worden, sie sollte sich verpissen und hätte in Kreuzberg nichts verloren."
Drei Jungs gegen eine Frau, übelste Anmache, vermutlich verbunden mit Angst vor gewalttätigen Übergriffen, dazu in einer fremden Stadt, in einer fremden Sprache. Ein komplettes Scheißverhalten dieser drei Typen. Meine Vermutung ist da in der Tat, dass das drei dämliche türkische oder arabische Machos waren, die sich für die Krone der Schöpfung halten und die Frau hat die Klappe zu halten, schon gar nicht einen eigenen Willen zu haben.
Solche Steinzeit-Typen gibt es genug, vermutlich hat es auch etwas mit der konservativen Auslegung des Korans zu tun.
Man kann diese Leute Modernisierungsverlierer und unterprivilegiert nennen, sicher richtig, aber ihr Verhalten dieser Frau gegenüber ist trotzdem das letzte.
Und es ist verharmlosend, wenn du schreibst:
"Eine vorurteilsgeladene Amifrau hat etwas falsch interpretiert. Und dann gehen Reaktionen ab, die alle Beteiligten erstmal in den dumpfen Islamhasserblock schicken."
Sie hat nicht einfach etwas falsch interpretiert, sondern ist massiv bedroht worden. Vermutlich von Leuten, denen man auch Gewaltanwendung zutraut. Das hängt vermutlich mit dem extrem patriarchalen Weltbild solcher Leute zusammen. Kein Problem mit Luxus, aber große Probleme mit emanzipierten Verhalten von Personen, für die Emanzipation nicht vorgesehen ist.
Nix Islamhasserblock, aber Kritik an arabischen Machodeppen.
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http://de.wikipedia.org/wiki/Rashomon_%E2%80%93_Das_Lustw%C3%A4ldchen
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Btw, das Reizwort Araber erzeugt beim Kommentatorenkreis ja so einige Reaktionen, oder soll ich bedingte Reflexe sagen die ganz aufschlussreich sind. Wer sagt denn eigentlich, dass es sich bei den Dreien um islamisch geprägte junge Männer handelt und nicht um migrantische Antifas, die es in diesem Teil Kreuzbergs halt auch gibt? Ich meine, ich kann die Frage selber nicht beantworten, aber sowohl die Gastgeberin der Kalifornierin als auch ich dachten bei der Geschichte zuerst an die Klasse-gegen-Klasse-Kampagne, bei der in neu eröffnete Feinschmeckerlokale in Kreuzberg Güllefässer in die Schankräume entleert wurden, um auf Gentrifizierung mit Yuppievertreibung zu reagieren.
Der Kontext schien uns naheliegend, nicht der "arabische Machos machen selbstbewusste Frau fertig" (die übrigens auch eine PoC ist). Wobei ich allerdings auch nicht ausschließen mag, dass das da mit reinspielte.
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Patriarchat: Das ist eine höchst ehrenhafte Sache. So wird das im erwähnten japanische Film auch dargestellt. Darin geht es auch um Ehre, Moral: Da wird ein Mord verübt. Ein jede bei dieser Tat in Zusammenhang stehende Person bewertet diese Tat aus dem Blickwinkel höherer, ehrenwerter Motive. Mord & Totschlag, Lüge und Verrat müssen sein, wegen höherer Prinzipien, und zur Erlangung und Bewahrung von Gesicht, Ruhm & Ehre. Gehenkt wird zum Schluß der Außenseiter, einer der von der Gesellschaft abgeschieden an einem unheimlichen Ort im Wald lebt, und als Wegelagerer sein Dasein fristet, und der, "der Bandit" genannt wird. Seine animalischen Bedürfnisse gelten als unwürdig, als niedriges Motiv. So etwas wie Ehre kann er nicht anführen. Ein sehr interessantes Sujet! Ich stelle mir jetzt dabei arabisch-migrantische Jugendliche vor.
Patriarchat dagegen hat mit Verantwortungsbewußtsein, Ehre und Anstand zu tun. Thomas Buddenbrook hat zum Beispiel seine Schwester an einen Geschäftsmann verkuppelt, von dem er sich eine gute Partie erhoffte. Und dann, als sich herausstellte, daß jener Geschäftsmann bankrott war und der sich auf Buddenbrooks Kosten saniereren wollte, wurde die Ehe wieder geschieden. Die Hausbank jenes Geschäftsmannes hat Buddenbrook auch angeschwindelt. Die hat wohl gehofft, den Kredit an den Geschäftsmann aus dem Feuer zu bergen zu können. Das alles ist ehrwürdig und anständig. Besonders bemerkenswert ist die Tugendhaftigkeit besagter Schwester, deren Opferbereitschaft sich darin zeigte, daß sie ihre persönlichen Bedürfnisse zugunsten einer großen, edlen Sache zurückstellte. Das ist Patriarchat, und nicht, wenn junge Leute den Mädels hinterherlaufen.
