Sonntag, 1. September 2013
Obama am Scheideweg
Wem soll mensch jetzt eigentlich noch glauben? Stimmen die Informationen über den Giftgaseinsatz des ohne jeden Zweifel mörderischen und faschistischen Assad-Regimes oder ist Obama dabei, alle Fehler von George W. Bush zu wiederholen? Im schlimmsten Fall klärt er unfreiwillig auf, in diesem Sinne: Es ist egal, ob ein US-Präsident schwarz ist und früher Bürgerrechtler war, es ist die Aufgabe eines US-Präsidenten, imperialistische Politik zu exekutieren. Falls das zuträfe wäre es zumindest ein Lehrstück, was die bürgerliche Dämokratie unterm Spätkapitalismus wert ist.

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Obama möchte aus der Nummer raus und ruft den Kongress an. Wenn der ihm den Gefallen tut und einen Krieg ablehnt, hat Obama erst recht ein Problem. Inkompetente Diplomaten, militärisch eine Witzfigur, Schulden, die durch die Decke gehen. Und die Washington Post bastelt schon an Snowdengate.

Bleibt also nur noch Fronkreisch. Falls Obama nicht darf.

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dass Obama jetzt zuerst den Kongress anrufen will, zeigt - in meinen Augen jedenfalls - ,dass Obama eben doch nicht Bush ist. Warnungen vor überallzueifriger Euphorie bei dessen Wahl, schließlich wird Obama letztlich ebenso auf der Nase des Industriell-Militärischen Komplexes herumtanzen, haben sich zwar bewahrheitet, no wonder, aber wenigstens ein kleiner Aufschub, und bei mir kommt dann doch diese Botschaft an, dass Obama doch nicht Bush ist.

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Gesucht: Ein Ausweg
Obama ist ein sicherheitspolitischer Falke. Mit seiner letzten Syrien-Rede ("Amerika ist in Gefahr") hat er allerdings sogar innerhalb der politischen Öffentlichkeit der USA massives Gelächter ausgelöst. Man könnte es als "eleganten" Weg betrachten, einerseits den eigenen Eskalationsforderungen zu entkommen, andererseits für diesen kurzentschlossenen außenpolitischen Schwenk dann auch noch den in weiten Teilen Amerikas sehr verhassten Kongress dafür verantwortlich zu machen.

Lachhaft, eigentlich. Immerhin stoppt das aktuelle politische Manöver von Obama die neuerliche Fluchtwelle in Syrien. Es hat, trotz aller Absurdität, einige gute Seiten. Einerseite wird das Zerreißen von vielen tausend syrischen Familien (via Flucht) verhindert, andererseits könnte damit der Weg in eine De-Militarisierung der USA und in Richtung "Parlamentsarmee" gebahnt werden.

Ich glaube aber nicht, dass beide Effekte für das Kalkül von Obama irgend eine Rolle spielen.

Einen Ausweg für Syrien sehe ich allerdings weder in der Machtübernahme von wahabitischen Islamisten und "Kämpfern" (die teils sogar von US-Geldern finanziert werden - überwiegend aber von den VAE und Saudi-Arabien), noch in einem endlosen Bürgerkrieg.

Ein hässliches Problem ist nämlich unter anderen, dass erhebliche Teile der syrischen Mehrheitsbevölkerung (ca. 20 Prozent innerhalb der rund 70-prozentigen sunnitischen Bevökerung) als wichtigstes politisches Vorhaben die restlose Auslöschung aller Alawiten auf dem Programm haben.

Was wiederum von Al-Kaida (dem tatsächlichen Lieblingsverbündeten der US-Amerikaner im schmutzigen syrischen Bürgerkrieg) und anderen islamistischen Kräften mit Begeisterung - und zahlreichen Waffen aus NATO-Beständen - umgesetzt werden würde.

Zwickmühle: Weder die Absetzung der Assad-Clique, noch deren Weiterregieren in Syrien bieten eine Aussicht auf Frieden. Von Demokratie noch garnicht zu sprechen...

Ich fordere eine internationale Friedenskonferenz!

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Daß 70% der syrischen Bevölkerung einen Völkermord planen, halte ich für ein Gerücht. In diesem Land leben ja nicht nur Alawiten sondern auch Kurden, Armenier, Aramäer, Tscherkessen, die auch nicht von einer fairen Behandlung durch islamistische Sieger ausgehen können, und viele andere Volksgruppen. Aber auf diese 70% kommt es ja sowieso nicht an.

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che, der kriegsgeile Zeitungsleser
Hier lies mal!

Demokratie, Menschenrechte wären in diesem Zusammenhang unwichtig, wenn es hier nur darum geht, die militärische Niederlage saudischer und qatarischer Söldner zu verhindern. Leider wohne ich im sicheren aber kriegsgeilen, und daher voreingenommenen, imperialistischen Deutschland zu weit weg vom Krisenherd, um die Situation nach ausschließlich macchiavellistischen Grundsätzen, d.h. also realistisch einschätzen zu können, d.h. unter Einbezug aller weltpolitischen Interessen und ohne moralische Erpressung biederer blöder Zeitungsleser. Daher halte ich mich zurück.

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Ich kapier an diesem Punkt wirklich nicht, was diese Supermacht-Folklore von den USA und auch Russland eigentlich noch soll.
In Lateinamerika funktioniert die good old splendid isolation doch völlig im Sinne der USA: Die bolivianische Armee fackelt Koka-Laboratorien ab wie nie, Chevron erhält (aus ihrer Sicht) Super Verträge für Ölborungen in der Cuenca de Orinoco, weil PVDSA einfach kein Kapital hat, Ecuador bezahlt Stipendium für ihre Streber an den US-Elite-Unis und chinesisches Geld will in Nicaragua einen zweiten Kanal bauen.
Warum dieses Win-Win Modell nicht einfach auf den Mittleren Osten übertragen?
Wenn die auf dem Niveau des Iran/Irak-Kriegs gelangen und Giftgas einsetzen, kann man eigentlich nur hoffen, dass dies zu einer katharsischen Gegenbewegung in der Region selbst führt. Müssen wir-der-Westen denen mit Bombardierung erklären, dass Giftgas-Einsatz eine schlechte Idee ist?

Lemmys Vorletztes Gesetz im Projekt Survival Kit: Wenn die vorhersehbaren Ripple Effects von Änderungen in Systemen zu vielschichtig werden, gelten auf projekt-politischer Ebene die Lehren von Clausewitz und Sunzu: Freundlich gucken, zynisch denken, 'Redemption Songs' auf dem Kopfhöhrer und sich darum bemühen, die größtmögliche Koalition zu bilden. Wenn da wenige mitmachen, hat man es mit erwiesen dummen Menschen zu tun. Und als Söldner, d.h. auf Zeit und Material bezahlt... Alles andere geht sowieso nach hinten los und die Schuld haben unter diesen nicht normalen Bedingungen immer die Aktionisten. Leider sind die meisten Menschen so schwach, dass sie unter eben diesen Bedingungen eifrigst nach einem Sündenbock Ausschau halten...

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Und der Sündenbock heißt Jude, Alauwit oder Druse. Bleibt die Hoffnung, dass die soziale Bewegung, die in Tunesien und Ägypten ihren Anfang nahm bei ihren Wurzeln bleibt bzw. dahin zurückfindet.

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Ich finde diese ständige implizite Annahme, Schwarze müssten von Natur aus progressive Positionen im Sinne der Linken vertreten, höchst naiv.

Schwarze Intellektuelle in den USA sehen Obama sehr kritisch:

http://muse.jhu.edu/journals/nlf/summary/v019/19.3.reed.html

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Meine Vermutung wäre, dass al-Qaida das Giftgas eingesetzt hat. Das macht für die am meisten Sinn. Es war ja davon auszugehen, dass die USA "chirurgisch" vorgehen würden, was den Islamisten helfen würde.

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"Wenn die auf dem Niveau des Iran/Irak-Kriegs gelangen und Giftgas einsetzen, kann man eigentlich nur hoffen, dass dies zu einer katharsischen Gegenbewegung in der Region selbst führt."

@ Lemmy Caution

Gründe für eine "Katharsis" gibt es in dieser Region doch schon haufenweise, z.B. Falludscha. Die daraus resultierende Gegenbewegung ist jedenfalls bereits einschlägig bekannt, und trägt hierzulande Namen wie "Pierre Vogel" bzw. ruft die Parole:

"Der Islam ist die Lösung! Nieder mit den USA! Nieder mit Israel!"

Möchte man erreichen, dass die Menschen der Levante in ihrer Zivilität und ihrem Wunsch nach Freiheit und Menschenrechten zur Geltung kommen, dann kann man nur darauf hoffen, dass sich die Regional- und Großmächte (inklusive Saudi-Arabien, welches zehnttausenderweise salafistsiche "Kämpfer" finanziert) auf etwas verständigen, das eben keine Katharsis-Effekte erzeugt...

@ Willy

Deinem Wunsch wird doch längst schon Genüge getan! In radikal queerfeministischen Gruppen ist es längst schon gründlich verpönt, Verletzungen der Menschenrechte und Rechte der Frauen durch Islamisten überhaupt nur zu benennen. Das sei ja so dermaßen, äh, paternalistisch und "Kultur abwertend" usw. usf. Auch sei das Dringen auf "Rechtstaat" längst überholt, oder noch grober formuliert, "der Rotz alter weißer Männer".

Eine feministische Menschenrechtsgruppe wie Femen hingegen gilt diesen Leuten als der Gottseibeiuns überhaupt. "Das geht ja garnicht!", lautet die Devise...

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@willy, diese Annahme wird doch wenig vertreten, außer von identitätspolitisch orientierten Kreisen in, ähem, einem Umfeld, das nicht so weit weg von den von Dean benannten Leuten ist.

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Natürlich "werten" Feministen "Kultur ab", wenn sie retrokolonialistische Zustände auf Kopftuch und Moschee reduzieren. So eine Nadine hält sich zurück, über ägyptische und tschetschenische Frauen zu urteilen. Dazu müßte man zunächst etwas über die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen in kaukasischen und vorderorientalischen Gesellschaften erfahren. Man müßte einen Raum schaffen, in dem die Erfahrungen der betreffenden Frauen eine wesentliche Rolle spielen. ... aber natürlich keine Luftschutzkeller! Europäer können dabei in der Regel überhaupt nicht mitreden, weil sie erst mal den Bodenstedt studieren müßten, weil Tschetschenien für die meisten ja von ihnen terra incognita darstellt. In den übrigens teilweise matriarchalischen Clanstrukturen, wie sie im Kaukasus üblich sind, ist zum Beispiel der Imam in diese Strukturen eingebunden. Da heiraten genau wie früher in Europa Familien und nicht Menschen. Das ganze Thema vorstaatlicher Gewohnheitsrechtlichkeit mit ihrer Blutrache, den Familienfehden, dem Ehrenmord, der Zwangsheirat und so weiter, hat nur teilweise etwas mit Religion zu tun, eher etwas mit wirtschaftlichen und politischen Vorteilen, die sich die Clans durch ihre Kuppelei versprechen. Man kann übrigens auch Don Alphonsos Blog zu Rate ziehen oder sich mit deutscher Literatur beschäftigen, etwa mit "Effi Briest", um zu verstehen, wie Geschlechterverhältnisse überhaupt aussehen. Erst wenn man das verstanden hat, und bereit ist, einen demokratischen Diskurs zu führen, der also sich den empirisch feststellbaren Tatsachen stellt, und nicht alles für bare Münze nimmt, was PI und Tageszeitungen so von sich geben, der die Menschen, über die man spricht, nicht wie kleine Kinder behandelt, deren Einsichten man getrost ignorieren kann, wenn sie den Berichten der Tageszeitung und den Vorurteilen widersprechen, geht auch Religionskritik und Feminismus in Ordnung, der sich auf entferntere Weltteile bezieht. Das, was Alice Schwarzer und Femen dagegen treiben, ist Entmündigung und Rechtfertigung von antidemokratischer kolonialistischer Gewalt.

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Sehr passend zur angeführten Richtung und überhaupt extrem großartig ist ja diese Dame.

Großartig, oder?

Warum derlei Beschränktheit als "links" gilt, bzw. seitens von Linken nicht offen kritisiert wird verstehe ich nicht. Für mich sind derartige feministische Spielarten zwar deutlich "queer", aber zugleich ingnorant, frauenfeindlich und manipulativ.

Natürlich wäre denkbar, dass derlei offene Kritik an diesem Schwachsinn A) gemessen an der höchst ausgeprägten Empfindsamkeit und Zerbrechlichkeit ebendieser Damen geradezu unritterlich brutal ist, B) grundsätzlich als "reaktionär" und nur im gedanklichen Gleichschritt mit Leuten wie Sarrazin begriffen werden kann.

