Mittwoch, 20. März 2019
Elemente der Gegenaufklärung, New Age und Okkultismus 2
Von Anfang an gab es zur Aufklärung eine Gegenbewegung. Je mehr aufgeklärtes Gedankengut und auch eine zunehmend aufgeklärte Theologie sich durchsetzte, umso stärker interessierten sich bestimmte Leute, bezeichnenderweise oft Angehörige des landsässigen Adels oder aber abenteuerliche Boheme- und Halbweltgestalten, für Alchemie, Astrologie, Hypnose, Mesmerismus und Spiritismus. Parallel zur aufklärerischen Geheimloge der Illuminaten bildeten sich die obskurantistischen Rosenkreuzer. An diese Entwicklung des achtzehnten Jahrhunderts schloss sich im neunzehnten eine Bewegung an, die ganz explizit den "Materialismus", d.h. die aufgeklärte Philosophie plus die industrielle Moderne ablehnte und ihr Heil in einer Mischung aus christlicher Mystik, jüdischer Kabbala, indischem Yoga sowie kolonialistisch amalgamierten Versatzstücken von Hinduismus und Buddhismus suchten. Eine der tragenden Figuren war ein ehemaliges spiritistisches Medium, Helena Petrowna Blavatsky, die die internationale Theosophische Gesellschaft gründete deren "Bibel" Blavatsky Buch "Geheimlehre" war. Als großer Schismatiker der Theosophischen Gesellschaft spaltete Rudolf Steiner davon die Anthroposophie ab.

Der laut Eigenaussage einzige von den tatsächlichen Eingeweihten in der westlichen Öffentlichkeit zum Sprechen ermächtigte Meister Bo Yin Ra - auf den wäre gesondert zu sprechen zu kommen - bezeichnete Leute wie Blavatsky, Steiner, Crowley, Gurdijeff und ähnliche als "abenteuerliche Mystagogen", die "aus aller Völker mystisch-dunkler Lehre sich ein Ragout zubereiteten" und verspottete die Versuche, höheres Bewusstsein durch Yoga, Pranajama oder vegane Ernährung zu gelangen als Versuche, sich "in eine höhere Geistigkeit hineinzuessen oder hinaufzuatmen".


Wirklich populär wurden die esoterischen Lehren weniger durch die doch etwas sperrig zu lesenden Theo- und Anthroposophen, sondern durch den amerikanischen Schriftsteller Baird Spalding. Sein sechsbändiges Werk "Leben und Lehre der Meister im Fernen Osten" wurde millionenfach publiziert und inspirierte auch Elisabeth Haich, die wesentlich dauzu beitrug Yoga in Europa populär zu machen und die in ihrem autobiografischen Roman "Einweihung" über ein früheres Leben als altägyptische Prinzessin berichtete an das sie sich aufgrund meditativer Versenkung erinnern könne, ebenso wie an das Totsein als Mumie und Begegnungen mit Gott (Pthah) und Satan (Seth).


Spalding behauptete an einer elfköpfigen Expedition in den Himalaya teilgenommen zu haben und dort eingeweihte Meister getroffen zu haben, die so vergeistigt seien dass sie Telepathie beherrschten und Jahrhunderte oder Jahrtausende alt würden da sie mit ihren spirituellen Kräften den Tod überwunden hätten. Jeder dieser Meister könne die gleichen Wunder vollbringen wie Jesus, und wer ihrer Lehre folge könne das auch erlernen. Auffällig ist dass diese Meister keine asiatischen Namen tragen, einer heißt zum Beispiel Emil, und dass, seltsam für eine Himalayaexpedition, Bilder und Landschaftsbeschreibungen fehlen. Die Expedition hat nie stattgefunden, Spalding schürfte zu diesem Zeitpunkt am Yukon nach Gold. Um den Eindruck zu erwecken er sei selber ein Geistesmensch der seinen Alterungsprozess aufhalten könne hatte er sein eigenes Geburtsdatum gefaket und sich als weit älter erklärt als er tatsächlich war. Die kindlich-naive Kitschsprache seiner Bücher kam besser an als das geheimnisvolle Geraune Blavatsky und Steiners, und die Begeisterung westlicher Sinnsuchender für Weise aus dem Himalaya verdankt sich weitgehend diesen fiktionalen Erzählungen.