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Abgesehen davon, dass ich den Roman nicht unbedingt zur Grundlage politischer Idealvorstellungen machen würde:
Es lässt sich bestens streiten darüber, erstens,
ob klassizistische Heiratspolitiken mit "Anstand" zu tun haben - oder den Hintergrund haben dass damit das Großbürgertum Machtsicherung betreibt, zweitens,
ob das buddenbrooksche Kuppel-Patriarchat tatsächlich an den Interessen von Frauen orientiert ist.
Witzig kann man allerdings finden, dass bestimmte gesellschaftliche Schichten in Sachen Heirat heutzutage eine Art "Rückkehr zu den Buddenbrooks" betreiben. So gehört dergleichen Heiratspollitik inzwischen in Managereliten, beim besseren Unternehmernachwuchs, aber auch im führenden Beamtentum "zum guten Ton". Mitten dabei in dieser Gemengenlage: Der liebe deutsche Adel, sofern vermögend.
Zum Kotzen.
Eine Überlegung dazu: Refeudalisierungstendenzen sind evtl. der Preis dafür, dass es in der Bundesrepublik in den letzten 30 Jahren deutlich zu wenig aufbegehrenden Klassenkampf gab.
(was übrigens auch zur sehr grundsätzlichen Frage führt, was von "linken" Gruppen zu halten ist, welche sich der Klassenfrage praktisch vollständig verweigern)
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Da laufen nicht erstens Leute sondern Kerlinger, und auch nicht nur jungen Frauen hinterher (Mädels ist mit 18 abgeschlossen), sondern das Nachlaufen ist mit einem Bedrohungszusammenhang verbunden. Hatte Che eigentlich gut dargestellt. Wenn mir Männer nachlaufen weil sie mich toll finden, immer gerne. Aber es geht hier ja mehr um ein Nachlaufen unter der Verdachtsvermutung, vergewaltigen oder Ähnliches, meinethalben davor Liegendes tun zu wollen. Mistverständnisse aufzudröseln ist da recht gut, bewaffnete weibliche Gegenwehr, wenn die Bedrohung ernst gemeint ist aber genauso. Wobei ich mit sowas ja ganz anders umgehe als die Frauen, die ich in der Bloggerei so lese. Wenn mir ein Mann nachpfeift rufe ich laut, dass alle es auf 50 Meter verstehen können "Ich weiß selber, dass ich nen schönen Arsch habe, niemand muss mich aufmerksam machen." Das hilft echt.
Stock benutzt habe ich aber auch schon.
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schreibt ein Mensch namens Christian Baron in der neuen Konkret über Klassismus innerhalb der Linken, gut und auch als "Betroffener". http://www.konkret-magazin.de/hefte/aktuelles-heft/articles/zu-hoch-fuer-dich.html
Gegen Ende kommt er allerdings zu dem Schluß - so versteh ich ihn- daß die "einzig wirklich gesellschaftlich relevanten Konfliktlinie zwischen Arm und Reich (sei)".
Er sagt auch, daß "Klassismus Menschen jeden Geschlechts, jeder Hautfarbe, jeder Herkunft, jeder Religion und jeden Alters gleichermaßen betreffen kann".
Neee...also doch die Theorie vom Hauptwiderspruch? Schade.
Was kann so schwer am Verständnis des Ineinandergreifens verschiedener Unterdrückungsmechanismen -komplex, sogar widersprüchlich- sein?
Die ewige Sehnsucht nach den einfachen Antworten und billigen Schablonen. Auch an der antikapitalistischen Front. Und so hauen alle aufeinander ein: Meins ist wichtiger! Wir zuerst! Du gehörst zu den Bösen! bei uns ging es länger! Bei uns dafür schlimmer! Check erstmal deine Sprache! Alles Nebenwidersprüche!
Was Du letzt schriebst, Fu-twin, von der "Mitte", ist ja richtig. Es klingt nur so nach Mäßigung, Langeweile und Ausgleich. Für mich ist es angesichts dieser Absolutheits-Zumutungen der Superentschlossenen allerdings der deutlich radikalere Weg: Zuhören, wechselseitig wertschätzender Umgang (@Dean), Respekt, keine Vorverurteilungen, und von sich selbst als Zentrum der Welt abrücken. Dabei trotzdem ganz klar sein und Dinge benennen, schwammig gesagt.