Das wäre zum Beispiel dann die Positon von MR. Noch so ein Schwachkopf mit strengstens vernageltem Horizont. Je mehr ich mir darüber Gedanken mache, umso mehr bin ich geneigt, diese besonderen Queer-Flügel sogar zur "politischen Rechten" (!) zu rechnen, und zwar deshalb, weil sie sich Fortschritt im Grunde genommen nur als Separatismus vorstellen können, als Abgrenzung zu allen "normalen" Leuten - und weil sie - ohne es selbst zu merken - sich sogar massiv abwertend zu den meisten Menschen verhalten, die schlicht anders sind als sie selbst.

Das ist in meine Augen nicht progressiv, sondern nunja: borniert. Also auch nicht genuin "politisch recht", obwohl aus solchen Kreisen verblüffend häufig autoritative Vorschläge (zum Beispiel in Bezug auf das Verhalten in linken Gruppen) gemacht werden.

Hmm. Vielleicht doch ein gewisser Schlag nach rechts? Keine Ahnung. Ist natürlich gemessen an anderen Positionen und politischen Interessen, die solche Leute vertreten, eine sehr steile These von mir. Gänzlich unbegründet finde ich sie allerdings nicht...

Links ist bei mir nämlich nur, wo am Ende Freiheit heraus kommt. Und eben nicht ein gehässiges und gleichermaßen unnötiges Einschränken dessen, was man Menschen als Verhalten zubilligt. Toleranz ist vielleicht doch kein so doofes politisches Konzept.

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@sozi ohne partei: Abgesehen davon, dass "Feministen" mit männlicher Endung, ein Unglück merkwürdiger Übersetzungen aus dem Amerikanischen mir die Nägel aufrollt (in der Welt, in der ich lebe, kann es nur Feministinnen geben, ein Mann, der sich so bezeichnet, bekäme von Frauenseite im besten Fall Gelächter, schlimmstenfalls eine gedongt), abgesehen davon sind Leute wie Nadine sicherlich alles Andere als repräsentativ für feministische Positionen. Auch Schwarzer ist dies nicht unbedingt. Schau mal in Zeitschriften wie Materialien zur feministischen Theorie und Praxis, und Du wirst da genauso viele Positionen antiimperialistischer und antikapitalistischer Ausrichtung finden wie in der New Left Review. Feminismus reduziert auf eine bürgerliche Akademikerinnen-Bewegung, das ist eine sehr deutsche und sehr reduktionistische Lesart, die mit dem Selbstverständnis vieler Aktivistinnen im weltweiten Zusammenhang nichts gemein hat.

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Die bürgerliche Frauinnenbewegung, wie wir die mal nannten - die zu Radikalfeminismus sogar im Gegensatz stehen.

Nein, Lantzsch und Co. sind keine Radikalfeministinnen. Dazu fehlt ihnen nämlich die materialistische Gesellschaftskritik.

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Diesmal wollte ich mal nicht auf Nadine herumhacken, sondern sie verteidigen und zwar gegen dean.

Es mag ja sein, daß auf wissenschaftlchen Tagungen der Feminismus vielfältiger erscheint. Im Internet gibt es aber praktisch nur Genderhooligans und pharisäisch-paternalistische Kopftuchhasser.

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Von wissenschaftlichen Tagungen habe ich keine Ahnung, nur von Frauenbewegung im echten Leben, z.b. Frauenhausbetreiberinnen, Notruftelefonen, Frauenläden etc. Und gemessen daran ist der Netzfeminismus eine ziemlich unwichtige und nebensächliche Angelegenheit.

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z.b. Frauenhausbetreiberinnen, Notruftelefonen, Frauenläden etc.
Das ist alles caritas, kein Feminismus...
Und gemessen daran ist der Netzfeminismus eine ziemlich unwichtige und nebensächliche Angelegenheit.
...aber so herrlich lunatisch! Ach, gebt mir mehr davon!

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Wenn Feminismus als das Eintreten für Frauenrechte begriffen wird, und das meint der Begriff rein semantisch, ist genau das Feminismus und nicht Caritas. Die Filme, die Malte Welding laufen hat sollten eher als sein Privatthema behandelt werden als ein sinnvoller Beitrag zu politischen Debatten. Womit ich auch nicht gegen ihn Stellung beziehe, nur finde ich nicht, dass der oben verlinkte Beitrag irgendetwas Relevantes beschreibt. Netbitch hat Recht mit ihrem Posting, das ich als "back to basics" verstehe.

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Kennt ihr das schwule Mädchen aus Damaskus noch?
Das ist so eine ähnliche Geschichte, wie sie Malte vorstellt. ...womit wir endlich mal wieder beim Thema wären: Syrien

ach ja: Das kommt davon, wenn die Wirklichkeit nicht mehr wahrgenommen wird. Alle Welt gibt sich als Experte für die Beziehung zwischen Frauen und Islam aus, Dabei stammt ihr gesamtes Wissen über Moslems ausschließlich aus der Tagespresse. Und wenn dann jemand daherkommt, und der Welt eine identität präsentiert, die sich mit den vorherrschenden Vorurteilen konsistent verhält, und dem Bedürfnis nach öffentlicher Besserwisserei bei gleichzeitiger Ignoranz entgegenkommt, dann kann man schon einmal solche Dinge erleben, wie die Genderhooligans. Deshalb meine ich: Es sollte mehr schwule Mädchen geben.

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Ich weiß wirklich nicht, warum ich mich mit so einem Blödsinn auch nur sekundenlang auseinandersetzen sollte.

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Es ist absurd, wenn die Bewertung einer Beschimpfung "Fette Kuh!" von der Identität des Schimpfenden abhängt. Die Metaebene des Ganzen müßte jemand mal auseinandernehmen. Ich schlage ein neues Berufsbild vor: Diskurspsychiater. Aber jetzt zurück nach Syrien, wo ich niemanden kenne, und deshalb den Machenschaften schwuler Mädchen hilflos ausgeliefert bin.

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@"Die Metaebene des Ganzen müßte jemand mal auseinandernehmen." ---- Der Alte Bolschewik hat da ja zumindest Ansatzpunkte geliefert.

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Ich habe viele Gedanken zu dem ganzen Komplex im Kopf, aber natürlich keine Ahnung. Damit bin ich wenigstens nicht alleine. Schön, etwas mit dem US-Präsidenten gemein zu haben.

Wie sehr Obama sich verrannt haben muss, zeigt dieses (schon ein paar Tage alte) Gespräch mit Zbigniew Brzezinski, von dem es ja immer heißt, dass seine Denke großen Einfluss auf Obama habe.
http://www.dw.de/brzezinski-syrienstrategie-ist-ein-geheimnis/a-17051523

Bei Hollande ist es wohl ein intellektuelles Problem, welches ihn daran hindert, die Lage und seine Position richtig einzuschätzen. Ich zumindest halte den Mann, genau wie Cameron, für nicht sehr schlau.

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Alle gucken auf den Libanon und Israel.
Ein Punkt, der medial überhaupt keine Beachtung findet, ist die Frage, wie sich eine Schwächung der syrischen Armee durch amerikanisches Bombardement auf Kurdistan auswirken wird.
Die Kurden stehen jetzt schon unter massiven Angriffen der islamistischen Milizen. Es hat da einige Massaker gegeben, von denen wenig berichtet wird.
Wenn Al Nusra und Co nun dank der US-Tomahawks gestärkt werden, können diese ihre Übergriffe auf kurdische Dörfer ausweiten. Als Unterstützer sowohl der USA als auch der islamistischen Milizen ist die Türkei in den Bürgerkrieg involviert. Wie soll der ohnehin auf äußerst wackeligen Beinen stehende kurdisch-türkische Friedensprozess dann noch weitergehen?
Vom 15. bis 17. September soll ein kurdischer Nationalkongress stattfinden. Es ist auch für den syrischen Bürgerkrieg nicht ganz unwichtig, was dort beschlossen werden wird.

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Ich halte es gar nicht für ausgeschlossen, dass es in absehbarer Zeit zur Gründung eines kurdischen Nationalstaats mit Kirkuk oder Sacho als Hauptstadt kommt.

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Möglich. Alles sehr, sehr verzwickt.
Jedenfalls werden das noch schwere Zeiten.

Die neoliberale Türkei steht auf der Nahost-Bühne momentan wieder im Schatten der katarischen und saudischen Akteure und ist innenpolitisch am Scheideweg. Wenn Erdogan meint, dass er durch sein Engagement in Syrien wieder Oberwasser bekommt, dann kann er das nur auf den Rücken der Kurden und gegen eine immer stärker werdende türkische Opposition durchsetzen. Also wieder Krieg. Immer gut, um Macht zu festigen. Aber auch risikoreich bei dem Irrsinn der in Syrien abgeht.

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"Ich halte es gar nicht für ausgeschlossen, dass es in absehbarer Zeit zur Gründung eines kurdischen Nationalstaats mit Kirkuk oder Sacho als Hauptstadt kommt."

Das wäre wahrscheinlich ideal.Eine Souveränität der Kurdengebiete in Syrien und im Irak wäre wahrscheinlich machbar, aber die größten Gebiete sind in der Türkei und im Iran, oder?

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Wenn etwas aus meiner Sicht garantiert nicht kommen wird, dann ist das ein kurdischer Nationalstaat. Praktisch keiner der Anrainerstaaten hat Interesse daran. Als Machtfaktor existieren die Kurden nur national - und das auf ziemlich fragiler Basis. Das heißt, sie müssen laufen wie die Hasen, wenn beispielsweise mal wieder die türkische Armee anmarschiert. Selbst wenn sich die verschiedenen kurdischen Milizen übernational organisieren sollten - was sie jedoch nicht tun - hätte das immer noch nicht viel zu bedeuten.

Es ist nicht so, dass ich diese Lage gut finde. Aber zu bedenken ist vielleich auch, dass der Anteil der Kurden, die einen kurdischden Nationalstaat wollen, nicht gerade überragend hoch ist. Die Kurden, die beispielsweise auf iranischem Staatsgebiet leben, die haben nur sehr bedingt Intersse an einer gemeinsamen Nationalstaatlichkeit mit türkischen Kurden.

So pauschal kann man das auch nicht sagen - aber der Trend geht nach meinen Erfahrungen klar dahin, regionale Autonomien anzustreben - und die erst einmal zu stabilisieren.

Dann. Aber erst dann: ist vielleicht eine Föderation der kurdischen Gebiete denkbar. Irgendwann. In bestensfalls 30 Jahren...

...die andere Frage ist, ob ein "Volk" mit so vielen unterschiedlichen Sprachen, Kulturen und Religionen wirklich Interesse hat, einen gemeinsamen Staat anzugehörn. Schiiten, Aleviten, Sunniten, moderate liberale Sunniten, Atheisten: Allein schon diese Mixtur ist spannungsreich. Zwar ist die nationaltürkische Sichtweise, dass "Kurden" nur eine Fiktion seinen, eine reine Erzählung, die mit der Gegenwart wenig zu tun habe, sicher falsch - aber eine gewissse Richtigkeit ist hier dennoch enthalten.

Das sind jedenfalls meine Erfahrungen. Ich schätze die Gemengenlage so ähnlich wie bei den Azeri ein (bei denen ein Teil, gemäß der politischen Vorstellungen des Betrachters, zu "den" Kurden gerechnet wird). Als sie ihre Chance auf einen gemeinsamen Nationalstaat hatten, da war die Mehrheit nicht im Geringsten daran interessiert...

Ein gemeinsamer kurdischer Staat wird darum, nach meiner Überzeugung, auf sehr lange Sicht nur das Projekt von stark politisierten Kreisen darstellen - aber eben nicht das, was die kurdische Bevölkerung sich vorstellt.

Die stellen sich nämlich maximal Autonomie vor - und wären jeweils froh, wenn man sie einfach mal in Ruhe lässt.

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Was den überraschenden Richtungswechsel von Obama im Syrienkonflikt betrifft, so wird kolportiert, dass seine Generäle gemeutert haben.

Die hatten mehrheitlich keinerlei Interesse an einer neuen militärischen Auseinandersetzung - mit reichlich unklarer Perspektive zumal. Schon die aktuelle Entwicklung in Ägypten, bei der am Ende das ägyptische Militär gegen eine sich abzeichnende islamistische Diktatur putschte:

...machte sie so dermaßen pappsatt.

Möglicherweise stimmen die Kolportagen (ich verlinke das auch, falls das jemand verlinkt haben möchte), und es beginnt innerhalb des US-amerikanischen Militärapparat die Entwicklung einer gewissen Skepsis gegenüber von Militärinterventionen.