https://www.youtube.com/watch?v=zhEofL9NVsY

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Und doch ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass hinter den sperrigen und teils absurd autoritären Lehrsystemen mit dem richtigen Maß an eigennützigem Profitdenken und einem gerüttelt Maß an Doppeldenk Schätze stecken können, die zu ergründen teils Jahrzehnte dauert - Jahrzehnte, in denen eine komplette Transformation der eigenen Existenz möglich ist. Teils nur durch mantrengleiche Formeln.

Man muss - und Leute wie Alan Watts, die sich als Trickster-Joker betätigt haben, hatten das zu ihrer Lebensaufgabe gemacht - das Meta-Konzept des Upaya verstehen, wenigstens halbwegs, um nicht gleich kopfschüttelnd-angewidert aufzugeben. Viele Systeme und deren Gurus sind nur darauf aus, das Ego gerade durch widersinnige mentale Frameworks einzuspannen (yoga -> yoke -> Joch) und in etwas aufgehen zu lassen, was konkurrieren können muss mit dem normalen Raum-Zeit-Kontinuum und der Standard-Ich-Jetzt-Hier-Origo. Alles, um Mentalität als solche energetisch anreichern zu können, damit aus der realitas actualitas werden kann (Details variieren je nach System). Das ist eine ziemlich große Herausforderung.

Oder man läuft mit psilocybinhaltigen Pilzen intus durch die Innenstadt, nur versehen mit dem Sprüchlein "Tat Tvam Asi". Das schafft die Transformation in sechs Stunden ;)

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Ich habe mit Tat Tvam Asi und Om Mani Padme Hum meditiert und auch mit En Soph (was ein Freund spöttisch mit Im Suff kommentierte) ohne großartige Ergebnisse zu erreichen, hingegen kosmische Gefühle bei großen Bergbesteigungen erlangt. Kannst Du von eigenen Erlebnissen, insbesondere Transformationen berichten? Interessiert mich wirklich!

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Wobei Erfahrungen unter dem Einfluss psychogener Drogen so ziemlich das genaue Gegenteil von dem darstellen was die oben beschriebenen Lehren mit "Erwachen im Geiste" meinen. Die Beliebigkeit, mit der ab den Sechzigern die verschiedenen, zum Teil untereinander unvereinbaren esoterischen Lehren miteinander vermischt und dann auch noch mit drogeninduzierten Praktiken indigener Völker in Connex gebracht wurden steht in völligem Gegensatz zum ursprünglichen Inhalt.

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Ich hatte mit Spiritualität nichts am Hut, bevor ich diverse Psychedelika, vor allem Pilze, intensiv für knapp zwei Jahre konsumiert habe. Meditationsversuche mit Shikantaza während des Studiums waren einfach nur stundenlange Langeweile und Muskelzwicken gewesen, wegen meiner Katholen-Kindheit wäre ich ohnehin nicht im Traum darauf gekommen, mir Vati- oder Mutti-Gottheiten ins Hirnkasterl zu holen, auch wenn sie noch so exotisch daherkommen.

Durch Pilzkonsum in Kombination mit intensivem Hatha- und Kundalini-Yoga habe ich dann zu meiner eigenen Überraschung (nach knapp über einem Jahr des täglichen Schwitzens, in Kombination mit ayurvedischer Disziplin) das erreicht, was man ein Öffnen diverser Chakren nennen könnte - eine stabile Aktivierung von Körperregionen, die sich auf Anhieb existenziell "richtiger" anfühlte als der Alltagsstandard und die das, was man in hinduistischer Philosophie "manas" und "chitta" nennt, von mir aus "Geist"und "Bewusstsein", auf sehr sinnige und kohärente Art und Weise auf den Körper verteilt hat.