@Netbitch: Daumen hoch!
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Selbstverständlich gibt es in einer Gesellschaft weit mehr Konfliktlinien als "nur" die Klassenfrage. Wenn Christian Baron unter Klassenfrage dann auch nur den Gegensatz zwischen "Arm und Reich" versteht, ist das in meinen Augen eine weitere Verkürzung.
Das Leben des Einzelnen mag von den unterschiedlichsten Dingen geprägt sein, und die Lebensqualität in der Gesellschaft (als quasi positive Formulierung politischer Forderungen) ist sicher nicht einzig das Resultat dessen, dass "die Klassenfrage" so einigermaßen im Lot beantwortet ist.
(dazu zählen z.B. Freundschaft, Partnerschaft, Gesundheit, technischer Fortschritt, Wohnsituation, Arbeitsbedingungen, allgemeine Wahlmöglichkeiten im Leben, Lebenspläne, die innere Freiheit und ggf. sogar die Versorgung mit treuen Haustieren - und dies alles vermutlich sogar deutlich mehr, als es sich viele Politaktivisten eingestehen würden)
Trotzdem würde ich behaupten, so alles in allem, dass die Klassenfrage (allgemeiner formuliert: die soziale Frage) - und damit nicht zu knapp verkoppelt auch die Fragen des sozioökonomischen Systems - sehr wesentliche Fragestellungen sind.
Und (etwas zu sehr) auf den Punkt formuliert bedeutet Linkssein immer auch, sich der Klassenfrage bewusst zu sein.
Selbstverständlich ist es gut, wenn es Menschen gibt, die einen Schwerpunkt ihrer politischen Arbeit den Bürgerrechten widmen, dem Umgang mit Geflüchteten, der Lage der Geschlechter (ob nun akademisch anspruchsvoll mit akademisch auswendig gelerntem Butler-ismus - oder auf andere Weise, die für mehr Wahlfreiheiten und Fairness sorgt), dem Gesundheitssystem, den ökologischen Rahmenbedingungen - oder den System- und Ordnungsbedingungen im Rahmen marktwirtschaftlicher ökonomischer Organisation (das wären dann z.B. so Ordolinke wie ich) usw. usf.
Denn nur die Klassenfrage: Das wäre sicher zu wenig.
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"Sich der Klassenfrage bewußt zu sein" würde mir nicht reichen, sondern wie ich den Baron schon zitierte, hoffe ich auf viel verbreiteteres "antikapitalistisches Begehren und Verlangen nach Sozialismus".
Deswegen geht mir die MM immer auf den Kopf, die für sich ein sonnensystemgroßes Bewußtsein reklamieren, bei denen aber die Klassenfrage nur am Rande vorkommt. Vielleicht genau aus dem Grund, den Baron anklagt: der Vorwurf, als bildungsbürgerliche Elite neue Ausschlüsse zu produzieren, besonders qua Sprache, kommt halt der Wahrheit zu nahe und provoziert wütende Abwehr. Auch Momo will sich ja seine Schreib- und Ausrucksweise nicht nehmen lassen, sondern er schreibe einfach so, fertig. Mit critical Bildung ist da nichts.
Umso blöder ist es dannn, wenn Vertreter der Klassenfrage genau dieselbe Brille aufhaben! Zu behaupten, daß Klassismus Menschen jeden Geschlechts gleichermaßen betreffen kann, wenn Frauen weltweit zehn Prozent des weltweiten Einkommens erhalten und nur ein Prozent des Eigentums besitzen (http://www.welt.de/wirtschaft/article8185028/Frauen-erledigen-zwei-Drittel-der-Arbeit-weltweit.html), ist einfach ein Rückschritt und Schlag ins Gesicht von Feministinnen.
ät Sozi: Ich lese die immer nur, ohne Geld dafür zu zahlen. Ich nehme einige gute Artikel und Polemiken mit und kann den Antideutschen-Scheiß mittlerweile überlesen, es lohnt die Aufregung nicht.