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Naja, das Militär hat halt das Problem, die Wünsche von unbedarften Zivilisten umzusetzen. Und die Zivilisten haben keine Ahnung von dem, wovon sie sprechen. Das ist beim Militär nicht anders als bei anderen Berufen. Der Kunde ist zwar König, aber wenn er meint, dass gezaubert werden kann, muss man ihm klar machen, dass es so nicht geht. Nach allem, was ich gelesen habe, scheint es hier exakt so zu sein. Mal eben mit Tomahawks weite Teile der syrischen Armee zu vernichten ohne Unbeteiligte zu töten oder gar Massenvernichtungswaffen frei zu setzen ist eben nicht so simpel, wie sich das Obama oder deutsche Leitartikler so vorstellen.

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Fisk hat interessante Artikel.
http://www.independent.co.uk/biography/robert-fisk
Ich seh das offensichtliche Muster, dass sich die unmenschlichsten Elemente der Region darauf eingerichtet haben, diese airstrikes in ihrem zynischen Kalkül für eigene Zwecke zu nutzen.

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@"Eine Souveränität der Kurdengebiete in Syrien und im Irak wäre wahrscheinlich machbar, aber die größten Gebiete sind in der Türkei und im Iran, oder?" ---- Ich meinte "Nationalstaat" nicht auf ganz Kurdistan bezogen, sondern auf die Gebiete im Irak und Syrien. Im Irak haben die mittlerweile Panzer, Artillerie und eine gut ausgebilderte Ranger-Truppe. Aseri da mit einzubeziehen halte ich für ganz falsch, die gelten nur aus nationalpersischer Sicht als "Kurden" - sie sprechen eine Turksprache.


@"Ich seh das offensichtliche Muster, dass sich die unmenschlichsten Elemente der Region darauf eingerichtet haben, diese airstrikes in ihrem zynischen Kalkül für eigene Zwecke zu nutzen." --- Hundertpro, das ist leider so.

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@ Sozi ohne Partei

Deine engagierte Verteidigung von Mae-Mannschaft habe ich vernommen - und sogar mit Wohlgefallen gelesen. Dennoch glaube ich, dass du da etwas weit in deinen Annahmen gehst. Es ist sicherlich ein Riesenproblem, wenn sich feministische Kritik an frauenfeindlichen Praktiken (die es in verschiedenen islamischen Kulturen - in unterschiedlichen Ausmaß - eben gibt) vor den Karren der sogenannten "Islamkritik" einspannen lässt.

Genau diesen Vorwurf kann man Schwarzer machen, die einfach nur sehr unterkomplexe Kritikinhalte bzw. Pauschalkritik in Bezug auf "den" Islam formuliert. Ob das in der Form für Fenem zutrifft, weiß ich nicht - ich meine (ohne mir hier sicher zu sein), dass es hier deutliche Unterschiede gibt. Femen orientiert sich am konkreten Menschenrechtsproblem - und hat schon verschiedentlich formuliert, keinesfalls "den" Islam kritisieren zu wollen.

Es muss einfach möglich sein, Kritik zu üben, ohne sich in die Hass- und Kriegsagenda der Islamphobiker einspannen zu lassen. Schließlich gibt es ja jede Menge moderaten Islam, der beispielsweise ohne Mackerkultur auskommt. Es gibt Unterschiede - wichtige Unterschiede zumal!

Ich bin absolut überzeugt, dass Kritik so formuliert werden kann, dass damit eben keine Schneise für die Islamphobiker geschlagen wird. Zum Beispiel, indem eben eine massive und deutliche Abgrenzung von den Islamphobikern vorgenommen wird.

Das Rumgehacke von Mae-Mannschaft und anderen auf Femen finde ich - zumal in der geradezu zwanghafte Züge tragenden Weise - geradezu peinlich, weil es nun wirklich größere Probleme gibt, als eine stellenweise übereifrige feministische Menschenrechtsgruppe.

Dass es im Netz im Wesentlichen nur "Genderhooliganismus" (schönes Wort, irgendwie) gibt, bestreite ich. Allerdings fehlt anderen feministischen Richtungen ein zentraler Anlaufpunkt - und eben auch der teils schon sektenhafte Züge aufweisende soziale Zusammenhang der Macherinnen von Mae-Mannschaft.

Zu bedenken ist natürlich, auch in Bezug auf Mae-Mannschaft, dass ein engagierter Netzfeminismus stets Anwürfen, massiver Kritik und auch einer geradezu ungeheuren Trollerei ausgesetzt ist.

Vielleicht muss auch ich das etwas stärker in Rechnung stellen, wenn ich Mae-Mannschaft und dieser ganzen Blase einen repressives und i.d.R. ausgesprochen rigides Diskursklima vorwerfe.

Das ist - teils - eben auch eine nachvollziehbare Reaktion. Ich könnte zum Beispiel ganz wunderbar verstehen, wenn Mae-Mannschaft nur einen Teil ihrer Beiträge einer offenen (für die Aktivistinnen anstrengenden!) Diskussion stellt.

Ressourcen sind ja schließlich beschränkt. Unverkennbar ist aber, dass Mae-Mannschaft sich inwischen eine Art "Jubeltruppe", auch im Kommentarbereich, herangezogen hat - die mich (nicht wenig sogar) an die uns hier sehr gut bekannten Jubler der (inzwischen völlig unbedeutenden) rechtslibertären Blogger erinnert.

Es ist immer ein Problem, wenn sich ein Diskurs auf nur ganz wenige Perspektiven verengt, oder sogar im Wesentlichen als eine Art "pädagogische Maßnahme" verstanden wird, weil eine Gruppe sich im Vollbesitz der Wahrheit meint.

Damit komme ich auch direkt zurück auf die imho teils notwendige Kritik an frauenfeindlichen Praktiken in bestimmten Spielarten des Islams zurück:

Offene Kritik ist wichtig.

(ein gutes Diskussionsklima zu erhalten, ist aber ein wahres Kunststück - was dem Hausherren hier übrigens ausnehmend gut gelingt)

Offene - und sogar fundamentale - Kritik ist auch wichtig, um die Begrenzheiten des eigenen politischen Ansatzes besser begreifen zu können. Und dass der Ansatz von Mae-Mannschaft stark begrenzt ist, und sogar weit außerhalb dessen steht, was für den Großteil feministisch eingestellter Frauen relevant ist, das kann imho kaum bestritten werden.

Ich finde es schade - weil Mae-Mannschaft eben für viele an Feminismus interessierte Menschen im Netz eben doch ein wichtigiger Anlaufpunkt ist. Wenn die ständig nur hochgradig beschränkte Ansätze als das Gelbe vom Ei angeboten bekommen, und dazu einen Feminismus, der sich vor allem als Abgrenzungsbewegung gegenüber dem großen Rest der Gesellschaft versteht - statt für positiver Veränderungen zu kämpfen - dann ist das eben ein Mangel.

Ein großer sogar. Und dass Mae-Mannschaft innerhalb des Netzfeminismus zunehmend entsolidarisierend und entmutigend wirkt (nach dem Motto: Was ihr anderen Feministinnen macht, das ist doch sowieso nur Dreck), das ist vielleicht auch der Preis der geistigen Abschottung. Das Diskursklima ist nicht folgenlos! Ein Selbstvernagelungsprozess.

Zurück zu Obamas Syrienpolitik:

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Das Bildchen stammt aber von den Baathisten-Hackern von der Syrian Electronic Army, oder? Find ich jetzt auch nicht gerade geil, die Jungs.
Stimmig ist das Argument aber leider schon.

Meine Einschätzung der Lage sieht nach all dem was man so lesen kann so aus:

Möglichkeit Eins: Es war ein Unfall oder eine Einzelaktion einer vereinzelten Armeeeinheit.

Möglichkeit Zwei: Es waren Al-Nusra-Leute um einen US-Schlag zu provozieren. Entweder alleine oder im Komplott mit saudischen Kräften.

Alles andere erscheint mir extrem unwahrscheinlich.

Jedenfalls fliegt jetzt, 12 Jahre nach Nineleven, die US-Army wieder Einsätze die Al Kaida nicht bekämpft, sondern unterstützt. Und alle machen mit. Irre, wie wichtig Presse und Politikern die Entlastung des sunnitischen Terrorismus ist.
Freispruch für Al Kaida durch den US-Präsidenten … tolle Tage in Washington!

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"Möglichkeit Eins: Es war ein Unfall oder eine Einzelaktion einer vereinzelten Armeeeinheit.

Möglichkeit Zwei: Es waren Al-Nusra-Leute um einen US-Schlag zu provozieren. Entweder alleine oder im Komplott mit saudischen Kräften.

Alles andere erscheint mir extrem unwahrscheinlich."

Findet meine absolute Zustimmung!

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mörderisch
Das Problem ist ja auch, dass die syrische Staatseinheit auch innerhalb der vom Assad-Clan beherrschten Gebiete zerfällt. Im Grunde genommen kann schon jetzt kaum noch jemand sagen, ob eine bestimmte Militäraktion wirklich "gewollt" war oder nicht. Sicher scheint mir nur, dass Al Nusra inzwischen vom Saudi-Arabischen Geheimdienst mit Chemiewaffen beliefert wurde - und die haben es wiederum von den Amerikanern.

Gerade der letzte Punkt ist ja hochskandalös - weil dahinter im Prinzip steht, dass die Obama-Administration (über den Umweg des verbündeten Saudi-Arabischen Geheimdienstes) Al Kaida mit Chemiewaffen beliefert. Dazu kommt, dass von US-Geld finanzierte Militärausbilder den Kämpfern von Al Nusra erklären, wie sie die Waffensysteme bedienen - was von Al Nusra umgehend zur Bombardierung christlicher Stadtviertel genutzt wurde. Uns selbstredend werden diese Waffen und Waffensysteme auch gegen kurdische Dörfer eingesetzt und gegen alle, die aus salafistischer Sicht als "Abweichler" gelten.

Die potientiellen Ziele der "Rebellen" von Al Nusra sind in Syrien geradezu endlos. Ziel könnten genauso auch sunnitische Dörfer werden, die in nicht geringen Ausmaß einem sogenannten "Volksislam" nachhängen, bei dem lokale Heilige verehrt werden. Das ist aber aus salafistischer Sicht bereits Grund für eine Todesstrafe und Auslöschung!

Die militärische Unterstützung von Al Nusra durch die USA: ist in meinen Augen der viel größere Skandal als der Chemiewaffenangriff (bzw. -Unfall) in einem südostlichen Vor-Ort von Damaskus. Das mag grausam klingen, aber gemessen an den Verbrechen von Al Nusra, und noch mehr, gemessen an den sicher zig- bis hunderttausende Menschenleben kostenden Verbrechen, die Al Nusra noch anrichten wird, war dieser Chemiewaffenangriff/unfall ein Klacks. Wobei der Assadclan bzw. dessen hochgerüstetes Militär gegenüber Auslöschungsaktionen gegen "feindliche Dörfer" auch nicht gerade zurückhaltend ist.

Ich bin nun nicht qualifiziert genug, um die Zuverlässigkeit von Geheimdienstquellen zu bewerten, aber Syrien steckt in einer Riesenscheiße, und jede Form weiterer Bewaffnung von Al Nusra, jeder "Air Strike" durch die USA und sogar jeder Tag, an dem sich "der Westen" (d.h. die USA) und Russland/China sich nicht in Sachen Syrien zusammenraufen , all dies ist mörderisch.

Mörderisch vor allem für die Minderheiten in Syrien. Das Problem daran ist: Der syrische Staat besteht im Grunde genommen ausschließlich aus Minderheiten...

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Eine amerikanische Beteiligung würde ich eher bezweifeln. Wobei man natürlich nicht weiß, welcher Geheimdienst da welches Süppchen kocht. Ich vermute eher, dass das Gas aus Libyen stammt und über die Türkei eingeschmuggelt wurde. Ich kann da mal beizeiten ein paar Berichte zu verlinken, die ich gefunden habe. Erdogan unterstützt al-Nusra womöglich wegen dem "Kurden-Problem" und der syrischen "Flüchtlingskatastrophe". Es heisst auch, dass die Türkei gezielt irakische Söldner angeheuert hat, die sich in Syrien als al-Nusra oder ISIS-Kämpfer ausgeben, aber hauptsächlich auf Kurdenjagd gehen.

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Erdogan träumt von einem Gottesstaat und einer Riesenmoschee am Bosporus. Natürlich kann er das so offen nicht sagen - aber er hat in seiner Außenpolitik noch nie etwas gegen Salafisten gehabt. Wenn die Kurden in Syrien unter die Räder kommen, ist ihm das natürlich recht, löst aber das einheimische Kurdenproblem nicht. Erdogans wahrer Traum ist ein salafistischer Naher Osten.