Das hat nicht nur meine normale "Verkopftheit" beendet, die vorher Denken mehr oder weniger nur im und mit dem Gesichtsfeld bewerkstelligt hatte, sondern auch eine völlig neue Form der - im Wortsinn - Wirklichkeit eröffnet: Statt in einer Welt, die kognitiv und mit Aufmerksamkeit erschlossen werden muss, befand ich mich auf eine geradezu wohlige Art und Weise in einer präexistenten Welt, die als Kontinuum zu meinem Organismus daherkam und auch den Intellekt stimuliert hat. Mentalaktivität setzte schon präverbal und vorbewusst an beziehungsweise wurde so wahrgenommen und hat den normalen Gedankenstrom in die chitta-Analogie vom Bewusstseins-See mit den Mentalfluktuationen drauf, den vrittis, verwandelt - über etliche Monate.

Das war die körperliche Vorarbeit, die überhaupt ermöglicht hat, dass der Acker bestellt werden kann - in gnostischer Terminologie vielleicht von Hyle zu Psyche. In dieser Zeit habe ich mich weiterhin null für Spiritualität interessiert, die Beschreibung oben ist eine retrospektive Einordnung. Wer eins ist mit seinem System und dem Gesamtsystem, auch wenn manche Erfahrungen dadurch extrem ruppig daherkommen, weil man eben keine Filter mehr hat, der braucht keinen Gnaden- oder Glückseligkeitsgott.

Auf "Tat Tvam Asi" bin ich dann eher zufällig gestoßen, hatte mir nichts großartig dabei gedacht, dann aber bei einem Innenstadt-Pilztrip nur kurz daran gedacht - und damit quasi ein kosmisches Uhrwerk angestoßen, das in den nächsten vier Stunden röchelnde Fußgängerzonenmenschen bis zur knatternden Großbaustelle auf zaubrische Weise vermocht hat, in ein kohärentes Ganzes zu verwandeln. Seitdem ist meine Existenz irgendwie, hm, selbst-bezüglicher. Ich möchte wetten, dass ein Mantra wie "Biene Maja ist die Große Göttin" auch Faszinierendes bewirkt hätte, mit zwei Handvoll getrockneten Pilzen im System, aber die Logik des "Tat Tvam Asi" mit seinem (für mich) nicht-fokussierenden Rekurs aufs Subjekt als Origo hat meine Existenz ein gutes Stück weniger dualistisch gemacht, auch im nüchternen Zustand.

Ich hatte mich in den darauffolgenden Jahren auch eingehend mit Tantra und Daoismus befasst, aber konnte nie einen Zugang finden, existenziell: Die Alterität aufbauen, um sich ihr dann auch noch unterzuordnen, das schien mir irgendwie wie ein billiger Hütchenspielertrick, angesichts meiner Erfahrungen.

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Und ja, gerade Leuten wie Alan Watts haben wir es heute zu verdanken, dass alle möglichen spirituellen Systeme unter dem Label "nondualism" vereinnahmt werden, obwohl die Unterschiede selbst Anfängern offensichtlich sind. Aber das geht dann wahrscheinlich verloren, wenn man einen Synkretismus-Eintopf für den Weltfrieden anrührt.

In dem Bereich muss man alles mit einem Körnchen Salz konsumieren und selber seinen Weg finden. Guter Lackmustest, dass noch alles in Ordnung ist: Man schaut sich um und sitzt NICHT in Schlabberklamotten in einem Aussteiger-Ashram. Die Freak-Quote ist wirklich verdammt hoch.

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Danke dass Du diese Erfahrungen mitgeteilt hast, Du hast hier mit Sicherheit nicht nur einen wohlwollenden und aufmerksamen Leser.

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Wird das noch fortgesetzt? Liest sich nicht wie etwas Fertiges.

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In alten Threads findet sich schon eine ganze Menge zu diesem Themenkomplex.

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