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Was Momo angeht: Der hängt drin in einer Binnenperspektive als marginalisierter Schwuler, aus der er Alles sieht. Da wird dann aus der Tatsache, dass der sozialrevolutionäre und extrem linke Autor Detlev Hartmann schrieb, heutige Management-Eliten würden sich nicht mehr konservativ-bieder zeigen, sondern hätten einen Lebensentwurf, bei dem periodisches Sich-Selbst-neu-erfinden im Sinne von trendy und gadgetorientiert sein im Vordergrund stehe (exemplifiziert z. B. an Google und Apple) ein homophober Angriff, da negative Bezugnahme auf Sich-Selbst-neu-erfinden ein "Tritt in die Fresse jeder Transe" sei. Dass der Begriff in Management- und McKinsey-Kreisen völlig anders benutzt wird, empirisch nachweisbar erscheint bei ihm als heteronormative Umdeutung schwuler Perspektiven.
Als ich auf einer Bergtour eine Großfamilie Murmeltiere, was für einen Tierfotografen seltenes Glück ist, beim kollektiven Geschlechtsverkehr fotografierte und das mit süffisantem Kommentar zum falschen Natur-Unschuldsbegriff der Romantik ins Blog stellte schrub er dazu, in der Theorie sei ich ja queer, in der Praxis nicht, und meine Verunsicherung durch Schwulität müsste ich durch Viechervergleiche kompensieren. Wann immer ich selber oder Leute auf meinem Blog darauf hinwiesen, dass er da Dinge zusammenassozierte, die nichts miteinander zu tun haben nahm er das als heteronormative Umerziehungsversuche wahr. Bis hin zum Einordnen der verschiedenen Kritiken am Verhalten von RS auf dem Nobordercamp in die Auseinandersetzungen auf unseren Blogs und rund um MM, aus denen er dann ableitete, es gäbe eine antifeministische und gegen PoC-Perspektiven gerichtete Kampagne von Altlinken, die sich gegen MM und vor allem Noah Sow zusammenrotte. Wie schon gesagt: Komplexitätsreduktion mit der Stichsäge.
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Maskulinismus wäre es, wenn ich von einer Weiberherrschaft fabulieren würde, und das Wirken gesellschaftlicher Normen bestreiten würde.
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Ja, der Klassismus, das ist ja auch gerade so ein Thema in "der Blase".
Da versuche ich auch eine mittlere Position einzunehmen, zwischen Kommunisten, die die Klassenfrage als das Nonplusultra wahrnehmen, Deklassierten aber eigentlich "nur" die "Revolution" als Ausweg anbieten und solchen die mit ihrem Theorieskeptizismus gefährlich nahe an die "Critical Intelligenence" herankommen, die Dean scherzhaft einmal skizziert hat.
Hier das wäre so was halbwegs mittiges (edit: naja eigentlich nicht mittig, aber es zeigt den Frontverlauf auf):
http://sanczny.wordpress.com/2013/04/16/nett-ist-nicht-genug/
(hab ich vermutlich nicht von ungefähr gefunden, weils bei schizoanalyse "geliked" wurde)
Ob eine Sprachkritik eines Andreas Kemper da weiterhilft, weiss ich nicht so recht. By the way: Seine Überlegungen zu Sozialphilosophie fand ich jedoch sehr interessant und nah an meinen eigenen.
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Aber wenns grad mal nicht um irgendwelche Religionen geht, können auch ADe interessantes zustande bringen. Hab letztens sogar bei ca ira einen spannenden Text gefunden.
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Ich weiss, dass du das nicht teilst, aber das steckt so ein bischen da mit drin schätze ich. "Klassismus" hebt eben eher auf die Diskriminierungsdimension ab.
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+1
Wobei ich es bezeichnend finde, dass in bestimmten Kreisen fast nur auf diese Diskriminierungsdimension abgestellt wird. Hat neben dem Import von US-geprägten Diskurskonstellationen wohl auch damit zu tun, dass die mancherorts besonders beliebte Sprachkritik sich eher mit der Diskriminierungsdimension verkoppeln lässt.
(Sprachkritik statt Klassenkampf...)
"Klassismus" ist imho nur ein kleinerer Ausschnitt des Klassengeschehens - und als vorranger Fokus für den politischen Kampf stellt es sogar eine Fehlfokussierung dar.
Kurzum: Eine Klassengesellschaft ist auch ohne allzu deutlich fühlbaren Klassismus eine hässliche Fehlkonstruktion.
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Viel interessanter finde ich da den Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Patriarchat. Wenn der Ausgangspunkt "das Privateigentum" ist, wie sieht dann die sozialistische Perspektive aus? Kein Privateigentum mehr? Halte ich für unrealistisch.
Meiner Meinung nach muss der Zusammenhang eher auf der philosophischen Ebene gesucht werden.