Das würde es ihm im eigenen Land leichter mache, die nächsten Schritte zu gehen.

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Das halte ich in diesr Zuspitzung für arg übertrieben.

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Ich auch.
Zumal der Begriff Salafismus hier verkehrt ist.
Erdogans (und, ganz wichtig, Fethullah Gülens) Islamismus steht für die Verschmelzung von sittenstrenger Religiösität mit dem Neoliberalismus. Das ist der momentane türkische Weg.
Der salafistische Weg ist dazu quasi das sehr viel ältere Konkurrenzprodukt.
Aber fragt mich bitte nicht, wo die exakten Unterschiede zwischen all den Heilslehren besteht. ;)

Tolle Parole aus der Türkei:
tayyip, winter is coming

Game Of Thrones-Gucker wissen Bescheid. ;)

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Zwischen Traum und Realpolitik besteht noch ein weiter Unterschied. So tot sind die Kemalisten und andere Kräfte in der Türkei noch nicht, dass Erdogan seinen Traum realisieren könnte.

Was mich nur sehr negativ einnimmt, hinsichtlich seiner politischen Absichten, das ist zum einen die Säuberungspolitik von Erdogan, zum anderen aber der Umstand, dass es in der AKP seit einigen Jahren einen regelrechten salafistischen Flügel gibt.

Ohne Erdogans Gutheißen gäbe es diese Leute in der AKP nicht. Die Charakterisierung von Erdogans Realpolitik durch tuc finde ich sehr treffend.

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Und um das zu ergänzen ist auch die Verwendung des Begriffs Salafismus in der letzten Zeit sehr irreführend. Eigentlich ist das eine andere fundamentalislamische Rechtsschule als der in Saudi-Arabien führende Wahabismus. Also, einfach gesagt: Leute wie Erdogan und Gülens vertreten einen Islam-Konservatismus, der Anschluss an Neocon-Wirtschaftskonzepte will (sozusagen Thatcher auf muslimisch), Salafismus läuft auf buchstäbliche Auslegung des Koran hinaus (insofern vergleichbar mit evangelikalen Bibelanwendungen), Wahabismus hingegen auf die Kombination der salafistischen Theologie mit der Legitimation des Herrscherhauses Ibn Saud und einer äußerst rigiden Auslegung der Scharia (Auspeitschen von Trinkern und "unkeuschen" Frauen. Dieben die Hand abhacken etc.). Das sind schon noch deutliche Unterschiede.

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Che, man müßte vielleicht auch berücksichtigen, inwiefern bestimmte Moralvorstellungen der ehemaligen Kolonialmächte die Eliten, insbesondere die militärischen, vieler muslimischer Länder geprägt haben. Herausragendes Beispiel dabei wäre die Einschätzung der Homosexualität, welche in der vorkolonialen Zeit völlig anders war, als danach, nachdem die Eliten in den Militärakademien und Universitäten ihrer Kolonialherren ausgebildet wurden.

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Nochmal kurz als Ergänzung zum Thema Islamismus i. d. Türkei ein gut recherchierter Text zum Thema:
http://www.hintergrund.de/201308082745/politik/welt/schattenhafter-puppenspieler.html

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Unheimlich interessant, informativ und sehr hilfreich, danke!

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Im aktuellen Kurdistan Report gibt es auch noch einen interessanten Text vom gleichen Autoren zum Thema Ergenekon-Prozess. Titel: Von Gladio zu Gülen

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hochspannend zur Türkei auch der Blog des jüdisch-türkischen Ökonoms Dani Rodrik. http://rodrik.typepad.com/
Man kann das über die Suche auf "Turkey" filtern.

Auch ökonomisch ist da sicher nicht alles Gold was da auf dem ersten Blick glänzt.

Neoliberalismus auf muslimisch...
Ich versuch erstmal den Begriff Neoliberalismus zu definieren:
- Rückzug des Staats aus der Produktion von Gütern und Dienstleistungen
- Streben nach einem ausgeglichenen Staatshaushalt und wenn nötig Entschuldung
- Streben nach Exportsteigerungen basierend auf eigenen komparativen Vorteilen, die oft aus niedrigen Löhnen, laschen Umweltschutzauflagen und einem geringen Widerstand der Bevölkerung gegen negative Externalitäten ausgehend von privatwirtschaftlichen Aktivitäten bestehen.
- Geldwertstabilität
- hohe politische Toleranz gegenüber einer ungerechteren Einkommensverteilung. Der Glaube, das ein größerer Kuchen immer die ungerechtere Zerteilung der Stücke mehr als aufwiegt
- Betonung einer differenzierten Bildung: Eliten und einfacher ausgebildete, nach dem Motto "Es muss auch Frösche geben, und nicht nur Störche". Verlassen des urdemokratischen Konzepts, das Bildungspolitik immer auch eine kohäsive Wirkung auf die nächste Generation haben sollte.
- die Souveränität der industriepolitischen Entscheidungen vom Staat auf starke Unternehmen übertragen. Es gibt Industriepolitik. Starke Fluglinien wie Lan (bzw. Latam Group) und Turkish Airlines wurden sicher durch die Politik bewusst gefördert. In der Epoche vorher gings aber in der Industriepolitik stärker um das Erlernen industrieller Fertigkeiten für die Gesamtgesellschaft. Im Neoliberalismus dagegen ums Heranzüchten von elitären "Recken". die sich auf dem Weltmarkt zu behaupten haben und von der Kontrolle durch die staatlichen Förderer ansonsten entbunden sind.

Die Türkei Erdogans erfüllt sicher nicht alle, aber viele dieser Punkte. Nur gilt dies für die überwiegende Mehrzahl der Entwicklungs/ Schwellenländer in den letzten 20 Jahren. Chile, Thailand, Peru, Malaysia, Indonesien, Kolumbien, Mexiko, Indien und mehr als gemeinhin angenommen, übrigens auch als Brasilien, Ecuador und Bolivien. Nicht zu vergessen auch Syrien, Libyen, Jordanien, Libanon, Ägypten und Marokko. In einigen Punkten sogar China, Südafrika und Argentinien, wobei die in vielen auch gegen diesen mainstream regiert werden. Aussen vor sind Iran und Venezuela, aber die zeigen bei halbwegs informierter und nüchterner Betrachtung nun echt keine Alternative auf.
Insgesamt stellt der Kurswechsel in diese Richtung an den Küsten der Meere des Südens einen dramatischen Politik-Wandel gegenüber der Zeit bis etwa Mitte der 80er dar.

Es gibt hingegen Unterschiede in der Betonung der einzelnen Punkte und es gibt kein Land, das über einen längeren Zeitraum der Gesamtheit der genannten Punkte folgte.
Neoliberalismus erzeugt kein stabiles System. Die zentrifugalen Kräfte verfestigen sich gerade als Widerstand um die Punkte, in denen die Politik sehr neoliberal ist. In der Türkei etwa um den schwachen Schutz der Gesamtgesellschaft gegen negative Externalitäten von wirtschaftlichen "Entwicklungs"-projekten. In Chile um die Frösche/Störche Konsequenzen der Bildungspolitik, wobei... (gekürzt).

Die ganze Nummer hat nur deshalb funktioniert, weil die Schwellen/Entwicklungsländer eben verschiedene Punkte betonten. Wenn in Spanien/Portugal/Griechenland sich nun "dank" niedriger Löhne der Strand-Tourismus wieder billiger wird, dann hat das Auswirkungen auf die Türkei.
Exportwachstum in China dank niedriger Löhne und steigende Produktion von Kupfer, Früchten und Lachsen in Chile dank setzen auf komparativen Vorteil stärken sich gegenseitig. Kopieren dann Peru und andere Chile, wird der Kurs für letzteres vermutlich irgendwann zur Sackgasse.

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Zu ergänzen wäre dazu: Turgut Özal war selbst einer der Chikago Boys, und der Putsch von General Evren programmatisch an dem von Pinochet orientiert. Das hat alles aschon eine lange Traditionslinie.

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Erdogan beendete ja gerade das paternalistische Selbstverständnis der Generäle als Wächter der Republik Atatürks. Die Türkei von Turgut Özal seh ich als Geschichte.
Keiner wird ernsthaft bestreiten, dass keine Regierung vorher die Türkei dermassen nachhaltig auf den Pfad des schlecht benamsten Washington Consensus brachte wie die Regierung Erdogan (Washington Consensus= Rückzug des Staats aus der Produktion, Aussenwirtschaft ausgerichtet auf bestehenden komparativen Vorteil, ausgeglichener Staatshaushalt, niedrige Inflationsrate, Deregulierung in der Wirtschaftsgesetzgebung i.w.S.).

Neoliberalismus "funktioniert" oft in Ländern mit einer Wirtschaftskraft zwischen heute vielleicht 8.000 und 20.000 Dollar BIP pro Einwohner pro Jahr.

- Geringe Inflation
- keine ständige Devisenknappheit
- keine peinlichen Gespräche um neue Kredite bei ausländischen Geldgebern
- keine nervenaufreibenden Streits zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften, da letzteren per Gesetz alle Zähne gezogen wurden
- Korruption ist weniger sichtbar als bei staatlich gelenkter Industrialisierungsversuchen in der Epoche davor.

Warum soll eine Regierung Erdogan dieses verlockende Paket NICHT annehmen?

Die Lasten trägt der Faktor, der in diesen Ländern im Überfluss vorhanden ist: Die Armen.
Auf die Dauer liefert der Neoliberalismus keine Lösung. Wirtschaftswachstum verliert jeden Sinn, wenn er hauptsächlich den oberen 10% zufliesst.
Dahin bewegt sich JEDES System, das auf einem Übermass an neoliberalen Ideen aufgebaut ist. Zur befriedigenden Begründung müsste ich ein Buch schreiben.
Und man sollte sich humanere Modelle suchen. Die Kosten von verpfuschten Leben sind einfach zu hoch.

Ich halte Neoliberalismus inzwischen für dumm, ziemlich sentimental, selbstgerecht und bei genauerer Grabung recht zynisch, aber NICHT im Kern bösartig. Zu groß das Fass.
Eine Neoliberalismus-Kritik, die über sein Objekt lacht wäre wirksamer als diese Mystifizierung zum Bösen. Chicago Boys ist Teil dieser Mystifizierung. Überall und ganz sicher auch in Chile liessen sich Personen mit sehr unterschiedlichen Biographien zu effektiven Werkzeugen des neoliberalen Modells machen. Die geographische Verortung einer dummen und gescheiterten Art die politischen und ökonomischen Entwicklungs-Probleme anzugehen nach Chicago besitzt für Leute mit Harry Potter Lesegewohnheiten bestimmt romantische Reize und das ist nicht die Zielgruppe dieses Blogs. Sie hält einer rationalen Untersuchung nicht stand.

Noch ein Gedanke, die ich unbedingt loswerden muss:
Die Wirtschaftsnachrichten bringen als wichtigste statistische Daten immer zwei Dinge: DAX und BIP. Ersteres ist völlig albern und letzteres auch. Aussagemächtigere Daten für uns das Volk wären:
a) Median-Einkommen, d.h. das Einkommen einer Person eines Landes, das 50% niedriger und höher ist als die Einkommen aller anderen Personen dieses Landes. Das ist nicht der Durchschnitt.
b) Verhältnis der Einkommen der untersten 40% zu den obersten 20%. Dies ergibt praktisch immer im Vergleich auf der historischen Zeitachse und im Zwischen-Ländervergleich immer die gleichen Werte wie der Gini, der aber für die meisten Menschen einfach in der Herleitung zu technisch und somit nicht nachvollziehbar ist.

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"Und man sollte sich humanere Modelle suchen."

Die gibt es doch schon längst. An Stelle des Neoliberalismus sind da zum Beispiele die Modelle der alten Neoliberalen (Eucken, Miksch, Röpke etc) zu nennen. Dieser alte "Ordoliberalismus" war zwar in mancherlei Hinsicht naiv (und in vielerlei Hinsicht ist er erweiterungs- und überarbeitenswert), aber er hatte und hat zwei Vorzüge:

1. überraschende prognostische Treffsicherheit.

2. Orientierung am Wohl von Arbeitnehmern und Verbrauchern.

Eine Umsteuerung der wirtschaftlichen Entwicklung, die sich am Wohl der Bevölkerungsmehrheit, an fairen Wettbewerb und eine Reduzierung der Benachteiligungen benachteiligter Gruppen orientiert, ist möglich. Ein gleichgewichtiges wirtschaftliches Wachstum, bei dem die Interessen der Menschen eben nicht unter die Räder kommen, auch.

Das ist ja das Tolle am Kapitalismus: Er ist sagenhaft anpassungsfähig. Wenn man "dem" Kapitalismus die Macht nimmt, auf die Politik einzuwirken bzw. die allgemeine Politik an die Wünsche der Wirtschaftsmächtigen anzupassen, dann funktioniert er sogar besser als zuvor! Das skandinavische Modell, auch nach einigen Umformungen, funktioniert immer noch.

Will man die Lage der Frau in der Gesellschaft zum Positiven beeinflussen, wird mensch "das" skandinavische Wirtschaftsmodell als ziemlich erstaunlich effektiv bewerten müssen. Kaum etwas scheint mehr zu bewirken als eine wirtschaftliche Gesamtlage, bei der z.B. ältere Frauen gute Möglichkeiten zur wirtschaftlichen Teilhabe haben.

Ist das nicht eigentlich faszinierend? Ich meine, diese sagenhafte Flexibilität des Kapitalismus? Er kann sogar Teilhabe organisieren.

Wenn wir ihn zwingen.

P.S.
Median-Einkommen ist imho auch deutlich relevanter. Ich würde sogar die obersten 10 Prozent aus diesem Median rausnehmen (ein angepasster Median sozusagen) - denn der Wohlstand der obersten 10 Prozent ist ohnehin groß genug - sodass er hinsichtlich wirtschaftspolitischer Entscheidungsprozesse auch gut außer Betracht bleiben kann.

Je älter ich werde, umso stärker wird die "klassenkämpferische Komponente" in meinem politischen Denken. Und doch habe ich mich hier im Grunde genommen nie bewegt.

Ich war immer ein kämpferischer Linksliberaler.

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Die oberen 10% kann man auch drin lassen, sie beeinflussen den Median nur unwesentlich. Was viel besser wäre, wäre den Einkommen die Preise aller Lebensnotwendigkeiten gegenüberzustellen, also Krankenkasse, Bildung, Wohnen, Essen etc. Das ist technische wahrscheinlich nicht so einfach, wie es aussieht, denn, wenn ich 3km von der Arbeitsstelle entfernt wohne, brauche ich keine Verkehrsmittel, wenn in diesem Umkreis aber die Mieten zu teuer sind, dann brauche ich diese eben doch.

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"Die oberen 10% kann man auch drin lassen, sie beeinflussen den Median nur unwesentlich."

Was die absoluten, resutierenden Beträge betrifft, ist das richtig. Das hatte ich (offenkundig noch zu sehr von der Durchschnittsbetrachtung geprägt) nicht so sehr im Auge. Mir geht es aber um etwas Prinzipielles:

Ich glaube, dass der Wohlstand der obersten 10 Prozent schlicht völlig uninteressant ist für eine vernünftige Wirtschaftspolitik.

Nur die Übrigen: Die zählen für mich.

Das von dir angeführte Existenzminimum zu berechnen, ist in der Methodik nicht so ganz einfach. Aber mit einem statistischen Kunstgriff kann man sich dieser Zahl nähern, ohne sich allzu sehr in Detailfragen zu verheddern: Man nimmt einfach die untersten 15 bis 20 Prozent aller Einkommensbezieher.

Tja. Und schon sitzt man mitten in der Scheiße: Einerseits fransen die Zahlen an den unteren Rändern aus - und verlieren teils erheblich an Zuverlässigkeit. Andererseits kann z.B. ein durch politische Maßnahmen erhöhter Anteil von prekärer Beschäftigung in bereits wenigen Jahren die Zahlen gerade bedrohlich ins Schwanken kommen lassen. Dagegen hilft es (sogar ziemlich beachtlich), wenn an Stelle von nur 15 Prozent der Einkommensbezieher eben 20 Prozent berücksichtigt werden - und die alleruntersten 5 Prozent außer Betracht lässt.

Geht man weiterhin davon aus, dass in diesen Personengruppen (sofern diese ihrer Einkommenklasse "treu" bleiben) der Anteil derjenigen, die sich überschulden (also: eben doch nicht auskommen) beachtlich hoch ist, müsste vermutlich noch aus dieser Zahl (quasi den: "überproportional erhöhten Anteil von Überschuldeten") noch ein Aufschlag konstruiert werden, um auf diesem Weg zu einer halbwegs vernünftigen und haltbaren Zahl "Existenzminimum" zu gelangen.

Der Wert, den man so erhält, ist zwar immer noch, alles in allem, mehr gestolpert und geraten, als im Detail gut oder gar unwiderlegbar begründet. Aber, das mag mensch ulkig finden, eben doch überraschend valide.

Jedenfalls, so in etwa würde ich es machen.

Wobei das konkrete, individuelle Existenzminimum tatsächlich noch einmal etwas anderes darstellt. Der eine hat Sonderbelastungen aufgrund von Krankheit, die andere spart auf eher abenteuerliche Weise bei der Ernährung - aber auf diesem Weg vielleicht sogar 150,- Euro im Monat ein, ein Studi vermag sich mitunter etwas leichter zu beschränken als jemand in mittleren Lebensjahren, oder aber es gilt das gerade Gegenteil aufgrund von Studienkosten - und der Nächste wiederum kann mit Geld rein garnicht umgehen, egal wie er sich darum bemüht - sodass sein Existenzminimum gewissermaßen nach oben unbeschränkt ist...

Bei etwas so Heiklem wie dem (sozioökonomischen) Existenzminimum verbieten sich - ein Minimum an Anstand vorausgesetzt - allzu rigide Betrachtungsweisen (aus denen folglich dann ein erheblicher Teil der Betrachteten massive Probleme haben wird - was ja eben nicht Sinn der Berechnung sein kann).

Irgendein ziemlich dämlicher Student eines ziemlich dämlichen sächsischen Finanzprofessors hat mal in einer sogar hochgradig dämlichen "wissenschaftlichen Zeitsschrift" (eher so eine Art Hauspostille eines Kölner BWL-Fachbereiches) vorzurechnen versucht, dass monatlich 192,- Euro - bei Verzicht auf Wasser, Strom und Heizung - plus Miete ein sogar ganz wunderbares Existenzminimum ergeben würde, vorausgesetzt, der/die Betreffende hat keinerlei Sonderbedarfe, erfreut sich einer strahlenden Gesundheit und hat genügend Energie, um sich mindestens drei Stunden täglich auf die Jagd nach den jeweils günstigsten Angeboten zu begeben...

Zu bedenken ist allerdings auch, dass die Menschen eben erfindungsreich sind. Auch unterhalb des sozio-ökonomischen Minimums werden sich Menschen finden, die sich hier einen Weg bahnen, und sei es, dass sie präzise Kenntnis über die Besonderheiten der Biotonnen im Umkreis von 2 Kilometern von ihrem Wohnort haben.

Tja. Das erklärt übrigens auch, warum - meiner Meinung nach - bei einem rein statistischen Verfahren zur Ermittlung des Existenzminimums die untersten 5 Prozent aller Einkommensbezieher aus der Berechnung herausgenommen werden sollten:

Denn diese leben eigentlich (genauer gesagt: in den meisten Fällen sogar unbestreitbar, imho) schon unterhalb der Schwelle einer menschenwürdigen materiellen und sozioökonomischen Versorgung.

Was unser Land betrifft, würde ich das "nachhaltige" soz-ök. Existenzminimum für einen berufstätigen Durchschnittssingle auf ca. 450,- Euro bis 500,- Euro schätzen. Plus Miete/Heizung.

"nachhaltig" bedeutet hier: Dass also tatsächlich ein gewissser Etat sogar für - seltende - Kulturveranstaltungen bleibt, und dass eine Abrutschen in die Verschuldung, bei vernünftiger Haushaltsführung, ausgeschlossen ist.

Im Einzelfall liegt der Satz allerdings höher. Und bei mir liegt dieser Satz sogar deutlich niedriger, bei etwa 150,- bis 200,- Euro.

Damit würde ich bestens auskommen - was aber alles andere als verallgemeinerungsfähig ist - und ein echtes Extrem darstellt.

Ähem: Ich bin schon etwas extrem. Wenn man aber den Wert dessen, was ich mir jeden Monat mit diversen Methoden "organisiere" zusammenrechnet, so ist das locker ein Gegenwert von 200,- (Minimum) bis 350,- Euro (Maximum).

Das eignet sich somit gewissermaßen als exemplarische Gegenprobe. Auch ist zu beachten, dass derlei "organisatorische Tricks" (die übrigens nicht frei von erheblichen Widerwärtigkeiten sind) in deutlich kleineren Ausmaß auch von denen betrieben werden, die in der Einkommensverteilung ganz unten angelangt sind.

Notwehr sozusagen. Doch wirklich: Notwehr.

Die Gefahr besteht, wenn das Einkommensniveau der untersten 15 Prozent einfach als auskömmlich angesehen wird (wie dies die Berechnungsmethode der Bundesregierung nahe legt), dass diese Formen von Notwehr - aber auch die darin wohnenden Notlagen verkannt werden - und zugleich zum statistischen Maßstab für alle Übrigen gemacht werden.

Also doch: Ein kompliziertes Thema.

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Hallo,

die 20/40 Statistik hab ich ja nur als einen Ersatz für den Gini erwähnt. Glaubhafte Studien zeigen auf, dass sich dieser Wert praktisch immer und überall wie der Gini verhält. Letzterer ist nur wesentlich technischer und für Leute ohne Statistik-Kenntnisse nicht nachvollziehbar.

Du müsstest downsizing Seminare geben, Dean. Ich würd so gerne mehr sparen können, um vielleicht 3 Monate im Jahr nicht mehr in diese letztlich angstgetriebenen IT-Büros gehen zu müssen, um die Zeit der Beteiligung an open source Projekten zu widmen.

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Die Diskussion schlägt wilde Kapriolen, ich dachte es geht um Syrien? ;-)

Der Median ist robust gegen Ausreisser, so heisst es auf statistisch. ;-) Und muss generell bei ordinalskalierten Daten verwendet werden, bzw. müsste. Ein Notendurchschnitt ist etwa unzulässig, da Schulnoten nicht intervallskaliert sind, d.h. sie haben unterschiedliche Abstände. Siehe auch:
http://de.wikipedia.org/wiki/Skalenniveau

Aber das Durchschnittsdenken steckt wirklich tief drin, sogar ein Mathematiker bei mir auf der Arbeit hatte nicht wirklich nachgedacht und meinte mal, dass Perzentile (Quartile, etc., gleiches Prinzip) durch Ausreisser verändert würden.

Zum Thema Linksliberalismus: Dean, kennst du Michael Jägers "Die Andere Gesellschaft"? Könnte was für dich sein. Und ist vielleicht überhaupt interessant für die, die hier lesen. Es geht darum, den Kapitalismus abzuschaffen, Dinge wie Markt und Geld jedoch beizubehalten....

http://www.freitag.de/autoren/michael-jaeger/die-andere-gesellschaft-gliederung-in-kapitel

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Hier wird immer wild um sich geschlagen!! :D

@ Lemmy Caution

Downsizing-Seminare könnte ich wohl wirklich geben. Gleich mal ein echt guter Tipp von mir:

1. Kauf dir eine Brotbackmaschine! (ca. 30 bis 40,-)

Weil: Mit schlicht Mehl plus Hefe (plus ein paar Verfeinerungen, wenn einem danach ist - oder eine halbe Packung Brotbackmischung dazu), kann man sich superleckeres, extrem günstiges Brot selber backen, mit einem absoluten Minimum an Aufwand/Zeit.

Amortisationsfrist: Ca. 1/2 Jahr (wenn man viel Brot isst).

Nebenvorteil: Selbst belegte Brote/Schnitten sind zeitsparend und günstig im Vergleich zu anderer Nahrung. Echt wirksames Downsizing. Oder man benutzt so ein Teil nur zur Teigzubereitung, und bäckt dann anschließend herkömmlich im Backofen - zum Beispiel leckere Sesambrötchen.

Das ist dann nicht nur erfolgreiches "Downsizing", sondern auch ein Plus an Lebensqualität. Eine Zeit lang habe ich das Backblech immer auch etwas voller gemacht, als ich es für mich benötigte - und habe die überzähligen Brötchen an Kollegen verkauft. Es hat nicht lange gedauert, und die Kollegen haben bei mir Schlange gestanden (ernsthaft!) und sich darüber gestritten, wer bei mir wie viele Sesambrötchen bekommen dürfe.

Wie gesagt: Der Zeitaufwand dafür geht gegen Null. Teigballen in Sesam rollen: Geht echt schnell. Nach 20-30 Minuten kommen die Brötchen dann fertig aus dem Offen. Der Teig wird dann am Vortag (abends) eben mal schnell fertig gemacht und über Nacht in den Kühlschrank gestellt, was seinen Backeigenschaften sogar noch gut bekommt.