Hierzu HAT Andreas Kemper interessantes geschrieben und zwar hier:
http://andreaskemper.wordpress.com/sozialphilosophie/
Es geht um den Rechts- versus Linksaristotelismus bei Ernst Bloch.
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Wollte man an diesem Dreiwort kritteln, ließe sich ggf. einwenden, dass es sich hier genau genommen nur um den rechtslibertären Radikalismus von Wohlstandsbürgern handelt - und eben nicht um Mitte.
"Radikal" kann fast jede Haltung werden, und die radikalen Queerfeministen von MM & Co sind dies zweifellos - und "liberal" würde ich sie nun nicht gerade nennen, auch dann nicht, wenn sie nun wirklich keinen Deut sozialrevolutionär orientiert sind. Eher im Gegenteil, höchst suspekt erscheinen ihnen z.B. Attac oder bankenkritische Demonstrationen. Im Grunde genommen ist ihnen alles außerhalb ihrer Blase suspekt.
Wer J. Butler nicht bewundert und CWS nicht ins Zentrum des eigenen Weltbild gerückt hat, der gilt dort - nun:
tendenziell als Feind.
Exkurs
...dann sind die teilnehmenden Frauen nicht obdachlos genug, und die teilnehmenden Obdachlosen nicht feministisch genug, die tätige Solidarität mit Geflüchteten nicht linientreu genug. Tja, und die eigene politische, angeblich superbewusste und alle möglichen Diskriminierungen beachtende politische Haltung dient letzten Endes, so scheint es, und zwar nicht zu knapp, dem offenkundig mit viel Lesemühen und auch sonst schwer erarbeiteten Distinktionsgewinn.
Entsolidarisierung mit Heiligenschein.
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Der Kapitalismus kann durchaus ohne Rassismus und Sexismus existieren. Klassismus gehört zwingend zum System, ohne Ausbeutung funktioniert das ganze Ding nicht. Du kannst die Ausbeutung in andere Länder verlagern und hier so tun, als hätten wir einen netten Sozialstaat und jeder hätte seine Chance. Aber das Problem bleibt.
So falsch ist die Nummer mit dem Hauptwiderspruch nicht. Wäre schön, wenn es anders wäre.
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@che: Diese Ansicht äußerte sie zu einem Zeitpunkt, als ein Teil der Feministinnen in der linken Szene in der ich mich da bewegte klassenkämpferische Positionen definitiv ablehnte und schon die Beschäftigung mit Marx als "Mackertum" bezeichnete. Dies war allerdings eine Auseinandersetzung zwischen ökopazifistischen Feministinnen eher linksgrüner Ausrichtung auf der einen und sowohl sozialrevolutionär-linksradikalen gemischten Zusammenhängen als auch Radikalfeministinnen auf der anderen Seite.
Als eine der beteiligten Radikalfeministinnen möchte ich hierzu noch ein paar Sachen ausführen. Das war gerade die zeit, in der Butler in der deutschen Frauen-Lesbenszene erstmals rezipiert wurde (frühe Neunziger), und große Teile dieser Bewegung waren damals theoretisch gesehen ganz katastrophal unterwegs. Außer den Frauen, die Che da beschreibt und die wir "die bürgerliche Frauenbewegung" nannten, das waren vor allem auch solche, die sich in Frauenzentren vor allem deshalb engagierten, weil sie gemerkt hatten, dass sich auf dem Frauenticket Karriere machen lässt gab es eine "altlinke" Fraktion, die noch einen Feminismus vertrat, der an Emma Goldman, Rosa Luxemburg und Engels Ursprung der Familie orientiert war, und gerade in der autonomen Szene sehr viele "Bauchfeministinnen", die es mit Hexenkult und Schwester Mond hatten und so mythologischen Vorstellungen vom Steinzeitmatriarchat und dicken glücklichen Fauen (Venus von Willendorf). Die Bürgerliche Frauenbewegung und die Bauchfeministinnen einte die Tatsache, dass sie wirkliche Ahnung von feministischer Theorie nicht hatten, auch Gender war für die zunächst ein neues Adabei-Modewort, und impilizit vertraten die erschreckend häufig biologistische Vorstellungen: Frauen sozial kompetentere Menschen aufgrund des auf Kinderkriegen und Aufziehens eingestellten Hormonspiegels, Männer tumbe Macker aufgrund ihrer Kriegergene, so Zeugs war durchaus anschlussfähig. Mit der Butler-Debatte kamen auch Foucault und der ganze Dekonstruktivismus, und da waren die Biologistinnen bald weg vom Fenster mit Blick auf den See. Die Dekonstruktivismusdebatte verband auch Feminismus und Antirassismus miteinander, und das war zu der Zeit, als die Flüchtlingswohnheime brannten. Die traditionsmarxistischen älteren Schwestern dockten da auch Kapitalismuskritik an, und in den mir bekannten FrauenLesbenzusammenhängen wurde die Drei-zu-ins-Perspektive mehrheitsfähig. Für mich war das ein Recycling und Revival feministischer Theorie und Praxis, das damals stattfand.
Spannenderweise hieß eines derdamals meistdiskutierte Bücher in der Szene "Frau sein allein ist kein Programm", in dem Ingrid Strobl sich gegen die Bauchfeministinnen wandte.
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Das war ein echter Lacher! Grande!
Aber ich weiß nicht, ob das nicht nur ein Gerücht war, welches sich mittlerweile zu einer echten Legende entwickelt hat …
Netbitch, weißte mehr?
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Was heißt hier "theoretisch ganz katastrophal" denn schon genau?
Solche Phänomene wie dieser Hexen-/Eso-/Mütterlichkeitsbiologismus-Kram hätte es vermutlich auch gegeben, wenn Frauen der 80er Jahre ff statt Simone de Beauvoir J.Butler gelesen hätten.
Es liefen halt andere Themen, Debatten und Diskussionen. Zu erwähnen ist in der damaligen Gemengenlage vielleicht auch ein Flügel der Frauenbewegung, vor allem in den Mittelschichten, die sich vor allem darauf konzentriert haben, inwieweit sie von Männern bzw. dem "patriarchalen System" in ihren Karriereaussichten gebremst werden. So eine Art, mir fehlen da die präzisen Worte, "Karriere-Feminismus" - der es letztlich, in etwas gewandelter Gestalt, bis in die heutige CDU hinein geschafft hat.
Ist es heute denn "theoretisch" wirklich so dermaßen viel besser geworden?
Anfang der 90er Jahre empfand ich die Rezeption von J.Butler (und übrigens vielen anderen Autorinnen - die heute vergessen sind) als hilfreich und geradezu befreiend, weil damit viele eingefahrene, aber mitunter allzu enge Perspektiven gesprengt wurden. Die Diskussion wurde wieder offener.
Mein Eindruck: Inzwischen hat sich das weitgehend erledigt, und ein neuer Dogmatismus weht durch das feministische Lager.
Eine neue Re-Fokussierung auf Freiheit, Selbstbestimmung und Gleichberechtigung von Frauen, ein neues Erkennen, dass das eigene Leben und das Tun darin "das wichtigste Werk" darstellt, und eben nicht die theoretische/dogmatische Durchdringung aller Genderfragen:
Das könnte für bestimmte Teile der aktuellen feministischen bzw. Frauenbewegung ganz hilfreich sein, imho. Hilfreicher jedenfalls als das "Kackscheiße-finden" von Frauenbands, sobald es dort eine einzelne Trägerin von Dreadlocks gibt...
Denn zahlreiche echte Probleme sind nach wie vor ungelöst, und warten noch auf Antworten. Und ob diese mit eifrigem Herumgebutler, ständigen Ausgekotze über das Treiben "weißer männlicher Heten" oder Maximaldosen von CWS bzw. dem Auswendiglernen und Verkünden von radikalfeministischen "101"-Dogmata gelöst werden können, das wage ich ein gutes Stück weit zu bezweifeln.
Übrigens auch, weil vom aktuellen Feminismus eher vernachlässigten Fragen des sozioökonomischen Systems sehr eng mit diesen Problemstellungen verwoben sind. Beispiel: Probleme weltwirtschaftlicher Art, welche die Lage von Frauen in anderen Ländern massiv beeinflussen. Sorry, so sehe ich das halt. Last, but not least: Ob allen Frauen dieser radikale, sprachkritische, theorielastige, "Heteronormativität angreifende", queer-orientierte Feminismus a ´la MM wirklich gerecht wird:
Auch daran lässt sich zweifeln. Und zwar nicht zu knapp...
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“What left neoliberals want is to offer some ‘positive affirmation for the working classes’. They want us to go beyond race to class, but to do so by treating class as if it were race and to start treating the white working class with the same respect we would, say, the Somalis – giving ‘positive value and meaning to both “workingclassness” and ethnic diversity’. Where right neoliberals want us to condemn the culture of the poor, left neoliberals want us to appreciate it.