@ Futuretwin

Michael Jäger sagt mir irgend etwas. Sollte ich mir wirklich mal angucken.

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Redakteur von "Der Freitag." Er schreibt recht packend. Is viel Lesestoff, aber ich fands lohnend. Marx mal anders interpretiert. (Mich würde auch die Meinung vom Nörgler zu Jägers Ideen mal interessieren.)
Und andere Autoren kommen auch zu Wort. Sind viele philosophische Herleitungen drin, die auch überblättert werden können von denen, die eher auf Praxis abfahren. ;-)

Ein Grundeinkommen ist auch ein Bestandteil seiner Überlegungen, aber seine Hauptidee ist es, durch regelmässige "Marktwahlen" den Rahmen dessen abzustecken, was überhaupt produziert werden soll.

Hier sind (passend zum Topic ;-) ) zwei Texte von ihm über Syrien:

http://www.freitag.de/autoren/michael-jaeger/die-hexenprobe

http://www.freitag.de/autoren/michael-jaeger/das-verbrechen-des-westens

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@Dean: Bei mir schwierig weil ich seit einiger Zeit allenfalls Knäcke-Brot esse. Hab vor 2 Jahren meine Ernährung auf relativ low carb umgestellt, ohne fanatisch zu sein.

Michael Jaeger will letztlich auch wieder in volle Möhre in den Preisbildungsprozess eingreifen. Ich glaub, dass es ohne Regulierungen eine Menge Marktversagen gibt. Im Grunde stellt aber ein Markt andererseits in vielen Bereichen auch einen vernünftigen Allokations-Mechanismus dar.
Wenn ich mit meinen Kunden die Preise für meine IT-Dienstleistungen demokratisch abstimmen müsste... das gäb das totale Chaos.
Und ich geb ja nicht mal Preisgebote, sondern Aufwandsabschätzungen. Bezahlt werde ich nach Zeit und Material. Wenn ich stark über das avisierte Aufwandsziel hinausschiesse, gibts unangenehme Gespräche, die ich nach Kräften vermeide.
Gebe ich Aufwandsabschätzungen ab, dann rechne ich mir das intern zusammen, multipliziere den Endbetrag mit 2 und unterglieder das dann in für die eigentliche Arbeit völlig sinnlose Punkte-Liste, die als einzigem Zweck hat, auf den Kunden plausibel zu wirken. Fast immer bestehen die Projektsponsoren aus Personen ausserhalb der IT. In den letzten Jahren hat sich diese Methode als ziemlich erfolgreich erwiesen.
Das ist nun wirklich alles andere als demokratisch und kann es aufgrund von Wissens-Assymetrien auch gar nicht sein. Unsere immer technologisiertere Welt geht immer mehr in die Richtung, das Aufwandsschätzungen für Aussenstehende nicht mehr nachvollziehbar sind und somit Wettbewerb nicht einfach durch einen demokratischen Rat ersetzt werden kann.
Läge ich dann weit oberhalb den Preis-Erwartungen des Kunden, bekäm ich das Geld für die Planungs-Stunden und der Kunde würde den meist auf 3 oder 6 Monate lautenden Vertrag auflösen, was immer geht. Allerdings ist das in den letzten 5 Jahren aus diesem Grund nie vorgekommen.

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Wenn Jägers Idee ist, durch "Marktwahlen" zu bestimmen, was in welcher Menge produziert wird, dann finde ich ihn zwar hübsch radikal - aber zugleich uninteressant.

Denn: Das ist ja das Faszinierende an (funktionierenden, ähem) Marktmechanismen: Dass (ausreichend Informationen vorausgesetzt - und auch Good Will seitens der Beteiligten), also dass über die Nachfrager direkt festgelegt wird, erstens, was gekauft wird, aber auch zweitens, was produziert wird.

Wozu einen "demokratischen" Abstimmmechanismus einführen, wenn es diesen schon gibt?

Zugleich befinden sich Marktgesellschaften, so würde ich es formulieren, in einer "latent deformierenden Demokratiefalle". Darunter verstehe ich, dass bei allzu ausgeprägter materieller Ungleichheit die "Stimmgewichte" (d.h. die Kaufkraft) undemokratisch deformiert sind - und mit ihm dann zugleich der komplette Produktionsprozess.

In besonderer Radikalität ist diese "latent deformierende Demokratiefalle" im Umgang mit sehr ungleichen Partnern zu sehen, beispielsweise bei den Aktivitäten westlicher Konzerne in Entwicklungsländern. Dann werden teils auf Teufel komm raus Palmölproduktionen hochgezogen, und so ganz nebenbei zigtausende stabiler bäuerlicher Existenzen vernichtet, weil diese eben nicht die Rückendeckung des Staates haben, der von eben diesen Geldinteressen ebenfalls deformiert ist.

Marktwirtschaft kann bedeuten, dass Forschungs- und Vermarktungskraft für Potenzmittel mobilisiert werden (schwerpunktmäßig um alten Menschen, die sich als Person selbst all zu sehr in Marktlogiken verstrickt haben, den Anschein von Jugendlichkeit und "sexueller Leistungskraft" zu geben) - während gesundheitlich ungleich wichtigere Fragestellungen mitunter keine Berücksichtigung finden.

Die Abhilfe gegen derartige Probleme liegt aber nicht in der kompletten Aushebelung der Allokationsmechanismen von Märkten, wie es Jäger für äußerst erstrebenswert (und schlimmer noch: für machbar) hält, sondern einerseits in der Bekämpfung der Ungleichheit, aber auch darin, dass der Staat neben fairen Umgangsformen auf Märkten auch dafür sorgt, dass es neben "reinen Marktlogiken" eben auch weitere, gesellschaftlich notwendige Logiken gibt - bzw. diese zur Geltung kommen.

Ich plädiere hier also für ein kluges Nebeneinander - und auch Miteinander. Im Gesundheitsbereich heißt das zum Beispiel, dass es Forschungsstrukturen neben den marktgeleiteten Forschungsstrukturen geben muss - und sogar noch ein Schritt mehr: Dass in einem (eher vorsichtigen) gewissen Umfang sogar staatliche Vermarktungs- und Produktionsbetriebe im Gesundheitsbereich sinnvoll sind, welche sich eben um genau die wichtigen Güter und Dinge kümmern, für die sich nicht in ausreichenden Maß private "Investoren" bzw. Unternehmen finden.

Da gibt es aber noch einen Riesenstrauß weiterer regulativer Möglichkeiten - das führt zu weit, das hier auszuführen.

Aber all diese Möglichkeiten sind zu gleich "sanfter" und auch effizienter als das, was Jäger sich vorstellt. Trotzdem finde ich es gut, wenn mal jemand "neben der Spur" argumentiert.

@ Lemmy Caution

Das ist ja ein ganz spannendes, hochinteressantes Thema, die Frage nämlich, wie Märkte mit Wissensassymetrien umgehen - aber auch die Frage, was mit Marktgesellschaften geschieht, wenn diese Wissensassymetrien zunehmen.

Ich fürchte, sie werden dann feudaler.

@ Obama

Der nächste Schwenk: Er lässt sich auf die Giftwaffenkontrolle ein. Tut er das nicht, reißen ihm die Senatoren und Kongressabgeordneten den Kopf vom Rumpf. Tut er es aber - und scheinbar läuft es darauf hinaus - wird sich das (ähem) "rein konventionelle Morden" in Syrien fortsetzen.

Aber immerhin gibt es jetzt die Chance darauf, dass die beiden Stellvertretermächte (Russland und USA) miteinander sprechen und sogar eine gemeinsame Syrienpolitik betreiben.

Denn das halte ich für die realistischste Option dafür, dass eines Tages eine Friedenslösung für Syrien gefunden werden kann. Optimistisch stimmt dabei, wie schnell der russische Vorschlag sich im Moment in die Wirklichkeit übersetzt.

Das ist sehr beeindruckend.

@ Che

Bei allem Respekt für Rafik Schafi (und auch eingedenk einer beachtlichen Ähnlichkeit seiner Position zu dem, was wir hier schon diskutiert haben):

* Seine Angabe von 250.000 politischen Gefängnisinsassen ist schlicht falsch und übertrieben

(schlimm genug ist es allerdings auch so)

* Seine Kritik an "den" Europäern ist mir zu pauschal und gibt auch nicht den Ereignisverlauf korrekt wieder. Anders als er es sagt, gibt es eine deutliche Abwendung von Assad - und anders als er es sagt, bekommt Assad von den Europäern schon seit einigen Jahren keine Waffen mehr.

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@ lemmy: Von deinen popeligen IT-Dienstleistungen ist doch überhaupt nirgendwo die Rede! Es geht um einen RAHMEN, einen je nachdem sehr weiten Rahmen. Etwa: Wollen wir wirklich mehr Autos oder vielleicht doch einen Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel?

@dean: Der Markt funktioniert eben NICHT. Sonst müssten doch etwa keine Überproduktionen vernichtet werden.

Aber ein Mindestmass an Auseinandersetzung mit der Idee Jägers muss schon Voraussetzung einer Debatte sein, Leute! Muss ja nicht gleich der ganze Moloch sein. Kapitel 7 etwa.

Aber ihr habt ja nicht einmal meine Kommentare zu Jäger vernünftig gelesen! Sonst kämt ihr nicht mit eurem geilen Markt um die Ecke, den Jäger ja gar nicht abschaffen will, wie ich ja schrub.
Unter diesen Voraussetzungen diskutiere ich nicht!

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Ob etwas "funktioniert" oder "nicht funktioniert" ist ja oft nur eine Frage der Betrachtungsrichtung. Das ist ähnlich wie in der Psychologie. Da gibt es in vielen Bereichen einen fließenden Übergang zwischen "gesund" <->Charakterfehler<->krank bzw. Persönlichkeitsstrukturstörung u.ä.

So betrachtet würde ich Marktmechanismen auf gesellschaftlicher Ebene als "zu Charakterfehlern neigend" beschreiben, und unbehandelt prägen sich in reinen "Marktgesellschaften" (d.h. im ungeregelten Kapitalismus) verschiedene Erkrankungen aus.

Oder anders gesagt gesprochen, Märkte "scheitern" - je nach Voraussetzungen - in der Regel nur graduell. Mitunter sogar nahezu total, wie Akerlof im Markt für "lemons" nachgewiesen hat. Das schlimmste Scheitern eines konkreten Marktes besteht allerdings im "Nichtmarkt" (Akerlof-Fall), der "Nichtallokation" oder der "Nichtproduktion".

Eine gewisse Überproduktion könnte vor diesem Hintergrund geradezu als Hoffnungszeichen aufgefasst werden.

Allein schon der Umstand, dass es überhaupt Firmen oder größere Unternehmungen gibt, lässt sich bei strenger Betrachtungsweise nur als prinzipielles Scheitern von Märkten begreifen. Warum kauft ein Unternehmen nicht einfach z.B. die benötigten Schreibdienste, Denkleistungen, Verkäuferhandlungen in kleinen und kleinsten Häppchen an Märkten? Es ist sogar so, dass diese Märkte grundsätzlich existieren - aber trotzdem existeren diese Firmen, und sie organisieren sich aus sogar den allerbesten Gründen intern: marktfern.

Mit anderen Worten, der ganze Kapitalismus basiert in erheblichen Umfang auf massiv marktfernen Strukturen - ohne die er schlagartig zusammen brechen würde.

So ganz generelle Aussagen über "die" Märkte oder "den" Kapitalismus halte ich - ähem - ohnehin i.d.R. für eine Mischung aus Denkschwäche und Analysevermögen. Oder für den Ausdruck von Verzweiflung. Bei Jäger tippe ich auf Letzeres - aber neugierig bin ich ja trotzdem.
:D

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Erst lesen, dann tippen.

http://www.freitag.de/autoren/michael-jaeger/7-der-verdrangte-markt-die-hauptthese

Er versucht tatsächlich Markt und Kapital getrennt zu denken, insofern wurde meine Aussage zu "nicht funktionierenden Märkten" ihm überhaupt nicht gerecht. Was nicht funktioniert ist das Kapital, aus dem leich ersichtlichen Grund, dass es sich immer vergrößern muss, was irgendwann nicht mehr möglich sein wird.

Und hier:
http://www.freitag.de/autoren/michael-jaeger/68-der-andere-warentausch-vorfragen

Da grenzt er sich auch von Robert Kurz ab, hab ich neulich noch gesucht die Stelle und nicht gefunden.

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Ich würde sagen: Torf
So, ich habe jetzt ein paar Häppchen Jäger gelesen, und bin noch sehr fern davon, mir wirklich eine Meinung zu ihm bzw. zu seinen Hauptthesen leisten zu können. Aber ein paar Dinge sind mir schon aufgefallen. Ich nehme einfach mal den ersten Satz von ihm (das war der dritte oder vierte in seinem Artikel), über den ich etwas stärker ins straucheln gekommen bin:
Man kann sich tatsächlich ein Eigentum vorstellen, das im wesentlichen nicht privat sondern individuell wäre; einzeln, aber nicht abgesondert; nicht gegen die Gesellschaft, seine Quelle, gerichtet, sondern zur Solidarität bereit.
Das ist eine Mischung aus unterspezifisch und überspezifisch, aus vage und vemeintlich konkret, die mich schon vom Schreibstil her ziemlich misstrauisch stimmt. Zumindestens schreibt er nicht superlativistisch (ich kenne keinen einzigen respektablen Autor oder auch nur Fachmann, der superlativistisch schreibt - umso häufiger findet sich so etwas bei politischen Autor/innen).

Das merkwürdig Unbestimmte und sich damit auch zugleich gegen alle Einwände absichernde Element in seinem Schreibstil, diese Mischung aus sehr breit angelegten Generalisierungen und zahlreichen, umso engeren Könnteaberjedochs, das ist in meinen Augen auch kein gutes stilistisches Anzeichen. Es ist nicht so, dass ich ihm damit vorwerfe dabei so weit zu gehen, dass er damit mühelos-qualvoll direkt ins intellektuelle Nichts gelangt, wie des von Nadine Lantzsch beinahe schon meisterlich vorgemacht wurde.

Aber man merkt eben schon am Schreibstil, dass seine Theorien letztlich vage und unbelegbarer Natur sind, so vage wie der von ihm als Alternative entwickelte "indivuduelle" Eigentumsbegriff, dessen Stärke die Mitverantwortung sei..

Wollte ich spotten, würde ich Herrn Jäger sagen, dass es eben dieses hochverantwortlich "individuelle" Eigentum längst schon gibt: nämlich als millionstel oder milliardstel Anteil an einer Aktiengesellschaft.

Individuell: Vom Eigentum her also am Ende einem oder mehreren Individuen zuordnenbar.

Gesellschafltich verantwortlich und auf "Assoziationen" beruhend: Na, und wie! Man denke nur an die Steuern, die mit Aktiengesellschaften und auch Aktienbesitz verbunden sind!

Natürlich denkt Jäger hier nicht an Aktien. Woran er genau denkt, vermag er vermutlich selbst nicht zu sagen. Halt kein klassischer Privatbesitz, aber - nun - wie genau, das weiß er halt doch nicht, obwohl er darüber mit großem Interesse und Engagement schreibt...

Tatsächlich - nur mal als Randbemerkung von mir - lässt sich Aktienbesitz auch anders als wir es gewohnt sind organisieren und z.B. mit der Erfüllung gesellschaftlicher Auflagen (z.B. zur Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen oder Migrantenkindern, Anteile von Frauen in Führungspositionen usw. usf.) verbinden, sodass sich hier tatsächlich am Ende ein Amalgan aus privatem Besitz und kollektiver Verantwortung bilden ließe.

Theoretisch - und wie gesagt - schon viel zu konkret für Jäger, dessen Vorstellungen nun einmal nebulös bleiben, so, als ob er erst einmal nur erreichen möchte, dass seine Ideen für eine bestimmte Leserschaft "gut klingen" müssen.

Ansatzlos, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, seine Vorstellungen mit Leben zu erfüllen, springt er sogleich zum Thema "Revolution" über.

Ähem. Und als würde er damit seine besondere Methodik und das geistige Grundkonstrukt seiner Gedankenwelt offen legen wollen, tut er das, indem "diese Frage" folgendermaßen einleitet:
Ohne sie auch nur annähernd zu erschöpfen oder gar schon zu beantworten,...
Ja, genau!

Der zweite Schritt vor dem ersten, das "Beantworten" also als Steigerungsform des "Erschöpfens" verstanden. Jäger "erschöpft" seine Ideen und Begriffe nicht, geschweige denn, dass er die Frage, was er sich da genau vorstellt, auch nur ansatzweise wirklich beantwortet.

Damit hat er sich - ungewollt - als vor allem visionärer politischer Autor charakterisiert, der das eigentliche "Beantworten" gerne vermeidet, sobald sich eine neue Möglichkeit ergibt, an Visionen zu stricken. Ich denke: Jäger sucht noch seine Vision. Ich wäre ein Unmensch und Grobian, wenn ich das nicht respektieren würde - zumal "der" Kapitalismus, zummal der, mit dem wir konkret zu tun haben, wirklich nach Antworten ruft, nach neuen Ideen - und Zukunftsentwürfen.

Da ist dann einer wie Jäger, der mutig nach vorne prischt, ohne tatsächlich etwas in der Hand zu haben, durchaus willkommen. Am Ende sind es - so sehe ich das - Autoren wie Jäger, welche den Boden bereiten für die notwendigen Ideen, die noch kommen werden.

Solche Artikelserien wie die von Jäger sind in meinen Augen so etwas wie Torf. Vielleicht lässt sich das sogar von ihm als Autor überhaupt sagen. Eigentlich ist an Torf nicht viel dran, der Brennwert ist gering und setzt langes, Trocknen voraus. Als Dünger eher untauglich, der eigentliche Nährwert ist sogar ziemlich gering. Wenn man jedoch Torf in verbrauchte Erde einbringt, dann wird diese damit gelockert, und mehr noch, auf Jahre hinweg das Bodenklima so verbessert, die Möglichkeiten für Regenwürmer und andere Lebewesen so gesteigert, dass der Boden infolge der Torfeinbringung deutlich an Wert und als Grundlage für einen reichen Pflanzenbewuchs gewinnt.

Dass bei diesem Prozess der Torf geradezu vernichtet und umgebildet wird, im Idealfall mit weiteren Substanzen zu Humus nämlich: Das ist Teil des produktiven Vorganges. So verzeihe ich ihm gerne, dass er in seinem Spekulieren über eine bessere Zukunft unnötig umständlich über sehr schlichte Dinge schreibt wie:

* Geld lässt sich nicht abschaffen

(wobei er in seinem Entwurf dann doch nicht anders kann, als von einem "frei wirksamen" Geld zu schreiben, ohne der tiefen Ironie gewahr zu werden, die ein derartiger Begriff hat)

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Da wir ja jetzt einen neuen Syrien-Thread haben, können wir hier ja mit Jäger weitermachen. ;-)

"Aber man merkt eben schon am Schreibstil, dass seine Theorien letztlich vage und unbelegbarer Natur sind"

Sorry, aber was ist das denn für eine Argumentation? Am Stil?
Es sind auch sehr konrete Ideen in seinem Text. So weit bist du nur noch nicht gekommen.

Thema Revolution: Er versucht halt nicht den Übergang zu denken (in Gegensatz zu Theoretikern, die sich darauf spezialisiert haben) sondern die Situation danach. Eben die "Andere Gesellschaft", deshalb heißt der Text ja auch so. Ambitioniert genug ist der Text imho auch so schon.

Über AGs schreibt er hier etwas:
http://www.freitag.de/autoren/michael-jaeger/63-freundliche-ubernahme-der-aktiengesellschaften

Was ihm vorschwebt ist eine Art Genossenschaft. Er hat sich, entgegen deiner (ziemlich haltlosen) Unterstellung durchaus konrete Gedanken dazu gemacht, ich schrub es bereits.


Ich zitiere mal:

"Es steht also das traditionelle Thema der "Vergesellschaftung" bisher kapitalistischen Eigentums zur Debatte. Die Behauptung, solches könne im Einklang mit dem Grundgesetz geschehen, wird zunächst etwas rätselhaft klingen. Denn nach herrschender Lehre deckt das Grundgesetz weder Enteignung ohne Entschädigung, noch würde anerkannt werden, dass es im öffentlichen Interesse liegt - nur wenn solches vorliegt, darf Enteignung auch nur erwogen werden -, nun gleich a l l e Aktiengesellschaften (AGen) zu enteignen.

Enteignung hat Sik aber auch gar nicht im Sinn. Er schlägt nur vor, dass alle Aktienbesitzer eine Steuer zu entrichten haben, deren Ertrag bei der AG bleibt und Eigentum der Beschäftigten wird. Nach wenigen Jahren ist so viel Geld zusammengekommen, dass die Beschäftigten alle Aktien zurückkaufen können. Die Mitarbeitergesellschaft entsteht also auf eine Art, die der heute geläufigen "feindlichen Übernahme" von AGen ähnelt. Eine solche ist ja zweifellos grundgesetzkonform. Nicht anders, wenn statt einer andern AG die "Mitarbeiter" übernehmen. Es ist natürlich auch grundgesetzkonform, auf jetzt vorhandenen Aktienbesitz eine Steuer, die Rückkaufsteuer zu erheben. Also ist an dem ganzen Vorgang alles grundgesetzkonform. Nur dass es komisch wäre, wollte man diese Übernahme eine "feindliche" nennen. "

Edith hat die Reihenfolge n bischen glattgezogen.

Ach ja, und wenn du deine Vorwürfe (Ironie und so) bezüglich der Geldthematik konkretisierst, kann ich sie vielleicht auch anhand des Textes entkräften.

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The devil is always in the details
Sorry, aber für mich ist das nicht logisch kongruent. Auch hier:
[Sik] schlägt nur vor, dass alle Aktienbesitzer eine Steuer zu entrichten haben, deren Ertrag bei der AG bleibt und Eigentum der Beschäftigten wird. Nach wenigen Jahren ist so viel Geld zusammengekommen, dass die Beschäftigten alle Aktien zurückkaufen können.
"Die Beschäftigten" kann mehrerlei bedeuten. Erstens individuelles Verfügen von Beschäftigten über die eingenommenen Gelder. Dann könnte es auch sein, dass der jeweilige konkrete Beschäftigte das "Rückkaufgeld" überhaupt nicht für den Rückkauf verwenden möchte. Sondern vielleicht für das neueste Iphone 47zeta. Zum Beispiel. Zweitens könnte es ein Verfügen irgendeiner zentralen Stelle bedeuten, die sich "die Beschäftigten" nennt, aber von deren Willensbildung völlig unabhängig ist. Drittens könnte es bedeuten, dass es sich um ein kollektives Verfügen über den Rückkauffond handelt, bei dem der Wille der Beschäftigten z.B. über Abstimmungen oder gewählte Repräsentanten (z.B. Betriebsrat) ins Handeln eben dieses "Rückkauffonds" einfließt.

Ich nehme jetzt einfach den zweiten oder dritten Fall an - und zur weiteren Vereinfachung (vermutlich ist es so gedacht), dass die Gelder im "Rückkauffond" nur für Aktienrückkäufe verwendet werden können.

So weit so schön. Nun gibt es eine Reihe von Möglichkeiten, an denen der vollständige "Rückkauf" scheitern wird:

1. Die anderen Aktienbesitzer wollen überhaupt nicht verkaufen. Sie tun es einfach nicht.

Tja: So etwas kommt vor. Wenn der "Happen" appetitlich ist, sogar ziemlich schnell. Oder auch, wenn die gebotenen Rückkaufpreise deutlich unterhalb dessen sich befinden, was sich die vorherigen Eigentümer erhoffen.

2. Börsen-/Marktlogik: Der Rückkauf verknappt die am Markt frei verfügbaren Unternehmensanteile. Infolge dessen steigt der Preis. Mit jedem größeren Kauf erhöht sich die Verknappung - und der Preis steigt. Das ist ein ganz normaler Preisbildungsprozess - und exakt derjenige, der zu erwarten ist. Und zwar - hier wird es quasi eklig - kann das sogar ein Prozess sein, bei dem die durch "Rückkaufsteuer" erzielten Beträge ab einem bestimmten Punkt vollständig durch die Preissteigerungen an der Börse aufgefressen werden.

3. Inländerlogik: So eine Rückkaufsteuer ist nur auf Inländer anwendbar. Auf Ausländer eben nicht - ein Verfügen über ausländisches Eigentum kann eine "Rückkaufsteuer" nicht bewirken. Mit anderen Worten: Liegt der Aktienbesitz vollständig in ausländischer Hand, kommt auch kein Geld über die "Rückkaufsteuer" herein.

4. Grundgesetzlogik: Eine ständige Substanzsteuer, die auf lange Sicht hin zum vollständigen Aufbrauch der Substanz führt: exakt das wäre eine grundgesetzwidrige Enteignung.

Tja: Und schon scheitert das ganze Modell - jedenfalls auf Basis des Grundgesetzes.