The great virtue of this debate is that on both sides inequality gets turned into a stigma. That is, once you start redefining the problem of class difference as the problem of class prejudice – once you complete the transformation of race, gender and class into racism, sexism and classism – you no longer have to worry about the redistribution of wealth. You can just fight over whether poor people should be treated with contempt or respect. And while, in human terms, respect seems the right way to go, politically it’s just as empty as contempt.”
http://www.lrb.co.uk/v31/n16/walter-benn-michaels/what-matters
Die Klassismus-Diskussionen lenkt demnach den Blick weg von den realen ökonomischen Verhältnissen auf Diskriminierung, d.h. die Zugehörigkeit zur Unterschicht soll so betrachtet werden wie Hautfarbe oder sexuelle Orientierung, als etwas den Individuen unabhängig von gesellschaftlichen Verhältnissen innewohnendes, dass keinen Anlass zur Diskriminierung bieten darf. Man soll gefälligst die Armen mit Respekt behandeln (ihnen endlich mal „zuhören“).
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Und in diesem Sinne ist Klassismus ein modisches linksliberales Schlagwort.
Den Ausdruck Extremismus der Mitte hat Momorulez übrigens von dem US-Historiker Seymour Martin Lipset geklaut, und der meint damit den Faschismus und Nationalsozialismus. Daran knüpfen sich grundsätzliche Debatten darüber, ob der NS/Faschismus ein Mittelschichtsphänomen oder klassenübergreifend sei und an die erste Hälfte des 20. Jahrhunerts gebunden oder sich wiederholen könne. Das statistische Material mit dem Lipset arbeitete gilt heute als fragwürdig.
http://www.jstor.org/discover/10.2307/3234718?uid=3737864&uid=2129&uid=2&uid=70&uid=4&sid=21101992047143
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Kennt ihr das schon? Ist so ein Rundumschlag, der fast alle *ismen von der kapitallogik her begründet.
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http://www.marxists.org/deutsch/archiv/marx-engels/1848/manifest/1-bourprol.htm
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Dem Begriff wie der Wirklichkeit nach agiert das Kapital je schon biopolitisch, und zwar unabhängig davon, ob der Staat empirisch-gesetzgeberische Biopolitik betreibt oder nicht.
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"Arbeit – als das hauptsächliche Sozialisationsmodell im Kapitalismus – hört zu bestehen auf. Die Institutionen im Kapitalismus wurden eingerichtet, um die Mobilisierung des durchschnittlich begabten Menschen zur Teilnahme an entfremdeter Arbeit sicherzustellen, also an Tätigkeiten, die von den individuellen Absichten getrennt, aber das einzige Mittel zum Überleben für die Habenichtse sind. Mobilisierung und Zwang haben diesen Zweck unter legal und juristisch gleichen Bürgern bedient, wobei sie Nischen von Subsistenz, Handwerk, unabhängigen Höfen und so weiter zerstörten. In der klassischen bürgerlichen Gesellschaft haben die Leute ihr Leben in Institutionen verbracht: Schule, Armee, Kirche, Verein, Gewerkschaft, Massenpartei, Sportklubs, organisierte Freizeitaktivitäten, kommerzielle Popkultur, Boulevardpresse und Radio, Fangruppen, Nationen, Familien und so weiter. Kollektive Mitgliedschaft in staatlichen und zivilgesellschaftlichen Institutionen war vorrangig. Dieser institutionelle Charakter des fordistischen Kapitalismus wurde weggefegt, in Stücke geschlagen durch die schwindende Nachfrage nach Beschäftigten."
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Postfordismus bedeutet Entgarantierung und Prekarisierung, auch Verlagerung von Arbeitsplätzen im Weltmaßstab, aber nicht die Abschaffung von Arbeit. Hierzulande werden keine Magnetspulen mehr gewickelt, dafür befinden sich die für strategische Planung zuständigen Abteilungen selbst indischer Unternehmen zum Teil in Deutschland. Es hat niemals so viele Menschen im Dienstleistungsbereich gegeben wie heute, und immer mehr Menschen werden nicht im Angestelltenverhältnis beschäftigt, sondern als Freie HandelsvertreterInnen nach HGB 84, mitnter sogar aus dem Angestelltenverhältnis entlassen und als Selbstständige wieder eingestellt. Neben der Erosion institutioneller Bindungen an Vereine, Gewerkschaften, Kirchen usw. entstehen neue Formen der Assoziierung, z.B. Webcommunities, es werden schon Stellen über Xing ausgeschrieben. Aufgabe der Linken wäre es, innerhalb der sich neu zusammensetzenden Unterklasse proletarische Zirkel zu formen, die die Interesses der Prekarisierten und Marginalisierten in erster Person organisieren. Wie das gehen kann wird in Ägypten, Israel, Spanien, Portugal gerade vorgemacht, und wie faschistisch ein Staat darauf reagieren kann in Griechenland.