Wenn es aber diese "Rückkaufsteuer" einigermaßen sachte ausfällt (z.B. 2 Prozent im Jahr), so könnten die Eigentümer die Rückkaufsteuer z.B.aus den Dividendenerträgen begleichen - ohne auch nur eine einzige Aktie zu verkaufen.

Mit anderen Worten: Jede Höhe einer "Rückkaufsteuer", die mit normalen wirtchaftlichen Erträgen von den bisherigen Besitzern beglichen werden kann: verunmöglicht einen vollständigen Rückkauf. Übersteigt die "Rückkaufsteuer" diesen Betrag, dann ist es wiederum grundgesetzwidrig.

(genau genommen sogar schon deutlich vorher - das Bundesverfassungsgericht hat in einem Grundsatzurteil den Riegel vor Besteuerungen gesetzt, die mehr als 50 Prozent aller Erträge umfassen - und zwar, aufgemerkt, unter Berücksichtigung von Substanzsteuern)

5. Beschäftigtenzentrierung: Warum eigentlich sollten am Ende nur "Beschäftigte" über Aktienbesitz bzw. die daraus abgeleitete "Rückkaufsteuer" verfügen können? Was ist mit denen, die mal im jeweiligen Unternehmen gearbeitet haben - und z.B. inzwischen verrentet sind? Was ist mit denen, die lernen oder studieren? Was ist mit den Arbeitslosen? Deren Besitzlosigkeit würde in einem solchen System - im Vergleich zu den normalen Beschäftigten - sogar gesteigert.

Ist das gut? Ist das fair?

6. Zufallseffekte - Zufallswohlstand: Warum soll es den Beschäftigten, die z.B. bei einem einträglichen Monopol arbeiten (z.B. regionaler Strommonopolist) via Rückkaufsteuer in einem (Mapstab: Börsenwert pro Beschäftigten) "wertvollen Unternehmen" arbieten, so massiv besser gestellt sein als Beschäftigte zum Beispiel einer Pommesbude - oder einer defizitären Aktiengesellschaft? Warum soll ein Beschäftiger, der zum Beispiel 30 Jahre in einem Betrieb gearbeitet hat, genauso gestellt sein (in Bezug auf den Nutzen aus dem sogenannten Rückkauf), wie ein Beschäftiger, der erst 1 Jahr im Unternehmen arbeitet - aber idealerweise eben 1 Jahr vor dem vollständigen Rückkauf ins Unternehmen eintritt?

7. Kapitalistische Flexibilität

Nehmen wir gedanklich einmal an, es wäre möglich, über ein Modell von "Rückkaufsteuern" eine vollständige Enteignung allen Unternehmensbesitzes durchzuführen.

Und zwar egal, was das Grundgesetz dazu sagt. Schließlich sind wir ja, sagen wir ab dem 1. Mai 2014, alle Revolutionäre - und die revolutionsfeindlichen Kräfte haben einfach einen Schreck und wehren sich im gesellschaftlichen Maßstab so rein garnicht - oder nicht wirkungsvoll genug. Wir (zu denen ich dann übrigens nicht gehören werde) siegen! Hur-rah!!

Die doofen Kapitalisten wiederum sind ja nicht blöd. Das heißt, sie werden einfach Substitute für die vorherigen Formen verbrieften Eigentums (z.B. Aktienbesitz) erfinden. Die spannenden Unternehmensteile werden also weit vor der vollständigen Wirksamkeit der "Rückkaufsteuer" in andere Formen von Unternehmensbesitz überführt - das können GmbHs sein. Es können auch "Stiftungen" sein, denen eine "Miete" oder "Miet-Anteile" (als Substitut für Aktienbesitz nämlich) zukommt.

Dann gehören "den Beschäftigten" dann die Unternehmen - aber die wirtschaftlichen Erträge gehören dann wieder den Kapitalisten.

"Der" Kapitalismus bzw. die Akteure in diesem Wirtschaftssystem sind ungeheuer flexibel. Sie suchen ständig nach Auswegen, erst recht, wenn sie von einem ständigen Enteignungsprozess namens "Rückkaufsteuer" bedroht sind. Sogar über raffiniert konstruierte Verrechnungspreise funktioniert das.

Eine nahezu totale Wirtschaftskontrolle ist notwendig, um all diese Auswege aus dem durch die "Rückkaufsteuer" erzeugten Eigentumsdilemma lahm zu legen.

Die "Nebeneffekte" eines derartigen Handels wären gewiss sehr groß.

Im Übrigen hielte ich es auch für reichlich unfair bzw. ausgesprochen unfreiheitlich. Ich versuche das mal zu begründen: Letztlich betrifft eine derartige Wirtschaftsordnung (die privaten Aktienbesitz in Beschäftigtenbesitz transformiert) ja alle Unternehmen (anderenfalls werden sich massive Ausweichhandlungen ereignen, wie oben beschrieben). Es wäre also nicht mehr möglich, individuell über ein wirtschaftliches Unternehmen zu verfügen.

(denkbar wäre natürlich auch eine Art "Kleinunternehmensprivileg", sodass die enteignenden Regelungen nur für Unternehmen oberhalb von z.B. .10 Personen gelten)

Als Unternehmer hätte ich in so einem Land gar keine Lust (über den 1-Mann-Betrieb mit mir selbst als Beschäftigten), ein Unternehmen zu gründen. Denn sobald mein Unternehmen gedeiht - droht mir ja im nächsten Schritt gleich die Enteignung meines Besitzes, und mehr noch, ich kann dann nicht mehr darüber verfügen, sondern nur noch meine Beschäftigten.

Ergebnis: Es gibt deutlich weniger innovative oder anders geartete unternehmerische Tätigkeit in einem solchen Wirtschaftssystem mehr. Ein gewisser - durchaus recht starker - Verlust an "Unternehmertum" wäre in einem solchen System die Folge. Was übrigens, so verblüffend das für marxistisch orientierte Menschen auch klingen mag, durchaus eine Reduzierung der Freiheit beinhaltet - und zwar eine Freiheit, die durchaus auch "normale" Menschen betrifft.

So problematisch ungleich verteilter Besitze (zumal: von Unternehmen) auch ist: Auf lange Sicht ist es für ein Wirtschaftssystem von Nachteil, wenn es hier eine massive Einschränkung unternehmerischer Aktivitäten gibt. Ein wesentliches "dynamisches Element" des Kapitalismus geht dann flöten.

Man könnte natürlich behaupten (zum Teil sogar nachvollziehbar), ein Teil der "individuell-unternehmerischen" Tätigkeit (die nunmehr weitgehend entfällt) ließe sich irgendwie durch kollektive Formen von Unternehmertum ersetzten.

Ganz falsch ist das nicht. Schließlich ist ja auch die klassische Aktiengesellschaft im Prinzip eine Kollektivveranstaltung - und "gemietete" Manager sind offenkundig in der Lage, ein größeres Unternehmen auf viele Jahrzehnte erfolgreich zu führen. Das kann in der Theorie (und mehr noch: auch in der Praxis) also durchaus auch ein Mandat von "Beschäftigteneigentümern" sein.

Ob das für kleinere und mittlere Unternehmen allerdings in Theorie und Praxis genauso gut funktioniert - die Substitution "des Unternehmers" durch einen Manager: das lässt sich mit ziemlich guten Begründungen bestreiten.

Das heißt, ein Wirtschaftssystem ausschließlichen "Beschäftigtenbesitzes" (an Unternehmen) würde mutmaßlich zu Lasten kleinerer und mittlerer Unternehmensformen gehen.

Der Punkt, der oft verkannt wird, ist dabei: Es gibt in einem solchen System am Ende massiv oder wenigstens deutlich weniger "unternehmerische Basisbewegung". Zum Beispiel Erfinder, die ihre Produkte herstellen und vermarkten. Denn diese sind ja - im Erfolgsfall - sogleich von einer Enteignung durch ihre Beschäftigten bedroht.

Viele lassen es also von vornherein sein (wozu sich anstrengen, wenn man sowieso enteignet wird?) - oder beschränken sich darauf, nur als "1-Mann-Unternehmen" tätig zu sein. Tatsächlich ist das ein für ein Wirtschaftssystem, zumal auf lange Sicht hin, großer Verlust - der viele wirtschaftliche Entwicklungen, zumal besonders innovative darunter - komplett abschneidet.

Nun kann man sich natürlich auf den Standpunkt stellen, dass derartige Verluste an wirtschaftlicher Dynamik und (auch das) vormals auch für Normalbürger erlangbare wirtschaftlicher Freiheit nun einmal hingenommen werden müssen - für die große Vision eines allgemeinen Beschäftigteneigentums.

Mensch könnte aber auch argumentieren, dass die gesamtgesellschaftlichen Kosten (u.a. eine verminderte wirtschaftliche Dynamik) eine Abwägung notwendig machen, auch dahingehend, ob die erstrebten Ziele nicht auf einem anderen, weniger einschneidenden Weg erreicht werden könnten.

8. Bonzokratische Falle

Sind tatsächlich alle Unternehmen (also nicht nur Aktiengesellschaften alten Typs) Beschäftigteneigentum, müssen diese ja schließlich auch geleitet und geführt werden. Auch erfolgt die Vermittlung des Beschäftigtenwillens i.d.R. nicht unmittelbar - sondern eben über eine Funkionärskaste - welche sich i.d.R. im Einklang auch mit denen befinden muss, die im Besitz der revolutionären Macht sind.

Ich bin völlig davon überzeugt, dass sich auf diesem Weg eine besondere Funktionärskaste bilden wird. Ein Blick nach Italien (mit seinen ehemals sehr großen öffentlichen Unternehmen) verdeutlich in meinen Augen ganz ausgezeichnet die Gefahren, die damit einher gehen.

Aber selbst unter größter Aufmerksamkeit und der ständigen Auswahl der "fähigsten Manager", und unter ständiger Zerschlagung von Funktionäressippschaften und den hier leicht ausbrechenden Korruptionsstrukturen wird sich ganz ähnlich eine Spitzenmanagerkaste herausbilden - "Top-Bonzen" sozusagen - vielleicht sogar nicht unähnlich mit der Managerkaste von "Top-Managern", die wir derzeit in unserem Land haben. Sie werden auf die Politik Einfluss nehmen, eigene Interessen (an Stelle der Interessen der Beschäftigten) verfolgen, oder wie ein Middelhoff das eigene Unternehmen ausplündern, so gut es nur geht.

Auch dann, wenn diese Gefahren so einigermaßen begrenzt werden (ist allerdings kaum irgendwo jemals wirklich gut gelungen - und je marktferner ein Unternehmen geleitet wird, sogar umso weniger!): Dann etabliert sich erneut eine Trennung zwischen normalen Beschäftigten und "Privilegierten" und dem Top-Personal.

Zum Beispiel wie bei uns (und ich China): Der Nachwuchs eben dieser "Top-Manager" hat dann massiv bessere Chancen auf Wohlstand, Bildung, Karriere, Leitungspositionen und berufliches Fortkommen.

Und je "undynamischer" der kapitalistische Prozess abläuft, je weniger wettbewerbsorientiert, je stärker die Marktzugangshürden sind (z.B. für konkurrierende oder eventuell neu eintretende Unternehmen), umso stärker sind diese - so nenne ich das mal - "bonzokratischen Kastenbildungsprozesse".

Ich behaupte aber, dass dieses Modell eines ausschließlichen "Beschäftigtenbesitzes" von Unternehmen sehr viel Dynamikeinbußen bewirken wird - und damit diese bonzokratische Falle vergrößert.

Dem gegenüber stehen die Gefahren, die aus der kapitalistischen Akkumulation von Besitz und Macht resultieren. Nur: Es gibt zahlreiche andere Möglichkeiten, diese Gefahren zu beschränken - die meisten davon greifen weitaus weniger ins Wirtschaftssystem ein als diese Vision eines ausschließlichen Beschäftigtenbesitzes von Unternehmen.

9. Wenn Unternehmen in Beschäftigtenbesitz im bisherigen kapitalistischen System eher eine schlechte Performance hinlegen: Warum sollte dies in einem System viel besser funktionieren, das nur noch Beschäftigtenbesitz von Unternehmen kennt?

Aber nehmen wir einmal an, dieses Problem existiert nicht - und es sei eine reine Erfindung von Apologeten des Kapistalismus.

Dann lässt sich genau anders herum fragen: Was spricht noch einmal genau gegen eine gesellschaftliche Verfassung, bei der es ein Nebeneinander aus klassischen Unternehmen (auch: AGs) und Beschäftigtenbesitz gibt?

Ich würde ein derartiges Nebeneinander für dynamischer und freiheitlicher halten. Übrigens auch in Bezug auf Punkt 8.

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