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http://distels.wordpress.com/2013/05/02/schnaps-zur-hand/
mit der dort vertretenen Hochmoral und Formulierungsfixiertheit gar nichts anfangen können, sondern mit der eigenen Diskriminierung eher mit einem very black humor reagieren, der sich so zwischen jüdischem Witz, Borat und Titanic bewegt. Wie gesagt: Ganz subjektive eigene Erfahrung, ich weiß überhaupt nicht, ob sich das verallgemeinern lässt. Aber da sind bei mir Bilder im Kopf wie KurdInnen, die bei einer gegen sie gerichteten Polizeiaktion um einen Streifenwagen tanzen, in die Hände klatschen und "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!" rufen oder ein Kurde, der weggeworfenen Döner auf einen Teller schabt und auf meine Frage, was er damit machen wolle erwidert: "Ich bekomme Besuch von einem Kurden. Man sagt, Kurden ließen alles mit sich machen. Das will ich jetzt testen. Außerdem sagt man, wir Kurden seien die Juden von heute. Und da muss man ja Menschenversuche machen." Tatsächlich war der Döner für seinen Hund. Oder jemand, der, wie ich erst später erfuhr, wegen der Schmerzen aufgrund eines nicht ohne Gelenkzerstörung operablen Minensplitters in seinem Knie ständig umherläuft, weil sein Gelenk nur in warmem, d. h. bewegten Zustand schmerzfrei ist auf meine Frage "Azad, warum läufst Du ständig umher?" erwiderte "So ist der Flüchtling, immer am Flüchten!"
Dieser sehr spezielle Humor war für mich absolut prägend, und nach existenziell heftigen Erfahrungen mit diesen Leuten, die übrigens jede Nacht von bombenwerfenden und MK-feuernden Hubschraubern träumen und mir Stories erzählen über die Frage "Coca oder Pepsi?", was die Frage meint, welche Flasche ihnen in den Arsch gerammt werden soll beim Verhör in dem Raum über dessen Eingang steht "Hier ist Gott (Allah) nicht" bevor sie auf die Herdplatte gesetzt werden, nach diesen Erfahrungen konnte ich über diesen Humor tatsächlich lachen.
Wobei das Leute sind, die auf Saddams Hubschrauber RPG 7 http://de.wikipedia.org/wiki/RPG-7 abgefeuert haben und Panzerforts gesprengt haben. Und da finde ich dann Triggerwarnungen über bestimmte Formulierungen einfach blöd. Mir wurde mal unterstellt, ich würde paternalistisch gequälte und marginalisierte Flüchtlinge fördern und unterstützen, könnte aber keine PoC auf Augenhöhe aushalten. Tatsächlich war mein Verhältnis zu den Gequälten eher Bewunderung und Vorbildfunktion (große Vorbilder in meiner Jugend: Said Soltanpur, Samad Berangi und Marzia Ahmadi Ozkoii ), und gerade meine kurdischen und nigerianschen GenossInnen trieben mir das aus. Die Augenhöhe erreichten wir, als die mir klarmachten, dass FreundInnen im Herzen der imperialistischen Bestie das Beste sein, das sie haben könnten und dass ich bitteschön mir kein schlechtes Gewissen machen sollte, weil ich ihr Leid nicht erlebt habe. Einige von denen betrachten sich heute als deutsche Antifas, die im Irak geboren wurden und können mit den Auseinandersetzungen im Irak nichts mehr anfangen.
Und eine schwarze Genossin, die früher mal in einer Peep-Show gearbeitet hatte, dann studierte und heute Journalistin ist begrüßt mich am Telefon krähend immer mit: "Die Negerin will nur das Eine!"
Das ist so die die Hardcore-antirassistische, derb-ironische, antimoralinsaure Welt, in der ich mich bewege.
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Dabei geht es ihr nur um eine bessere, lebenswertere Welt.
@ Qwertzu
Normalerweise geht es ja mir so, wenn ich deine Kommentare lese. Dieser "Aha-Effekt" halt. Jedenfalls lese ich dich total gern.
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Lebensziel: Milliardärs-Konkubine.
Na, wie sieht die Diskussion jetzt aus?
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